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'Der einzigartige,
unnachahmliche
....'
Das Programmheft der städtischen Bühnen Regensburg,
Spielzeit 1993 / 1994.
Intendantin Marietheres List.
Geboten wird die beliebte Operette 'Eine Nacht in Venedig' von Johann
Strauß, und auf dem Besetzungszettel steht:
'Caramello', Leibbarbier des Herzogs:
Jonas Kaufmann.
Die Intendantin (ich kenne sie von meiner Zeit an der
Bayerischen Staatsoper und aus Nizza) hatte einen guten Riecher, dieses
junge Talent 1993 frisch von der Hochschule weg zu engagieren!
Heute ist für ihn, den Weltstar, der Schlosspark festlich für einen
Galaabend
geschmückt,
das Publikum - wohltuend gut gekleidet - steigt zu seinen Sitzen auf der
gewaltigen Tribüne hinauf.
Die Hofer Symphoniker, gegründet 1945 sind mit ihren 120 Musikern eine
feste Größe in der Orchesterlandschaft Deutschlands und durch ihre
orchestereigene Musikschule eine frühmusikalische Talentschmiede.
Unter der Leitung von Jochen Rieder, einem Kapellmeister in bester
Tradition, vielseitig, werkbezogen, schwungvoll und uneitel beginnt das
Konzert mit Dmitri Schostakowitschs Festlicher Ouvertüre, opus 96, ein
für den sonst so grüblerischen Komponisten untypisch schmissig und
fröhliches Werk, in dem das Orchester seine Virtuosität zeigen kann und
im Publikum schon den Enthusiasmus weckt.
Dann tritt er auf, leichtfüßig, schlank, sportlich, inzwischen 47-jährig
beginnt sein Programm mit Puccinis's 'Ecco la casa' aus 'Le Villi',
einem romantischen Gruselstück. Für diesen Brocken muss man gut
eingesungen sein, und das ist er.
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Einem Aufwärmtraining ihrer Fußballmannschaft schauen Fans gebannt zu,
das je nach Trainer unterschiedliche Übungen enthält.
Trotz aller medizinischen Erkenntnisse der Stimmfunktionen aus
Atemmuskulatur, Stellknorpeln, Glottis und Resonanzräumen bleibt die
Sängerstimme glücklicherweise ein Geheimnis.
Mit anatomischem Wissen kann ein guter Pädagoge Kantoren, Chorleiter und
Musiklehrer zu einer lebenslang gesunden Stimme verhelfen, 'Sänger' sind
sie aber deswegen nicht ungedingt.
Die naturgegebenen Schwingungen, so unterschiedlich wie Fingerabdrücke -
sind es, die den 'Stimmbesitzer' vom 'Sänger' unterscheiden, aber das
Wichtigste ist die Gabe, den Zuhörern etwas zu 'verkünden'.
Freude, Trauer, Begehren, Wut, Zärtlichkeit, Verzweiflung, alles, was die
menschliche Psyche umtreibt, will uns ein wahrhafter Sänger aus innerem
Antrieb vermitteln und das, seit Orpheus die Menschen und Tiere lauschen
machte und die Furien bezwang.
Ein Herr Doktor Koch moniert in der MZ vom 19. Juli 2016, dass Jonas
Kaufmann kürzlich in Baden-Baden absagen musste.
Dass ein 'Sänger', der etwas zu künden hat, trotz aller wohltrainierten
Funktionen kein auf Knopfdruck funktionierendes Gerät ist, sollten wir
respektvoll beachten.
Wie sehr Jonas Kaufmann gerade den Siegmund in einem delikaten
Kammerspiel vermittelt, wie ihm die Rolle liegt, zeigt der DVD-Mitschnitt aus der Met.
Dass er die Figur nicht angeschlagen präsentieren will, sollte bei
Wortmeldungen berücksichtigt werden.
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Dass Jonas Kaufmann die schwere Arie der Roberto aus 'Le villi' aus
Hochachtung vor Puccini, der seinem darstellerischen Temperament zur
Zeit besonders liegt, an den Anfang des Programms stellte, zeugt von
seiner musikhistorischen Verantwortung, den damals noch nicht
arrivierten Komponisten vorzustellen.
Das 'Ecco la casa' beginnt mit einem dramatischen recitativo
accompagnato, in dem der ungetreue Roberto von den 'Villi', den Geistern
der Verlassenen, gehetzt wird.
Ein ähnliches Thema wie Rusalka und ihre Leidensgenossinnen und die
bekannte Maske wie die 'Tote aus der Seine'.
Im nachfolgenden Arioso hat der Sänger Gelegenheit mit lyrischen Phrasen
im 'voix mixte' die Herzen zu rühren, gefolgt von einem hochemotionalen
Teil, der heldische Töne der Verzweiflung erfordert, um dann in einem
melancholischen Nachspiel zu enden. Eine wunderbare, stimmlich
anspruchsvolle Arie, die bereits das Genie Puccinis ahnen lässt.
Bedeutende Tenöre mögen sie ins Repertoire aufnehmen mögen, damit man
sie öfter zu hören bekommt.
In Regensburg erwarb sich Jonas Kaufmann den berechtigten ersten Jubel
des Publikums.
Interessant ist für den Musikfreund eine Ballettmusik vom jungen Puccini
zu hören, die die tänzerische Phantasie anregt und sicher dazu beitrug,
dass Arrigo Boïto und seine Fachkollegen sich für das unüberhörbare
Talent einsetzten, was dann zum Vertrag mit dem wichtigen Verlag Ricordi
führte.
Die Arie des Cavaradossi 'E lucevan le stelle' - eine 'Glanznummer' für
dramatische Tenöre - gestaltet Jonas Kaufmann zu einem Selbstgespräch.
Versonnen rückblickend schildert er die Szene im Garten unter dem
Sternenhimmel, die Zärtlichkeit im feinsten Pianissimo, dichte
melodische Bögen bis zum heldischen Fortissimo in der Verzweiflung in
der Angst vor dem Tod.
So oft man diese Arie auch hört, sie bewegt den, der Ohren und eine
Seele hat, diese Feinstabstufung der Stimmfarben als Schilderung der
Gefühle ist einmalig.
Das Vorspiel zum dritten Akt der Oper 'Edgar', ein Mann aus Flandern
zwischen einem Bauernmädchen und einer Maurin hat einen merkwürdig
russischen Melodienduktus, und man muss zugeben, etwas befremdet zu
sein.
'Manon Lescaut' war die erste wirklich erfolgreiche Oper Puccinis und
der Chévalier Des Grieux passt Jonas Kaufmann wie ein Maßanzug. Die
Reise nach London, um sein Rollendebüt in 'Covent Garden' zu erleben.
Zusammen mit Kristine Opolais verkörpern sie 'das Traumpaar' dieser
Oper.
Die typische Neuenfels'sche Art der Inszenierung in München, die
konsequent das Gegenteil von dem tut, was vorgegeben ist, konnte
damals seine sängerische wie
darstellerische Kunst nicht untergraben. Das 'Donna non vidi mai'
schildert den 'coup de foudre', die Liebe auf den ersten Blick, die den
Chevalier zum Spielball seiner Leidenschaft, zum Glücksspieler und
schließlich zum Verbrecher macht. Um die Zusammenhänge zu verstehen,
lohnt es sich die Novelle des Abbé Prévost zu lesen.
Wie Jonas Kaufmann die Arie singt, hört man die jugendliche
Liebesbereitschaft, und welche junge Frau, die von der Familie zum Leben
im Kloster verdammt ist, wird vor soviel Schmelz, dem Changieren
zwischen hauchzartem Piano und ausbrechendem leidenschaftlichen Forte in
der Schlussphase nicht schwach.
Das berühmte Intermezzo, das Scharnier der gegenüber dem Original der
Novelle fehlenden Szenen, schildert mit intensiven Orchesterfarben die
Seelenlage des Chévalier Des Grieux - und den Hofer Symphonikern gelang
es, alle Schattierungen der Klänge zu zaubern.
Den brutalen Kapitän eines Schiffes, das Verbrecherinnen in die
Verbannung bringen wird, zu überreden, ihn als unerlaubten Passagier
mitzunehmen, erfordert schon heftigste Versuche der Überredung. Mit
düster tiefen Streichern beginnt die verzweifelte Bitte des Des Grieux,
bei seiner Geliebten bleiben zu dürfen. Außer sich vor Schmerz und Angst
vor dem Verlust steigert sich die Expressivität bis zu einem Schrei, der
die Hörer ins Mark trifft und dem Kapitän die Zustimmung abzwingt. Diese
extremen Ausbrüche nie außer Kontrolle der Kunst des Belcanto geraten zu
lassen, beherrscht Jonas Kaufmann einzigartig, unnachahmlich.
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In der Pause klettern die meisten Zuhörer von der Tribüne
herunter, ein Schauspiel von mehr oder weniger Geschicklichkeit genau
wie der nach der festlichen Fanfare erfolgende Aufstieg. Inzwischen ist
es dunkel geworden, der Mond schaut über dem Schloss zwischen schwarz-drohenden
Wolken hervor.
Das Orchester intoniert die Ouvertüre zu 'Das Land des Lächelns'. Die
melodischen Einfälle von Franz Lehár stehen Puccini nicht nach und junge
Sänger sollten sich daran üben.
Dass er das getan hat, hört man bei Jonas Kaufmann, der sicher in
Anfängerjahren mit den Schmankerln der sogenannte leichten Muse, die viel
guten Geschmack erfordern, sein Gehalt aufbesserte.
Und so verschönt er als Paganini - jetzt in blauem Anzug - so
viel erotische Erfahrung in 'Gern hab' ich die Fraun geküsst', verpackt
in samtweiche Kopfregistertöne und zum Schluss in ein unendliches
Crescendo.
Richard Tauber, diese Urbild des Tenors der dreißiger Jahre, ihm gelang
mit 'Du bist die Welt für mich' ein 'Ohrwurm', den Jonas Kaufmann in so
vielen Stimmfarben attraktiv glänzen lässt, dass eine Zuhörerin laut und
vernehmlich vor Begeisterung juchzte.
Der Marsch der 'Frühlingsparade' von Robert Stolz entführt uns in die
Zeit des flotten Uniformen, für die die Mädchen früher 'Fenster und die
Türen' öffneten.
Nach dem schwungvollen Orchesterwalzer aus Lehars 'Graf von Luxemburg'
lockt uns der Sänger in das 'blaue Himmelbett' aus der ziemlich
vergessenen Operette 'Frasquita'.
Nach all' den Heldentönen aus den großem Tragödien 'Tosca' und 'Manon'
derart unverschämt ins Mikrophon zu gurren und zu schnurren zeigt wie
sehr er sein Instrument Stimme beherrscht und dass es gesund ist. Das
Publikum schmunzelt glücklich.
Ungleich knalliger ist das durch die extrem helle Stimme von Joseph
Schmidt im Film berühmt gewordene 'Ein Lied geht um die Welt', und sehr
verdienstvoll hat sich Jonas Kaufmann in seinen Recherchen über die vom
Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Texter und Komponisten verdient
gemacht.
Das Publikum schreit vor Begeisterung als habe ein Ball sein Ziel im Tor
erreicht.
Vom selben Meister stammt die Tonfilmmelodie 'Im Traum hast Du mir alles
erlaubt'. Die Zwischenspiele verswingt der Sänger mit einem Tänzchen und
krönt den Schluss mit einem astreinen Ton im hohen Falsett.
Die Filmmelodie aus 'Lied einer Nacht' von Mischa Spoliansky schließt den
offiziellen teil des Programms ab, und nach dem letzten Heldenton ist
das Publikum nicht mehr zu halten, klatscht, pfeift wie auf dem
Fußballplatz, schreit und erzwingt Zugaben.
'Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück' - die flotten
Zwischenspiele fahren in die Beine und das Schlusscrescendo erzeugt
Freudenschreie im Publikum.
Die von den herbeigeeilten Odeon-Konzert-Damen überreichten
Blumensträuße werden auf das Dirigentenpult drapiert, das Publikum gibt
keine Ruhe, die schwarzen Wolken hat er weggesungen, die nächste Zugabe
ist 'Es muss was Wunderbares sein' - zärtlich gehaucht.
Endloser Applaus fordert mehr, noch mehr, noch mehr. Also singt er 'Dein
ist mein ganzes Herz' mit unermüdlichen, glücklich machenden
Strahltönen.
Das Volk klatscht und jubelt weiter, kurze Besprechung mit dem
Dirigenten, also noch etwas für den Nachhauseweg: 'Frag nicht warum ich
gehe' in bester Chancon-Manier '... morgen spielt hier wer andrer' - es
ist auch Sarah Connor.
Das Publikum ist unersättlich, aber einmal muss auch ein Held die Arbeit
beenden. Umarmung für den Dirigenten, Kusshände für das vorzügliche
Orchester, Dank an die Konzertdirektion Söll für diesen unvergesslichen
Genuss, Dank an die Fürstin für die wunderbare Umgebung, Dank an den
Himmelspförtner, der den Regen bei sich behielt und Dank an Jonas
Kaufmann, den Orpheus unserer Tage.
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll
bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der
Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes
oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch. |
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