Theater für Niedersachsen

08.12.2014

Ludwig van Beethoven





 


Besetzung

Musikalische Leitung   Achim Falkenhausen
Inszenierung   Guillermo Amaya
Bühne und Kostüme   Hannes Neumaier
Chor   Achim Falkenhausen
     
Don Fernando   Peter Kubik
Don Pizarro   Uwe Tobias Hieronimi
Florestan   Narry Coleman
Leonore   Mareike Bielenberg
Rocco   Levente György
Marzelline   Antonia Radneva
Jaquino   Jan Kristof Schliep
1. Gefangener   Daniel Käsmann
2. Gefangener   Michael Farbacher
     
Orchester des TfN
Chor und Extrachor des TfN
     
     

 

Vergesst die 'Scala', fahrt nach Hildesheim!

Wie es der Zufall will, übertrug 'arte' am So. 7.12.2014 die Saisoneröffnung der Mailänder Scala mit Beethovens 'Fidelio' und am Montag 8.12.2014 wurde er am Stadttheater Hildesheim aufgeführt.
Na, und wie war es?

Das kann man doch nicht vergleichen - hier eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt und da ein deutsches Provinztheater - sagt der polyglotte Opernsnob!
Warum nicht - frage ich, die singend, inszenierend, lehrend dem Musiktheater seit Jahrzehnten verbunden bin. Schon im Studium wurde mir beigebracht: Die Noten sind dieselben, ganz gleich von wem sie wo gespielt werden.

Die integrative Kraft der Musik hatte wohl auch Maestro Barenboim im Sinn, deren humane Botschaft Grenzen, Zeiten und Weltanschauungen überwindet, als er das Werk zur 'inaugurazione' in Mailand auf den Spielplan 2014/2015 brachte.
Aber zwischen einem südlichen 'spettacolo' und den 'nordischen Hallen' bestehen einfach klimatisch so unüberwindliche Unterschiede, dass auch er sie mit seiner hoch respektierten Persönlichkeit nicht verbinden kann.

Die italienische Gesellschaft will 'bella figura' machen, was sie mit ihrem von der Natur begünstigtem Aussehen, ihrer wunderbaren Mode und erstklassigen anfertigenden Handwerksbetrieben auch kann. Aber an so einem Festabend eine so düstere Musik, daneben noch gesprochene Dialoge in dieser abscheulichen Teutonensprache - viel Unsinnigem an Regie (allein schon der Auftritt für die Nr. 6) - es wird Piaster erwähnt, einer Währung aus dem 19. Jahrhundert - was soll das in einem Bühnenbild mit einem elektrischen Bügeleisen, einem klappbaren Plättbrett, einem Drehstuhl für Rocco und vor ihm eine Thermosflasche.
Wer will denn so was an diesem besonderen Abend - der Beifall gerade mal nach der Nr. 9 hörbar, ansonsten ging er vorher im Schweigen des Publikums unter - und am Ende - kläglich!

Und so lag ein kalter Nebel von Unverständnis und Ablehnung über dem Hause, obwohl die Fernsehmoderatorin die Vorstellung mit anbiederndem Vokabular einer Haustürenverkäuferin anpries.

Dass Maestro Barenboim mit diesem Spitzenorchester großartige Musik machen kann, ist selbstverständlich, dass die meisten Solisten, die dort auftreten dürfen so manche Bewährungsprobe hinter sich haben und zur Spitzenklasse gehören, sollte man annehmen und so sang auch Anja Kampe erstklassig, die meisten wohlbewährt, aber nicht begeisternd, bis dann der arme Florestan mich vom Fernseher verjagte.

Gute Nacht, Scala di Milano, das halte ich nicht aus, wenn man 'alle Helden' wie Wolfgang Windgassen, Jon Vickers, Hans Hopf, Ramon Vinay, James King, René Kollo und Jonas Kaufmann im Ohr hat.

 

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Nun also am nächsten Tag ins 'Provinztheater' Hildesheim.

Das reife, wissbegierige Publikum traf sich vor der Vorstellung, um den Einführungsvortrag des bestens informierten und ohne Spickzettel lebhaft sprechenden Dramaturgen Ivo Zöllner zuzuhören. Er ist immer ein Ereignis!
Auch das Regieteam hat sich viel Gutes ausgedacht:
 

  - neue, aus den 1979-Jahren stammende, sehr passende Dialoge von Friedrich Dieckmann, der als DDR-Bürger diese bei den DDR-Theatern nicht einbringen konnte, spricht man ja bei ihm von Liberalität -
   
  - Zeichnungen von Goya, die Gräuel des Krieges erschütternd
zeigend -
   
  - eine Bühne, auf deren Hubpodien die einzelnen Szenen ohne
Umbauten folgen,
   
  - eine angemessene Personenführung, die die Charaktere klar
hervortreten lässt -
   

dazu ein zupackend singender Chor, ein sauber spielendes Orchester, umsichtig geleitet von Achim Falkenhausen und eine gut sortierte Sängerschar.

Bis auf Barry Coleman als Florestan - wohl ein dem Buffo- und Charakterfach entwachsener Tenor, der die grausam schwere Arie und die gesamte Partie achtbar bewältigte, kennt man die meisten Ensemble-Mitglieder aus anderen Produktionen, freut sich über ein Wiedersehen mit dem gefährlichen Pizarro von Uwe Tobias Hieronimi - dem unvergesslichen Beckmesser - der lyrischen, schlanken Antonia Radneva, Levente György mit pointierte Sprache und unverwechselbarem Timbre.

Werner Seitzer, Hildesheimer GMD und Operndirektor, kluger Humanist, kritischer Menschenfreund fördert an seinem Haus junge Talente, in dem er ihnen die Chance gibt, große Partien zu singen, ohne sie zu überfordern.

So war Albrecht Pöhl eine wunderbarer, facettenreicher 'Onegin' und in dieser Spielzeit kann sich Mareike Bielenberg als 'Fidelio-Leonore' bewähren.
Wenn man eine junge Stimme fördernd begleitet hat, geht man mit etwas Bangen in den Fidelio, wenn man Wagner-gestählte Stimmen gehört hat.

Aber hier wird Beethovens Musik von Mozart aus gesehen und sehr viel feine Kammermusik gemacht.

Mit anrührend jugendlicher Zögerlichkeit präsentiert sich die burschikose Sänger-Darstellerin, singt die hohe, gefährliche Lage ohne Gewalt mit glockigen Tönen und hat für die Ausbrüche und den Schlussjubel genug Reserven. Das wird alles noch selbstverständlicher und auch mutiger werden.
Bravo Mareike, weiter so - und alles in allem:
Bravo Hildesheim!
 

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