Nds. Staatsoper
Hannover
Repertoirevorstellung
28.11.2009
Richard Wagner
'Das Rheingold'
oder
Noch ist der Vorhang geschlossen, aus dem Orchester raunt das tiefe Es den Beginn der Welt, der Akkord fächert sich auf und man bemerkt wieder einmal, welch ein kapriziöses Instrument das Horn doch ist.
Der Rhein fließt und die Töne übergibt er den Rheintöchtern. Diese lugen übereinander gestapelt aus dem Vorhang-Spalt - aha - es beginnt eine putzige Komödie, nichts da von beseelten Natursymbolen, Najaden, Nixen. Dann sind wir im Varieté, der Lido de Paris grüßt Offenbach, Wagners Zeitgenossen von 1819 bis 1880.
Erfreulich, wie viel hübsche Weiblichkeit es in Hannover gibt, die effektvoll von Otto Pichler choreographiert über die Revue-Treppen trippeln, ihre riesigen Straußenfederfächer effektvoll formieren und den Rahmen für die bezaubernd schön singenden Schwestern Karen Frankenstein, Monika Walerowicz und Sandra Fechner wie auch das goldige Rheingold-Mädchen Corinna Blühdorn bilden.
Schwarz geschminkt als Minstrel-Clown bemüht sich Alberich, Frank Schneiders, um die Gunst der glitzernden Girls, bis er, wenn es ernst wird mit der Gier, sich die Schminke vom Gesicht wischt, den Revue-Frack wegwirft und in schmuddliger heutiger Jugendkluft das willenlose Goldkind in einen Karton knautscht und abtransportiert. Im Laufe des Abends zeigt er mit kerniger Stimme und berstend vor Intensität das Charakterbild eines gefährlichen Ausgegrenzten, dessen Wut und Ehrgeiz zu maßloser Macht des Diktators führt, der dann aber an seiner Selbstüberschätzung scheitert. Beispiele aus der jüngeren Geschichte fallen uns sofort ein.
Im zweiten Bild hat Klaus Grünberg die Bühne zu einem kleinen Guckkasten verengt. Begrenzt von Glasfestern in Metallrahmen klettert die Götterschar in Strandkleidung mit Sonnenbrillen mehr oder minder behende auf einem Felsbrocken herum, eine Disziplin, die Wotan - Tobias Schabel - mit wohltrainiertem Sportlerkörper barfuß mit Abstand gewinnt.
Erst aber schläft er noch. Sein nackter schöner Rücken kann allein schon entzücken, da weckt Fricka den im Traum von Mannes-Ehre und ewigem Ruhm murmelnden auf. Die Fist-Lady des Himmels passt genau in die 'high-society' wie die Damen, die als blondierte Sekretärin geheiratet werden und dann nach erfolgreicher Eliminierung des Gatten einen Konzern führen. Langgliedrig und modelschlank singt sie mit großer, vibrationsreicher Stimme, textverständlich und die Worte gut durchdacht.
Dann erhebt der Chef selber seinen Heldenbariton und ich rutsche vor Freude an den Sitzrand: welch gesundes, prachtvolles Organ, tadellos geführt, schönes dichtes Legato, Vokal- und Registerausgleich bestens, die erste Hürde, das 'F' bei 'hehrer, herrlicher Bau’ wird wohltönend-kraftvoll genommen, die Diktion ist intelligent - also für mich ist der Abend gerettet - mit Regiemätzchen - macht was ihr wollt - 'mich kümmerts minder'.
Jedoch lohnt es sich immer, über Frickas weises Wort zu sinnen:
'Was ist euch Harten doch heilig und wert,
giert ihr Männer nach Macht!'
Freia stolpert auf den Felsen und Kelly Gold ruft mit flackerndem Sopran um Hilfe, gefolgt von den Riesen als Drei-Bein-Monster. Albert Pesendorfer singt mit wohlig-rundem Bass Fasolts anrührend melodische Phrasen, während Youg Myoung Kwon als siamesisches Anhängsel die Schäbigkeit von Fafners Charakter wohl auch in die Tongebung übertragen zu müssen glaubt - wer denkt da nicht an die edlen Töne von Karl Ridderbusch?
Brian Davis ist ein knackiger Wettergott Donner und man freut sich schon auf sein späteres
'He da! He da! He do!'
Sun-Keun Park als Froh sollte eigentlich als lyrischer Tenor unbedarften Charme verströmen, aber ihm blieb wohl eine in Thüringen und Bayern beliebte rundgeformte Sättigungsbeilage im Halse stecken und dementsprechend wird er vom Publikum beim Applaus abgestraft.
Robert Künzli als Loge ist mit seinem knalligen Charakter-Tenor ein erfahrener Bühnen-Stratege, bewältigt seine Aufgabe präzise, kommt auch einigermaßen mit dem unebenen Felsbrocken-Bodenbelag zurecht, leider aber wird die Gefährlichkeit und skrupellose Intelligenz dieser Figur von faden Hawai-Klamotten verflacht wie fast alles an diesem Abend.
Die Bauunternehmer Fasolt und Fafner erhalten Freia als Lohn und zerren das appetitliche Blondchen mit sich - und weg sind auch ihre 'anti-aging-Äpfel'.
Zur Kapitalbeschaffung begibt sich also Wotan - der smarte Pate - mit Loge, seinem consigliere in die Unterwelt, die sich als riesige Halle mit allerlei Apparaturen zur Herstellung von künstlichem Leben, giftigen Gasen und Diamanten-Doubletten vorstellt, bevölkert von Mime und Hilfskräften in der Tracht von Rechtgläubigen. Jörn Eichler singt den Mime so schön und anrührend, dass man Mitleid fühlt, wenn er gequält wird. Der diabolische Tritonus, bei ihm voll des Jammers, wird später bedrohlich, wenn er in Hagens Nähe erklingt.
Alberichs Prahlen:
'Schätze zu schaffen und Schätze zu bergen,
nützt mir Nibelheims Nacht'
ebenso wie
'Mit Golde gekirrt,
nach Gold nur sollt ihr noch gieren!'
ist uns vertraut als Glaubensgrundsätze unserer Millionen-raffender Bänker, die natürlich nicht so prächtig singen wie die zwei Baritone Schneiders und Schabel.
Der Opernfreund wartet nun gespannt auf den Riesenwurm, an dem der jeweilige Regisseur die Art seiner Phantasie dokumentiert - entweder märchenhaft oder sportlich oder technisch und vieles mehr. Barrie Kosky aber bietet uns eine Gruppe seiner schwarz Geschminkten, die männliche Genital-Massage mimen. Der Zwang zu 'political correctness' verbietet es, hier näher darauf einzugehen.
Alberich wird gefangen, der Tarnhelm ist ein schwarzes Hütchen mit Flitter - an die Oberwelt verschleppt, der Hort, ein Haufen Kartons wird herbeigeschafft, Alberich büßt den Ring ein und belegt ihn, das Symbol des Kapitals, mit seinem Fluch.
Diese Zeilen, die Frank Schneiders mit höchster Intensität singt, bohren sich immer wieder ins Bewusstsein, nur die Adressaten, die Schuldigen an Krise und Elend, sitzen wohl nie in einer Rheingold-Vorstellung.
Freia wird vom doppelköpfigen Monster zurückgebracht und statt den Hort nach Freias Gestalt zu bemessen, verschwindet sie im Karton und wird mit Schmuck und goldschimmernden Stoffen zugedeckt, aus denen sich Wotan einen Rock wickelt, wie ein Häuptling aus dem 'Lande der Malayen'. Er weigert sich, den Ring zum Hort zu geben, da erscheint Erda, machtvoll und schön von Swetlana Sandler gesungen, gespielt von Ute Harnisch, als die Nackte vom Dienst - die wohl in keiner modischen Inszenierung fehlen darf.
Sind Opernfreunde wirklich Voyeure, die das brauchen?
Des Ringes Fluch tut seine Wirkung, das Monster zerreißt sich, Fasolt sinkt zu Boden - der arme Albert Pesendorfer bis zum Schluss auf dem unebenen 'Felsengrund'!
Brian Davis verscheucht kräftig und schwungvoll das dunstige Gedämpf - eigentlich wollte Richard Wagner danach einen schönen Regenbogen ’zur Burg, die jetzt, von der Abendsonne beschienen, im hellsten Glanze erstrahlt’, aber es erscheint ein mickriger Servierwagen mit dem Modell eines Gebäudes aus überzuckertem Kuchen.
Die Götter, jetzt in schwarzen Anzügen wie heutige Minister gekleidet, genehmigen sich ein Stück davon, Wotan leckt bedeutsam das blinkende Messer ab, man prostet sich mit Sekt zu, die schwarzen Fenster öffnen sich nach hinten und einer nach dem anderen verschwindet im schwarzen Loch. Von Ferne singen die Rheintöchter, Loge drückt dem toten Fasolt ein Sektglas in die Hand und zurück bleibt Richard Wagners grandiose Apotheose - für Nix und wieder Nix.
Nach ratlosem Verschnaufen applaudiert das Publikum wohl abgewogen:
respektvoll für den GMD Wolfgang Bozic und das Staatsorchester, enthusiastisch für Tobias Schabel, dem die Krone des Abends gebührt, ehrlich anerkennend für Frank Schneiders, wohlwollend für den erfahrenen Robert Künzli und den schön singenden Albert Pesendorfer, jubelnd für die feschen Rheintöchter Karen Frankenstein, Monika Walerowicz und Sandra Fechner, die elegante Fricka von Julia Oesch, den rührenden Mime von Jörn Eichler wie den knackigen Donner von Brian Davis.
Beim Hinausgehen:
ratlose Blicke sah ich schweifen - keine heftigen Diskussionen, die mögen die Hannoveraner sowieso nicht, vielmehr betretenes Schweigen aus Gründen der ’political correctness’.