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'Eine Mitteilung an meine Freunde'

Ausgabe September - Oktober 2017

 

 Vorwort zur Oktoberausgabe 2017
 

Die Entakademisierung der Kunst mag ja ganz erfrischend gewesen sein, aber was haben wir dagegen eingetauscht?

Anything goes,
wir sind hip,
wir sind top,
wir sind trendy!

Wir fragen nicht mehr, was will uns der Dichter, der Komponist damit sagen, sondern wir rätseln, welche Neurosen plagen den Regisseur, wenn er statt des Namens des Komponisten mit seinem eigenen Namen firmiert, denn es ist ja schon üblich, eine Aufführung ’Der Ring’ von Castorf oder ’Pique Dame’ von Wieler-Morabito oder ’Der Freischütz’ von Voges-Bärenklau zu nennen.
Statt kontinuierlicher Wertevermittlung haben wir den Hype, wir hopsen von einem Event zum nächsten, die Kulturpolitiker subventionieren mit unseren Steuergeldern kurzzeitige Projekte, die nach ein paar Wochen vergessen sind.

Die Positionen der Ministerien für Kultur werden aus parteipolitischen Gründen besetzt und werden dann von Personen geführt, die für ihre Aufgaben weder Interesse noch Kenntnisse haben, aber nur darauf aus sind, den Posten auch zu behalten.

Die einschlägige Presse braucht ihren ’Aufreger’ und goutiert ihn dankbar je abartiger eine Inszenierung ist.

Wir, die Opernfreunde sind aber keine senilen Trottel. Wir fordern von den Ministerien und Intendanten sorgsamen Umgang mit unseren Steuergeldern und respektvollen Umgang mit den Werken.

Das ’Regisseurstheater’ hat Opernhäuser leer gespielt, die Kollegen singen für leere Sitze, die überdimensionierten, sinnlosen Bühnenbilder kosten immenses Geld und damit auch Arbeitszeit.

Wir fordern eine Reformation, zurück zu den Werten, eine neue Nachdenklichkeit über die menschlichen Konflikte in den Werken, die uns anvertraut sind, nicht um sie zu zertrümmern, sondern auszudeuten, damit wir Heutigen erkennen, was die Menschheit schon immer bewegt hat.

ML Gilles

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Der Herr der Schlägel

So titelte der Musikredakteur der HAZ am 3. August 2017 über Simon Etzold, den Schlagzeuger.

Aufgewachsen in einem Musikerhaus, der Vater ist Professor für Chorleitung, die Mutter arbeitet musikalisch im Kindergarten und hat mich einmal für eine Diskussion im Bayerischen Rundfunk bestens beraten.

Sohn Simon profitierte von der Frühförderung des Hochschule, war Mitglied im Landesjugendorchester, absolvierte Studium und Masterexamen  … und dann begann die mühsame Suche nach einer Stelle.

Seine 37 Vorspiele zeigen die Mühsal junger Musiker, aber auch den Lohn für seine Beharrlichkeit, denn er wurde nach dem 38. Probespiel in die Staatskapelle Dresden, einem der besten Orchester der Welt engagiert.
Freuen wir uns mit ihm!

Wie hoch die Ansprüche an das Schlagwerk sind, konnte man in der Produktion von Henzes ‚Der junge Lord’ erleben und mit Recht wurde das Orchester vom Publikum bejubelt.

Geradezu als rätselhaft muss man es empfinden, dass der Regisseur des ‚Lord’, Bernd Mottl, bei dem Stück eine äußerst stimmige, geistvolle, lebendige Inszenierung bot, dagegen einen völlig blödsinnigen, scheußlichen ‚Holländer’ in ein sehr aufwändiges, schwer zu handhabendes und auch noch sinnloses Bühnenbild brachte.
Wer tickt da wohl wie?

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Kalenderblätter Oktober

Thema des Tages

Wolfgang Liebeneiner
 

 

 

   ... am 06. Oktober 1905 geboren

Bei Otto Falckenberg begann seine künstlerische Tätigkeit, bei ihm stand er 1928 in Wedekinds 'Frühlings Erwachen' auf der Bühne.

Zehn Jahre später war er bereits Leiter der Reichsfilmakademie in Babelsberg und Gast bei Abendgesellschaften, geladen von Goebbels, der am 11. Juni 1938 vermerkte, Liebeneiner sei jung, strebsam, fanatisch.

In 20 Filmen wirkte er zwischen 1933 und 1940 als Darsteller mit, übernahm ab 1937 auch Regieaufgaben in 13 Filmen, darunter auch Historien-Filme wie über Bismarck vom 6. Dezember 1940, auch nazi-genehme Produktionen wie 'Ich klage an' vom 29. August 1941.


Dieser wurde vom Reichspropagandaminister mit 'Großartig gemacht und ganz nationalsozialistisch' beurteilt. Darüber hinaus erhielt der Film das Prädikat 'künstlerisch besonders wertvoll, volksbildend' - er, der Chef der Volksbildung und Aufklärung meinte am 1. Juli 1941, Liebeneiner sei der deutsche Spitzenregisseur.

Er wurde er Leiter der Ufa, Präsidialrat der Reichstheaterkammer.
1940 erhielt er von Hitler 30.000 Mark steuerfreie Schenkung und am 3. März 1943 von Goebbels den Titel Professor.
Schon 1942 ernannte man ihn zum Staatsschauspieler.

Nach dem Krieg konnte er seine Karriere fortsetzten, inszenierte bei Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen das Kriegsheimkehrerdrama 'Draußen vor der Tür' von Wolfgang Borchert.

Am Theater in der Josephstadt und am Burgtheater in Wien arbeitete er als Regisseur.

Er inszenierte populäre Filme wie 'Königin Luise', 'Die Trapp-Familie', beide mit Ruth Leuwerik und 'Die Schatzinsel' mit dem jungen Michael Ande, der heute im Fernsehen Kriminalfälle klärt.

Mit Hilde Krahl war er in zweiter Ehe, nach ihr mit Ruth Hellberg, verheiratet.
Aus dieser Verbindung stammt die Tochter Johanna, Schauspielerin auf der Bühne und im Fernsehen.

'Ich klage an' mit Heidemarie Hatheyer zielte auf das Empfinden der Bevölkerung. Der Film sollte den Widerstand der Deutschen brechen, dass Behinderte ermordet werden.

Liebeneiner argumentierte nach dem Krieg, er habe mit diesem Film 'als Dokument der Humanität in inhumaner Zeit' zur Beendigung der Aktion beigetragen.

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Thema des Tages

'Der kaukasische Kreidekreis'
 

   ... am 08. Oktober 1954 in Deutschland erstaufgeführt

Die Aussagen der Quellen sind unterschiedlich, fest steht, dass die Uraufführung von Brechts Werk bereits im Jahr 1948 in den USA stattfand, so kam es 1954 nur zur Deutschen Erstaufführung im Theater am Schiffbauerdamm, das Brecht mit seinem Berliner Ensemble gerade bezogen hatte.

Harry Buckwitz war einer der wenigen, die den 'Kommunisten' Brecht spielten. Hier wirkten sich dessen Aussagen zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 aus, die von der DDR-Regierung gekürzt wiedergegeben wurden und damit zu Missverständnissen im Verhältnis Brecht/DDR-Regierung nach außen führten.

Bei seiner Produktion als Frankfurter Intendant im Jahr 1955 strich er die erste Szene und entpolitisierte damit das Werk, zeigte die Geschichte der guten Magd Grusche und des versoffenen, vulgären Dorfschreibers Azdak, die über das Böse triumphieren.

Peter Palitzsch, später einer der Leiter des Schauspiels in Frankfurt, das im Rahmen einer Mitbestimmungsform agierte, entwickelte 1963 für Bremen gerade aus dem Vorspiel ein Konzept der Aufführung durch ein Laientheater.

Benno Besson verzichtete 1978 in Avignon auf Brecht'sche Mahnungen, sondern zeigte ganz deutlich, wie viel Leichtigkeit in dem Werk zu finden ist.

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Thema des Tages

Gershwins 'Porgy and Bess'
 

   ... am 10. Oktober 1935 uraufgeführt
 
Der Roman 'Porgy' von DuBose Heyward war schon ein großer Erfolg in Amerika, so dass auch Jerome Kern und Oscar Hammerstein II. über ein Musical, ähnlich dem von den beiden kreierten Show Boat, nachdachten.
Gershwin fasste den Entschluss, kein Musical, sondern eine Volksoper - nicht 'typisch amerikanisch', sondern 'typisch schwarz' zu schreiben. Er selber widmete sich der Instrumentierung und überließ das nicht Arrangeuren.

Nach Gershwins Tod 1937 verfügten die Erben, dass 'Porgy' ausschließlich mit schwarzer Besetzung gezeigt werden dürfe, was der Verbreitung des Werkes im Wege stand.

Eigentlich hätte das Werk an der Met zum ersten Mal gespielt werden sollen, aber da der Komponist eine 'all-black-Besetzung' vorschrieb, war eine Aufführung hier nicht möglich, so kam das für die breite Masse der Amerikaner und auch die Kritik unverständliche Werk, am New Yorker Alvin-Theater heraus und lief nur 124 Mal.

1952–1955 folgte eine Welttournee mit Leontyne Price in der Titelrolle und Cab Calloway als Sportin’ Life.

In der Verfilmung aus dem Jahr 1959 spielten Dorothy Dandridge, Sidney Poitier und Sammy Davis Jr.
Otto Preminger hatte hier Standards gesetzt, die auf der Bühne kaum zu erfüllen sind.

Walter Felsensteins Komische Oper im damaligen Ost-Berlin produzierte 1970 'Porgy' mit weißhäutigen Sängern in der Regie von Götz Friedrich, der später - 1988 - das Werk noch einmal im Theater des Westens, Kantstraße 12 in Berlin 'all-black' zeigte.
Günther Roth inszenierte mit mir als Serena das Stück an der Staatsoper in Hannover.
1985 kam dann Gershwins Meisterwerk an der Met zur Aufführung mit Simon Estes als Porgy und Grace Bumbry als Bess.

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Thema des Tages

Erna Berger

 

 

 

      ... am 19. Oktober 1900 geboren

'Die rote Rita' war ihre Schülerin.
Erna Berger entwickelte die Stimme von Rita Streich und die gab dann an der Folkwang-Hochschule in Essen als Professorin ihr Wissen weiter.

Erna Berger, die sich noch im hohen Alter gelegentlich engagieren ließ, hatte sich ihre fast kindliche Stimme bewahren können, die Konstanze war die Rolle, mit der sie über Jahre in allen namhaften Opernhäusern auftrat.

Von ihr sind Aufnahmen erhalten und noch immer im Handel:

- Marie in 'Die verkaufte Braut' -
  http://youtu.be/cN8h5CG0oUI

- Nancy und wechselnd die Harriet in 'Martha'
- Gretel in 'Hänsel und Gretel'
- Zerlina in 'Don Giovanni' - in der legendären
  Furtwängler-Aufnahme von Salzburg mit Cesare Siepi
  in der Titelrolle
- Königin in 'Die Zauberflöte' -
  http://youtu.be/5aSQ62_fGWo

- Olympia in 'Hoffmanns Erzählungen'
- Sophie in 'Der Rosenkavalier'
- Gilda in 'Rigoletto' - http://youtu.be/nUpKdrT55Gg

Der geradezu keusche Klang ihrer Stimme war allerdings für die Kurtisane Violetta nicht unbedingt geeignet.
http://youtu.be/1Q5MNPK64C0

 

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Thema des Tages

Sarah Bernhardt

 

 

 

... am 22. Oktober 1844 geboren

'Die Kameliendame' und die 'Tosca' machten sie zum Star ihrer Zeit, aber auch in einer Hosenrolle, dem 'Hamlet', konnte sie überzeugen.

Sie spielte mit der großen Geste, die damals das Publikum gefangen nahm, der aber später eine Nüchternheit beim Vortrag folgte.

In dieser Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert zeigten sich auch Adele Sandrock und Asta Nielsen im gleichen Stil, der dann auch in den ersten Stummfilmen den Ausdruck von großer Tragödie auf der Leinwand prägten.

Diese Überzeichnung in der Rollengestaltung war über die Distanz im Theater noch möglich, doch wurde sie bei den Film-Großaufnahmen in den meisten Fällen als unerträglich empfunden.

Man warf Sarah Bernhadt seinerzeit vor, alles aus dem Verstand heraus zu spielen, zu großer Leidenschaft in der Gestaltung der Rollen sei sie nicht fähig gewesen.

Das Prinzip der Verinnerlichung einer Figur wurde dann zur Maxime der Schule um Lee Strasberg, die dazu führte, dass Darsteller - besonders unerfahrene und Anfänger - die gespielte Rolle, auf den Typ zugeschnitten, nicht oder nur schwer ablegen konnten und an der und letztlich an sich scheiterten.

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Thema des Tages

Tiana Lemnitz
 

 

   ... am 26. Oktober 1897 geboren

Am Hoch’schen Konservatorium erlernte sie das Singen.
Die Technik war ausgefeilt, sie wusste, was sie tat und konnte so das Erlernte nach ihrer Karriere als Sopranistin weitergeben.

Das erste Engagement führte sie nach Heilbronn, dort sang sie 1921 die Undine in der gleichnamigen Oper von Albert Lortzing.

Von 1922 bis 1928 war sie in Aachen engagiert.
Schon 1931 holte sie Dresden als Gast.
Von 1928 bis 1934 sang sie am damaligen Stadttheater Hannover.

 

Die Berliner Staatsoper unter den Linden wurde dann ab 1934 bis 1957 ihre feste Wirkungsstätte.

Von hier aus gastierte sie in Europa und Süd-Amerika als Octavian, Eurydike, Michaela, Agathe – später dann auch Desdemona, Jenufa, Sieglinde, Evchen und auch Aida.

Es blieb nicht aus, dass Tiana Lemnitz in Berlin auch dem ’Führer’ auffiel, der sie 1937 zur Kammersängerin ernannte und in Würdigung ihrer künstlerischen Leistungen in die ’Gottbegnadetenliste’ aufnahm, was sie dem Kriegseinsatz - auch an der Heimatfront - entzog.

Auch im Film war sie 1943 in ’Altes Herz wird wieder jung’ neben Emil Jannings, Viktor de Kowa und Elisabeth Flickenschildt beschäftigt.

Im gleich Jahr folgte 'Nacht ohne Wiederkehr’ mit Karl Ludwig Diehl, Anna Dammann,
Hans Söhnker, Otto Gebühr.

1949 wurde sie für den Synchron in ’Figaraos Hochzeit’ engagiert:
 

Rolle

Darsteller

Sänger

     

Susanna

Angelika Hauff

Erna Berger

Gräfin Rosine

Sabine Peters

Tiana Lemnitz

Marcellina

Elsa Wagner

Margarete Klose

Dr. Bartolo

Victor Janson

Eugen Fuchs

Basilio

Alfred Balthoff

Paul Schmidtmann

Don Curzio

Franz Weber

Kurt Reimann

Antonio

Ernst Legal

Willi Sahler

Cherubino

Willi Puhlmann

Anneliese Müller

Barbarina

Katharina Mayberg

Elfriede Hingst

     

Die als Barbarina aufgeführte Elfriede Hingst war in den 50er und 60er Jahren als Sopranistin an den vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld – Mönchengladbach engagiert. Unvergessen ihre Zdenka, ihre Pamina, ihre Ann Truelove in ’The Rakes Progress’ neben Donald Grobe in der Titelrolle und Carlos Alexander als Nick Shadow. Melinda Moldovan sang die bärtige Türkenbaba.
 

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Thema des Tages

'Don Giovanni'

    ... am 29. Oktober 1787 uraufgeführt
Der Blick ins Archiv
Bemerkungen_zu_'Don_Giovanni'_im_'Staatstheater_Braunschweig'.htm
Betrachtungen_zu_'Don_Giovanni'.htm
Kommentar_'Il_Dissoluto_Punito'.htm

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Don Giovanni - 29. Oktober 1787 die Uraufführung in Prag, 7. Mai 1788 die erste Aufführung in Wien - und bereits am 15. Juni 1788 spielt Leipzig das Stück, noch in italienischer Sprache, nach.

Bereits die Wiener Aufführung unterscheidet sich durch die musikalischen Einschübe von der Uraufführung, nichts im Gegensatz zu dem, was Christian Gottlob Neefe (Singspielkomponist, Hofkapellmeister in Bonn und Lehrer Beethovens, später Theaterkapellmeister in Dessau) mit seiner deutschen Fassung im gleichen Jahr - 1788 - aus Mozarts /Da Pontes ‘Don Giovanni’ macht.
 

 

‘Don Juan, der bestrafte Wüstling oder
Der Krug geht solange zu Wasser bis er bricht’

Eyn Singspiel in zwey Aufzügen

Personen:
- Hans von Schwänkereich, ein reicher Edelmann
- Fräulein Marianne, Geliebte des Herrn von Fischblut
- Der Stadtgouverneur, Vater des Fräulein Marianne
- Fräulein Elvire aus Burgos, ein von Herrn von
  Schwänkereich verlassenes Frauenzimmer
- Fickfack, Bedienter des Herrn von Schwänkereich
- Gürge, ein Bauer, Liebhaber von
- Röschen, einer Bäuerin

 

Wichtig an diesem Theaterzettel ist die Bezeichnung ‘Eyn Singspiel’.
Im 18. Jahrhundert entsteht das Singspiel aus der Vorlage der englischen Beggars Opera, beeinflusst durch die französische Opéra Comique. Das Schauspiel mit Musikeinlage, gelungen oder nicht, hing ab von den stimmlichen Möglichkeiten der Schauspieler. Die Tugend der Bürger wurde thematisiert, die ländliche Unschuld gegenüber der Dekadenz des Hofes.

Am 13. März 1789 lässt Mainz den 'Don Giovanni' aufführen, am 3. Mai 1789 wird er in Frankfurt in einer deutschen Übersetzung nachgespielt.

Diese stammt von Heinrich Gottlob Schmieder, er übernimmt stellenweise die Vorlage von Neefe, mildert den Text ins Sentimentale, und er moralisiert erheblich. Aus Molières ‘Don Juan’ übernimmt Schmieder die Schauspiel-Szene mit dem Gerichtsdiener und die mit dem Juwelier, dem Don Juan Geld schuldet.

In Mannheim wird am 27. September 1789 eine drastischere Fassung von Neefe gezeigt, zwischen beiden liegt die Revolution in Frankreich, die sich z.B. darin dokumentiert, Don Juan “[...] droht mit dem Stock [...]“ - es also nicht mehr der herrschaftliche Degen, sondern ein profaner Stecken.

Eine weitere Bearbeitung wird von Friedrich Ludwig Schröder für den 27. Oktober 1789 für Hamburg mit singenden Schauspielern vorgenommen.

Aus dem 2-aktigen Singspiel wird eine 4-Aktige Schauspielfassung, die Figuren hervorhebend. So also im 1. Akt die Donna Anna, Zerlina betritt erst im 2. Akt die Bühne, der 3. Akt entspricht dem üblichen Ablauf, da hier alle Personen auftreten, der 4. Akt beinhaltet die Friedhofszene. Schröder schließt also jede ’Story’ personenbezogen ab, ehe er eine neue beginnt - im Gegensatz zu Da Ponte / Mozart, die Handlungsstränge miteinander verweben.

Auch bei Schröder wird der moralische Zeigefinger - wie im Singspiel - erhoben. Das Schlusssextett erhält als Mahnung die Übersetzung:

             “Lebenslust fährt schnell dahin
               Ewig währt der Tugend Gewinn.“

Das Publikum erhält so Don Giovannis lasterhafte Züge noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Schröders Fassung hält sich lange auf den Bühnen, während die reinen Sängerfassungen Neefes und Schmieders sehr bald in Vergessenheit geraten. Das straff geführte Drama interessiert und packt die Menschen, die Musik ist nur noch Beiwerk, dies um so mehr als nur wenige Theater Sänger mit entsprechender Ausbildung und Orchester zur Verfügung haben.

Auch Berlin spielt kurz darauf die Schröder’sche Fassung, bei der noch eine Eremiten-Szene aus dem Schauspiel eingefügt wird - Don Giovanni wird zum Mörder, da er den ihn suchenden Don Ottavio ersticht.

Die Zuschauer erleben das Ende eines Verbrechers - Furien peinigen ihn, ehe er zur Hölle fährt.
Mit diesem Finale entfällt erstmalig das Schlusssextett. Die Oper endet dramatisch und nicht mit dem einem Herrscherhaus zur Besänftigung vorgeführten ’lieto fine’ - die Auflösung des Dramas ins Heitere.

Breitkopf und Haertel bringen 1801 eine neue deutsche Fassung von Johann Friedrich Rochlitz heraus, die weiter einen gefühlsbetonten, bürgerlichen Gedanken in den Vordergrund stellt, wonach diese Fassung als lyrisches Drama bzw. - wird die Musik hinzugenommen - als Singdrama bezeichnet werden könnte. Die Aktion aus der Schauspielfassung wird wieder zurückgedrängt und in den Vordergrund tritt die Gefühlsbewegung aus der Musik, die eine Tätigkeit auslöst.

Entscheidend für die Aufführungspraxis des Don Giovanni wird die Bearbeitung vornehmlich der Rezitative durch Richard Wagner für eine Aufführung 1850 in Zürich.

Waren unter Meyerbeer in Berlin am 19. November 1845 die übliche Begleitung des Sprechgesangs durch Mozart-Flügel oder Klavier durch ein Streichquartett - eine Bearbeitung durch Samuel Schmidt - das Novum, so kehrt diese Aufführung im Schweizer Exil zum accompagnierten Rezitativ zurück.

Eine weitere entscheidende Veränderung in die Richtung zum musikalischen Drama beginnt schon früher mit der Übernahme der Rolle der Donna Anna durch die große Sängerdarstellerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Sie macht aus der Figur die Rächerin, sie übt Vergeltung am Tod des Vaters und ihrer eigenen Schändung durch Don Giovanni - wie sie E.T.A. Hoffmann 1814 in seine Novelle ‘Don Juan’ einbrachte.

In der Erzählung der nächtlichen Begebenheit in Nr. 10 verschweigt sie diesen Tatbestand und hält somit Ottavio uninformiert. Da oftmals die zweite Arie Ottavios, die Nr. 21, nicht gesungen wurde, bestand die Möglichkeit, die Figur der Donna Anna weiter zu verändern, in dem die Nr. 23 als Briefszene gespielt wurde - Donna Anna teilt sich Don Ottavio schriftlich mit.
Die Romantik und Richard Wagner führen die Entwicklung der Rächerin weiter und bringen den Gedanken der Erlöserin ins Spiel - hier den Gegenpol zum ‘Verbrecher’ Giovanni - in der Figur der Donna Anna.

Für die Nr. 23 erhält sie auf der Bühne einen Herrgottswinkel mit Betstuhl und ewiger Lampe - eine Entsprechung zur Arie der Elisabeth im 3. Akt Tannhäuser. Das Böse im Männlichen bedingt durch Sinnlichkeit bei Don Giovanni und Tannhäuser wird aufgelöst durch das Gute im Weiblichen der Donna Anna und Elisabeth.
Die Überwindung der Körperlichkeit durch das Geistige - Wolfram / Elisabeth gegen Venus und Tannhäuser, der Holländer erlöst durch Senta, die Welt erlöst durch Brünnhilde: „[...] So werf ich den Brand in Walhalls prangende Burg.[...]“

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Fortsetzung von Seite 33, Heft sechs, Juli-Ausgabe

Lohengrin

Die Quellen - Literarische und historische Grundlagen

Die Sage von ‚Lohengrin’, wie sie von den Brüdern Grimm letztmalig als Prosafassung aufgezeichnet wurde, geht auf verschiedenste Quellen zurück und gerade in den Jahren nach der Uraufführung der romantischen Oper von Richard Wagner im Jahr 1850 sind der ‚Lohengrin’ und die ‚Schwanrittersage’ bis heue immer wieder Bestandteil von Untersuchungen und wissenschaftlichen Arbeiten.

Die Forschung hat gerade in dieser Zeit immer wieder versucht, schlüssig aufzuklären, die eigentlichen Quelle aufzuzeigen und darzulegen, welche Entwicklung der Stoff genommen hat.

Jedoch gibt es im deutschen Sprachraum keine Neubearbeitung des Lohengrin-Stoffes, wenn man von der Erfassung und Veröffentlichung der Sage durch Jacob Grimm in zwei Bänden 1816 und 1818 absieht.

Mehrere Dichter des Mittelalters befassen sich mit dem Thema eines Ritters, der einer hohen Frau in Bedrängnis zu Hilfe gesandt wird. Bei allen Quellen muss Lohengrin die Frau verlassen, weil sie seine Vorgabe, ihn nicht zu fragen, wes Herkunft er sei, oder/und wie sein Name sei, nicht einhält.

Eine Untersuchung und Beschreibung der Vielzahl der Quellen zum ‚Lohengrin’ und zur Geschichte des ‚Schwanritters’ müsste aufgrund der Menge an Informationen aus den verschiedensten Untersuchungen als Einzelthema abgehandelt werden; würde hier also den Rahmen dieser Arbeit sprengen und so können die Quellen nur rudimentär und in Bezug auf die Dichtung von Richard Wagner aufgezeigt werden.

Vor der Mitte des 19. Jahrhunderts soll über die in Frankreich entstandenen epischen Bearbeitungen der Schwanrittersage nur wenig bekannt gewesen sein und erst nach dieser Zeit “wurden zwei Redaktionen des französischen Schwanrittergedichts veröffentlicht, worin auch die sagenhafte Geschichte des jungen Gottfried, des Schwanenritterenkels, behandelt wird”, die man dann als “Chanson du Chevalier au cygne et des Enfances Godefroi de Bouillon” veröffentlicht. (Krüger, A.G. Die Quellen der Schwanritterdichtungen, Gifhorn, 1936, S. 11)

Offensichtlich ist beim Vergleich der verschiedenen Quellen nicht ausreichend sorgfältig vorgegangen worden oder es standen im 19. Jahrhundert tatsächlich nur wenige Veröffentlichungen zur Verfügung, so dass unterschiedliche Forschungsergebnisse und Bewertungen möglich waren.

So stellt sich angeblich sogar bei den Brüdern Grimm eine unterschiedliche Bewertung des Ursprungs der Sage dar. A.G. Krüger geht davon aus, Jacob Grimm habe festgestellt, dass “die Sage auf dem germanischen Mythus von Sceaf” beruhe. Hiernach sei “Sceaf als kleines Kind in einem Boote liegend auf der Insel Scani” gelandet, von den Bewohnern aufgezogen und später zu ihrem König gewählt worden sei. (Krüger, A.G., Die Quellen der Schwanritterdichtungen, Gifhorn, 1936, S. 10)

Bei Wilhelm von Malmesbury (um 1125) kommt Sceaf auf der Insel Scandea an, wobei die Bewohner dieser Insel das auf einer Garbe (Sceaf) liegende Kind die Begriffsbezeichnung der Garbe als Namen gaben.

In einer anderen Untersuchung wird davon ausgegangen, dass die Schwanenrittersage auf die Geburt Bhismas zurückgehe, wonach König Pratipa einst am Ufer des Ganges ein junges Weib erblickte, das aus dem Strome hervorstieg und auf Bitten des Königs bereit war, die Gattin des Königssohnes zu werden. Hier nun stellt eine Frau die Bedingung, dass man sie nicht nach ihrem Namen fragen und an ihren Handlungen nicht hindern dürfe.

Wichtiger erscheint somit im Rahmen dieser Arbeit festzustellen, aus welchen Quellen Richard Wagner die Figuren und Handlungen dieser für seinen ‚Lohengrin’ ableitete, wobei sich diese Aussagen auf die ‚Dresdener Bibliothek’ sowie die Überlassung bekannt gewordener Schriften Richard Wagners stützt.

Nicht berücksichtigt werden kann Literatur, die Richard Wagner sich aus der Dresdener Königlichen Hofbibliothek entlieh, da hierüber keine Aufzeichnungen vorhanden sind.

So seien z.B. die ‚Weistümer’ und die ‚Rechtsaltertümer’ von Jacob Grimm erwähnt, die Richard Wagner selber als Quellen mit “so war es jetzt vorzüglich das deutsche Mittelalter, in welchem ich mich nach jeder Seite hin heimisch machte [...] dass ich z.B. die von Grimm herausgegebenen deutschen Weistümer mit höchstem Interesse studierte” angibt.

Legt man den dramaturgischen Ablauf der Handlung des Lohengrin zugrunde, so hat Richard Wagner demnach folgende Quellen, die unmittelbar mit dem Thema im Zusammenhang stehen, studiert:

Wolfram von Eschenbach ‚Parzival’

Eine Herzogin von Brabant widersetzt sich zudringlichen Freiern. Sie will sich nur einem Mann zur Frau geben, den sie von Gott erbittet. Um die fortwährende versuchte Annäherung der Freier abzuwehren, beruft sie selber einen Hoftag ein.  Während dieser Versammlung trifft ein Mann in einem Nachen von einem Schwan gezogen ein. Der Unbekannte bleibt als der von Gott Gesandte bei der Herzogin. Sie kann der Ungewissheit nicht wehren und erfährt von dem Unbekannten, wer er ist, der sie daraufhin verlässt.

Anonymos, ‚Der baierische Lohengrin’

Der Herzog von Brabant bittet seinen Dienstmann Friedrich von Telramund sich nach seinem Tode seiner unmündigen Tochter Elsam anzunehmen. Diese widersetzt sich Telramund, der daraufhin ein Eheversprechen als gebrochen ansieht. Zu ihrer Hilfe erscheint ein Unbekannter in einem Schwanengefährt. Der brabantische Hof zieht nach Mainz, um dort den König zu treffen. Telramund wird vom Unbekannten erschlagen. Eine Gräfin von Kleve stellt den Adel des Unbekannten in Zweifel. Elsa fragt nach der Herkunft ihres Retters, worauf dieser sie verlässt.

Konrad von Würzburg: ‚Der Schwanritter’

  Der Herzogin von Brabant und ihrer Tochter wird von einem Herzog von Sachsen das Erbe streitig gemacht. Die beiden Frauen ziehen vor das Hofgericht und treffen dort Karl den Großen. Während der Gerichtsverhandlung trifft ein unbekannter Ritter mit einem Schwan ein, der den Kampf mit dem Herzog von Sachsen aufnimmt und diesen schlägt. Die Tochter heiratet den Unbekannten. Um ihren beiden Söhnen sagen zu können, wer deren Vater ist, stellt sie die verbotene Frage. Der Ritter verlässt sie und die Kinder.

Albrecht von Scharfenberg: ‚Der jüngere Titurel’

 

Nach seinem Fortgang aus Brabant wird Loherangrin der Gatte von Belaye von Lyzaborie. Um den Gatten fester an sich zu binden, rät ihr ein Kammerweib, sie solle während Loherangrin schlafe, ein Stück Fleisch aus dem Körper schneiden und dies essen. Belaye weist diesen Plan zurück, das Kammerweib wendet sich an die Familie Belayes und diese überfällt Loherangrin. Er stirbt an den Folgen des Überfalls und er wird mit seiner Gattin, die ihm aus Gram in den Tod folgt, begraben.

Jacob Grimm ‚Deutsche Sagen’

 

Der Herzog von Brabant überantwortet seine Tochter Elsam vor seinem Tode einem seiner Dienstmannen, Friedrich von Telramund. Dieser wirbt um ihre Hand. Telramund wird von Elsam zurückgewiesen, der daraufhin bei König Heinrich dem Vogler klagt. Ein von Elsam benannter Mann solle sich im Zweikampf mit Telramund messen. Ein Unbekannter trifft ein und stellt sich dem Kampf mit Telramund, der in Mainz ausgetragen wird. Eine Herzogin von Kleve zweifelt am Adel des Unbekannten. Als Elsam nach dessen Herkunft fragt, verlässt Lohengrin sie.

Während Wilhelm Zentner (Zentner, Wilhelm, Lohengrin, Reclam, 1952) diese Ausgangsposition des Werkes überhaupt nicht erwähnt, so geht Mertens davon aus, dass Richard Wagner auch die Dichtung von Konrad von Würzburg gekannt haben muss. Allein bei Mertens wird erwähnt, dass Richard Wagner auch Ludwig Bechsteins Märchensammlung als Grundlage seiner Dichtung kannte. Hier ist die deutsche Übersetzung des ‚Doloppathos, sive de Rege et Septem Sapientibus von Johannes de Alta Silva’, die durch Herbert von Paris um 1210 in eine französische Achtsilbenform übertragen worden war, als die Geschichte von den sieben Schwanenkindern eingegangen.

Bei dem von Richard Wagner erwähnten anonymen strophischen Versepos in zwei Teilen handelt es sich um ein Werk, das unbewiesen zwei unbekannte Dichter in der Zeit von 1280 bis 1290 verfasst haben sollen.

Grundsätzlich ist sich die Forschung nicht gänzlich darüber im Klaren, ob es sich tatsächlich um zwei Verfasser oder nur einen gehandelt hat.

Ohne abschließende Wertung wird im Folgenden von zwei Verfassern ausgegangen.

Die neuere Forschung prüft, ob es bis zur Strophe 67,2 einen direkten Zusammenhang mit dem Wartburgkrieg, somit also einen Ur-Lohengrin, der dann von thüringischen wie auch baierischen Verfasser fortgeführt wurde, gibt.

Die Dichtung der unbekannten Verfasser beruht auf mehreren und unterschiedlichen Quellen.

Es wird das Klingsors Rätselspiel aus der ‚Wartburgkrieg’-Dichtung, so auch die ‚sächsische Weltchronik’, ‚Kaiserchronik’, ‚Schwabenspiegel’ sowie das Grundraster der Lohengrinhandlung, die Wolfram von Eschenbach am Schluss des Parsifal darlegt, verwendet. Entscheidend für die Quellen und die sich hieraus ergebende Dramaturgie der Handlung ist, dass Richard Wagner aus dem Parzival von Wolfram von Eschenbach sowie dem anonymen Gedicht und auch aus der Sagensammlung von Jakob Grimm den Ort der Handlung entnommen hat.

In diesen Fällen wird von der Schelde bei Antwerpen gesprochen.

Es ist nach Durchsicht aller Quellen nicht feststellbar, wann zum ersten Mal und warum gerade das Grenzgebiet zwischen Friesland und Lothringen zum Ort der Schwanensage wurde.

Cramer meint, dass es kaum Anzeichen für eine “Schwanenrittertradition im Hause Brabant” gebe. Es sei aber “kaum ein Grund vorstellbar, warum Wolfram und wahrscheinlich unabhängig davon Konrad die Schwanenrittersage aus freier Erfindung nach Brabant hätten verlegen sollen; insofern darf die Erzählung Wolframs schon als Reflex einer lokalen Tradition gelten.” (Cramer, Thomas: Lohengrin, 1971, Seite 75)

Cramer fragt sich, “ob die Übertragung der Schwanrittertradition auf Brabant nicht auf einer bloßen historischen Verwechslung beruht, die im 12. Jahrhundert geschehen sein könnte.”

Begründet sei dies in der Tatsache, dass “die französischen Dichtungen” [...] “den Schwanritter ausnahmslos zum Herrn eines Herzogtums Bouillon, das seit 1023 besteht” machten (Cramer, Thomas, Lohengrin, 1971, Seite 75)

Hier entsteht eine Schwierigkeit für die Chronisten als die Häuser Bouillon und Brabant einen gleichnamigen Stammvater haben: Gottfried den Bärtigen, Großvater Gottfrieds von Bouillon (gest. 1070) und Gottfried den Bärtigen von Brabant (gest. 1139/49).

Und hinzu kommt, dass Jacques de Vitry (ca. 1180-1240) in seiner Historia orientalis von ‚Godefridus de Bullon dux Brabantiae spricht.

Danach kann “der Schwanritter schon im 12. Jahrhundert dem Hause Brabant auch ohne genealogische Begründung zugezählt” werden. (Cramer, Thomas, Lohengrin, 1971, Seite 75)

Nach Cramer gilt allerdings auch: “die enge Verbindung von Dichtung und Geschichte scheint dem Schwanritterstoff von Beginn an eigen zu sein; vom 12. bis ins 16. Jahrhundert gibt es kaum ein bedeutendes Adelsgeschlecht im nordwest-deutsch-flandrischen Raum, das den Schwanritter nicht für seine Genealogie in Anspruch nimmt. Eben deshalb wohl hat der Schwanritter ein so zähes literarisches Leben wie sonst vielleicht keine außerantike oder außerbiblische Gestalt; er gehört zu den wenigen literarischen Figuren, die ohne Unterbrechung vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert fortlebten.” (Cramer, Thomas, Lohengrin, 1971 Seite 75)

Eine erst 1414 beendete Reimchronik eines Hennen van Merchtenen wurde erst 1894 entdeckt. Sie entmythologisiert die Sage, als sie eine Person mit Namen Swane auftreten lässt und diese nun zur Basis der Brabanter Herzöge macht.

Die Verwandlung eines Menschen in einen Schwan und die Rückverwandlung aus dem Tier in einen Menschen entfällt hier.

Aber nicht nur die beiden Häuser Bouillon oder Brabant kommen für eine Schwanrittersage in Frage.

Auch das Haus Arkel in Holland besitzt eine Haussage aus dem Jahr 1324, wonach schon 697 Johann II. von Arkel von einem Schwan aus Frankreich gebracht worden sei. Johann von Arkel heiratet die einzige Tochter Ottos I. von Kleve. Hierdurch kann die Verbindung zum Hause Kleve entstanden sein

Gert van der Schuren geht davon aus, dass Konrad, einer der drei Söhne des Schwanenritters von Kleve, der erste Landgraf von Hessen sei. Nur hat es einen Konrad nicht gegeben und der erste Landgraf von Hessen war Heinrich das Kind (1247-1308), der Sohn Heinrichs II. von Brabant. Hieraus könnte abgeleitet werden, dass das Haus Hessen eine Schwanrittertradition habe. Allerdings gibt es hierfür keine Nachweise.

Die Forschung zeigt immer wieder und weitere Möglichkeiten auf, woher Wolfram und Konrad ihre Anstöße zu eigenen Erzählungen haben könnten. Im einen Fall kommt Lohengrin einer Herzogin von Brabant und deren Tochter zu Hilfe, nur bei Wolfram, Gert van der Schuren und den Brüdern Grimm ist Lohengrin der Retter der Herzogin von Brabant.

So ergeben sich immer wieder neue Fragen, die ohne weitere Quellen nicht beantwortet werden können.

Nach Cramer ist eine der letzten literarischen Bearbeitungen vor Richard Wagner durch Madame de Genlis als Gespensterroman mit dem Titel: Chevaliers du cygne ou la Cour de Charlemagne, wobei diese wohl schon durch die Ausgabe Lohengrin von Görres beeinflusst sein kann und dass der Schwanritterstoff “in weit über hundert literarischen und historischen Denkmälern verarbeitet” ist und “von denen zum Teil nur entlegene Quellen Kunde geben.”
(Cramer, Thomas, Lohengrin, 1971, Seite 47)

Hier irrt Cramer, denn im Jahr 1912 gab Gerhart Hauptmann seine Bearbeitung des Lohengrin-Stoffes als Jugendbuch – seinem zwölfjährigen Sohn Benvenuto gewidmet – heraus. Er folgt den Grundlinien der Grimmschen Sage, erweitert die Erzählung aber in ihrem Unfang erheblich.

Konrad von Würzburg (1220 – 1287) fußt mit seinem ‚Schwanritter’ auf den bis zu seiner Zeit vorhandenen Vorgaben aus dem französischen Sprachraum zur Geschichte der Errettung einer bedrängten Frau durch eine aus dem Nichts kommende männliche Gestalt, die ein Frageverbot nach seinem Namen und seiner Herkunft erteilt und bei dem Bruch des Gebotes wieder aus dem Leben der beteiligten Figuren verschwindet.

Eben diese an der Handlung beteiligten Figuren unterscheiden sich wesentlich von allen Vorgaben.

Bei der weiblichen Hauptgestalt handelt es sich um die Witwe des Herzogs von Brabant und Eroberers von Jerusalem, Gottfried von Brabant. Den Name Gottfried übernimmt Richard Wagner dann als Bruder von Elsa, den Lohengrin am Ende der Oper als Herzog von Brabant vorstellt.

Der Schwager der Herzogin – ein Herzog von Sachsen – macht ihr das Erbe streitig. Die Herzogin begibt sich an den Hof von Karl d. Gr. Und trägt dort ihren Fall vor. Der Herzog von Sachsen ist sofort selbstbewusst bereit, sich auf einen Zweikampf mit einem von der Herzogin gewählten Gegner einzulassen, da er – wie er annimmt – sich niemand finden werde, sich mit ihm im Kampf auseinander zu setzen.

Ein Ritter erscheint in einem von einem Schwan gezogenen Kahn, der Unbekannte besiegt den Herzog von Sachsen und die Herzogin von Brabant vermählt ihre Tochter mit dem Schwanritter. Bedingung für die Ehe ist das Frageverbot nach dem wer und woher.

Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor, doch im Sinne ihrer Kinder fragt die junge Herzogin ihren Gatten nach Namen und Herkunft.

Der Unbekannte verschwindet mit dem Schwan in unbekannten Fernen.

Mit einem Hinweis auf die weiteren Nachkommen und das Haus Brabant schließt die Dichtung von Konrad von Würzburg.

Bemerkenswert ist bei dieser Fassung, dass hier ein Zeitrahmen gewählt wird, der die Dichtung an Karl d.Gr. anbindet. Hiernach begibt sich die Witwe des Herzogs von Brabant persönlich an das Hofgericht Karls d. Gr. an unbekanntem Ort, um ihren Fall vorzutragen. Hinzu kommt, dass es sich bei der Rechtsnachfolge im Hause Brabant um Mutter und Tochter handelt und als Gegenspieler ein Herzog von Sachsen genannt wird.

Im Gegensatz zu Wolfram, bei dem es sich zunächst um eine hohe Frau in einem Lande ohne Zeitbezug handelte

Sît über lant ein vrouwe saz.

Vor aller valschheit bewart.

Rîchheit und hôher art

Ûf sie beidiu gerbet wâren.

Si kunde alsô gebâren,

daz si mit rehter kiusche warp:

al menschlîch gir an ir verdarp.

spricht er später wie auch Konrad von der Herzogin von Brabant:

Si was vürstîn in Brabant.

Bei Konrad von Würzburg wird die junge Herzogin von Brabant, als verwaiste Tochter des Herzogs von Brabant, mit dem Schwanritter vermählt und dem Frageverbot ausgesetzt, während ihre Mutter, also die Witwe des Herzogs von Brabant, nur als Klägerin im Rechtsstreit auftritt.

Während bei Wolfram es sich um verschmähte Liebe bei allerlei Freiern, die die hohe Frau bedrängen, handelt, lässt Konrad den Zweikampf um das Erbe zwischen dem Herzog von Sachsen und dem unbekannten Ritter, an unbekanntem Ort ausfechten.

Im Gegensatz zu Konrad gibt es bei Wolfram – außer den abgewiesenen Freiern (Odysseus und Penelope) – keinen direkten Gegner – wenn man die Sucht der Freier nach der Herrschaft über Brabant durch Einheirat außen vor lässt - und keinen Zweikampf mit Waffen zu bestehen.

Bei Wolfram will sich die hohe Frau nur einem von Gott ausgewähltem Manne zur Frau geben, nachdem die Herzogin einen Hoftag abgehalten hatte, um dies ihren Freiern kundzutun.

Unschulde manger an si rach.

Einen hof si ir landes hêrren sprach.

Manc bote ûzverrem lande vuor

Hin ze ir: die man si gar verswuor,

wan den si got bewîste:

des minne si gerne prîste.
 

Wolfram schildert den Ort der Handlung, ohne wie auch Konrad, erwähnt, einen Zeitraum oder einen Zeitpunkt anzugeben.

Von Munsalvaesche wart gesant

Der den der swane brâhte

Unt des ir got gedâhte.

Ze Antwerp wart er ûz gezogen

Si was an im vil unbetrogen.

Er kunde wol gebâren.
 

Bei Wolfram vermählt sich die Herzogin selber mit dem unbekannten Ritter, nachdem sie ihm ihr Frauenwort gegeben hatte, seiner Mahnung zu folgen und nie nach seinem Namen zu fragen:

Ob sî got bî sinne lieze.

Während bei Konrad die Herzogin nach dem Namen fragt, um ihrer beiden Kinder willen, setzt Wolfram die Frage nach dem Wer in Bezug auf die geistige Unversehrtheit der Herzogin.

Es werden keine Hinweise gegeben, ob es sich tatsächlich um eine geistige Verwirrung bei der Herzogin von Brabant gehandelt haben kann oder ob die Herzogin aus Überschwang, den von Gott gesandten Mann erhalten zu haben, das Versprechen abgegeben hat.

Bei Konrad bezieht sich das Frageverbot auf Herkunft des unbekannten Ritters und ausschließlich die Tochter der Herzogin von Brabant ist davon betroffen .

Wie auch bei Konrad verläuft die Ehe bei Wolfram zunächst glücklich, es werden dem Paar “anmutige Kinder geboren” (Wolfram Parzival S. 669).

Bei beiden Dichtern folgt dann das Ende der Beziehung durch die Frage nach dem Wer und Woher und in beiden Fällen zieht der unbekannte Ritter mit dem Schwan davon.

Während Konrad von Würzburg auch am Ende seiner Dichtung weder das Wer noch das Woher aufklärt, hat Wolfram bereits festgestellt, dass der Ritter aus “Munsalvaesche” kam.

So nennt er auch den Namen des Ritters und seine Abkunft:

hin vuor Loherangrîn

wel wir dem maere rehte tuon,

sô was er Parzivâles sun.

der vuor wazzer unde wege,

unz wider in des grâles pflege.

Bei Wolfram hinterlässt Loherangrin der zurückbleibenden Herzogin ein Horn, ein Schwert und einen Ring.

Interessant ist – vergleicht man nur diese beiden Dichtungen – dass bei Konrad keine Namen – außer Karl. d. Gr. - genannt werden. Alle anderen Figuren bleiben anonym, lediglich werden Titel genannt.

  In beiden Dichtungen entsteht der Wunsch, die verbotene Frage doch zu stellen, aus der Herzogin – bei Konrad aus der Tochter und Gattin – bei Wolfram aus der Herzogin selber als Gattin.

 

  Es gibt in beiden Dichtungen keine dritte Person, die Misstrauen säht und so die Frage initiiert.

 

  Offen bleibt bei beiden Dichtern das Schicksal der Herzogin von Brabant.

 

Vergleicht man diese beiden Quellen nun mit der Sage ‚Lohengrin zu Brabant’ aus der Sammlung ‚Deutsche Sagen’ von Jakob Grimm, so wird deutlich, wie sehr diese wiederum eine eigenständige Beschreibung darstellt.

Nach dieser handelt es sich wie in der erwähnten Dichtung von Wolfram von Eschenbach um die Herzogin von Brabant, hier noch mit dem Zusatz “und Limburg”.

Im Gegensatz zu Wolfram und Konrad wird hier die Herzogin von Brabant mit dem Namen Els oder Elsam belegt, die von einem Dienstmann, Friedrich von Telramund, des verstorbenen Herzogs von Brabant zur Ehe gedrängt wird. Der verstorbenen Herzog hatte die Tochter Els ihm als Mündel gegeben. Als Elsa die Hand Telramunds ausschlägt, bezichtigt dieser Sie, das Eheversprechen nicht einhalten zu wollen.

War es bei Konrad ein Herzog von Sachsen, der das Erbe der Herzogin von Brabant und ihrer Tochter streitig machte, so dass die Herzogin von Brabant sich Karl. d. Gr. offenbart, um sich zu schützen, hatte Wolfram keinen männlichen Widersacher der Herzogin von Brabant eingebracht.

In der Sage bei Jakob Grimm tritt Telramund gegen Elsa auf, der sie bei “Kaiser Heinrich dem Vogler” verklagt.

Ob es sich um ‚den Kaiser’ oder nur ‚den König’ handelte, wird an anderer Stelle eingegangen.

Auch in der von Jakob Grimm aufgezeichneten Sage kommt ein Ritter in einem Boot, gezogen von einem Schwan, der bedrängten Herzogin zu Hilfe. Hier wurde er nach einem Gebet der Herzogin ein Glockengeläut “zu Monsalvatsch beim Gral” ausgelöst und der Gral beschließt, Lohengrin den Sohn Parcivals zur Hilfe auszusenden.

Hier werden die Personen namentlich genannt und auch der Ritter mit dem Schwan wird sogleich als Lohengrin und Sohn Parcivals bezeichnet.

Wird bei Konrad kein Ort der Handlung bezeichnet, so ist hier bei Grimm wie auch bei Wolfram bekannt, dass es sich um Antwerpen handelt. Bei der Sage nach Grimm wird auch die Schelde als Ort des Landgangs näher bezeichnet.

Während bei Wolfram die Herzogin einen Hoftag einberuft, hatte sie in der Sage “ihre Fürsten und Mannen nach Antwerpen zu einer Landsprache berufen.”

Wie in den Dichtungen von Wolfram und auch Konrad kommt der in der Sage als Lohengrin

bekannte Ritter mit einem Boot, das ein Schwan an das Land zog, an.

Auch dieser stellt sich der Sache von Elsam zur Verfügung.

Im Gegensatz zu Konrad findet der Zweikampf nun nicht unmittelbar nach der Ankunft des fremden Ritters statt, sondern der herzogliche Hof zieht über Saarbrücken nach Mainz, um den von Frankfurt kommenden ‚Kaiser Heinrich’ zu empfangen.

Wie bei Konrad von Würzburg kommt es hier zwischen dem Ankläger und dem Unbekannten zu einem Zweikampf, der unter der Aufsicht des Regenten stattfindet, bei dem der Ankläger getötet wird.

Und “Elsam fiel nun dem Lohengrin zuteile” mit der Bedingung, dass auch hier keine Frage nach der Herkunft seitens Elsam gestellt werden dürfe.

Auch bei Grimm darf die Frage nach der Herkunft wie bei Konrad nicht gestellt werden, während bei Wolfram die Frage nach dem Namen verboten ist.

Im Unterschied zu den Dichtungen Wolframs und Konrads tritt nun bei Grimm eine Figur in das Geschehen, die bei der Herzogin von Brabant den Wunsch auslöst, nach Herkunft und Namen des Gatten zu fragen.

Bei einem Speerwechsel stach der unbekannte Gatte der Herzogin von Brabant den Herzog von Cleve vom Pferd, wobei sich dieser den Arm brach.

Die Herzogin von Cleve redete da “laut unter den Frauen: ‚Ein kühner Held mag Lohengrin sein, und Christenglauben scheint er zu haben; schade, dass Adels halben sein Ruhm gering ist; denn niemand weiß, woher er ans Land geschwommen kam’.” (Grimm, Jakob, Deutsche Sagen, Stuttgart 1985)

Anders als bei Wolfram und Konrad wird eine bisher unbeteiligte Figur zur treibenden Kraft des Dramas.

Der Unbekannte gibt sich öffentlich als Lohengrin zu erkennen, während er während der Sage bis dahin namenlos erscheint.

Auch bei Grimm gibt er seine Herkunft als Parcivals Sohn und seinen Auftrag von Gott vom Gral gesandt worden zu sein, bekannt.

Im Gegensatz zu Wolfram und Konrad wird in der Sage auf das Schicksal Elsams eingegangen, dass sie “weinte und klagte” um den Gatten, der niemals wiederkehrte.

Als andere Quelle nennt Richard Wagner ausdrücklich “das anonyme Epos vom ‚Lohengrin’” (ML 315). Hierbei handelt es sich eben um die Dichtung angeblich eines thüringischen und eines baierischen Verfassers in Fortsetzung von Wolfram von Eschenbachs ‚Parzival’.

Dieses Gedicht, dessen Strophen 1 – 67 von dem anonymen thüringischen, dessen Strophen 68 bis 767 von dem baierischen Verfasser stammen sollen, der auch das höfische Leben schildert - aber auch die Geschichte Lohengrins fortsetzt. Dies hinterlässt bei Richard Wagner stärkste Eindrücke.

Das anonyme Epos stützt sich auf die Dichtung Wolframs als eine Episode des Wartburgkrieges, bei der Klingsor Wolfram ein weiteres Rätsel mit der Frage nach einem Helden der Artus-Sage aufgibt, das dieser mit der Erzählung über Lohengrin beantwortet und löst.

Wie auch in der Lohengrin-Sage bei Jakob Grimm wird auch in diesem Gedicht Elsa als Herzogin von Brabant von Friedrich von Telramund bedrängt, ein ihm angeblich gegebenes Eheversprechen einzulösen. Während ihres inbrünstigen Gebetes beginnt ein Glöckchen zu läuten, das sie einst einem Falken vom Fuß löste und nun immer bei sich trägt. Der Klang dieser Glocke wird in der Gralsburg gehört und daraufhin sendet der Gral seinen Boten Lohengrin ihr zur Hilfe.

Ein in dieser Dichtung namenloser Kaiser – in der im Frühjahr 1878 erfolgten Übersetzung des Originaltextes wird hier von Hermann Junghans der Name ‚Heinrich I. der Städtegründer, 919 – 936’, genannt - beruft einen Gerichtstag nach Mainz ein, während dessen Lohengrin Telramund überwältigt, dieser daraufhin verurteilt und hingerichtet wird.

Vor dem gerihte nû diu magt

Mit volge und mit vrâge ledic wart gesagt.

Sô solt der keiser rihten als er solde

Über den von Telramunt.

dáz houbt wart im ab geslagen an der stunt

der sigehaft dô urloup nehmen wolde.

(Anonymos, Baierischer Lohengrin, Vers 225, Zeile 2245)

In der Dichtung des Baierischen Lohengrins wird der fremde Ritter, der hier mit dem Namen ‚Antschouw’ – in der Übersetzung ‚Antschouwein’ als Nachfahre eines sagenhaften Königs von Frankreich – belegt, gedrängt Elsa zur Frau zu nehmen, da er sieghaft gewesen sei, „[:::] so hätt ihn wohl verdient die keusche Reine [...]“.

Das nachfolgende Frageverbot

Dâ mit er sie mit im dan nû wîst ûz dem gedrange.

er sprach: iuncvrouvw, mac iuwer munt

vérmîdén des ich iuch wîse hie ze stunt,

sô mugt ir mich mit vreuden haben lange.

 

Tuot ir des niht, ir vlieset mich!’

díu incvrouwe sprach: ‚bî got ich iu vergich

dáz ich iuwer heiz will dulden und lîden.’

(Anonymos, Baierischer Lohengrin, Vers 227, Zeile 2270)

wird in der Originalfassung von Einwürfen Klingsors und der Aufforderung der Fürstin von Thüringen an Wolfram von Eschenbach, mit der Erzählung fortzufahren.

Der in der Grimmsche Sage wie im baierischen Lohengrin übereinstimmende Faktor, der die Katastrophe auslöst, ist der Zweifel an Lohengrins Herkunft und ob er von Adel sei. Hier ist hervorzuheben, dass im baierischen Lohengrin zunächst kein Hinweis gegeben wird, wer diesen Zweifel anmeldet. Es wird, neutral gehalten, lediglich mitgeteilt, dass die eine Frage nach Lohengrins Adelsstand stellt.

Hierauf antwortet die Kaiserin „[...] du hast dir eine wunderliche Rach’ ersonnen, aus der dir nimmer Lob kann widerfahren! [...]“ ohne einen Personenbezug herzustellen.

Erst in Vers 697, Zeile 6966 wird im Gespräch zwischen dem fremden Ritter und Elsa erwähnt „[...] als daß von Kleve die zu Seufzern tiefen, mit ihrem Wort mich heut gebracht!“

(Junghans, Hermann: Lohengrin, der Ritter mit dem Schwane, Berlin, 1878, Seite 225)

Jakob Grimm folgt mit der Sage dem Ablauf des sogenannten Baierischen Lohengrin als auch hier die Herzogin von Kleve, deren Mann im Turnier von Lohengrin besiegt wurde, die Herzogin von Brabant anstiftet, die verbotene Frage an Lohengrin zu stellen, der daraufhin Elsa und die beiden Söhne entsprechend der Vorgabe des Grals, verlassen muss.

Aus der Dichtung von Konrad von Würzburg hat Richard Wagner die Figur eines Gottfried übernommen, den er zu Elsas Bruder macht. In Konrads Dichtung Gottfried von Bouillon, ist dies der Eroberer und König von Jerusalem.

In keiner der anderen Dichtungen wird diese Figur erwähnt.

In einem Brief an seinen Bruder Albert aus Marienbad vom 4. August 1845 geht er auf die baierische Dichtung ein und stellt seine Verdienste bei seiner Neufassung besonders heraus „[...] meine Erfindung u. Gestaltung hat bei dieser Schöpfung den größten Anteil: das altdeutsche Gedicht, welches uns diese hochpoetische Sage bewahrt hat, ist das dürftigste und platteste, was in dieser Art auf uns gekommen ist, und ich fühle [...] mich sehr glücklich, die fast ganz unkenntlich gewordene Sage aus dem Schutt und Moder der schlechten prosaischen Behandlung des alten Dichters erlöst [...] zu haben.“ (Strobel / Wolf, Die Briefe von 1842 - 1849, Leipzig, 1970)

Vergleicht man die Literatur, so zeigt sich wie unterschiedlich die Verfasser von Wolfram bis Albrecht und weiter zu Richard Wagner dieses Thema behandelt haben:
 

Verfasser

weibl. Hauptfi-gur

Gegner
/ Gerichts-ort

Gegne-rin

Ort des Kampfes

Ort der Hand-lung

Geschenk

Zeitraum

Basis /
Dich-tung

Ergän-zung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wolfram
von Eschen-bach

1170 - 1220

Fürstin von Brabant

Alle Freier

-

eigener Hoftag

-

-

Ant-wer-pen

Schwert,

Horn,

Ring

Ohne
Zeit-
bezug

Anhang zum

‚Parsifal’

 

                   

Konrad
von Würzburg

1220 - 1287

1.    

Herzogin

von Brabant

2. Tochter der Herzogin wird Frau von Lo-hengrin

Herzog von Sach-sen

Hofge-richt

Karl
der Große

-

Zwei-kampf

am

Hofge-richtstag
ohne Ort

 

-

Karl der Große

Eigene

Dich-tung

‚Der Schwan-ritter’

 

                   

Anonymos

thüringisch / . – bayerischer Dichter

 

Elsam

Telra-munt
Dienst-mann des Vaters

Anklage wegen:

Nichtein-haltung Ehever-sprechen

Gräfin von Kleve

Zwei-kampf in Mainz / Verur-teilung und Hinrich-tung Telra-munds

Ant-wer-pen

Schwert und Horn für die Kinder,

Ring für Elsa

namen-
loser
Kaiser

Rätsel-spiel im Wart-burg-krieg

/ Fortset-zung von Parzival

 

                   

Jacob Grimm

1785 – 1863

Els oder Elsam

Herzogin, Tochter des Herzogs von Brabant

Telramund

Anklage wegen:

Nicht-einhaltung Ehever-sprechen

(ver-schmähte
Liebe)

Herzogin von Kleve

Zwei-kampf in Mainz /

Verurteil-ung und Hinrich-tung Telra-munds

 

Ant-wer-pen

Schwert und Horn
für Kinder

Ring für Elsa

Heinrich
I.

Notierte ‚Deut-sche Sagen’

 

                   

Albrecht von

Scharfen-berg

um 1270

Belaye

Familie
der Belaye

Kam-mer-weib

Lyzaborie

 

 

 

Dich-tung

‚Der jüngere Titurel’

 

                   

Richard Wagner

Elsa von Brabant

Friedrich von Telra-mund.

Anklage wegen:

- Mord an Gottfried 
- geheime Buhl-schaft

Motiv:- ver-schmähte Liebe

Ortrud

Zwei-kampf

als Gottesge-richt in Antwer-pen / Verurteil-ung Telra-munds und Begnadi-gung durch Lohengrin

Ant-wer-pen

Horn, Schwert, Ring für Gottfried

Prosa-
fas-
sung:
namen-
loser
Kaiser

 

Text-
dich-
tung:

König
Hein-
rich I.

 

Gott-fried von Brabant

                   

 

Von den zur Dichtung des Lohengrin verwendeten Quellen wird von Richard Wagner die Zeit der Regentschaft Heinrichs I. übernommen. Die Kenntnisse hierüber konnte er gewinnen durch „[...] die Durchsicht der Korrekturbögen einer [...] in Druck erscheinenden neuen Auflage der durch Löbell neu bearbeiteten Beckerschen Weltgeschichte [...]“, die sein Schwager Brockhaus gerade erscheinen lassen wollte und an der er sich als Schüler durch Korrekturlesen sich beteiligen und ein Taschengeld verdienen durfte. (ML S. 46)

(Wird fortgesetzt)

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Die neapolitanische Oper – Stimmfach und Charakter

(Fortsetzung der August-Ausgabe Seite 36)

1.7 Der Klang der Stimme


Der Aufbau des menschlichen Stimmklangs besteht aus Grundton und Obertönen. In der gespro­chenen Sprache werden Vokale durch festliegende Obertonbereiche charakterisiert, die von der Höhe des Grundtones unabhängig sind. Diese spezifische Obertonreihe der Vokale nennt man Formanten.

"Die Hauptformanten unserer Sprache liegen unter Einschluß der sprachlich zulässigen Klangmodifikation und einer individuellen Schwankungsbreite etwa in diesem Bereich.

um

200-  400 und 3000-3500 Hz

E         um

400-  600 und 2200 - 2600 Hz

A         um

800-1200 Hz

0         um

400-  600 Hz

U         um

200-  400 Hz

Der musikalische Ton ist für den Physiker zunächst einmal eine periodische Schwingung. Sie hat im einfachsten Fall die Gestalt einer Sinuslinie; man spricht von einer "reinen Sinusschwingung" oder "harmonischen Schwingung".
(Habermann, Günther – Stimme und Sprache, Stuttgart 1987, Seite 83)

Bei Stimmgabeln, Glocken oder Planen schwingt jeder einzelne Punkt des Körpers und produziert Teiltöne des Gesamtklanges. Unser Ohr nimmt Frequenzen verschiedener Hertz-Zahl als Tonhöhenunterschied wahr. Ist aber der Schwingungsvorgang besonders schnell oder besonders langsam, so ist unser Ohr nicht imstande, solche Reize aufzunehmen. Die Hörfähigkeit des Menschen liegt etwa im Bereich von 16- 16000 Hz.

Auch der Klang der menschlichen Stimme besteht aus Teiltönen, aus mehr oder weniger lauten, sich überlagernden Einzelfrequenzen. Auf dem Oszillogramm zeigen sich vielerlei Zacken und Auswüchse; eine Periodizität ist erkennbar.

An den Stimmlippen wird der Primärton abgestrahlt, der den Grundton und die harmonischen Obertöne beinhaltet. Dieser Klang wird durch das Ansatzrohr, also durch alle oberhalb der Stimmlippen liegenden Räume, die der Klang durchlaufen muss, zum fertigen Vokalklang gefiltert, der aus Grundton und Formanten besteht. Da die Formantbereiche unabhängig vom Grundton organisch fixiert und daher konstant liegen, wird das persönliche, typische Timbre einer Stimme physikalisch erklärbar.

Wenn verschiedene Menschen den gleichen Vokal auf gleicher Tonhöhe erklingen lassen, so wird das Kurvenbild solcher zusammengesetzter Schwingungen stets anders ausfallen. Das Formant­maximum um 3000 Hz, also der Vokal 'i', ist wesentlich für die Brillanz und Tragfähigkeit der Stimme.

Erscheint eine Stimme im oberen Bereich zu hell und 'weiß', ist es ratsam, die Töne mit dem unteren Formanten 'u' zu 'decken', um den hohen Tönen Weichheit und Schmelz zu verleihen.

Diese Maßnahmen, zwischen den unterschiedlichen Qualitäten der Vokale zu vermitteln, ist in der Gesangspädagogik unter dem Begriff 'Vokalausgleich' geläufig.

Bei helltimbrierten Stimmen liegen die einzelnen Formanten, da das Ansatzrohr kurz ist, im oberen Teil, bei dunkeltimbrierten Stimmen im unteren Teil des Formantbereichs.

Der tiefste Formant, der in einem Ansatzrohr gebildet werden kann, wird durch die Distanz zwischen Stimmlippen und Zahnreihen bzw. Lippen bestimmt. Aufgrund der Lage des tiefsten Formanten besitzt jeder Mensch ein Ihm eigenes, unverwechselbares Timbre.
 

1.8 Klangfarbe und Schönheit der Stimme

Wenn wir von der hellen oder dunklen Klang-Farbe' einer Stimme sprechen, die ja wesentlich zur Charakterisierung der Rolle auf der Bühne beiträgt, müssen wir uns der Umschreibung bedienen oder Vergleichsqualitäten aus anderen Gebieten entlehnen.

So wertvoll die elektroakustischen Untersuchungen für die phoniatrische Beurteilung der gesunden wie der kranken Stimme auch sind: sie können den subjektiven Eindruck, den das besonders für unsere sprachlichen Kommunikationsbedürfnissen angepasste Sinnesorgan 'Ohr' vermittelt, nicht verdrängen. Seine wie selbstverständlich geleistete Arbeit, einen Klang in größter Geschwindigkeit sowohl richtungsdifferenzierend wie auch klangdifferenzierend zu analysieren, ist bei weitem unerreicht.

Das künstlerische Sprechen und der Gesang sind: In all ihren Erscheinungsformen kultur- und zeitgebunden und daher ein Spiegel der Zeit.

Diese Untersuchung beschränkt sich auf den Klang der menschlichen Stimme im Rahmen dessen, was wir unter der Kunst des Belcanto verstehen. Jedoch auch innerhalb dieser Art zu singen gab es im Laufe der Musikgeschichte starke Schwankungen des Zeitgeschmacks, die wir anhand von Tonaufzeichnungen in unserem Jahrhundert nachprüfen können.

Da die Einschätzung einer Stimme als attraktiv und schön von zeitbedingten ästhetischen Kriterien abhängig ist, - ob jemand eine sogenannte helle oder dunkle Farbe bevorzugt - ist sie kein absolut quantifizierbarer Wert und entzieht sich der allgemeingültigen Normierung.
 

1.9 Die Ausbildung

Die Verwissenschaftlichung der Lebensvorgänge soll u.a. dazu dienen, vermeidbaren Schäden vorzubeugen oder solche fernzuhalten. Wir haben gesehen, inwieweit die menschliche Stimme messbar und klassifizierbar ist, ob sie jedoch im Körper einer jungen Sängerpersönlichkeit beheimatet ist, die über emotionale Qualitäten verfügt, bleibt dem Scharfblick und der Sensibilität des erfahrenen Lehrers zur Beurteilung überlassen.

In dieser Hinsicht hat sich die heutige Auffassung der Gesangspädagogik, gegenüber dem Betrachtungszeitraum der neapolitanischen Schule, nicht verändert.

Es muss sich ein wachsames Vertrauensverhältnis aufbauen, das auf der Seite des Lehrers Sachkenntnis, Erfahrung und viel Zuwendung erfordert.

Die endokrinologisch bedingten Stimmungsschwankungen der jungen Menschen müssen ebenfalls behutsam gelenkt werden, denn das komplexe Organ 'Stimme' reagiert auf Gemütsbewegungen wie ein Seismograph.

Zur schnellen Verständigung wird bei der Beurteilung mit dem Begriff 'Begabung' operiert, der aber so vielschichtig ist, dass er näher betrachtet werden soll.

Die Freude an mimischer und stimmlicher Äußerung, ein gutes Gehör, schnelles Reaktionsvermögen, die Fähigkeit, sich in Situationen und Personen hineinzudenken, sind neben der gesunden Stimme und dem gesunden Körper Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung.

Die Tests zur Messung des Intelligenz-Quotienten empfehlen sich für die Beurteilung künstlerischer Begabung nicht, denn sie überprüfen Rechenfähigkeit, verbale Intelligenz, räumliches Vorstellungsvermögen usw..

Ein Blick in die Familiengeschichte in Bezug auf Begabungen der Vorfahren ist in jedem Falle lohnend, denn die geistigen Anregungen, die vom Elternhause ausgehen, sind von Bedeutung, selbst wenn die Eltern, wie so oft, mit der Berufswahl nicht einverstanden sind.

Die erhebliche Komponente künstlerischer Fähigkeiten wird in der Studie von Adele Juda über 'Höchstbegabung' evident.

 


"Vergleicht man die verschiedenen Verwandtschaftsgrade auf ihre höhere oder tiefere soziale Schichtung, so zeigen sich die Großväter verhältnismäßig niedrig geschichtet.

Höher geschichtet sind schon die Väter, noch höher die Brüder, die Neffen und Großneffen, während die Enkel der Künstler, was die künstlerischen Berufe anlangt, ein deutliches Absinken zeigen, was nicht verwunderlich sein dürfte, da die Enkel in der Regel immerhin Erbgut von drei nicht blutsverwandten Großeltern erhalten hatten.

Begabungen, die in ihren Familien als alleinstehende, plötzlich auftretende 'Sterne' erscheinen, sind ziemlich selten.

Unter den Ehefrauen wie auch unter den illegitimen Zeugungspartnerinnen der Künst­lerprobanden fanden sich verhältnismäßig viele Berufskünstlerinnen."

Juda, Adele – Höchstbegabung, ihre Erbverhältnisse sowie ihre Beziehungen zu psychologischen Anomalien – München/Berlin 1935

 


Untersuchungen an Zwillingen und Waisenhauskindern haben ergeben, dass Intelligenz und Begabung ungefähr 80 Prozent erblich und 20 Prozent umweltbedingt sind.

Für eine erfolgreiche künstlerische Tätigkeit sind zudem Charaktereigenschaften wie Ausdauer, Fleiß, Extrovertiertheit, Charme unabdingbar, dazu kommt dann das Glück des Tüchtigen.
Die Begabung zum Sängerberuf lässt sich am Anfang eines Lebensweges trotz aller Versuche nicht genau quantifizieren, es wird also immer wieder Fehlurteile geben.

Anleitungen zum richtigen Singen waren schon verfasst worden, bevor die Oper um 1600 entstand, so daß sich der solistische Gesang auf ältere Traditionen stützen konnte.

Für die Choralsänger in der Kirche schrieb Blasius Rosetti 1529 seinen 'Libellus de rudimentis Musices' (zitiert nach Göpfert) und vermerkt:
"Es versteht sich von selbst, daß, wenn man mit dem Singen überhaupt den Anfang macht, man nicht mit übermäßigem Atem und allzu hoch hervorbricht, sondern mit lei­ser und gelinder Tongebung die Noten singt. Denn sonst verletzt man die Stimmwerk­zeuge und hemmt die Luftröhre in Funktionen. Deshalb halte man sich - und dies gilt auch sonst als tugendhaft - an den Mittelweg d.h. man beginne nicht allzu tief, noch allzu hoch.

Denn das Schreien in den hohen Tönen beschädigt die Kehle und die Stimme und verletzt das Gehör. Wenn man nämlich etwas leise zu singen anfängt, so erwärmt sich nach und nach die Kehle, die Stimmwerkzeuge beleben sich und die Stimme, verschiedentlich durchgearbeitet, gelangt zu einem gleichmäßigen und vollendetem Tone."

Im Jahr 1562 versuchte der neapolitanische Arzt Giovanni CamilIo Maffei in seinem 'Discorso della Voce, del Modo d'apparar di cantar di Garganta, senza maestro', dem Sänger erste physiologische Erkenntnisse an die Hand zu geben. Das Lernen von guten Sängern, Selbstbeobachtung beim Atmen, die Mundöffnung und Zungenlage geben Klarheit über den Stimmklang.

Den wichtigsten Beitrag für die Gesangspädagogik des neuen dramatischen Operngesangs er­brachte der Komponist und Sänger Giulio Caccini 1602 in seinem Vorwort zur Musiksammlung 'Le Nuove Musiche'. Seine Ästhetik rückte den Gesangssolisten ins Zentrum und lehnte das Falsettieren der Männerstimmen als künstlich empfundene Fistelstimme ab zugunsten den Ideals der natürlich mit Vibrato schwingenden 'voce piena e naturale'.

In seiner Abhandlung 'Opinioni de Cantori antichi e moderni o sieno Osservazioni sopra il canto figurato' legt der Kastratensänger Pier Francesco Tosi die Prinzipien der italienischen Gesangskunst dar, in der erfordert, daß der Schüler frei und sicher intonieren und auf den Vokalen singen müsse, die 'voce di petto' und 'voce di testa' ohne Bruch vereinigen, weder näseln noch knödeln solle.

Die Fähigkeit zur Virtuosität, die Kenntnis der Manieren, gehört zwar zum Rüstzeug des Sängers, darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Das rein technische Können muß mit einer umfassenden musikalischen und kulturellen Bildung verbunden sein.

Weitere detaillierte Hinweise für die Stimmbildung gab der Kastrat Giovanni Battista Mancini 1774 in seiner Schrift 'Pensieri e Riflessioni pratiche sopra il Canto Figurato'.

Wie seine Vorgänger und Lehrer Francesco Antonio Pistocchi und Antonio Bernacchi forderte er vor allem vom Lehrer einen makellosen Ton, dazu aber auch die Fähigkeit durch absichtliches Verstellen der Stimme den Schüler auf Fehler aufmerksam machen zu können.
 

 


"Aus der Lockerheit erwächst auch der gewünschte ideale Stimmklang: hell aber so­nor.

Sonorität, d.h. Resonazreichtum der Stimme ist für Mancini eine wesentliche Forderung an den guten Sänger. Eine Stimme ohne Sonorität trägt in großen Räumen nicht. Die Sängerkraft, als Gefühl für den sonoren Körperklang konzentriert sich aber in der Brust. Die Brustkraft - von jetzt ab ein Schlüsselbegriff der italienischen Gesangsmethode - ist wiederum Grundlage für die so wesentliche Registerverschmelzung. Diese Kraft, empfunden als Weite des Brustkorbes, wächst mit den Jahren heran, und ihre Entwicklung darf nicht forciert werden....

Die Begriffe Falsett und Kopfstimme decken sich bei Mancini nahezu, doch bleibt im Falsett die Sonorität als Grundlage erhalten.

Göpfert, Bernd – Handbuch der Gesangskunst – Wilhelmshaven 1988, Seite 22

 


Da im 16., 17. und 18. Jahrhundert die stärksten musikalischen Impulse von Italien ausgingen, wurde auch in Deutschland das Belcanto-Ideal übernommen.

Michael Praetorlus versuchte im 3. Teil seiner Abhandlung 'Syntagma musicum' (Wolfenbüttel 1619), die Prinzipien des italienischen Operngesanges in die deutsche protestantische Musikkultur zu integrieren. Er erwartet wie die Italiener einen wohlklingenden vollen, hell nicht falsettierenden Ton mit schwebendem Vibrato:

   "eine schöne lieblich zittern und bebende Stimme, - zum anderen einen steten langen
   Athem, ohn viel zu respirieren.....

Falsch ist es, dass

   "etliche durch die Nasen und mit Unterhaltung der Stimm im Halse etliche mit zu­sammen gebissenen Zeenen singen".

Besonders drastisch schildert 1657 Christoph Bernhard, ein Schüler von Heinrich Schütz, der in Rom von Giacomo Carissimi beeinflußt wurde in seiner Schrift 'Von der Singe-Kunst oder Manier', Unarten beim Gesang: (zitiert nach Joseph Müller-Blattau, Kassel 1963)

    “In Summa, ein Sänger soll nicht durch die Naasen singen. Er soll nicht mit der Zunge anstoßen oder lispeln, sonst versteht man ihn kaum halb. Er soll auch die Zähne nicht zusammen schließen, noch den Mund zu weit aufthun, noch die Zung über die Lefzen herausstrecken, noch die Lippen aufwerfen, noch den Mund krümmen, noch die Wangen und Nasen verstellen wie die Meerkatzen, noch die Augen zusammen schrumpfen, noch die Stirn runzeln, noch den Kopf oder die Augen darinnen herumdrehen, noch mit denselben blinzen., noch mit den Lefzen zittern"...
 

Der Bach-Schüler Johann-Friedrich Agricola schrieb 1757 seine 'Anleitung zur Singekunst', eine kommentierte Übersetzung von Pier Francesco Tosis Abhandlung von 1723, in der er sich bemühte, die Prinzipien des italienischen Belcanto-Ideals von Registerverschmelzung, Sonorität und Beweg­lichkeit mit französischer Sprach-Akribie und deutscher Gemüthaftigkeit zu verbinden.
 

Der Singspielkomponist Johann Adam Hiller beklagte, daß es in Deutschland nicht wie in Italien ‚Sing- und Musikschulen gab und gründete, dem italienischen Belcanto-Ideal verpflichtet, eine Gesangsschule und schrieb in seiner Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesange 1780,
 

     "ob die Deutschen je Lust bekommen sollten, sich in der guten Art zu singen einen Schritt weiterbringen zu lassen. An der Lust möchte es ihnen ebenso wenig fehlen, als am Talente, aber Gelegenheit und Ermunterung fehlen gar sehr."

Die praktische Ausbildung geschah durch den in der italienischen Belcanto-Tradition stehenden Gesangsmeister, der die Geheimnisse der Gesangs-Kunst an seine Schüler mündlich weiterreichte.

Von der Mittellage ausgehend wurden Solfeggien geübt, Übungen auf Tonsilben, die der sauberen Intonation dienten; sie sollten den Klang der eher offenen als geschlossenen Vokale von Fehlern befreien. Als nächste Stufe, die dem guten Lagenausglelch und der Vergrößerung des Umfangs dient, gilt das Vokalisieren, d.h. Singen melodischer Abschnitte auf einem Vokal, das auch der Stimme zur Beweglichkeit verhalf.

Von den berühmten Gesangslehrern lassen sich Stammbäume bis in unsere Zelt ableiten.

(Wird fortgesetzt)
 

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Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH


Bemerkungen eines Vollzahlers zur Umsetzung von

'Kabale und Liebe'

von Friedrich Schiller

Preview 06.09.2017 und Premiere 08.09.2017  

 

 

'Das fehlte noch …'

Bekanntmachung der Nds. Staatstheater Hannover GmbH

Zitat

 

Kabale und Liebe

von Friedrich Schiller

anschl. Premierenfeier

Premiere | Junges Schauspiel | ab 15 | Fr 08.09.17 | 19:30 | Ballhof Eins
Als der 22-jährige Friedrich Schiller, in Stuttgart frisch zum Regimentsarzt ernannt und mit Hof und Adel gut bekannt, die Stadt zum zweiten Mal verlässt, um der Uraufführung seines Erstlingswerkes 'Die Räuber' in Mannheim beizuwohnen, wird er prompt vom Herzog verhaftet und erhält Schreibverbot. Doch schon während der Inhaftierung schmiedet er Ideen für sein zweites Stück, Luise Millerin, das später unter dem Titel Kabale und Liebe uraufgeführt wird.Es ist die Geschichte einer Liebe als Politikum, die sich einerseits gegen die Heuchelei der Machthabenden richtet, andererseits gegen das duldsam ausharrende Bürgertum, welches das blutsaugerische System stabilisiert, indem es als Gottesordnung akzeptiert, was doch nur faules Menschenwerk ist. Eine Liebe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, destruktiv, masochistisch, provokant und jenseits herrschender Moralvorstellungen. Eine Liebe, die tödlich endet…Kabale und Liebe ist eine wütende Anklage gegen Ausbeutung, Menschenhandel und (moralische) Misswirtschaft - und ein heißblütiges Plädoyer für die Überwindung scheinbar unüberwindbarer Grenzen und für ein selbstbestimmtes Leben.

FRIEDRICH SCHILLER (1759 –1805) Der Zeitgenosse und Freund Goethes gilt als »der deutsche Freiheitsdichter«. Nach einem abgebrochenen Jura- und einem vollendeten Medizinstudium und seiner Flucht aus Stuttgart gelangte er über die Stationen Mannheim, Leipzig und Dresden nach Weimar. Zu seinen bekanntesten Werken gehören sein Erstling Die Räuber, die Wallenstein-Trilogie und Don Carlos.

Regie Jan Friedrich + Bühne und Kostüme Alexandre Corazzola + Musik Felix Rösch + Video Philipp Kronenberg + Dramaturgie Barbara Kantel
 Luise Sophie Krauß + Ferdinand Daniel Nerlich + Miller Christoph Müller + Wurm Silvester von Hösslin + Päsidentin Beatrice Frey + Lady Milford Johanna Bantzer + Kalb Philipp Kronenberg
 

Zitatende

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Das gesellschaftspolitische Bild des Landdistrikts zwischen dem Meinhardter Wald im Osten bis zum Schwarzwald bei Hornberg im Westen, im Süden von der Schwäbischen Alb bis zu den Flüssen Kocher und Jagst im Norden war geprägt von den Geldbeschaffungsmaßnahmen, die Herzog Carl Alexander im frühen 18. Jahrhundert anstellte, seinen Hofstaat zu finanzieren.

Er engagierte den Bänker Joseph Oppenheimer, der die Gelder für Kriege, Feste und Bälle, sonstige Lustbarkeiten zu beschaffen hatte.
Die enge Bindung des katholischen Herzogs an den Juden Oppenheimer rief die evangelische Bevölkerung auf den Plan, die sich durch die herzogliche Verwaltung bevormundet sah.

Die offiziell zur Verfügung stehenden Finanzen reichten nicht. So musste 'außer der Reihe' Geld beschafft werden und hierfür sorgte Joseph Oppenheimer.

1939 gab Goebbels den Auftrag zur Verfilmung des Stoffes um Joseph Oppenheimer, der sich an der bereits 1934 entstandenen englischen Verfilmung Jud Süss nach dem 1925 erschienenen gleichnamigen Roman von Lion Feuchtwanger anlehnte.
 

 

 

Veit Harlan

sah sich im Schatten seiner Filme, als er 1960
eine Beschreibung seines Lebens herausgab.
Alle waren gezwungen, mitzuspielen.

Das Deutsche Historische Museum hat für sein Leben und seine Karriere eine andere Version zur Verfügung.
https://www.dhm.de/lemo/biografie/veit-harlan

Filme wie:
’Der Herrscher’, ’Jugend’, ’Verwehte Spuren’, ’Jud Süß’, ’Der große König’ ’Die goldene Stadt’, ’Immensee’, ’Opfergang’ und ’Kolberg’
entstanden und wurden von der Parteileitung wie auch von Teilen der Bevölkerung begeistert aufgenommen.


Als Regisseur des neuen Films, deutete er den Inhalt im nationalsozialistischen Sinn um.

Das Ergebnis lässt sich an den Tagebucheinträgen von Goebbels nachlesen:

Zitate

„Mit Harlan und Müller den Jud-Süßfilm besprochen.
Harlan, der die Regie führen soll,
hat da eine Menge neuer Ideen.
Er überarbeitet das Drehbuch nochmal.“

Tagebuch 5. Dezember 1939

„… Besonders der Jud-Süßfilm ist nun von Harlan großartig umgearbeitet worden …“

Tagebuch vom vom 15. Dezember 1939

„Mit Marian über den Jud-Süß-Stoff gesprochen. Er will nicht recht heran, den Juden zu spielen. Aber ich bringe ihn mit einigem Nachhelfen doch dazu.

Tagebuch 5. Januar 1940

Muster der neuen Judenfilme geprüft. 'Rothschild' gut.
'Jud Süß' von Harlan mit Krauß und Marian hervorragend.

Tagebuch vom 26. April 1940

„Harlan Film ‚Jud-Süß‘. Ein ganz großer, genialer Wurf.
Ein antisemitischer Film,
wie wir ihn uns nur wünschen können.
Ich freue mich darüber.“

Tagebuch vom 18. September 1940
 

Den Film zu besetzen, stellte sich als schwierig heraus.
Die von Goebbels Preferierten lehnten wie Ferdinand Marian ab.

Selbst Harlan versuchte sich durch eine Kriegsfreiwilligenerklärung der Verpflichtung als Regisseur zu entziehen, bei seiner Frau Kristina Soederbaum – vom Volksmund damals als ’Reichwasserleiche’ bezeichnet – schob er die körperliche Schwäche nach einer gerade überstandenen Entbindung vor.

 

 

 



Nur Emil Jannings konnte dem Wunsch von Goebbels entgehen,
da Harlan dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda klar machen konnte, nicht neben Eugen Klöpfer
auch noch einen weiteren korpulenten Darsteller wie Jannings dem Publikum anbieten zu können.

Werner Krauss wollte nur dabei sein, wenn er alle ’Juden-Rollen’ spielen dürfe und sich keine ’Judennasen’ ankleben müsse.

So kam es dann auch.
Er spielte den Sekretär Levy, den Rabbi Loew, den Schächter Isaak auch den Alten am Fenster und die alle ohne angeklebte Nasen.

Gegen die Rolle des Herzogs Karl Alexander von Württemberg wehrte sich Heinrich George, ein weiterer körperlich mächtiger Mann. Er meinte Goebbels gegenüber, er wolle nicht schon wieder wie im Schiller-Film - als er auch den Landesherrn spielen musste -, eine Schattenfigur sein, er habe es satt, „Scheusale zu spielen und dass nicht der Jud Süß in dem Film der Minderwertige sei, sondern der Herzog.“
(Veit Harlan, ’Im Schatten meiner Filme’, 1966, Mohn Verlag)

 

 


Heinrich George
als Herzog Carl Alexander von Württemberg


Als der real existierende Herzog Carl Alexander – eben der, den Heinrich George dann auf Befehl Goebbels’ doch spielte – 1737 plötzlich verstarb, konnte der 1728 erstgeborene Sohn Carl Eugen als Neunjähriger die Regentschaft nicht übernehmen.

Zum Vormund wurde zunächst Carl Rudolf aus einer Seitenlinie - der sich aber zu alt für die Regierungsgeschäfte fühlte - und danach Karl-Friedrich von Württemberg-Öls, bestimmt.


Carl Eugen wurde mit seinen Brüdern nach Potsdam an den Hof von Friedrich II. zur Erziehung gegeben. Der aber ab 1740 mit der Führung des ersten schlesischen Krieges beschäftigt, war also zeitweise nicht an der Spree.
Carl Eugen lernte dort aber alles, was zur opulenten Führung eines Hofes erforderlich war, er sah es sich ab und übertrug es auf den herzoglichen Thron in Ludwigsburg.
Wie seinem Vater reichte auch ihm nicht das Geld für die Hofhaltung, die er aus seinem Elternhaus und dem Hof Friedrichs II. in Potsdam gewohnt war.
Geldquellen wurde gesucht und so wollte man auch hier der Anfrage des Königs von England nachkommen, Truppen für den englischen Krieg in Amerika zur Verfügung zu stellen – was sich als äußerst schwierig zu bewerkstelligen herausstellte:

 

 Als man das Anerbieten des Herzogs annahm, war man:

Zitat
„ … von der falschen Voraussetzung ausgegangen, daß dessen stehendes Heer doppelt so groß als das versprochene Kontingent sei, in welchem Irrtum er durch einen im englischen Kriegsministerium befindlichen Bericht des Hauptmanns Pleydell bestärkt wurde. Dieser Offizier hatte nämlich Stuttgart Anfang September 1775 besucht und war offenbar durch die glänzende Außenseite der württembergischen Residenz, durch den Herzog und seine Minister geblendet worden; er hatte die auf dem Friedensfuß stehende Armee des Herzogs auf 5500 Mann geschätzt und sich äußerst anerkennend über die guten Eigenschaften der Truppen, die schönen Kasernen, die prächtigen Uniformen und die guten Pferde ausgesprochen.

Anders lautete die Lesart, die jetzt Faucitt bei genauerer Besichtigung gab:
»Ich wurde«, schreibt er am 7. Februar 1777 von Stuttgart, [Fußnote] »dem Herzog am Tag meiner Ankunft von Ansbach [3. oder 4. Februar] vorgestellt. Er versprach mir sofort, dem König die 3000 Mann zur festgesetzten Zeit zu liefern; die Minister versicherten aber, daß dieses Versprechen sich unmöglich erfüllen lasse. Ich bedauere, daß meine Verhandlungen an diesem Hof voraussichtlich zu nichts führen werden. Der Herzog ist nicht imstande, ein Drittel der in Aussicht gestellten Truppen zu liefern. Sein Kredit und seine Finanzen sind bei einer so niedrigen Ebbe angekommen, daß er, selbst wenn er die Truppen auszuheben vermag, unmöglich gute Waffen und Uniformen anschaffen kann, um sie fürs Feld auszurüsten. Seit ich in Deutschland bin, habe ich schon viel von den ruinierten Verhältnissen des Herzogs gehört; ich finde jetzt die weitgehendsten Schilderungen bestätigt, namentlich aber sind seine Mittel so erschöpft, daß er gar nicht an die Ausrüstung eines Korps für Amerika denken kann. Seine ganze Armee besteht aus 1690 Mann (Offiziere und Unteroffiziere nicht mit eingeschlossen). Die Kavallerie beträgt 410 Mann; die Infanterie 1060 und die Artillerie 220 Mann. Ein Infanterieregiment hat im Durchschnitt 240 Mann und ein Kavallerieregiment 120 Mann! Ein großer Teil der Soldaten ist beurlaubt. Was bei den Fahnen steht, ist der steif, alt und dekrepiert gewordene Überrest aus dem letzten Krieg. Um die Desertion zu verhindern, gibt man den Soldaten, deren Zeit längst abgelaufen ist, ihre fällig gewordene Löhnung nicht. Ihre Waffen stammen aus dem letzten Krieg, sie sind von allen Kalibern, dabei abgenutzt und wertlos.

Ihre Feldausrüstung und Zelte sind von noch schlechterer Beschaffenheit. Die Offizierszelte sind in Stücke geschnitten und in verschiedene Formen gebracht, um bei den ländlichen Festen des Herzogs zu dienen. Ohne neue Zelte können sie gar nicht marschieren.
Zitatende

Friedrich Kapp:
Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika
http://gutenberg.spiegel.de/buch/-7425/9

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Aus der Situation heraus, die er dann 1780 und auch schon vorher täglich vor Augen hatte, entwickelte Schiller das Stück ’Luise Millerin’ und lehnte die Figuren an Personen an, die ihm seit Kindheit im näheren oder weiteren Umfeld begegneten. So haben der nicht auftretende Fürst und der Präsident Ähnlichkeit mit dem Herzog und einem intriganten Hofbeamten, die Milford hat Bezug zu Franziska von Leutrum, der späteren Franziska von Hohenheim.

Das Schauspiel ’Kabale und Liebe’ zeigt den Adel und das Bürgertum, somit den Zusammenprall der Gesellschaftsschichten und die Liebesgeschichte, die sich zur Tragödie, aus diesem Gefälle heraus, entwickeln musste.

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Im Herzogtum Württemberg lebten zur Zeit Schillers ca. 450.00 Einwohner, die ihren Wohnsitz in den ländlichen Gebieten und den Städten wie Stuttgart mit 22.000 Einwohnern, Tübingen mit ca. 6.000, Ludwigsburg mit mit ca. 5.000, Göppingen mit 4.000 hatten.

Die Menschen verdienten als Landarbeiter oder Handwerker wenig.
Die geringen Stände brauchten aber etwa 350 Gulden zum Auskommen einer vierköpfigen Familie, Städter dagegen schon 1.000 Gulden.

Ein Pfarrer verdiente etwa 260 Gulden jährlich, ein Lehrer an einer niederen Schule 100 Gulden - was bedeutete: das Existenzminimum wurde nicht erreicht, so dass zum Arbeitslohn immer noch ein Zugewinn auf einem Stück Feld zum Eigenverbrauch oder Verkauf von Naturalien wie auch durch sonstige Tätigkeiten erwirtschaftet werden musste.

Die Residenz Stuttgart war um 1760 - Schiller wurde 1759 in Marbach am Neckar geboren - unter Carl Eugen ein enges Städtchen an beiden Ufern des Nesenbachs, von einer hohen Mauer umgeben. Zwischen den Häusern lagen Gärten, die Straßen mit Kopfsteinpflaster ohne Gehsteige, Brunnen, aus denen die Bewohner ihr Trinkwasser holten, neben Dunghaufen und herumlaufendem Vieh.

Die Bewohnerschaft setzte sich zusammen aus Weingärtnern, Schuhmachern, Schneidern, Bäckern, Metzgern, die in jeweiligen Zünften zusammengefasst waren.

Die Standespyramide gab vor, wo sich die Bewohner einzurichten hatten. Ganz oben der Herzog mit seinem Hof und dem Adel, Militärs und hohen Beamten, der Klerus. Diese Spitze machte etwa ein Prozent der Bevölkerung aus.

Danach etwa 20 Prozent niedrige Beamte, Kaufleute, Bankiers, Notare, Lehrer, Handwerker, Händler. Die größte Bevölkerungsgruppe gehörte den Bediensteten wie Landarbeitern - und den Leibeigenen an.

Außerhalb dieses Regelwerks lagen die Menschen ohne Wert, die Schinder, Henker, Bettler und das fahrende Volk.

Bildungsmöglichkeiten für die Masse gab es außer den Schulen kaum, dem Adel blieb es vorbehalten, seine Kenntnisse zu erweitern.

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Schon während der Schulzeit beschäftigte sich Schiller mit Literatur, verfasste Gedichte und erste Prosaschriften. So hätte es für ihn eine Auszeichnung sein müssen, vom Landesherrn Carl Eugen nach der Lateinschule in Ludwigsburg auf die Karlsschule übernommen zu werden. Er sah es allerdings anders, denn - das Umfeld betrachtend - ergaben sich für ihn Probleme, die auch durch den strengen militärischen Dienst hervorgerufen wurden, dem er ausgesetzt war.

Freiheiten wurde keine gewährt, seine Dichtungen fertigte er im Geheimen an.
Er studierte zunächst Jura, wandte sich dann der Medizin zu und wurde 1780 zum Militärarzt bestellt.
1781 entstanden ’Die Räuber’,

http://www.telezeitung-online.de/
Bemerkungen_zur_Produktion_'Die_Raeuber'_-_Theater_Regensburg_01.12.2012.htm


veröffentlicht mit fingierten Verlagsorten Frankfurt und Leipzig.
Wolfgang Heribert von Dalberg, dem Intendanten des Nationaltheaters Mannheim wurde das Stück vom Buchhändler Schwan, der es dann später auch druckte, zugespielt. Dalberg nahm das Schauspiel in den Spielplan, wo es am 13. Januar 1781 uraufgeführt wurde, allerdings mit der vom Intendanten geforderten Verlegung aus der aktuellen Zeit des Ende des siebenjährigen Krieges ins Spätmittelalter als Kaiser Maximilian den ewigen Landfrieden für Deutschland stiftete. Schiller selbst hat diese Verlegung im Brief an Dalberg vom 12. Dezember 1781 kritisiert, musste sich aber fügen, um die Produktion seines Werkes nicht zu gefährden.

Ohne Urlaub reiste Schiller zur Uraufführung nach Mannheim, kehrte heimlich zurück nach Württemberg. Da diese Reise nicht entdeckt wurde, meinte er nochmals zu einer Repertoirevorstellung fahren zu können. Hier nun nahm er Henriette von Wolzogen - ihr Sohn Wilhelm war Schulkollege an der Karlsschule - und die Hauptmannswitwe Louise Dorothea Vischer mit zu seinen ’Räubern’, die dann wegen Krankheit im Mannheimer Ensemble nicht stattfinden konnte.

Schillers Verlassen des Dienstortes wurde diesmal entdeckt und er vom Herzog zu vierzehn Tagen Arrest abgeurteilt.
Während der Zeit entstanden die Anfänge des 'Fiesco' und der 'Luise Millerin'. Beide nahm Dalberg zur Uraufführung an.
'Kabale und Liebe', statt 'Luise Millerin' - Iffland schlug die Titeländerung vor - kam am 13. April 1784 zuerst in Frankfurt am Main heraus, zwei Tage später dann in Mannheim.

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Die Bühne im Nds. Staatsschauspiel Hannover zeigt eine überdimensionierte Tonne, senkrecht stehend, aufgeschnitten, so dass durch Einschübe drei Spielebenen möglich werden. Daneben der normale Bühnenboden, also eine vierte Spielebene.
An der Tonne oder Rotunde oder Litfasssäule – wie immer man es nennen will - montiert sind Raffvorhänge, Projektionsflächen, außenliegende Treppen, in ihr eine Wendeltreppe.

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Fazit

Die Rolle eines Mannes durch eine Frau verkörpern zu lassen, ist nicht neu.
In Frankfurt am Main war in der Robert-Wilson-Inszenierung des 'Lear' die Titelrolle mit Marianne Hoppe besetzt und in Hannover spielte Sabine Orléans den 'Othello'.

Dass nun Jan Friedrich als Regisseur den Präsidenten zur Präsidentin macht, ist ein Gag oder man hatte keinen Väterspieler für diese Rolle?
Allerdings dürfte ein Mann kaum diese Süffisanz in die Interpretation bringen wie es hier eine Frau zu tun in der Lage ist. Das vorwurfsvolle Aufzeigen, für wen sie denn das alles getan habe, soll zur Rührung führen und Ferdinand auf ihre Linie bringen. Es gelingt trotz tränenumflorter Stimme nicht.

Die Darsteller in diese Stahlkonstruktion - übrigens wieder einmal eine fabelhafte Leistung der Schlosser in den Werkstätten - der Rotunde zu zwängen, verdichtet das Spiel.
Verstärkt wird die Unmittelbarkeit, wenn dann noch mit Handkamera Nahaufnahmen fabriziert werden, die aber ihren Effekt verlieren, wenn Bild und gesprochenes Wort - also Ton - nicht übereinstimmen, also nicht lippensynchron projiziert wird.

Dass Striche einen Text komprimieren, ist klar und legal, solange das Stück nicht völlig ausfranst wie es 'Die Räuber' in Regensburg zu erleiden hatten.

Wenn man aber in Publikationen, die das Publikum auf die Produktion vorbereiten, vorgibt:

 

Auszug aus ‘Spielzeit’ 09/2017
KABALE UND LIEBE von Friedrich Schiller

 


Schiller muss man unbedingt machen, wie Schiller ihn geschrieben hat. im Unterschied zu Goethe, dessen ‚Faust' ich in Mannheim auf die Bühne gebracht habe und der einiges zulässt, kann man bei Schiller keine Szenen weglassen.

man dürfe keine Szenen weglassen, dann fragt man sich, warum die Dramaturgie und der Regisseur ausgerechnet die entscheidende Kammerdiener-Szene streichen.
Gibt es im Ensemble des Nds. Staatsschauspiels Hannover keinen, der diese Altersrolle übernehmen kann?
Die Szene gibt doch der Milford den Anstoß zur Entsagung, sieht sie doch hier besonders deutlich, wie mit dem Verkauf oder dem Verleih von Soldaten Geld gemacht wird, um beispielsweise den ihr geschenkten Schmuck zu bezahlen.

Historisch ist festgestellt, dass Soldatenverkäufe üblich waren. Der von Carl Eugen auf dem Hohenasperg inhaftierte, die Zustände in Württemberg mit ihren Herrschern und ihrer Dekadenz kritisierende, Friedrich Daniel Schubart schreibt in seiner 'Teutschen Chronik' von 1776,
- dass der Landgraf von Hessen-Kassel 450.000 Taler für 12.000
  Soldaten aus seinem Land bekommt,
- dass der Herzog von Braunschweig 56.000 Taler für 3.964 Mann
  erhält,
- dass 20.000 Hannoveraner
  und 3.000 Mecklenburger für 50.000 Taler für Amerika bestimmt
  sind und
- dass der Kurfürst von Bayern 4.000 Mann dem englischen König überlässt.

Schon 1757 verkaufte der Herzog von Württemberg - also Carl Eugen - 6.000 Mann für sechs Jahre an Frankreich und 1786 stellte er Truppen der holländischen Ost-Indien Kompanie zur Verfügung.

Warum fehlt also in Hannover die Kammerdienerszene, die den Hintergrund des Absolutismus in der damaligen vorrevolutionären Zeit verdeutlicht?

In dem Trepp-auf, Trepp-ab auf dem Wendel in der Rotunde auf der Bühne des Nds. Staatsschauspiels geben die aufs Wenige gekürzten Texte kaum wieder, dass - durch Forschung als historisch nachgewiesen - der Minister Samuel Friedrich Graf Montmartin seinen Vorgänger mittels gefälschter Briefe als Hochverräter verhaften und einkerkern ließ.

In der HAZ vom 11. September 2017 stand, es gäbe in der hannoverschen Fassung doppelt so viele Tote wie in der Schiller'schen Originalfassung.
Zwei Tote - Ferdinand und Luise - sind vorgegeben. In Hannover wird auch der Hofmarschall von Kalb ermordet (warum eigentlich?).
Das sind dann drei - und wer ist der/die vierte Tote?

Es hieß, es habe so ausgesehen, als sei die Milford auch gestorben.
So wird das Publikum vom Regisseur in die Irre geführt.

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Schon in der Spielzeit-Beilage der HAZ wurde geschimpft:

Zitat
"Das bürgerliche Trauerspiel schlechthin, dem Bildungskanon des Bürgertums zugehörig. Lektüre unzähliger Schüler-Generationen, die ratlos bis verzweifelt der schillerschen Sprache und dem historischen Setting gegenüberstanden und -stehen."
Zitatende

Was schlägt denn das nach unten geöffnete Feuilleton für den Deutschunterricht vor?
Popsongs oder Witze von Comedians?

Aber keine Sorge, ein Regisseur vom 'German-Trash-Theater' nahm sich ja des Stückes an und verwurstete es zu einer modischen Vulgär-Ekel-Show.

Hat man Proben und Konzeptionsgespräche erlebt, weiß man, wie es funktioniert.

Hier also:
Die Adligen sind Blutsauger: herrlich, dann machen wir Vampire daraus. Dann versteht es auch der Dümmste!
Und so tragen dann alle Adligen Vampirzähne, die Präsidentin lutscht Blut-am-Eis-am-Stil, Knoblauch und der angespitzte Pfahl kommen auch zum Einsatz und Wurm hat ein Auge auf Luise, so bekommt er ein Stielauge eingesetzt.

Der Hofmarschall von Kalb gibt sich tuntig, also trägt er Korsage, Stöckelschuhe und Spitzenstrümpfe.  Das versteht auch der Dümmste!
Ferdinand geht es nur um die Defloration von Luise, also ist ihr Kittel blutig und sie darf einen blutigen Tampon verschlucken.

Wurm wischt sich seinen Achselschweiß in die Haare, was so besonders erotisierend wirken soll und er wischt ein blutbesudeltes Messer an dem Brief ab, den Kalb für Ferdinand als Adressat fallen lässt.
Dicker aufgetragen geht nimmer.
Das versteht auch der Dümmste!

Sprachlich wird entweder genuschelt oder geschrien, dabei besteht das Ensemble aus begabten, professionellen Leuten, die Besseres verdient haben.
So kamen auch viele Leute aus der Vorstellung, es war ihnen speiübel und sie dachten in Bezug auf die Schauspieler: "Ach die Armen!"

Und dann wird ihnen beim bevorstehenden Intendantenwechsel wahrscheinlich auch noch gekündigt.

Dabei war doch am
Montag, den 26. Oktober 2009 veröffentlicht worden:

"Die Staatstheater Hannover sind hervorragende Theater mit engagierten Mitarbeitern. Ich freue mich darauf, die Häuser mit meinen künstlerischen Geschäftsführerkollegen Dr. Michael Klügl und Lars-Ole Walburg weiter voran zu bringen."

Und jetzt sind die Häuser leer inszeniert, weil das Grundkonzept der Stücke unter Missachtung des Bildungsauftrages und Verschwendung von Steuergeldern nicht realisiert, sondern irgendetwas auf das jeweilige Werk, sei es durch dramaturgische Mätzchen oder fehlleitende Bühnenbauten, draufgeklatscht wird.

Man könnte in dem sich hier verselbständigenden Bühnenbild - dieser Rotunde - in Hannover auch 'Hänsel und Gretel' oder 'Pension Schöller' spielen.
Warum nimmt man 'das Ding' nicht für die kommende 'Aida'?
Die Titelträgerin ganz unten, in der Mitte Königstochter Amneris und ganz oben Oberpriester Ramfis.

Diese rationelle Nutzung von Bühnenbildern müsste doch ganz im Sinne von Jürgen Braasch, dem Verwaltungsdirektor der Nds. Staatstheater Hannover GmbH sein!?

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Das Foto von VOFREI.de in der HAZ vom 16. September 2017 zeigt auf Seite 25 den Kultur- und Personaldezernenten der Nds. Landeshauptstadt, Harald Härke, beim Farbbeutel-Eier-Werfen, genannt:’partizipative Kunst’ - im Rahmen der Bewerbung um den Titel ’Europäische Kulturhauptstadt’.

Die Überschrift des Artikels  lautete:
’Ein großer Wurf?’




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Schlussbemerkung

“Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit!“ -
soll der weise Karl Valentin festgestellt haben.

Dem stimmt jeder mit Theater beschäftigte Musiker, Sänger, Tänzer, Schauspieler, zu, aber trotz aller Härte des Berufs wird ihm von den ’Normalen’ Menschen unterschwellig klargemacht, das er /sie eigentlich ein lästiges Überbleibsel ist, das die popbesessene Spaßgesellschaft stört.

Das jahrzehntelange Beschimpfen und Verhöhnen der Bildungsbürger, die unsere Musikkultur getragen haben, das Herabsetzen der Eliten , die als die Besten den Fortschritt bringen, unzählige Events und permanentes Entertainment dienen dem ’Nach-unten-Öffnen’ dem Verflachen und Verdummen.

Die Intendanten, eine enge Bruderschaft, haben mit ihren Regisseuren die Opernhäuser leer gespielt, dass sogar der Bund der Steuerzahler in seiner Mitteilung vom jetzigen September auf Seite 195 darauf hinweist:
“Ob Subventionen für Porsche, die Bayreuther Festspiele oder eine neues Katzen- und Hundefutter: Es gibt unzählige Beispiele für absurde Staats-Förderungen“

Und weiter auf Seite 202
“Die Erweiterung des Bundestages wird teurer und dauert länger, die Kosten für das Gebäude des Europäischen Rates sind in die Höhe geschossen und in den Städten und Gemeinden werden Opern, Schwimmbäder und Parkhäuser reihenweise zu Steuergräbern.“

Wo bleibt unser humanistisches Bildungsideal?
Wer steht den Künstlern auf der Bühne bei, die all’ die Unsäglichkeiten mitmachen müssen, denn der Regisseur ist weisungsberechtigt. Diese Regelung ist Bestandteil der Anstellungsverträge zwischen Theater und Ensemblemitglied.

Edgar Selge kritisierte das in einem Interview mit der Zeitschrift ’Stern’ mit den Worten:
Wenn ich daran denke, dass in meinem Vertrag steht, wie bei allen anderen Kollegen in Deutschland auch: "In künstlerischen Fragen ist der Schauspieler weisungsgebunden", dann sehe ich rot. Kreativität braucht Freiheit!

Gesucht werden verantwortungsvolle Politiker, die sich dieser Kulturzerstörung entgegenstellen und nach Beratung mit Fachleuten in fairem Auswahlverfahren Intendanten berufen, die mit werkgerechten, phantasievollen Inszenierungen die Opernfreunde zurück in die Theater holen.

Marie-Louise Gilles

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Impressum

erscheint als nichtkommerzielles Beiblatt zu



- ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg

Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:

KS Prof. Marie-Louise Gilles

Dipl. - Kulturwissenschaftlerin
Büro 30655 Hannover – Fehrsweg 2

info@kulturjournal-hannover.de

Peter Lang
Büro 93047 Regensburg – Holzländestr. 6

info@kulturjournal-regensburg.de

Ersterscheinung der Ausgabe Regensburg am 27.07.2007
Erscheinungsweise: kulturjournal-regensburg zehn Mal pro Jahr von Februar bis August und Oktober bis Dezember

Ausgabe des Beiblattes als ’Mitteilung an meine Freunde’ mit Auszügen aus dem
kulturjournal-regensburg in loser Reihenfolge, gebräuchlich am Anfang eines Monats

Titelfoto: Bearbeitung einer
Außenwerbung für ’Kabale und Liebe’, Nds. Staatsschauspiel Hannover

Verteilung Regensburg: Direktversand, Hotels, Theater, Galerien, Veranstaltungsorte, Tourist-Info, Bahnhöfe
Verteilung Hannover: Direktversand an ausgewählte Leserschaft:
Mitglieder der Bürgerinitiative Opernintendanz, Niedersächsische Landesregierung,
Politische Parteien, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Bund der Steuerzahler
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, Richard-Wagner-Vereine, Feuilletons von Tageszeitungen
RA Frank Wahner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hannover

Wir benutzen Informationen, hauptsächlich aus der eigenen Bibliothek, aus dem Internet u.a. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Museums, der Preußen Chronik u.ä..
Texte werden paraphrasiert wiedergegeben oder als Zitat kenntlich gemacht.

 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.

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