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'Ungetrübte
Glückseligkeit'
Wenn in einem bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Opernhaus 2100
Menschen so andächtig lauschen und schauen, als sei niemand anwesend,
dann kann es sich wohl nicht um eine Aufführung des deutschen
Regisseurstheaters handeln, durch das die Häuser leergefegt sind und
Zuschauer wütend und türenschlagend flüchten.
Nein, es ist eine Inszenierung von
Otto Schenk
aus dem Jahr 1972 in den traumhaft schönen Bühnenbildern von
Jürgen Rose.
Zum Treffen der ehemaligen Ensemblemitglieder der Bayerischen Staatsoper
hatten die Freunde des Nationaltheaters geladen, und fast alle
anwesenden Kollegen von damals hatten im Rosenkavalier mitgewirkt, so
auch ich als Octavian unter Joseph Keilberth.
Eine Spitzenbesetzung der Besten ihres Fachs:
Anja Harteros,
Marschallin, eine bildschöne Frau, die ihre Partie in jeder Nuance
beherrscht, mit beseeltem Wohlklang singt, und daher der Liebling des
Publikums ist.
Günther Groissböck,
ein strammer Ochs im besten Mannesalter, mit markiger Stimme von
höchster Höhe - fulminant wie der das 'Heu' aus dem Falsett in die Brust
in ein Crescendo steigert - bis zur tiefsten Tiefe wie beim 'keine Nacht
dir zu lang' - brutal, gerissen, ein arroganter Adliger und trotzdem
sympathisch.
Vielversprechender Nachwuchs aus dem Opernstudio:
Angela Brower
mit jugendlichem Feuer, hellstrahlendem Mezzo, bestens studiert, alle
Facetten ihrer vielfältigen Partie ausagierend,
Golda Schulz
als Sophie, ein gut erzogenes Mädchen, das sich aber gut mit Mut und
Entschlossenheit temperamentvoll gegen die Zumutungen von Vater und
Bräutigam wehrt. Ihre zauberhafte Stimme strahlt mit einem Goldschimmer,
so dass man ihr die besten Wünsche auf den Weg gibt.
Dazu das großartige Sängerensemble des Hauses in bester Spiellaune und
ein Orchester, das unter der Leitung von
GMD
Kirill Petrenko
alle instrumentalen Zauberkünste von Richard Strauss, sowohl filigran
wispernd, melodienselig schwärmend und - wenn gefordert - zupackend
ausbreitete.
Ein unbeschreiblicher Jubel belohnte das Ensemble, die kampferprobten
Kollegen von damals hatten Tränen der Freude in den Augen und wunderten
sich, dass ein Intendant, bei dem sich Regie-Jünglinge bei großen Werken
tummeln dürfen, solch ein delikates und stimmiges Bühnenbild und solch
eine in jeder Sekunde richtige Inszenierung nicht auf einem
Scheiterhaufen verbrannt hat.
So schwebten wir alle auf einer Woge ungetrübter Glückseligkeit und
schwärmten mit Octavian:
"Da muß ma weinen.
Weil's gar so schön is."
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Am Abend vorher gab es harte Kost!
'Elektra' im Bühnenbild und sparsamen Arrangement von Herbert Wernicke.
Da ich einen Platz in der ersten Reihe, leicht links vom Pult, hatte,
konnte ich die harte Arbeit des Orchesters und das wilde aufmerksame
Dirigat von
Simone Young
hautnah verfolgen.
Sängerfreundlich durften
Nina Stemme,
gekonnt, differenziert und urgesund als Elektra und
Ricarda Merbeth
als gleich starke Schwester Chrysothemis vorn an der Rampe vor der
riesig hohen Abschlussfläche, die sich für den Auftritt der Klytämnestra
und die Schlussszene drehend hob, um eine monströse Freitreppe sichtbar
werden zu lassen, agieren und die musikalischen Kraftakte präsentieren,
die sonst häufig die Grenzen der Möglichkeiten mancher überschreiten.
Hier zwei Soprane, die aus dem Vollen schöpften.
Doris Soffel
war eine elegante Klytämnestra, aber ich gebe zu, durch Jean Madeira,
ihre Schönheit und ihren pompösen, abgrundtiefen Alt der damaligen
Inszenierung, bei der ich als zweite Magd dabei war, lebenslang geprägt
zu sein.
Eindrucksvoll das Schlussbild, wenn sich Orest den roten meterlangen
Vorhang, das Herrschersymbol, umlegt und sich mit ausgestreckter Faust
als künftiger Gewaltherrscher ausweist.
Das dankbare Publikum belohnte die unvorstellbar strapaziösen Leistungen
von Nina Stemme und Ricarda Merbeth mit herzlicher Anerkennung und
feierte das Orchester für seine großartige Leistung.
Dass Frau Young keine Spangen oder Klemmen zur Verfügung gestellt bekam,
um die rückenlangen, dünnen Haarstränen aus dem Dirigat fernzuhalten,
störte auch den optischen Eindruck erheblich.
Aber einem ondit zufolge wollte die Bayerische Staatsoper jemanden, der
die Elektra dirigieren konnte.
Darauf, wie sie dabei aussah, nahm die Staatsoper keinen Einfluss und
überließ der Dame am Pult ihr eigenes Erscheinungsbild.
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll
bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der
Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes
oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch. |
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