Bayerische Staatsoper

30.11.2014

Giacomo Puccini
'Manon Lescaut'

 




 

Besetzung

Musikalische Leitung   Alain Altinoglu
Inszenierung   Hans Neuenfels
Bühne   Stefan Mayer
Kostüme   Andrea Schmidt-Futterer
Licht   Stefan Bollinger
Konzeptionelle Mitarbeit   Yvonne Gebauer
Produktionsdramaturgie   Benedikt Stampfli, Rainer Karlitschek
Chor   Sören Eckhoff
     
Manon Lescaut   Kristine Opolais
Lescaut   Markus Eiche
Il cavaliere Renato Des Grieux   Jonas Kaufmann
Geronte di Ravoir   Roland Bracht
Edmondo   Dean Power
L'oste   Christian Rieger
Il maestro di ballo   Ulrich Reß
Un musico   Okka von der Damerau
Un sergente   Christoph Stephinger
Un lampionaio   Alexander Kaimbacher
Un comandante   Evgenij Kachurovsky
     
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
     
     

 

Schafft sich das Regietheater ab?

Wenn eine Theaterleitung einen Vertreter des Regietheaters engagiert - das außerhalb Deutschlands voller Ekel als 'german trash theater' bezeichnet wird - erwartet sie einen Skandal mit heftigen Publikumsreaktionen, der dann für Presserummel sorgt. Dann hat der Intendant sich mal wieder 'einen Namen' gemacht.

In München machte sich
Hans Neuenfels über Puccinis 'Manon' her.

1. Akt
Das Bühnenbild von
Stefan Mayer zeigt einen schwarzen Raum, das Bühnenportal wird von einem Rahmen aus Neon-Röhren eingefasst - aha, wir machen Kunst, keinen Naturalismus - Textauszüge aus der Novelle von Abbé Prévost werden projiziert, was nützlich für das Verständnis der Handlung ist, die Lücken aufweist. Puccini war mit keinem seiner vielen - an dieser Oper beteiligten - Librettisten zufrieden.

Umso zufriedener konnte der Zuhörer mit dem Staatsorchester sein, das unter der Leitung von
Alain Altinoglu ein wahres Feuerwerk an Klangwundern entfaltete. Wie aber kann der zwar prachtvoll singende Chor eine fröhlich, jugendliche Menge an einem heiteren Sommerabend darstellen, wenn er von Andrea Schmidt-Futterer in graue Overalls mit scheußlich ausladenden Gesäßen gezwängt wird?

Seit der Zeit der alten griechischen Tragiker verkörpert der Chor die Mitmenschen, denen sich dieser Regisseur wohl turmhoch überlegen fühlt, denn im Bayreuther Lohengrin führt er sie uns als Rattenpack vor und hier als - pardon - Ärsche , die auf dem Kopf rote Borstenperücken tragen müssen.
Mit seiner Reitgerte fiedelnd (warum?) singt Edmondo -
Dean Power - sympathisch klar seine Partie.

Il cavaliere Des Grieux erscheint im schmucken, schwarzen Samtanzug mit adrettem weißem Hemd, - da hat er aber Glück gehabt, dass er nicht als Clochard kommen muss! - und scherzt mit den schönen brünetten und blonden Mädchen, die sich wie im Süden üblich hübsch aufgeputzt auf der Piazza zeigen, um mit jungen Männern anzubandeln.

Bei Neuenfels sind sie natürlich das Gegenteil: sportive, drahtige, in blau-graue Trainingsanzüge verpackte Athletinnen, die ihre Gesichter in Kapuzen mit vor dem Gesicht verschlossenen Reißverschluss verbergen - warum?

Aber eigentlich wissen wir es ja:
die Gegenteil-Masche begann im Januar in Frankfurt 1981:
Aida, eine äthiopische Prinzessin - im 'Neuenfels-Gegenteil': eine Putzfrau.

Aber der Unfug mag noch so blödsinnig sein,
Jonas Kaufmann singt und strahlt alles weg! Eine Stimme mit den Qualitäten von Samt bis Edelmetall, die alle Gefühlsnuancen mit so natürlicher Selbstverständlichkeit ausdrückt, dass ich fortwährend bewundernd denke:
'Ja, genauso ist es!'
Und genauso agiert er auch. Von sanfter Zärtlichkeit bis zu wilder Verzweiflung ist alles glaubhaft.

Die Handlung geht weiter:
die Musik kündigt eine Kutsche an. Statt vier kraftvoller Warmblüter - die ja schwer auf die Bühne zu bringen sind - ist sie mit vier zarten Jünglingen bespannt, die wie beim Trauerzug schwarze Federn auf dem Kopf tragen.
Eigentlich gehören sie in die Operette. Ich wurde schon mal als Diana von vier weißbefederten Tänzerinnen auf einem Wagen hereingefahren.
In München steigen aus: der wohlbeleibte Geronte mit prächtigem Altherrenbass -
Roland Bracht, der geschmeidige Bruder Lescaut - Markus Eiche - im bodenlangen, wehenden, schwarzen Chenille-Samt-Mantel - ein beglückendes Bariton-Erlebnis den ganzen Abend lang.

Und dann begegnen sich Des Grieux und Manon -
Kristine Opolais - langes, mittelblondes, eigenes Haar, attraktive Figur und eine mädchenhaft helle, in allen Lagen gut geführte Stimme, die von zarter Koketterie bis zum dramatischen Ausbruch alle Gefühlsregungen ausdrücken kann.
Ihre weiße, konturlose Bluse, der brave schwarze Rock und die simplen Schuhe verraten noch nichts von dem, was an Lebensgier in ihr steckt, aber 'l'amour fou' bricht aus:
eine tödliche Krankheit.
Des Grieux bleibt allein zurück, und Maestro Puccini beschenkt uns mit der ersten großen Tenor-Arie des Abends. Ein Meisterwerk an subtiler Melodieführung, meisterlich gesungen von Jonas Kaufmann.
Der Geldgierige Bruder Lescaut erkennt seine Chance, arrangiert die Flucht der Liebenden, wittert beim alten Geronte einen reichen Gönner, während das Volk sich beim Kartenspiel amüsiert.
Natürlich nicht bei Neuenfels, der wieder ein Gegenteil demonstriert!
Da normalerweise Kartenspieler ihre Blätter sorgfältig abdecken, erscheinen hier die Sport-Mädels mit leuchtenden Karten-Tablets.
 

Man mag nicht mehr hinschauen auf den Unsinn, sondern genießt das fabelhafte Orchester, stellt sich das Stück in der eigenen Phantasie vor und ist sauer, dass die Steuerzahler dafür aufkommen müssen.
 

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2. Akt
Die schwarze Bühne zeigt ein Boudoir im Karl-Lagerfeld-Stil.
Ein Bett aus Metallrahmen mit schwarzer Bettwäsche, ein karger Schminktisch und Standspiegel, Regale mit Kristallschalen, aus denen Kristallketten baumeln, ein Plafond in Form zweier Vogelschwingen aus Metallrohren (ein großes Lob für die hauseigene Schlosserei für saubere Arbeit!) - das Ganze umgeben von schwarz lackierten Stühlen.
Eine Heimstatt für Grufties!

Darin residiert Manon in einem so perfekt-attraktiven schwarzen Hosenanzug, dass ich ihn mir für meinen Kleiderschrank wünsche.
Die Anweisungen aus der Rokoko-Zeit für Schminke, Rouge, Schönheitspflaster, Puder sind in diesem Ambiente natürlich unsinnig.
Ein Geschäft witternd, verspricht Bruder Lecaut Manons Sehnsucht nach Des Grieux zufriedenzustellen, den alten Geronte zu schröpfen, indessen er den Cavaliere Des Grieux zu einem erfolgreichen Falschspieler machte - ein wunderbar gesungener, turbulenter Dialog!

Fünf befrackte 'Prinzen Orlowski' treten auf, darunter Okka von der Damerau, ihre Üppigkeit stark tailliert eingezwängt, und singen sehr gepflegt das Madrigal mit dem in dieser Umgebung unpassend preziösen Text.
Lescaut verschwindet, um Des Grieux herbeizurufen.

Der alte Geronte erscheint mit dem Tanzlehrer. Angehörige dieses Berufszweiges sind dazu da, junge, ungelenke Leute Etikette und Eleganz beizubringen. Aber es tritt mal wieder ein Neuenfels'sches Gegenteil auf:
Ein Steinzeitmensch - hübsch gesungen von Ulrich Reß - die Zottelperücke tief in die Stirn geklebt, mit Kniehosen, aus denen unappetitliche strubbelpelzige Beine ragen, von denen sich Manon - ach, wie lustig - ein Büschel abreißt, um damit zu spielen.
Man kämpft mit dem Würgereiz!

Der Herrenchor erscheint, um die schwarzen Lackstühle zu bevölkern.
Die roten Bürstenperücken kennen wir schon. Jetzt tragen die wie immer prächtig singenden Mannen als 'Abati' Kardinalspurpur. Die steifen Zeremonialkostüme sind altjapanischen Würdenträgern abgeguckt. Man tauscht Rokoko-Komplimente mit feinem erotischem Unterton aus, liest man mal den gesungenen Text oder sogar die Novelle nach.

Währenddessen beknabbert Edmondo Manons rechtes Bein - hoffentlich ist sie nicht kitzlig.
Die plumpe Purpurschar trollt sich endlich - und
'Tu, tu amore? Ah! mio immenso amore?' - Jonas Kaufmann, Des Grieux, bricht herein.
Leidenschaft, Enttäuschung, Eifersucht und das Unverständnis für Manons Hang zum Luxus gehen im Rausch unter.
Die beiden Protagonisten sind perfekt aufeinander abgestimmt, singen hinreißend, keine Regie-Mätzchen stören, ja, so soll es sein!

Dafür aber stört der alte Geronte die beiden Liebesrasenden, eilt, sie zu denunzieren.
Bruder Lescaut hetzt herein, spannend dargestellt und wieder perfekt gesungen vom großartigen Markus Eiche.

Aber statt schnellstens vor den von Geronte alarmierten Soldaten zu verschwinden, versucht Manon ihre Klunker zu retten.
Vergeblich!
Aus der Traum von einer Flucht mit Des Grieux.

Es naht ein Neuenfels'sches Gegenteil:
Statt finsterer Soldateska des absolutistisch-korrupten Systems sprintet ein Sportverein flinker Bogenschützen herein, was zweifellos eine Augenweide ist. Wozu das Wort 'arcier' im Text ein Regieteam doch anregen kann!
Ei, ei - wie fein!

Manon kann sich von ihren Preziosen nicht trennen, wird abgeführt, Bruder Lescaut hält Des Grieux zurück und sein Verzweiflungsschrei: 'O Manon! O mia Manon!' ist so echt, das er mich tagelang verfolgt.
 

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Das Intermezzo:
Des Grieux's Einsamkeit und Verzweiflung.
Vorhang zu und Ohren auf!
Man hält die Luft an , um auch keine Schwingung des kostbaren Cellos zu stören. Dann entfaltet das Staatsorchester, sensibel und liebevoll angeleitet von Alain Antinoglu Puccini's Meisterwerk eines Seelengemäldes so anrührend und aufwühlend, dass es einen Stein zum Schmelzen bringt.
Bitte gleich noch einmal! Aber nein, Vorhang auf!

 

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Dritter Akt

Im Hintergrund eine hoch aufgehängte Folie mit eingebranntem körpergroßem Loch, in das ein Steg aus dünnen Rohren führt. Rechts hinten eine Öffnung mit Rolltor. Bruder Lescaut behauptet, Manon durch Bestechung freizubekommen, was leider schiefgeht.
Sie erscheint im grauen Kittel, an Händen und Füßen gefesselt von einem Sportschützen bewacht.
Des Grieux, sehr adrett im schwarzen Anzug, weißem Hemd, an jeder Hand ein Ring.
Stürmisch besingen sie ihre Hoffnung 'fra poco' vereint zu sein.

Eine irre Gestalt turnt über das Gestänge des Stegs, grau 'verpackt', die Ausbeulungen des Gesäßes sind geschrumpft, singt sein Liedchen von Kate und dem Gold des Königs vor sich hin - es ist eigentlich nach dem Willen der Autoren der 'Lampenanzünder' - Alexander Kaimbacher mit zartem Tenor.

Die Flucht der Liebenden wurde entdeckt und nun muss sich Manon unter die gefallenen Mädchen einreihen, um deportiert zu werden.
Das Volk - die 'Neuenfels'schen Ärsche' - klumpen sich als Masse im Hintergrund zusammen, um Hohn und Spott über die armen Geschöpfe zu gießen.

Die Verurteilten, deren Namen der Sergente, Christoph Stephinger, verliest, sind eigentlich im Text sehr unterschiedlich charakterisiert, aber im Neuenfels'schen Gegenteil gehen sie im einheitlich grauen Kittel, die Gesichter mit einem Strumpf überzogen.
Warum?
Bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren auch in Mitteleuropa die Frauen gezwungen, zum Überleben sich entweder einem Ehemann unterzuordnen, ins Kloster zu verschwinden - wie es ja für Manon geplant war - oder sich zu prostituieren. Jeder schwadronierte von der 'Natur des Weibes', aber keiner der 'Gelehrten' fragte sie selbst.

Manon soll also für ihre 'Verbrechen' nach Amerika deportiert werden, aber Des Grieux will mit ihr gehen und auf sein Bitten und Betteln beim Kapitän darf er als Schiffsjunge anheuern.

Im Elend vereint treten sie die Reise an.

 

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Vierter Akt
 
Zwischen Abtransport im dritten und der öden Gegend im vierten Akt besteht eine zeitliche Lücke im Libretto.
Während die Novelle schildert, dass Des Grieux und Manon es zu einem gewissen Wohlstand brachten, aber ihre Attraktivität zum Mord an einem Nebenbuhler und damit zum Verjagen der beiden in die Wüste führte.
Der Vorhang geht auf, der schwarze Bühnenraum ist völlig leer - nanu?
Stefan Mayer hatte die vorigen Akte mit funktional sinnvollen Aufbauten bestückt. Hat denn der Regisseur sein sicher beträchtliches Honorar gerafft und hat die Flucht ergriffen?
Zu sagen: "Leute, macht, was ihr wollt, ihr könnt es ja" - war wohl das Beste!

Mit hohlen Klängen schildert das Orchester die Verlassenheit der beiden Verfemten. Barfuß, Manon im ramponierten Hosenanzug, Des Grieux ohne das letzte Hemd in Weste und Hose, tasten sie sich vorwärts.

Ja, und dann geschieht ein Theaterwunder, das ein so konzentriert mitleidendes Publikum atemlos miterlebt, als sei es eins mit den beiden Sänger-Darstellern.
Man spürt die echte kollegiale Sympathie von Opolais und Kaufmann in Gesten voller Fürsorge und Zärtlichkeit.
Manons große Todesarie 'Sola, perduta, abbandonata', ein perfekt bis in die höchsten Höhen geführtes Stimmorgan, ein bitteres Resümé eines von der 'beltà funesta' ruinierten Lebens, der Aufschrei: 'No! non voglio morir!'

Des Grieux's hoffnungslose Versuche, die Geliebte zu trösten - mit soviel Wärme in dieser einmalig timbrierten Stimme, in der trainierten, knabenhaften Gestalt, treibt die Tränen in die Augen, derer sich niemand schämt.
Das ist die 'Katharsis' um derentwillen die Leute seit Jahrtausenden ins Theater gehen.

Nach ein paar tiefen Atemzügen bricht ein dankbarer Jubel los, der alle Mitwirkenden ehrt, das Orchester, den wundervollen Zauberer Alain Altinoglu, feiert Kristine Opolais und Jonas Kaufmann, die auch im Applaus zärtlich aneinander hängen, auf Wolken hebt.




 

An dieser letzten Szene erkennen wir, dass Mätzchen überflüssig sind und sich das sogenannte Regietheater hoffentlich bald abschafft.
 
 

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