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'Heimlich mir graut
....'
Wenn ein Intendant einem Schauspiel-Regisseur die Inszenierung einer
Oper überlässt - man kennt sich ja aus den maßgeblichen Kreisen - sind
'üble Dinge, die ich da merk' - zu erwarten.
Blind für den Text und taub für die Musik wird ein Meisterwerk unserer
Musikkultur - heruntergebrochen auf unsere Zeit und was Dramaturgen an Plattitüden so zu bieten haben - verhässlicht,
proletarisiert, verroht und mit den Versatzstücken gängiger Filme
ausstaffiert.
Zur Vorbereitung auf die Vorstellung um 16 Uhr war eine Einführung um 15
Uhr angekündigt, die aber nur die ortansässigen Besucher erreichen
konnten, die schnellstens den Vortragssaal besetzten, da die Türen erst
äußerst kurz vorher geöffnet wurden und die von weither angereisten
Gäste die Garderobe und das Notwendige erledigen mussten.
Also stand man hinten an der Tür und lauschte dem zarten Dramaturgen,
der seinen Text von irgendwas an seinem linken Fuß wohl ablas und uns
belehrte, was den Regisseur besonders 'interessiert' (eine nichtssagende
Vokabel) nämlich, die
Geschichte der Figuren zu Ende zu erzählen.
Na, da bin ich aber mal
gespannt.
Den wunderbar festlichen Raum des Nationaltheaters zu betrachten ist
eine Freude für die Augen, auch ist der Großteil des Publikums dem
festlichen Rahmen in seiner Garderobe angepasst, aber schon mischen sich
einige verschwitzte T-Shirts und Fetzenjeans darunter.
Es ist dies eine Missachtung der Arbeit der Künstler, aber wir müssen
uns ja immer weiter nach unten öffnen und dabei Rot-Grün rechts
überholen.
Warum eigentlich?
GMD Kirill Petrenko erscheint am Pult und wird mit Jubel begrüßt.
Wie oft ich das Meistersinger-Vorspiel auch gehört habe, es verursacht
freudiges Herzklopfen und Staunen über Richard Wagners feines
Motivgeflecht, die Fugato-Künste aus Respekt vor Johann Sebastian Bach
und dem Aufbau zum perfekten Höhepunkt. Alles erklang fein ausgearbeitet
mit köstlichen Soli und sattem Gesamtklang des Staatsorchesters.
Wie klug hat Richard Wagner diese schwere Wand aus Klang in Bayreuth
unter einen Deckel gesetzt, die in einem normalen Theater trotz aller
Sorgfalt eines kundigen Dirigenten wie Petrenko oft die Stimmen
überwältigt.
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1. Aufzug
Ein paar mickrige Topfpflanzen vor dem geschlossenen Vorhang verheißen
ein ärmliches Bühnenbild, das sich für den ersten Akt dann auch als
Stahlgerüst mit Scheinwerfern und technischem Gerät zur Vorbereitung
eines Rockkonzerts zeigt. Wirtshausbänke, in der Mitte erhöht eine Art
Boxring, rechts ein Lieferwagen mit der Aufschrift: ’Meister-Bier’.
Diagonal über die Szene schreitet eine katholische Prozession und singt
einen Luther-Choral. Ein junger Mann in schwarzer Lederjacke mit
Sporttasche und Gitarrenkoffer schleicht umher und spricht eine
niedliche ’Püppi’ in Begleitung einer stattlichen Freundin unter den
Betenden an und schon ist es passiert, man verliebt sich.
Der lässige Liedermacher, ehemals der Ritter aus Frankenland Walther von
Stolzing, ist Jonas Kaufmann, der Liebling des Publikums.
Als Stolzing erfährt, dass Eva, die niedliche 'Püppi' als Preis in einem
song-contest zu gewinnen ist, lässt er sich von David die Bedingungen
erklären, und die sind höchst vertrackt und so garnichts für den Boy mit
Klampfe. Benjamin Bruns singt mit hellem Tenor und souverän sicher die
Meisterweisen, während der Liedermacher irritiert seinen Lockenkopf
krault, mit den Händen in seinem Gesicht herumfummelt, eine Gestik, die
sich durch den ganzen Abend zieht.
Die Lehrbuben, zur Hälfte natürlich Lehrmädchen in unserer Zeit, hänseln
David, richten das Podium, den Sitz des Merkers und Walther muss für
einige schwere Heldentenor-Phrasen das lässige Schlurfen zugunsten der
notwendigen Atemstütze mit Haltung vertauschen.
Mir gefällt er so viel besser, aber er kann machen, was er will, man
liebt ihn halt.
Die 'Meister', gestandene Mannsbilder, schnappen sich ihr Bier vom
Lieferwagen und zeigen, wie gut ein studiertes, erfahrenes Ensemble auch
den größten Blödsinn eines Schauspielregisseurs in sinnvolles lebendiges
Spiel verwandelt, indem sie ihren Text verkörpern, auf die Musik hören
und so genau das Richtige tun.
In ihren Alltagsklamotten als Kostüme sehen Sänger auf der Probe so aus,
und es macht Spaß, ihnen zuzuschauen und zu hören.
Nobel und gut artikuliert singt Christof Fischesser den Goldschmied Veit
Pogner. Der Alterspräsident des Vereins ist Eike Wilm Schulte, den man
ja seit Jahrzehnten schon aus Wiesbaden kennt, ein weißhaariges,
knackiges Herrchen mit alterslos prächtiger Stimme.
Hans Sachs, Wolfgang Koch, jahrelang erfahren in der längsten Partie der
Operngeschichte singt gut und verständlich, und erinnert in seiner
schlampigen Kleidung und speckigen Haaren an 'Schrotti' aus der TV-Serie
'Soko Stuttgart'.
Eine ungetrübte Freude bereitet Markus Eiche als Beckmesser. Diese
Partie kann nur von intelligenten Sängern gemeistert werden, und er ist
ein Meister, stimmlich, darstellerisch, dazu eine elegante Erscheinung,
die auch im letzen Bild im Glitzeranzug 'bella figura' macht.
Dank der erstklassigen Sängerdarsteller erlebt der Zuschauer die
Turbulenzen des ersten Aktes wie die freundschaftliche Arbeit auf der
Probebühne. Insgeheim wartet er aber auf Kostüme und Bühnenbild.
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2. Aufzug
Liest man Richard Wagners Anweisungen für die Bühne liest, sieht man sie
vor sich.
Sie ist praktikabel für das Geschehen und lässt Platz für Einfälle des
Bühnenbildners.
Das Meistersinger-Bühnenbild der Bayerischen Staatsoper für das zweite
Bild der Oper jedoch bietet Aha-Erlebnisse aus Film und Musical. Zu
beiden Seiten abbruchreife Plattenbauten - das Musical 'Street Scene'
lässt grüßen!
Links ein Verkaufswagen, verdreckt, verrostet, vielleicht vom toten
'Handlungsreisenden' oder aus 'Drei Damen vom Grill' übernommen und
jetzt als Werkstatt vom schmuddeligen Sachs benutzt. Viel Müll liegt
herum, das Lieblingsmaterial von Schauspielregisseuren und ihren
Bühnenkünstlern. Hier wohnt kein eleganter Goldschmied mit seinem
Töchterlein im Kleidchen aus 'Grease' oder 'Dirty dancing', auch wenn er
mit dem Auto, an Seilen gezogen, hereinfährt. Es ist alles widerwärtig
und es kostet Kraft, sich zu dem schön singenden Christof Fischesser und
dem gläsern-klaren Sopran von Sara Jakubiak eine andere Szene
vorzustellen. Okka von der Dammerau als Magdalene rennt raus und rein,
nimmt aber wenig Anteil an den Nöten ihrer Freundin Eva. Zu ihr, der
Liebenswerten, Eifrigen, Besorgten wusste der Schauspielregisseur wohl
nichts zu sagen, und so steht sie meist monumental herum.
David hat eine Wurst stibitzt, nun ragt sie aus seiner Tasche heraus -
ah, welch ein passendes Phallus-Symbol - oder wie platt und blöd sonst?!
Nun sollte Flieder duften, den Sachs so poetisch und wohltönend besingt.
Aber der Dreck und Müll auf der Bühne lässt meine Haut reagieren, ich
winde mich im Sessel und muss mich kratzen - verzeih großer Meister
Richard!
Nun
Walther, zu Evas Freude. Jonas Kaufmann lässt das Schlurfen,
strafft sich und singt prachtvoll wie erwartet. Nun blinzelt er ja schon
zum 'Otello'! Klingt deshalb schon mancher Ton mehr dunkel und
aufgegähnt als für den jungen Walther nötig?
Aber ach, kein Gebüsch zum Verstecken gönnt der Bühnenkünstler den
Verliebten!
Da ertönt des Nachtwächters Horn und in der Uniform von 'Sergeant
Kruttke' aus der 'Westside Story' mit entsprechendem Polizeiauto zeigt
sich Tareq Nazmi, gebürtig in Kuwait, und schreckt uns freudig auf
mit einem unglaublich schönen, edlen Timbre. Es war ein beglückender
Moment wie damals, als der junge Bernd Weikl als Bote in 'Aida'
hereingerannt kam und ich vor Freude fast von meinem Amneris-Pfühl
herunterfiel. Alle Segenswünsche seien mit ihm!
Die versierten Kollegen, besonders der überragende Markus Eiche
bewältigen den anstrengenden zweiten Akt, die Ukulele aus 'Some like it
hot' geht zu Bruch, eine neue wird aus den Souffleurkasten gereicht, als
Schläger die Typen aus dem 'Planet der Affen' and the winner
is: 'Richard Wagner and friends!'
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Dritter Aufzug
Gestärkt durch Sekt und Käfer-Häppchen findet sich das Publikum wieder
ein. Wären die Karten nicht so teuer, wäre manch einer wohl geflüchtet.
Nun lauschen wir - unbehelligt von der ekelhaften trash-scene - dem
versonnenen Vorspiel bis der Vorhang aufgeht und die verkommenen
Plattenbauten und noch mehr Müll wieder gezeigt werden.
Sachsen Bude ist nun mit dem Wort 'Scheiße' beschmiert, das sich ein
Schauspiel-Regisseur nie entgehen lässt.
Sachs setzt sich an seinen mit leeren Gin-Flaschen und undefinierbarem
Kram bedeckten Tisch und denkt wohl darüber nach, in welch schöner
Schusterstube sein Vorgänger in der Weltchronik lesen lesen durften.
David kurvt auf einem Elektromotorrad herum, bedenkt das heute eine
Festtag ist und pustet eine Luftschlange über seinen Meister - welch ein
Regie-Einfall!
Gern hört man dem frischen, hellen Tenor von Benjamin Bruns beim Lied
vom Johannes am Jordan und seiner Schwärmerei für Magdalene zu. Als er
verschwunden ist, grübelt Sachs über 'Wahn, Wahn,
überall Wahn' nach, und wohl jeder stimmt ihm zu, aber es krampft sich
der Magen, wenn er mitten in all' dem Dreck auf der Bühne von seinem lieben Nürnberg
singt.
Die Klappe der Bude geht auf, und der Liedermacher kriecht heraus, der
drinnen gepennt hat.
Sachs gießt ihm Kaffee ein, Walther riecht an der Milchtüte, der Inhalt
ist sauer, flockt im Kaffe aus und er schnippt das eklige Zeug weg.
Sicher ein Probenspaß, den der Schauspielregisseur wohl dankbar
übernahm.
Endlich beim 'Morgenlich leuchtend' darf Jonas Kaufmann uns die Pracht
seines Tenors bieten und wir nehmen sie dankbar an. Als schlurfender
Antiheld kann er die schweren Phrasen nicht singen, sondern straff und
aufrecht, genau technisch platziert jubeln die Töne.
Er hat die Qualen des elektrischen Singestuhls aus dem ersten Aufzugs
vergessen, die Regeln verstanden, er soll sich umziehen und festlich
kleiden für den Wettbewerb. Na, was wird das wohl für ein Fummel von
einer Schauspiel-Kostümtante?
Beckmesser im Rollstuhl mit blutig-verschmiertem Hemd und
Halsstütze für sein Wirbeltrauma nach der Prügelei im zweiten Aufzug.
Der Diebstahl des Liedes und die schmerzhaften Erinnerungen an die
Prügelei wurden von Richard Wagner punktgenau als Pantomime komponiert.
Ohne Schusterstube beschäftigt sich der einfallsreiche Markus Eiche erst
einmal ausgiebig mit dem Rollstuhl, ehe das köstliche Streitgespräch mit
Sachs wie ein Feuerwerk an Beschimpfungen genossen werden kann und in
Beckmessers rasender Dankbarkeit mit Umarmungen und Küssen an Sachs
endet.
Ich freue mich sehr, das miterlebt zu haben, denn es ließ die schäbige
Szenerie vergessen.
Eva, die 'Püppi', beklagt sich, dass die silbernen Ballerinas zu weit
und zu eng sind, singt sehr schön und glasklar bis sie vor freudigem
Erstaunen aufschreit als eigentlich nach dem unwesentlichen Vorhaben des
Dichter-Komponisten Richard Wagner 'Walther in glänzender Rittertracht
unter der Türe der Kammer tritt.'
Aber hier ist es der Liedermacher, der sich ein schwarzes schrumpeliges
Jackett und einen Schlips ausgeliehen hat, während es weitere Strophen
seines Liedes dichtete, die wir nun genießen können. Sachs beklagt sich
wortreich über das Los des Schusters, dann hört der Kenner des Werkes
genau hin, denn Eva müsste bei "O Sachs! Mein Freund!" und den folgenden
Seiten beweisen, dass sie ein jugendlich dramatischer Sopran mit üppig
runden Spitzentönen ist.
Die Lene streicht ums Haus und das Quintett formiert sich, um die
Meisterweise zu taufen. Dieses Wunderwerk der Ensemblekunst, in dem
jeder seinen Gedanken nachhängt, muss fein aufeinander abgestimmt sein
und die Beziehungen der Personen zueinander sich erahnen lassen. Hier
singt jeder vor sich hin.
Alsdann: "Auf nach der Wies, schnell auf die Füß!"
Vorhang zu, Umbaupause mit festlichem Getrommel und Bläserschall.
Die Phantasie freut sich auf den Anblick der Festwiese, schön bunt
geschmückt und gut gelaunte Chorsänger in hübschen Kostümen.
Aber die Bayerische Staatsoper fest in der Hand von Leuten vom
Schauspiel bietet wieder das öde Rockkonzert-Gerüst mit
herunterhängenden dreckigen Stofflappen, auf die die Namen der Meister
geschmiert sind.
Die Chöre quetschen sich in die Gerüste, in der Mitte steht der Boxring,
rechts auf einem Gerüst der elegant weiß gekleidete
Goldschmied Pogner, Christof Fischesser mit 'Eva-Püppi' in Weiß, im
Hintergrund eine Bildwand mit Einblendungen der Gesichter der Meister,
aufgerissenen Nazi-Mäulern, dem Singepokal und mancherlei Quatsch.
Der Aufmarsch der Zünfte wird in den Boxring gepfercht, die sonst so
bezaubernden Mädel von Fürth sind in der Schauspielversion eine
Tuntentruppe von Cheerleadern mit Goldflitter-Puscheln. die Meister
kommen und Sachs trägt sogar einen, wenn auch schmuddeligen, Anzug.
Im gewaltigen 'Wacht auf' zeigen Chor und Extrachor der Bayerischen
Staatsoper was Klangfülle und feine Differenzierung ist, was ich dankbar
genieße.
Dann aber kommen für Hans Sachs/Wolfgang Koch gegen Ende des schon
langen Werkes die großen Ansprachen, für Beckmesser im Glitzer-Anzug,
der glänzend steht, der Kampf mit dem Notenständer
statt eines Podestes: 'Zum Teufel, wie wackelig!' die Suche nach dem
Scheinwerferlicht, endlich die wunderbaren Nonsense-Verse - eine
Delikatesse für einen intelligenten Sänger-Darsteller. Beckmesser zielt mit einer Pistole auf Sachs, bringt den Mord
aber nicht übers Herz und erschießt sich selbst.
Die Lehrmädchen und -buben brauchen kein 'Silentium' anzuordnen, denn
Jonas Kaufmann, der Liedermacher, wirft Küsschen in die Luft zu seiner 'Eva-Püppi',
reißt sich den Schlips vom Hals und das Jackett vom Leib, strafft sich
wie Ritter-Stolzing oder aus gesangstechnischen Gründen, und singt weich
und lyrisch beginnend die Strophen des Preisliedes so schön, die zur
Zeit niemand auf der Welt. Ein kleiner Sprint das Gerüst hinauf zu Eva
lockert sportlich die Feierlichkeit auf.
The winner is: Walther, den Eva beglückwünscht. Er lehnt die Ehre ab, es
rieselt Goldflitter, der Liedermacher schnappt sich seine 'Püppi',
verschwindet mit ihr hinter dem Geriesel.
Die Schlussbetrachtung von Hans Sachs sollte Politiker, die meist nichts
mit Kunst im Sinn haben, alles nach unten öffnen und Meisterprüfungen
abschaffen, gute Manieren für überflüssig halten usw. einmal wöchentlich
verlesen bekommen.
Jetzt aber reicht es, 'Eilt mit dem Werk, widerlich ist mir's sagt Wotan
im Rheingold.
Der Vorhang schließt sich, aus dem Publikum ertönt kräftiges 'Buh' für
die Inszenierung, die Sänger, besonders Wolfgang Koch, werden gefeiert -
kommt ein gelangweilter Liedermacher Jonas Kaufmann doch nicht so gut
an?
Für Kirill Petrenko steht das Publikum auf, also:
'prima la musica!'
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll
bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der
Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes
oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz,
in Anspruch. |
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