Es ist erstaunlich, wie viele Mitbürger
voller Sorge um die Oper in Hannover sind!
Selbst auf einem fröhlichen Fest zum 1. Mai in meinem dörflichen Stadtteil
Groß-Buchholz kommt am hölzernen Biertisch bald die Sprache auf die
katastrophalen Leerstände im Opernhaus aufgrund der szenischen
Scheußlichkeiten, die die Intendanz mit ihrem Regisseurstheater bietet.
Wie die HAZ auf Seite 25 ihrer Ausgabe vom 28. April 2017 berichtete, soll
dieser Stil hartnäckig fortgesetzt, Regisseure wieder verpflichtet werden
und Produktionen, die das Publikum vertrieben, wieder aufgenommen werden,
wohl in der Hoffnung, die Leute ins Theater zu holen , die meinen:
“Weil so viel darüber geredet wird, muss ich mir die Sauerei auch mal
ansehen!“
Allen plausiblen Argumenten zum Trotz und entgegen der Mahnungen von Rolf
Bolwin, dem langjährigen geschäftsführenden Direktor des Deutschen
Bühnenvereins auf der Podiumsdiskussion am 26. April 2014 im Theater
Regensburg, dass es gerade an größeren Häusern üblich sei, dass die
Verwaltung mal den, mal jenen anruft: “Weißt du nicht ’nen Intendanten
für mich“ - bleibt das Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur
dabei, die neue Intendanz nach diesem Motto weiter ’diskret’ im Hinterzimmer
auszukungeln.
Am o.a. Biertisch meinte ein kluger Mitbürger:
“Kunst braucht Experimente, aber Experimente sind keine Kunst!“
THEMA DES MONATS
Hannovers Staatsoper am Scheideweg
Mozarts ’Don Giovanni’ als vergewaltigender
Vorstadt-Rocker, singende DDR-Pioniere in Verdis ’Tosca’ oder eine
Penis-Amputation in Webers ’Freischütz’ - viele Darbietungen auf Hannovers
Opernbühne inszenieren den Tabubruch, immer wieder begleitet von heftigen
Protesten des Publikums. 2019 endet der Vertrag von Intendant Michael Klügl,
die Vorbereitungen für seine Nachfolge laufen auf Hochtouren. Und schon im
Vorfeld gibt es Streit über die künstlerische Ausrichtung.
Hannovers Theaterkritiker überbieten sich
in feuilletonistischem Enthusiasmus. Der neue Intendant müsse “Neuland
betreten", das “Wagnis lieben" und “nach Gold schürfen", lauten die
Forderungen. Sie sollten an den Erfahrungen der Vergangenheit gemessen
werden. Viele Gastregisseure hinterließen auf der Suche nach ihrem
künstlerischen Dorado verbrannte Erde, trieben die Besucher gleich
scharenweise aus dem Saal. Schon nach der Giovanni-lnszenierung von
Skandal-Regisseur Calixto Bieito hatten 3.500 Opernfreunde ihre Abonnements
gekündigt. Und der wirtschaftliche Niedergang geht weiter:
Produktionen werden vorzeitig abgesetzt.
Der dritte Rang ist häufig geschlossen.
Der Spielplan für März 2017 zeigt nur noch eine Auslastung des Hauses von
54,8 Prozent.
Zwei von vier hochqualifizierten Solisten haben nur noch fünf Auftritte im
Monat, die anderen gar keinen Einsatz. Der Rest des Monats wird mit
Opernhausführungen, Kinder-Workshops oder Koch-Shows gefüllt.
Niedersachsens Staatstheater soll sicher
kein Opernmuseum werden, das nur romantische Gefühle und das ewig Gestrige
befriedigt. Wenn Kunst nur noch zum ästhetischen Erlebnis wird, nicht mehr
aufstört und zu neuem Denken anregt, hat sie ihren Sinn verfehlt. Ebenso
verfehlt sind jedoch auch Holzhammer-Inszenierungen, die klassische Stücke
aus dem höfischen Pomp vergangener Jahrhunderte in den Schmutz der Gegenwart
ziehen und dem Publikum auf brutale Weise die politische oder
psychoanalytische Sichtweise des Regisseurs aufzwingen. Was ist das für eine
Kunst, wenn die Darsteller auf der Bühne für etwas gefeiert werden, was im
normalen Leben strafrechtlich verfolgt wird?
Eine Kunst, die das Land angesichts sinkender Besucherzahlen aus
Steuergeldern auch noch mit jährlich 61 Millionen Euro subventioniert und
die Skandale dadurch erst ermöglicht und fördert. Ganz zu schweigen vom
kulturellen Bildungsauftrag, der vor allem jungen Menschen sittliche Werte
vermitteln soll.
Jede Inszenierung lebt von der
Interpretation des Werkes. Sie muss die unverfälschte Wahrheit des Autors
vermitteln - egal, ob in historischen oder modernen Bildern. Die Bühne ist
jedoch keine Plattform für die Selbstverwirklichung zeitgeistbeseelter
Spielleiter. Künstlerische Freiheit muss sich immer auch an den Bedürfnissen
des Besuchers orientieren. Sie findet spätestens dort ihre Grenzen, wo die
Interpretation zur Zerstörung wird, sich das Publikum angewidert abwendet
und die wirtschaftliche Existenz des Theaters gefährdet ist.
Die Neubesetzung der Intendanz darf deshalb nicht länger von
Verwaltungsmitarbeitern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. Sie
erfordert, anders als bisher, eine öffentliche Ausschreibung.
Bei Suche und Auswahl geeigneter Kandidaten muss das Fachministerium
außerdem von qualifizierten Theater-Experten beraten werden. Opernhäuser
sind Unternehmen mit Millionen Umsätzen und Millionen Kosten. Das Land darf
sich deshalb nicht schweigend zum Zahlmeister degradieren und mit Geld alle
künstlerischen Konzepte absegnen, nur weil sie den Verantwortlichen keine
Vorschriften machen will. Sie muss Rahmenbedingungen setzen. Nur so wird der
Anspruch der Besucher und der finanzierenden Steuerzahler gleichermaßen
garantiert: lebendiges und aktuelles Musiktheater mit anspruchsvollen
Inszenierungen, das die Werte unserer Theaterkultur angemessen respektiert.
Rainer Beckmann
Vorsitzender Haus- und Grundeigentum
“Hannovers Staatsoper muss endlich wieder glänzen!”
Kultur-Professorin fordert Bürgerbeteiligung
bei Auswahl des neuen Intendanten
Zwei Jahre vor dem Intendanten-Wechsel werden
die künstlerischen Weichen für das Niedersächsische Staatstheater neu
gestellt. Seit 2006 wird Hannovers Opernhaus von Dr. Michael Klügl geleitet,
seitdem sorgen Skandal-Inszenierungen ’progressiver’ Regisseure immer wieder
für Zuschauerproteste und Abo-Kündigungen. Die Palette der Kritik reicht vom
Vorwurf gezielter Provokationen, mit denen klassische Stücke bis zur
Unkenntlichkeit verzerrt werden, über jugendgefährdende Sex- und
Gewaltszenen bis zur Steuergeldverschwendung der öffentlichen
Kultureinrichtung, die vom Land jährlich mit über 60 Millionen Euro
subventioniert wird. Die Suche nach dem neuen Intendanten wird deshalb auch
zur Richtungsentscheidung über die kreative und ökonomische Zukunft des
1.200 Plätze umfassenden Opernhauses, das 1852 von Georg Friedrich Laves als
’Königliches Hoftheater’ errichtet wurde.
Engagierteste Streiterin für eine
kulturpolitische Wende ist die Kulturwissenschaftlerin Prof. Marie-Luise
Gilles. Die Kammersängerin, langjährige Dozentin an der Musikhochschule
Hannover und Ex-Beiratsmitglied im Kulturausschuss der Landeshauptstadt gilt
als ausgewiesene Kennerin der hannoverschen Opern- und Theaterszene. Mit der
von ihr gegründeten ’Bürgerinitiative Opernintendanz' stellt sie die
bisherige Aufführungspraxis infrage, bemängelt die Wirtschaftlichkeit der
Staatsoper, fordert die Rückkehr zum künstlerisch anspruchsvollen
Musiktheater und mehr Transparenz im Auswahlverfahren des neuen Intendanten.
In der WohnArt erläutert sie ihre Standpunkte, ihre Ziele und Vorstellungen.
WohnArt: Frau Professor Gilles, Sie kritisieren die mangelhafte
künstlerische und wirtschaftliche Leistung der Theaterleitung und die sich
daraus ergebende mangelhafte Nutzung der Staatsoper. Können Sie das durch
Zahlen und Fakten belegen?
●
Prof. Gilles: Schauen Sie in den Spielplan. Die Oper steht an zehn
von 30 Tagen im Monat leer, im Vormonat März sogar noch mehr - die Nutzung
lag nur noch bei knapp 55 Prozent. In den Vorstellungen ist der dritte Rang
fast immer geschlossen, der zweite Rang halb leer. Das ist viel zu wenig und
liegt allein an der schlechten Spielplan-Gestaltung.
●
WohnArt: Klassische Stücke
sollten immer auch einen Gegenwartsbezug haben und zeitgemäß in Szene
gesetzt werden. Wie weit darf diese Modernisierung in der Darstellung und
Gestaltung gehen?
●
Prof. Gilles: Klassische Stücke
haben immer menschliche Probleme zum Inhalt, sie handeln vom Zwiespalt
zwischen Machtstreben und der Suche nach persönlichem Glück. Diese Probleme
sind zeitlos, nur die Gegebenheiten und Kostüme ändern sich. Ein Klassiker
in die Gegenwart zu projizieren. ist deshalb vollkommen gerechtfertigt. Aber
bitte nicht so verfälscht, dass man nicht mehr weiß, in welchem Stück man
sich befindet.
Die Kernaussage des Autors muss respektiert
werden.
WohnArt: Ist der inszenierte
Tabubruch auf der Bühne als künstlerisches Stilmittel erlaubt?
●
Prof. Gilles: Wer auf Ekelelemente wie Blut,
Sex und Gewalt setzt, appelliert an den Voyeurismus des Publikums. Das hat
aber in der Oper nichts zu suchen. Die Schöpfer dieser Werke haben ihre
Botschaft mit Musik auf höchstem Niveau veredelt. Schon deshalb können
Tabubrüche nicht als künstlerisches Stilmittel für Opern gelten. Schon gar
nicht, um die Vorstellungen voll zu kriegen. Das gilt auch für das
Schauspiel.
●
WohnArt: Wo verläuft denn die
Grenze zwischen der künstlerischen Freiheit des Regisseurs und der
unternehmerischen Wirtschaftlichkeit des Theaters?
●
Prof. Gilles: Die ergibt sich ja
schon aus der Tatsache, dass das Haus leer ist. Die Leute gehen doch nicht
in die Oper, um sich drei Stunden lang zu ekeln. Mit sowas locken sie kein
Publikum, sondern mit Schönheit und innerem Gewinn. Die Leute wollen
Emotionen durchleben und vor Rührung weinen, um als Zuschauer der Tragödie
eine Reinigung ihrer Seelen zu erfahren. Eine Katharsis, wie sie schon die
alten Griechen anstrebten.
●
WohnArt: Spielt die Überlegung,
mit einer Inszenierung das “Haus voll zu kriegen" bei den Verantwortlichen
heute überhaupt noch eine Rolle?
●
Prof. Gilles: Nein, die sitzen
wohldotiert in ihren Büros und lassen den Dingen ihren
Lauf. Ihnen geht es vornehmlich um die Provokation nach dem Motto “denen
haben wir es jetzt mal wieder richtig gezeigt". Das ist aber kein Argument
für einen Opern-Chef, der öffentliche Subventionen verwaltet. Sie dienen
schließlich dazu, dem Publikum einen schönen, erhabenen und geistvollen
Abend zu bescheren. Und nicht dazu, es anzuwidern und zu schocken. Dann
können wir auf der Bühne auch gleich Hundekämpfe veranstalten.
●
WohnArt: Wo liegt die Verantwortung des Landes Niedersachsen als
Träger des Staatstheaters?
●
Prof. Gilles: Darin, jemanden vom Fach für die Intendanz zu berufen,
der die klassische Oper schätzt und dafür sorgt, dass sich die Menschen
wieder angesprochen fühlen. Stattdessen hält sich das Land raus, um dem
Vorwurf zu entgehen, sich in die Kunst einzumischen und Vorschriften zu
machen.
Es sollte endlich den Mut aufbringen, sich zu
einer Opernkultur zu bekennen, die den Freunden des Musiktheaters wieder
eine innere Bereicherung bringt.
●
WohnArt: Opernaufführungen haben
eine unterhaltende, aber auch eine Bildungskomponente. Wie definiert sich
dieser öffentliche Bildungsauftrag?
●
Prof. Gilles: Zum Beispiel durch
die Zusammenarbeit zwischen dem Staatstheater und den hannoverschen
Gymnasien. Und auch hier zeigt sich ein Problem: Der Musiklehrer bespricht
mit seinen Schülern im Unterricht laut Lehrplan eine Oper. Da sehen sie dann
auf der Bühne jedoch etwas völlig anderes, was sie häufig gar nicht
verstehen oder sehen wollen. Die Schüler sind verwirrt und konsterniert. Die
Arbeit des Lehrers ist völlig sinnlos.
●
WohnArt: Opernaufführungen
werden auch von vielen Schulklassen und Jugendlichen besucht. Sie erleben
auf der Bühne teilweise Szenen, die im normalen Leben als Straftaten
gewertet werden. Wie wichtig ist der Jugendschutz bei den Inszenierungen?
Prof. Gilles: Sehr wichtig. Wenn wir selbst in der Hochkultur zur
Verrohung beitragen, ist das für junge Menschen, die auf der Suche nach
sittlich-moralischer Orientierung sind, weder nachvollziehbar noch
förderlich. Auch das Argument, Jugendliche würden die
auf der Schauspielbühne erleben, noch in der
Oper mit der Musik von Mozart, Weber und Wagner.
●
WohnArt: Warum denn nicht auch
in der Form des Musiktheaters?
●
Prof. Gilles: Weil die Oper eine
eigenständige Kunstform ist. Alles ist zeitlich genau festgelegt, jeder
Schritt vorgegeben. Seelische Vorgänge werden in Noten ausgedrückt und durch
Gesang umgesetzt. Und eine geschulte Belcanto-Stimme ist ein kostbares
Instrument und etwas ganz anderes als die Sprechstimme im Schauspiel. Dort
darf gebrüllt und geröchelt, Textpassagen beliebig verkürzt oder verlängert
werden, es gibt mehr Freiraum für Interpretationen. Schauspiel-Regisseure
sollten deshalb auch keine Opern inszenieren.
●
WohnArt: Sollte das Land gegebenenfalls durch Subventionskürzungen
Einfluss auf die Art der Inszenierungen nehmen?
●
Prof. Gilles: Nur wenn das Geld
verschwendet wird, die Ausgaben sollten deshalb durch ein Controlling
überwacht werden. Geld ist ja genug da, es wird im Hause nur falsch
verteilt. Anstatt es für die Sänger und Akteure an der Front aufzuwenden,
wird es für blödsinnige Bühnenbilder ausgegeben, wie die Shopping-Mall mit
Rolltreppe im ’Fliegenden Holländer’ in Hannover. Was dann künstlerisch
’freie Assoziation’ genannt wird. Das ist geradezu grotesk.
●
WohnArt: Die Oper wird mit
Steuergeldern subventioniert. Sollte der Zuschauer als Steuerzahler deshalb
auch ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Leitungspositionen haben?
●
Prof. Gilles Ja, es sollte einen
Bürgerbeirat geben, besetzt mit erfahrenen Opernfreunden und
Theaterexperten. Zum Beispiel Frauen, die beurteilen können, wes Geistes
Kind die künftige Intendanz ist und den Aufsichtsrat beraten, der dann
letztlich die Entscheidung fällt.
●
WohnArt: Die Umstände der Intendantensuche blieben der Öffentlichkeit
bisher weitgehend verborgen, die Entscheidung fiel hinter verschlossenen
Türen. Wie transparent muss das Auswahlverfahren sein?
●
Prof. Gilles: Es sollte völlig
neu strukturiert werden. Keine einsame Entscheidung mehr in irgendwelchen
Hinterzimmern wie bisher. Stattdessen muss die Stelle öffentlich
ausgeschrieben werden und die Bewerber müssen sich einer Anhörung stellen,
an der alle Gremien einschließlich der Presse beteiligt sind. Auch der
Aufsichtsrat muss kompetenter besetzt werden. Seine gegenwärtige
Zusammensetzung besteht fast ausnahmslos aus Juristen, Politologen,
Wirtschafts-, Finanz- und Verwaltungsleuten.
●
WohnArt: Sie haben wegen der
Neuwahl der Intendanz eine Petition an die Landesregierung gerichtet. Mit
welchem Erfolg?
●
Prof. Gilles: Sie wurde mit der
Begründung abgelehnt, das Gefallen einer Produktion sei eine Frage des
“individuellen Geschmacks", sie dürfe deshalb nicht an “allgemeinen
Massstäben" gemessen werden. Und die Zuschauerzahlen würden seit Jahren den
“Erwartungen des Landes" entsprechen. Mit anderen Worten: Was in der Oper
passiert, ist dem Land völlig egal.
●
WohnArt: Was erwarten Sie sich
von der neuen Opern-Intendanz?
●
Prof. Gilles: Einen
abwechslungsreichen Spielplan, wie wir ihn in Hannover jahrzehntelang
hatten. Es wurde bis auf wenige Tage, wie Heiligabend, jeden Abend gespielt
und das Haus war jedesmal voll. Es hat also geklappt, der Beweis ist
erbracht. Und wir sollten alles tun, um dort wieder anzuknüpfen. Hannovers
Staatsoper muss endlich wieder glänzen!
Jörg Hillmer (50), kulturpolitischer Sprecher
der CDU-Landtagsfraktion unterstützt die Forderungen:
“Die Staatsoper in Hannover ist ein Ort der
Hochkultur. Die niedersächsischen Steuerzahler zahlen jährlich 60
Mio Euro an das Staatstheater Hannover. Bei knapp 380.000 Besuchern
wird jeder Besuch mit über 150 Euro subventioniert.
Dafür erwarten wir ein attraktives Angebot, das dem Anspruch an
Hochkultur und gleichsam dem Interesse möglichst vieler Besucher
entspricht. Bei einer Neubesetzung der Intendanz sind daher zwingend
die Wünsche der Nutzer in die Entscheidung einzubeziehen."
|
Der fliegende Holländer
Repertoirevorstellung Nds. Staatsoper
Hannover – 26. März 2017
Charles Baudelaire,
Richard Wagner et Tannhauser (1861)
Der Gedanke, einen Unglücklichen gerade um dieses seines Unglücks
willen zu lieben, ist so groß, daß er nur in einem völlig reinen und
unbefangenen Herzen Raum finden kann; und es ist wahrlich ein
schöner Einfall, die Erlösung eines Verdammten für die
leidenschaftliche Selbstaufopferung eines jungen Mädchens
aufzusparen. Das ganze Drama ist mit sicherer Hand klar und
unmittelbar aufgebaut, jede Szene steht an richtiger Stelle, die
Gestalt der Senta zeigt eine so übernatürlich romantische Größe, daß
sie im gleichen Maße zu bezaubern wie Furcht einzuflößen vermag. Die
schlichte Einfachheit der Dichtung trägt wesentlich zu ihrem
Eindruck bei. Alles ist auf das Beste überlegt, klar ausgedrückt und
von wohlberechneter Wirkung. Die Ouvertüre, die man anlässlich des
Konzertes im Italienischen Theater zu hören bekam, ist
schaurig-geheimnisvoll wie das Meer mit seinen Stürmen und Nebeln
selbst.
|
Und was macht die Intendanz der Niedersächsischen Staatsoper Hannover
daraus?
Ein
'Junge komm bald
wieder!'
Es ist ihr wieder mal gelungen, mit Hilfe eines Teams aus dem
'Regisseurstheater' - unter Aufsicht des Theaterdirektors - eine große
romantische Oper zu albernem Entertainment zu degradieren.
Das Staatsorchester unter der wachsamen Leitung von Mark Rohde, der am
Vormittag engagiert und kompetent für die Uraufführung der Oper 'Lot'
geworben hatte, führte bei dieser Nachmittagsvorstellung dem Publikum im gut
durch Besucherorganisationen gefüllten Haus die Schicksale der Personen um
den Verfemten und die unermesslichen Kräfte der Natur vor.
(Die sonst so prachtvollen Hörner hatten aber keinen guten Tag - also: “Gute
Besserung!“)
Vorbereitet durch die Einführung des munter plaudernden Dramaturgen
Christopher Baumann, der nach Informationen über das Leben Richard Wagners,
grausiger Erfahrung gestützten Inspiration zum Werk, uns allen einen
assoziationsreichen Abend wünschte, fordere ich nun auch Sie zum munteren
Assoziieren auf.
Die Ouvertüre wird vor geschlossenem Vorhang gespielt.
Wenn dieser sich dann hebt, sehen wir zunächst nichts, denn die Bühne ist
dunkel.
Für die Nr. 1 erscheint eine Gruppe – wohl Männer – aus dem Hintergrund, mit
Taschenlampen in der Gegend herumfuchtelnd, um dann einen von hinten
auftretenden schlanken Mann mit kleinem Rollkoffer anzuleuchten.
Es ist der Handlungsreisende Daland, früher bei Richard Wagner ein
norwegischer Kapitän,
Sandwike ist's!
Genau kenn' ich die Bucht,
der hierher mit
seinem Schiff vom Sturm abgetrieben wurde.
Die Taschenlampenleuchter lenken den Schein auf einen Menschen oben an der
Reling, der behauptet
Wir haben sich’ren
Grund.
worauf der
Handlungsreisende, der vorher den Jüngling links oben fragend mahnte,
…. Die Wache
nimmst du wohl für mich?
Der Chor ist
inzwischen nach links abgegangen.
Der Handlungsreisende -
Tobias Schabel
ist dieser, er singt schön und agiert keck und flinkfüßig als ein so ganz
anderer Daland als die sonst üblichen Bass-Schwergewichte. Es ist
überzeugend - also warum nicht - folgt mit seinem Rollkoffer auch nach
links.
Die Bühne wird
nun stärker erhellt.
Man sieht ein monströses Bauwerk.
Assoziiere:
- Die Lobby eines Urlauberschiffs?
- Eine Shopping-Mall, wie das Programmheft berichtet?
- Die Bauruine einer Pleitefirma?
In der Mitte prangt eine mit feinem Edelstahl umkleideter Treppenlauf,
dahinter eine Rolltreppe, die aber offensichtlich nicht funktioniert, denn
die sie Betretenden müssen ganz normal Stiegen steigen.
Dicke Säulen ragen auf, das Monstrum wohl ein Schiffsrumpf, der auf Land
gestrandet ist und hier rechts im Dreck eines Ufers endete. Wie aber soll
von hier aus die Weiterfahrt Dalands gelingen?
Der erste Stock mit der Geländerumrandung ist abgebrochen, links steht eine
blonde Schaufensterpuppe, am Ende des Abbruchs liegt rechts eine tote Kuh,
die, wie mir meine empfindsame Nase sagt, bald heftig stinken wird.
Rechts unten 'an Land' ein weißer Container, der wohl ein Wohnhaus oder das
Büro der Zollabfertigung sein soll.
Unter der Rolltreppe in der Mitte führt eine Stiege auf die Unterbühne in
den Bauch des Schiffes oder in den Keller des Kaufhauses.
Die Werkstätten der Staatsoper haben wie immer - man erinnere sich nur an
die zum Stück nicht passende, aber handwerklich hervorragende
Bühnen-Einrichtung bei 'Rusalka' - ausgezeichnete Arbeit geleistet, aber wir
müssen wohl noch fleißig assoziieren, um irgendeinen Sinn in diesem teuren
Bühnenbild zu entdecken.
An der oberen Reling des Monsterbaus torkelt eine spastisch zuckende Gestalt
- Pawel Brozek
- und macht sich in
sexuellem Überdruck an der Schaufensterpuppe zu schaffen, dann darf der arme
Kerl in verdreckter Pennerkluft das bezaubernde Lied des Steuermanns
Mit Gewitter und
Sturm aus fernem Meer
singen. Eigentlich
soll ein hübscher junger Tenor damit die Herzen zum Schmelzen bringen, so
wie es Fritz Wunderlich einst tat, aber wir sind ja im Regisseurstheater, da
muss man sich möglichst beschränkt geben.
Die Bühne wird ’immer lichter’ beleuchtet.
Finstere Schattengestalten nahen sich von hinten und bleiben in der Mitte
unter dem Vorbau stehen.
Im portugiesischen Kostüm aus Vasco da Gamas Zeit tritt der Held des Abends
auf: ’Der fliegende Holländer'.
Mit perfekt geführter Stimme singt
Stefan Adam,
seinen mordsschweren Monolog, die Nr. 2
Die Frist ist um
und erfreut
unsere Ohren darüber hinaus während der ganzen Vorstellung.
Mitten in der Holländer-Arie beginnen die finsteren Gestalten aus der Mitte
und über die Rolltreppe nach links unten abzugehen. Sie tragen Allerlei,
alte Waffen und Kostüme, einer hat das Geweih des Jägers Herne aus dem
Falstaff auf dem Kopf – sie stören den Gesamteindruck, der hier tatsächlich
einmal gelungen sein könnte.
Für das
Nur eine Hoffnung
soll mir bleiben
steigt der Holländer die Rolltreppe hinauf und geht einmal um die Reling
herum, kurz vor der toten Kuh rechts bleibt er stehen, um am Ende der Arie
linksrumdrehend die Rolltreppe wieder herunterzusteigen.
Szene, Duett und Chor- Nr. 3
Die Bühne verdunkelt sich und links die Szene hinter Rollos erhellt sich
dafür. Toller Regieeinfall. Als der Holländer dem Vater Daland aufzeigt
Die seltensten
Schätze sollst du sehn;
kostbare Perlen edelsten Gestein
rennt der nach links über die Bühne und singt der beleuchteten Rollos
ansichtig werdend mit großem Echauffement
Wie! Ist’s
möglich! Diese Schätze!
Worauf der
Holländer einwirft
Doch, was du siehst, ist nur der kleinste Teil
von dem, was meines Schiffes Raum verschließt …
Die beiden Männer werden – die Rolltreppe nach Vorgabe des Regisseur Mottls
rauf- und runterlaufend – und nach Vorgabe Richard Wagners zum Ende der Nr.
3
Weit komm ich her,
verwehrt bei Sturm und Wetter
[…]
Ja! Dem Mann mit Gut und hohem Sinn
gab froh ich Haus und Tochter dahin
handelseinig:
Tochter gegen Piratenschätze. Die beiden planen die Heimfahrt, der Wind
steht günstig.
So jedenfalls meldet der Steuermann, jetzt wohl wieder bei Sinnen:
Südwind! Südwind!
Ach, lieber Südwind blas noch mehr!
Für die Matrosen zum Ende des ersten Aufzugs stellt die Choreografin
Anastasiya Bobrykowa
den Herrenchor auf den Befehl
Frisch! Jungen, greifet an!
in Reihen mit Schaufeln in der Hand für das
Mit Gewitter und
Sturm aus fernem Meer
auf. Heißt das:
- sie schaufeln das gestrandete Schiff frei oder
- sie werden gleich zur ’Internationale’ wechseln?
Oder sind es die armen ’Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!’
Schaufel hoch, Schaufel runter, Schritt links, Schritt rechts – alles im
Takt, dabei wird wie immer prächtig gesungen, während ich assoziiere was
mein Normal-Gehirn hergibt. Dann noch ein paar Spatenstiche in den Dreck der
Küste vor dem Wohncontainer rechts.
Oben hampelt der Steuermann-Tenor herum, schlingt sich einem
Musselinschleier um den Hals hebt den Arm zum Gruß.
Der Vorhang fällt.
Keine Pause, denn die Gefahr besteht, dass etliche der Zuschauer das Weite
suchen, es finden und nicht mehr wiederkommen.
Also nahtloser Übergang.
Vorhang hoch für den Damenchor.
Der Monsterbau bleibt auch für den zweiten Akt stehen. Bei Richard Wagner
wären wir jetzt für die Nr. 4 in der Spinnstube, dem angenehm heimeligen
Kontrast zu rauer Welt der Seeleute. Aber wieder schlägt das
Regisseurstheater zu und wohldressiert traben die Chordamen mit Schrittchen
und Knickschen, in Pelzmäntel gehüllt - da hingen wohl noch viele in den
Kühlhäusern der pleitegegangenen Pelzhäuser - jede eine große Einkaufstüte
schwenkend, auf den Köpfen einheitsblonde Perücken, in Kreisen herum und
singen dazu vom Rädchen, vom Fädchen und vom Spinnen.
Es ist zu blöd!
Das Programmheft – und das braucht das Publikum mit der vor der Vorstellung
notwendigen Lektüre, um zu erkennen, was dieses kostenträchtige Bühnenbild
überhaupt darstellt.
Nochmal: Dies soll angeblich das Innere eines Kaufhauses darstellen,
neudeutsch eine ’shopping-mall’, der verderbliche Tempel westlicher
Konsumsucht, und ich assoziiere:
daher der Bühnenaufbau mit Rolltreppe, die nicht funktioniert.
Und noch mal: Es könnte natürlich auch auf einem der großen
Kreuzfahrtschiffe der Shopping-Bereich sein, in welchem sich die Chordamen
einkleideten, in Pelz und Fummel.
Da hampeln und trippeln sie nun herum, der Musik folgend, schwingen ihre
Einkaufstüten.
…. Man weiß ja,
was ein Jäger gilt!
Beim komponierten Lachen knicken sie alle devot zusammen.
Warum? Nichts steht darüber im Programmheft und auch der wonnige Dramaturg
verschwieg des Inszenators Gedankengänge.
Seitlich vor der Rolltreppe steht links ein Bänkchen mit der Figur des
holzbeinigen Piraten aus der 'Schatzinsel'. Neben ihm hockt eine
schwarz-gothic vermummte Gestalt, die Kapuze vor das Gesicht mit
Reißverschluss gezogen, den sie, o welche Offenbarung, zum Singen für – noch
immer die Nr. 4 - das
Traft ihr das Schiff im Meere an
öffnet.
Ich assoziiere:
- pubertierendes Mädchen, Hormonschwierigkeiten, lebensverneinend, aha,
schwarze Klamotten im ’gothic-style’.
Frau Mary in hellblau mit blondem Zopf und Haushaltsbuch,
Julie-Marie Sundal,
klingt hübsch, hat aber keine Chance gegen die pelzbemäntelten Damen, die
sich unter den Baldachin zurückziehen, stehen und warten - wahrscheinlich,
um bald die Klamotten aus den Einkaufstüten auszuprobieren.
Senta stürzt nach vorne, hockt sich an das ’Gestade’ -
Karine Babajanyan
– singt jugendlich und fein nuanciert ihre Ballade, rennt zurück zum
Bänkchen, die Hand zärtlich auf dem Holzbein der dort positionierten
Piraten-Holz-Puppe positionierend.
Die Chordamen kommen beim
Vor Anker alle
sieben Jahr
nach links vorne, ziehen ihre Pelzmäntel aus, lassen sie auf den Bühnenboden
fallen und heben zum frommen Gebet die Arme in die Luft um das
Ach! Wo weilt sie,
die dir Gottes Engel einst könne zeigen?
zu unterstreichen.
Oder wie? Oder was?
Inzwischen ist eine männliche Gestalt links herangeschlichen, einen Kanister
auf dem Rücken, die mit einer langen Spritze die Ränder der Säulen und den
Boden besprüht - und ich assoziiere:
Ein Kammerjäger zur Vertilgung von Kakerlaken und sonstigem Ungeziefer.
Beim
Senta! Senta! Willst du mich verderben
entreißt dieser
Kammerjäger den Chordamen die Pelzmäntel und wirft sie auf den Boden.
Die Damen klauben dann beim
Sie sind daheim
und im turbulenten Ensemble:
Das Schiffsvolk
kommt mit leerem Magen,
um das
Bleib Senta! Bleib
nur einen Augenblick
nicht zu stören, die Mäntel auf und enteilen schnurstracks in ihre Kabinen,
wohl um die vorhin gekauften Sachen aus der schiffseigenen Mode-Boutique
anzuziehen.
Als der
Kammerjäger dann mit dem
Der Vater kommt
anfängt zu singen, stellt sich heraus, dass es Erik ist. Bei Richard Wagner
von Beruf Jäger, ein ehrlicher Naturbursche als wohlbedachter Kontrast zum
schicksalsbeladenen Holländer.
Erich Laporte
singt kernig und kraftvoll seine sehr unangenehme hoch angelegte Partie. -
Hochachtung! - Dann stürzt er hinaus, wohl an die frische Luft nach der ich
mich auch sehne.
Im Regisseurstheater von Bernd Mottl - sein Urahn Felix Mottl
dreht sich im Grabe um - und der Jäger Erik wird zum Kammerjäger
umfunktioniert.
Blöder geht's nimmer.
Das war daneben wie in Bremen beim ’Rienzi’ mit dem Saugbläser in der Regie
der Wagner-Urenkelin. Seitdem heißt es bei der Benutzung dieses Gartengeräts
in meinem Haus: “Nimm doch den Rienzi!“
Unauffällig sind Daland und der Holländer auf die Szene gekommen und - ach!
- vertan vom Regisseurstheater ist der von Richard Wagner geplante Moment,
wo neben dem alten Bild der echte Holländer auftritt, so dass Senta bei
seinem Erscheinen ihren Schrei ausstößt.
Der charmante Tobias Schabel preist als Daland den reichen holländischen
Schwiegersohn in spe an, muss aber mangels
Sieh dieses Band,
sieh diese Spange!
mit dem Knopf an
der Manschette seines Hemdes vorlieb nehmen.
Die Tochter zerrt Vater Daland die Gummistiefel von den Beinen, drauf putzt
der seine Schuhe, die er im Koffer mit sich führte.
Senta hat sich inzwischen ihrer Gothic-Kluft entledigt und sieht im
schwarzen spitzenbesetzten Unterrock recht attraktiv aus.
Da während des Zwiegesangs der Nr. 6 mit
Wie aus der Ferne
längst vergangner Zeiten
zwischen Holländer und Senta und beim Terzett Daland, Holländer, Senta
Verzeiht! Mein
Volk hält draußen sich nicht mehr
kein inszenatorischer Unfug – bis auf das einfältige Rolltreppe rauf,
Rolltreppe runter, mal Senta, mal Holländer oben am Geländer und Sentas
Kerzchen Aufstellen auf der rechten Seite. rings um den Holländer herum -
passiert, freut man sich, welch vorzügliches Ensemble und welch
stimmgewaltigen Chor die Staatsoper Hannover doch hat, mit dem man
großartiges Theater machen könnte.
Der Vorhang fällt schnell.
Für den eigentlich dritten Aufzug erscheint der Chor für sein
Steuermann! Laß
die Wacht!
adrett gekleidet in Matrosenanzügen und putzigen Matrosenkleidchen, das
scheinen die Klamotten zu sein, die der Damenchor in der ’Spinnstube’ in den
Einkaufstüren mit sich führte.
Wäre der Ort dieser Inszenesetzung nicht die Niedersächsische Staatsoper
Hannover, sondern ein Musicaltheater in Hamburg an der Reeperbahn, könnte
man seine Freude haben, denn die ’show-moves’ sind professionell
einstudiert, rechtes Bein, linkes Bein, rechter Arm, linker Arm und
rundherum, das ist nicht schwer.
Jetzt wünscht man sich, das Freddy Quinn unter allgemeinem Schunkeln:
"Junge, komm bald
wieder" singt.
Körbe mit Baguettes werden aus dem Bühnenhimmel heruntergelassen und
Schnapsflaschen verteilt.
Eigentlich folgte jetzt eine der grandiosesten Chorszenen der Opernliteratur
zwischen den Matrosen und dem Geisterchor auf dem Holländerschiff.
Zur Erinnerung:
Die konzertante Aufführung im Kuppelsaal am Tage der Bundestagswahl 2013 wo
Gänsehaut einem über den Rücken rieselte.
Wenn es szenisch so kommt wie jetzt in Hannovers Staatsoper zu Lasten der
Steuerzahler, dann besser und werkgetreuer in einer konzertanten Aufführung.
Dem hochbezahlten Team des Regisseurtheaters aber fällt nur der Auftritt
eines Statisten von rechts ein, der die Rolltreppe mit einer flammenden
Fackel hinauf rennt und die er in das ’Schiff’ oder in den Keller fallen
lässt, worauf ein bisschen rotes Licht und etwas 'Qualm' auf der Treppe, aus
dem Unterbau erscheint.
Dies führte dann zur Überschrift in der HAZ:
’Leichen im Keller!’
Der verteilte hochprozentige Fusel tut seine Wirkung, alle Choristen liegen
flach auf dem Bühnenboden und stehlen sich dann doch torkelnd davon.
Auch Senta liegt im Dreck als Erik nun in schwarzem kleidsamen Hemd und Hose
äußerst lebhaft agierend in der Nr. 8 mit Senta
Was muss ich hören
und mit seinem
Willst jenes Tags
du nicht dich mehr entsinnen
Senta wieder zu gewinnen sucht.
Die Kavatine gelingt, aber Senta bleibt ablehnend. Trotzdem versteht der
Holländer die Situation falsch,
Verloren! Ach
verloren! Ewig verlornes Heil!
fühlt sich trotz
Sentas
Was ich gelobte,
halte ich!
betrogen und
beschließt mit seinem Geisterschiff die nächste Reise. Er steigt hierfür
hinab auf die Unterbühne, um Glut in die Kessel zu bringen – oder wie oder
was?
Senta folgt ihm.
Die Musik von Richard Wagner deutet Erlösung an - (es wird in Hannover die
'Erlösungsfassung' gespielt.)
Der spastische Steuermann hat inzwischen die
Schaufensterpuppe in eine verschleierte Muslima verkleidet und schmust vorne
rechts mit einer weißen Taube oder sonstigem Vogel aus dem Repertoire des
Regisseurstheaters.
Das Publikum beklatscht die Leistung der Solisten, des Chores und des
Orchesters.
Viele haben sich nicht begeistert gezeigt, wie ein Stück großer
Opernliteratur hier in Hannover wieder einmal platt gemacht wurde.
Die anderen haben sich darüber amüsiert, dass man doch so leicht - durch den
hannoverschen Theaterdirektor Klügl - Spaß haben kann, und ich assoziiere,
dass die Couch eines Psychoanalytikers der bessere Ort zur Aufarbeitung
solch wirren Unsinns ist, als die Nds. Staatsoper Hannover.
In
vorhergehenden Ausgaben hatten wir Ihnen Schriftverkehr mit Landesbehörden
zur Kenntnis gebracht.
Sie konnten an den Absendedaten erkennen, dass unsere Schreiben monatelang
in niedersächsischen Schreibstuben der Dienststellen lagen, ohne bearbeitet
und beantwortet zu werden.
Inzwischen ging ein Schreiben datiert auf den 20.03.2017 ein.
Unterzeichnet von Detlef Lehmbruck, der im Bühnenjahrbuch des Jahres 2002
als Verwaltungsdirektor vom Theater Ulm geführt wurde und dieses Amt gemäß
Artikel in der Augsburger Allgemeinen vom 24. Juni 2009, 04:46 Uhr zum
Hochsommer des Jahres 2009 bereits wieder verließ. Seitdem sitzt er bei Frau
Dr. Gabriele Heinen-Kljajic im Vorzimmer.
Dieses durfte nicht unkommentiert bleiben.
So sandten wir unsere Antwort auf diese Mitteilung an zuständige die
Ministerin, nicht ohne wichtige Dienststellen des Landes und mit dem Theater
befasste Institutionen zu informieren.
Sie können sich auf diese Weise ein Bild machen, wie das Land Niedersachsen
argumentiert.
Fragen, wie die Auslastung eines Hauses berechnet wird, sind noch nicht
abschließend geklärt.
Der Schriftverkehr muss folglich fortgesetzt werden.
Ks.
Prof.
Marie-Louise
Gilles
Dipl.-
Kulturwissenschaftlerin
Fehrsweg
2
30655 Hannover
Tel. / Fax 0511 – 56 26 37
E-Mail
info@marie-louise-gilles.de
www.marie-louise-gilles.de
Abs.
ML Gilles – Fehrsweg 2 – 30655 Hannover
Frau
Dr. Gabriele Heinen-Kljajic
05.04. 2017
Nds. Ministerin für Wissenschaft und Kultur
Leibnizufer 9
30169 Hannover
Betrifft: Nds. Staatsoper Hannover
Bezug: Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur
vom 20.03.2017
Sehr
geehrte Frau Dr. Heinen-Kljajic,
Ihr o.a. Schreiben in Beantwortung meiner Eingabe vom 27.01.2017 – immerhin
auch nach fast acht Wochen Bearbeitungszeit – zeigt verschiedene Argumente
aus Ihrer Sicht auf, geht aber auf die Problematik im Detail nicht ein.
Dass Sie und Ihr Haus sich vor die Nds. Staatsoper Hannover zu stellen
versuchen, ist völlig legitim. Was allerdings nicht nachvollziehbar ist,
dass Sie das Lob der Verlage hervorheben - wie es in der HAZ am 07.10.2016
veröffentlicht wurde.
Leben diese doch davon, ihre Produkte abzusetzen, was aber nicht als
Qualitätsurteil für die Leistungen der Nds. Staatsoper Hannover gelten kann.
Leider sind darüber hinaus Ihre Ausführungen auf Seite 3 in Bezug auf die
exorbitanten Einnahmensteigerungen durch Herrn Dr. Klügl in Höhe von
jährlich 1,500.000 Euro nicht nachvollziehbar. In den Jahren seiner
Dienstzeit in Hannover würde dies mehr als 15 Millionen Euro bedeuten.
Es dürfte die Öffentlichkeit doch sehr interessieren, wie dieser Betrag
zustande kommt.
●
Konkrete Fragen, die unsere Gleichgesinnten stellen, möchte ich hier kurz
gefasst noch einmal aufzeigen:
a.)
Warum wurde die Nds. Staatsoper Hannover im März 2017 nur an 17 Tagen vor
Publikum bespielt?
Das Haus dümpelte an 14 Tagen unter voller Kostenlast leer vor sich hin.
Warum stand im März 2017 dabei nur eine Oper auf dem Spielplan?
b.) Warum wurden Karten z.B. am 17.03.2017 für Candide nach dem Motto
’buy one, get one free’ verschenkt, wenn denn die Freunde der Oper die
Produktion in einem Artikel der HAZ vier Wochen vorher - am 18.02.2017 - als
“die beste aller möglichen Produktionen“ würdigen?
c.) Warum gibt es für Lot schon im Vorfeld ein Sonderangebot mit dem
Hinweis, für jede gekaufte Karte bekomme man für die nächste Vorstellung
eine frei zur Verfügung gestellt?
d.)
Warum behauptete Herr Dr. Klügl in einer Veröffentlichung der HAZ vom
22.03.2012, die Nds. Staatsoper Hannover entlasse “jeden Tag 1200 glückliche
Menschen“?
Definiert man dies, dann bedeutet es im Sinne der Worte:
’jeden Tag’, also im Schnitt 30 Tage / Monat und ’1.200’ heißt, jeden Tag
volles Haus.
Wenn
dem so war, was es noch zu überprüfen gilt, dann hat die Akzeptanz des
damals angebotenen Spielplans in kürzester Zeit rapide abgenommen, denn
bereits 2014 wurden Werke der Hochkultur mangels Publikumsinteresses
abgesetzt, siehe
Google:
Neues_vom_Tage_22._Juli_2014_'Meistersinger'
Das Sonderangebot galt auch für Giovanni. Ich selber besuchte
eine Vorstellung auf der Basis: ’Kauf’ste eine, krieg’ste ’ne zweite
gratis dazu!’
e.) Die Frage nach den Auslastungszahlen ist meinerseits noch nicht
abschließend untersucht, wobei dann auf die Aussage vom 05.02.2016 auf dem
offiziellen Portal der Region und der Landeshauptstadt Hannover mit
folgendem Wortlaut:
Zitat
Die Staatsoper Hannover -
Im Dezember 2015 lag die durchschnittliche Auslastung bei 88 Prozent, im
Januar sogar bei 90 Prozent. Der überaus positive Besuchertrend scheint sich
auch im laufenden Monat Februar ungebrochen fortzusetzen. Bereits jetzt, in
den ersten Februartagen, liegt die Auslastung bei 80 Prozent.
Zitatende
zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen werden muss.
Erinnert sei in dem Zusammenhang an die Nichtnutzung der Nds. Staatsoper
Hannover vor Publikum im Januar 2016 mit 10 Tagen und im Februar 2016 mit 13
Tagen.
Die entsprechenden ’Leporellos’ oder statistischen Auswertungen derselben
liegen Ihrem Haus sicherlich vor.
●
Abschließend noch ein
Wort zum Vorgang Nds. Landesrechnungshof.
Meine Eingabe erfolgte am 16.04.2016 –
– nachgefragt wurde meinerseits am 08.08.2016,
– nachgefragt wurde durch RA Wahner am 25.01.2017.
Am
09.02.2017 teilte der Nds. Landesrechnungshof dann nach knapp neun Monaten
Bearbeitungszeit mit, dass er keine Auskünfte gebe.
Es
ist außerordentlich zu bedauern, dass dieser Vorgang innerhalb der Nds.
Landesregierung Ihnen nicht zur Kenntnis gebracht wurde.
●
Folgende Personen bzw. Institutionen
erhalten Ihr Schreiben vom 20.03.2017:
- Frau Prof. Dr. Rode-Breymann
- Herr Stefan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
- Herr Peter-Jürgen Schneider, Nds. Minister für Finanzen
- Bund der Steuerzahler
- GDBA
- Herr RA Frank Wahner
●
Beigelegt finden Sie
und alle im Verteiler Erwähnten ein Exemplar der April-Ausgabe der
Zeitschrift WohnArt.
Mit freundlichen Grüßen
ML Gilles
im Bund der Steuerzahler
Frauenfiguren in der Literatur oder
“Seien wir froh, dass wir heute leben!“
„Literatur“: Mit Lettern, Buchstaben,
festgehaltene Geschichten! – Wozu braucht man so etwas? –
In der Zauberflöte beschreibt sich Papageno im
zweiten Aufzug 3. Auftritt: „Ich verlange auch im Grunde gar keine Weisheit.
Ich bin so ein Naturmensch, der sich mit Schlaf, Speise und Trank begnügt; -
und wenn es ja sein könnte, dass ich mir einmal ein schönes Weibchen fange
...“
Also: Ein Dach über dem Kopf, Essen und
Trinken und eine Frau zum Kochen, Waschen, Putzen, Sex, und wie er auch sagt
für die „gesellschaftliche Unterhaltung.“ Die Grundbedürfnisse, -
Unterhaltung, - aber noch keine Weisheit! Im Übergang zwischen den
Grundbedürfnissen und der Weisheit liegt die Unterhaltung und danach zeigen
sich einfache und gebildete Menschen unersättlich. Rund um die Welt und in
allen Altersklassen und zu allen Zeiten hatten und haben die Menschen einen
unstillbaren Hunger nach Geschichten. Ob Gruselmärchen von der Oma erzählt
oder Krimi, uns überläuft wohlig die Gänsehaut darüber, dass es uns nicht
betrifft. Ob Ilias, Nibelungenlied, James Bond oder Tatort, wir sind
gespannt wie die Helden aus dem Schlamassel wieder rauskommen. Ob Iphigenie,
Dido, Maria Stuart, Elsa oder Julia in der Telenovela, wir leiden mit den
Liebenden, lassen uns zu Tränen rühren und nähren unseren Zorn auf die bösen
Intrigantinnen.
Über Jahrhunderte wurden Geschichten erzählt,
tradiert den jeweiligen Verhältnissen angepasst und verändert bis durch die
Erfindung der Schrift, - nach der Keilschrift und Bilderschrift in
Mesopotamien und Ägypten. – Phönizier und Griechen die Grundlagen unseres
west- und osteuropäischen Alphabetes schufen, und damit die Möglichkeit
geschaffen wurde sowohl Geschichte, also Geschehenes und Geschichten
aufzuschreiben. Nun sind viele Mitmenschen richtig stolz darauf, dass sie
den ganzen Quatsch aus Büchern nicht brauchen. Sie halten sich an das
tägliche Leben, Gelderwerb, Probleme am Arbeitsplatz, Kräche in der Familie,
- quer durch die sozialen Schichten geht die Ablehnung von Literatur, vom
simplen Biertrinker in der Männerrunde bis zum staubtrockenen Raffke, der
wie Fafner denkt: ich lieg und besitz. – Aber das Gehirn spielt diesen Typen
jede Nacht einen Streich, indem es um die Ereignisse des Tages abzuarbeiten,
Szenen höchst dichterisch-poetischer Art erfindet, - seien sie nun
beängstigend oder aufregend erfreulich oder sexy.
Das menschliche und tierische Sozialleben
zeigt, wie die Verhaltensforschung beweist, hohe Übereinstimmung. Wer
genügend Humor besitzt, kann die Geschichte des homo sapiens auf
Dominanz-Verhalten, Territorial-Verhalten und Fortpflanzungs-Verhalten
reduzieren. Den Kampf um die Position des Alphamännchens oder –weibchens in
Rudel und Herde, ausgeführt mit Geweihen, Hörnern, Hufen und Zähnen,
praktiziert der edle Mensch mit Keule, Schwert, schmucken Schusswaffen aller
Art, Gift, Rufmord oder wilden Redeschlachten. Daraus entstehen
Königsdramen, Politiker und Vermögen. Das Territorialverhalten, bei Tier und
Mensch durch kräftigen Geburtenüberschuss ausgelöst, führt zu
Herdenwanderungen, Einbruch in fremde Reviere, die durch Duftmarken
gekennzeichnet sind, beim Menschen zu Grenzverletzungen, Völkerwanderungen,
Eroberungskriegen, Unterwerfung und Vernichtung vermeintlich minderwertiger
Mitmenschen und immer hübsch dekoriert mit dem Segen einer Gottheit. Daraus
entstehen die Heldenlieder.
Das Fortpflanzungs-Verhalten zeigt die
vielfältigsten Varianten, von der groben Vergewaltigung, bei menschlichen
Kriegern, Patriarchen und Machos als Waffe üblich, - bis zu Balzritualen wie
Tänzen und Gesängen bei eleganten Vögeln, Imponiergehabe von Hengsten,
Hirschen, Gockeln, Überreichung von Futtergeschenken und Hinweise auf
Fähigkeiten wie Verteidigungsbereitschaft und Nestbau. Unübertrefflich ist
beim Menschen das künstlerisch sublimierte Werbespiel.
Daraus entsteht die Herz erwärmende
Romanliteratur von Longos‘ Daphnis und Cloë bis Rosamunde Pilcher. Aber auch
die Lyrik, das Drama, die Oper, die Operette, das Musical, Schlager und
Songs. Die Übergänge zwischen Kunst und Kitsch sind fließend, aber der
Hunger nach love-stories ist riesig und ernährt manchen Berufszweig.
Auch ich habe davon gelebt und habe auf der
Bühne viele Leben gelebt, denn jede Rolle bietet Einblick in ein heftiges
Gefühlsleben.
Während nun der Theatermensch die Aufgabe hat,
den vorgegebenen Text des Dichters und die Noten des Komponisten lebendig
auf die Bühne zu bringen, hat die Wissenschaft die Aufgabe hinter dem Text
den Begriff zu erarbeiten. Welche Begriffe sind es denn, die uns hinter
einem Text interessieren? Zuerst einmal sagt sich jeder entweder: es
interessiert mich, es ist spannend, es rührt mich, es macht mich an – wie
man heute sagt, - oder es ist mir gleichgültig, es ist mir zu hoch oder zu
blöd, oder: es bringt mich zu einer wertvollen Selbsterkenntnis. Die
Aufgeschlossenheit für literarische Situationen, Personen, ihre Handlungen
und die dahinter liegenden Begriffe wie Schönheit und Hässlichkeit, Güte und
Brutalität, Moral und Verbrechen, Klugheit und Dummheit, Sympathie und
Aversion sind höchst unterschiedlich und hängen von der Disposition des
Einzelnen, seiner Sozialisation und dem Grundkonsens seiner Umgebung ab.
Gierig nach Geschichten sind wir alle, und der
Geschichte der Geschichten nachzuforschen und wie ich es heute einmal
wenigstens an einigen markanten Beispielen aufzeigen möchte, ist für die
edle Selbsterkenntnis sehr nützlich. Eine Disziplin, die erst seit etwa zwei
Jahrzehnten den Blick auf Geschichte und Kulturgeschichte in eine andere
Richtung gelenkt hat, ist die Gender-Forschung. Den Anteil der Frauen in den
wechselnden Epochen, die durch die Überbetonung des Wertes männlicher
Aggression in Eroberungen und Kriegen zum vorherrschenden Stoff der
Historiographie wurden, aufzuzeigen, ist inzwischen nach Ablehnung, Hohn und
Spott zum anerkannten Forschungszweig geworden und deckt die Machenschaften
auf, die die Frauen in eine mehrtausendjährige Entmündigung und
Unterdrückung brachten.
Die Veränderung der wandernden hominiden
Gruppen, bei denen aller Besitz allen gehörte und alle Kinder der
Gruppenmitglieder erbberechtigt waren, zu sesshaften Ackerbauern und
Viehzüchtern (im lateinischen pecus (Vieh) gleich pecunia: Geld) ergab eine
sich über lange Zeiträume radikal verschlechternde Stellung der Frauen von
der geachteten Lebensspenderin, die in vielen Göttinnen verehrt wurde, zum
versklavten Besitz des Patriarchen, mit dem einzigen Zweck, unter strengster
Bewachung legale Söhne und Erben zu gebären und rechtlos die verachteten
Arbeiten zu erledigen. Aus dem matrilinearen Recht wurde das patrilineare
Recht, aus der bunten Göttinnen- und Göttergesellschaft wurde der unfrohe
Monotheismus, dessen Verkünder alles daran setzten, die Frau, von der sie
gezwungenermaßen sexuell abhängig waren, im Namen des Vatergottes als
Nicht-Mensch und personifizierte Sünde darzustellen. Dazu die berühmten
Sätze von Friedrich Engels aus seinem Buch: „Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staates“ von 1884: „Der Umsturz des Mutterrechts war
die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann
ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet,
Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte
Stellung der Frau, wie sie namentlich bei den Griechen der heroischen und
noch mehr der klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmählich beschönigt
und verheuchelt, auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden;
beseitigt ist sie keineswegs.“
Für die Literatur und das Theater waren nun
die Grenzen abgesteckt, zwischen denen sich Männer und Frauen begegnen, und
das von 535 v. d. Zeitrechnung, als Thespis auf Geheiß des Peisistratos zum
erstenmal bei den Dionysien dem Chor gegenüber einen einzelnen Schauspieler,
den Antworter, verwendete, damit die Tragodia erfand, die bis heute vom
Leiden und Sterben des Menschen, vor allem von Frauen berichtet.
Eine Generation später stehen wir schon vor
der Hochblüte der griechischen Tragödie der drei großen Dichter: Aischylos,
Sophokles und Euripides, deren Werke dem abendländischen Theater bis heute
unter Verschmelzung mit den jeweiligen Zeitströmungen starke Impulse gaben.
Aischylos 525 v. d. Z. bis 456, ist der erste
uns bekannte Dramatiker, der aus Chören, Hymnen, Sprechgesängen eine
dramatische Handlung formte, den zweiten Schauspieler einführte, was die
Voraussetzung für den Dialog ergab. Ihm werden 90 Stücke zugeschrieben, von
denen 7 erhalten sind. Seine Themen sind Vorgänge aus Mythos, Sage und
Historie. Zum ersten Mal tritt bei ihm der Begriff des Tragischen im Sinne
von Trotz und Auflehnung gegen göttliche Gebote deutlich in Erscheinung.
Sophokles 496 v. d. Z. bis 406. Er förderte
die Entwicklung des griechischen Theaters durch die Einführung des dritten
Schauspielers, er stellte den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt der
Handlung und erhob die nach rückwärts aufgerollte Analysis zum
dramaturgischen Prinzip und erklärt damit die Motivierung der Personen. Sein
ethisches Postulat ist die Aufforderung zur Besonnenheit, denn sobald der
Mensch seinen Leidenschaften nachgibt, führt er seinen Untergang herbei. Von
seinen 123 Stücken sind 7 überliefert.
Euripides lebte von etwa 480 v. d. Z. bis 407.
Sein Werk, von seinen 92 Stücken sind 18 überliefert, ist Höhepunkt und Ende
der griechischen Tragödie. Als kennzeichnende Neuerung schildert er den
Menschen, unabhängig von Schicksals- und Göttervorstellungen als von seinen
Leiden und Leidenschaften geschlagen mit psycho-logischem Blick. Zu
Lebzeiten wegen seines kritischen, dialektischen Denkens angefeindet, hat
sein Werk die größte Nachwirkung, indem seine Stücke immer wieder neu- und
nachgedichtet wurden, angefangen von den römischen Dichtern über das
klassische Theater der Franzosen (Racine: Phaedra (Gymnasium!) und die
deutscher Klassiker (Goethe: Iphigenie) bis zum Theater der Gegenwart.
Welche Frauenfiguren behandeln nun die
griechischen Tragödiendichter und welches Verständnis bringen sie für sie
auf? Hinzu kommt, dass Dichter, Komponisten, Maler, Bildhauer, Architekten,
Gärtner, auch Angehörige von pflegerischen Berufen, also Ärzte,
Pflegerinnen, Hebammen in krassem Gegensatz zu den realistischen
Berufszweigen, die mit Macht, Krieg und Geld zu tun hatten und haben,
stehen. –
Ich hoffe, ich fordere ihren Widerspruch
heraus!
Also einige Beispiele:
Aischylos. Die Perser: Atossa, die Mutter, die
angstvoll die Nachricht vom Kriegsschauplatz erwartet, das leidende Opfer.
Der gefesselte Prometheus: Jo, die wahnsinnig
gewordene Königstochter, von Zeus geliebt und von Hera in eine weiße Kuh
verwandelt (durchaus eine Wertschätzung), von einer Bremse gequält den
angeschmiedeten Prometheus besucht, bevor sie in Ägypten in menschliche
Gestalt zurück verwandelt Ruhe findet und dem Gründer von Memphis, Epaphos
das Leben schenkt. – ein Opfer ihrer Reize.
Die Orestie: Klytaimnestra: Königin von Argos,
Gattin des Heerführers Agamemnon. Tötet ihn bei seiner Rückkehr aus dem
trojanischen Krieg, während dessen zehnjähriger Dauer sie die
Staatsgeschäfte führte, bei dessen Beginn ihre Tochter Iphigenie zur
Besänftigung der Götter geopfert wurde und der Kriegsherr als Beute
Kassandra ihr ins Haus brachte.
- Bitte: Lesen Sie unbedingt: Christine
Brückner: Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen, was Klytemnästra an der
Bahre des toten Agamemnon wohl gesagt haben könnte. (In: Wenn du geredet
hättest Desdemona). – Sie wird von ihrem Sohn Orestes getötet, aber er wird
entsühnt, weil Muttermord weniger sträflich ist als Vatermord. -
Das Patriarchat siegt juristisch! Diese Figur
regt uns bis heute auf, - ich finde, sie hatte Recht, das alte Ekel, den
Kriegstreiber, umzubringen! Sie ist also eine Täterin, eine böse Frau.
Sophokles: Antigone. Sie ist eine antike
Heilige, sie beerdigt gegen den Befehl des Königs Kreon ihren Bruder
Polyneikes, wird zum Tode verurteilt und als sie begnadigt werden soll, hat
sie sich schon erhängt. Sie folgt dem göttlichen Gebot des Gewissens und
bewahrt durch ihre Selbsttötung den König davor zum Mörder zu werden. Eine
gute Frau.
Elektra: Tochter Agamemnons, Schwester des
Orestes. Sie lebt nur durch den Hass auf ihre Mutter Klytemnästra und treibt
ihren Bruder zum Mord an ihr und ihrem Lebensgefährten Ägist, aus Rache für
ihren erschlagenen Vater. Alle drei großen Tragiker haben diese Figur
verlebendigt und sie wurde in Dramen, Erzählungen und Opern im Barock bis zu
Sartre, vor allem von Hofmannsthal als Text für Richard Strauss verwendet.
Ist sie nun eine gute Frau, die Gerechtigkeit übt oder eine böse Frau, die
planvoll und kaltblütig ihre Mutter umbringt? Dies ist eine Frage des
Rechtssystems, das sich stark verändert hat und Selbstjustiz heute nicht
mehr zulässt.
Euripides: Medea: Sie half Jason in ihrer
Heimat Kolchis das goldene Vlies zu gewinnen, verliebt sich in ihn, tötet
ihren Bruder, um der Verfolgung zu entgehen, vernichtet für ihn den Riesen
Talos, räumt für ihn die Mörder seiner Familie aus dem Weg, flieht mit ihm
nach Korinth, wo Jason sie nach kurzer, glücklicher Zeit verstößt, um Glauke,
die Tochter König Kreons zu heiraten. Nachdem diese mit einem vergifteten
Gewand zu Tode gebracht wurde, tötet sie die Kinder aus der Verbindung mit
Jason und kann auf einem Drachenwagen ihres göttlichen Großvaters Helios
fliehen. Die zauberkundige Rächerin, die der unheimlichen Hekate nahe stand,
ist der motivische Urkern aller Zauberinnen und Hexen und wirkt bis heute
zum Beispiel im Pasolini-Film mit Maria Callas nach, eine böse Frau.
Alkestis: Der König Admet von Pherä hat ein
Opferritual vergessen, er soll sterben, es sei denn, jemand opfert sich für
ihn. Alkestis, seine Gattin geht für ihn in den Tod, wird aber vom starken
Helden Herakles in einem gewaltigen Ringkampf in der Unterwelt dem Thanatos
entrissen und wieder den Lebenden zugeführt. Eine gute Frau und ein „happy
end“! Unzählige Dichter von Hans Sachs bis Thornton Wilder, viele barocke
Komponisten: Lully, Händel, Gluck, Calzabigi schrieben über sie und für
Richard Wagner war sie wohl ein Vorbild für seine liebestodsüchtigen Frauen.
Wie aber war das reale Leben der griechischen
Frauen zur Zeit der Entstehung dieser Stücke, deren Themen ja aus
vorpatriarchalen Zeiten stammen?
Kurz gesagt, es war äußerst unerfreulich! Das
Paradox der Hochkultur Athens im 5. Jahrh. v. u. Z. liegt darin, dass sie
einerseits eine der ersten echten Volkskulturen war, andererseits aber den
größten Teil des Volkes unbeteiligt ließ. Das kulturelle Leben war zwar
nicht mehr das Reservat einer dünnen Oberschicht, sondern eine Angelegenheit
der großen Masse aller Freien. Diese Freien erhielten aber ihre
Existenzmittel vornehmlich durch die Arbeit von Sklaven und konnten sich
deshalb um ihre Kultur kümmern, weil ihre Frauen ihnen die Arbeit im
Haushalt und bei der Erziehung der kleinen Kinder abnahmen. Die Frauen aber
waren ebenso rechtlos wie die Sklaven und ebensowenig an der Schöpfung der
kulturellen Werte oder deren Nutznießung beteiligt. Politische Rechte
besaßen die Frauen nicht, da diese an die Wehrfähigkeit geknüpft waren, sie
vererbten politische Rechte zwar an die Söhne, nicht aber an die Töchter.
Diese lernten von ihren Müttern, sofern sie nicht Analphabeten waren,
bestenfalls die Rudimente des Lesens und Schreibens, dazu Kochen, Weben,
Spinnen, Flicken und Putzen. Der gemeinsame Nenner zahlloser Philosophen
über die Minderwertigkeit der Frau liegt in dem Syllogismus, dass Frauen
minderwertig seien, weil sie weder das Feingefühl noch die Tugend der Männer
besäßen. Deshalb seien sie auch nicht der Erziehung würdig, die man den
Knaben angedeihen ließ. Da es aber gerade diese Erziehung war, die den
Knaben ästhetisches Feingefühl und ethisches Denken beibringen sollte, lief
die männliche Logik darauf hinaus, dass die Frauen minderwertig seien, weil
sie keine Erziehung hatten, und dass man ihnen keine Erziehung zu geben
brauche, da sie minderwertig seien. Bei ihren ehrbaren aber dumm gehaltenen
Frauen langweilten sich die Männer, flüchteten zu den Hetären, die zumindest
ein Minimum an Erziehung genossen hatten. Da sie aber unehrenhafte,
käufliche Frauen waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu den alten
Sexualidealen der Vorfahren zurückzukehren: zu den Knaben, denen sie nicht
nur Liebe, sondern auch Wissen schenken konnten.
Was blieb den Frauen, die mit 16 Jahren in
eine Ehe gegeben und ins Haus eingesperrt wurden, an Überlebensstrategie und
Lebensfreude? Einige Feste und Riten, die ihnen allein gehörten, Klatsch und
Tratsch, Kleidung und Putz und die Freude mit List ihren Tyrannen zu
hintergehen. Außer bei der Erzieherin und Dichterin Sappho hätte wohl keine
von uns im klassischen Griechenland eine Frau sein mögen, sondern: seien wir
froh, dass wir heute leben!
Gemeinwesen, deren Ehre nur in Kämpfen und
Töten besteht, um als Held zu glänzen, die sich in spitzfindigen,
philosophischen Gedankengängen ausbreiten, zweifellos schöne Spiele des
Geistes, die aber nützliche Arbeiten wie das Herstellen von Nahrung und
Kleidung zutiefst verachten, können auf die Dauer nicht gedeihen. Und so kam
es denn, dass die Helden der Stadtstaaten sich in Bruderkämpfen
zerfleischten.
Gemeinwesen, wir sehen es jetzt an den
islamistischen Ländern, die ihre Frauen verabscheuen und quälen, werden an
ihrer Aggressivität zu Grunde gehen. Gemeinwesen, deren Vordenker zur
Verachtung der Frauen aufrufen, sind von Gift durchzogen. Mag Aristoteles
ein noch so großer Philosoph gewesen sein, ich kann ihm seine Behauptung
nicht verzeihen: „Die Frau ist ein verstümmelter Mann. Es gibt eine Sache,
die die Frau nicht hat, das Prinzip der Seele.“
Von den großen griechischen Dichtern war es
nur Euripides, der in seinen Frauengestalten: Iphigenie, Helena, Troerinnen,
Hekabe, Andromache, Phaedra, Elektra, - das Theater zum Forum im Kampf der
Frauen um ein menschenwürdiges Leben machte, dafür aber sofort der
Gottlosigkeit und Schamlosigkeit angeklagt wurde. Ein einmaliges Dokument
seines so völlig anderen Denkens ist der große Monolog der Medea von 431 v.
u. Z. (lesen). (Buch)
Die Tragödie war ein festliches Ereignis, eine
Welt der Kunst, die Reinigung Katharsis durch Mitleid und Schrecken bewirken
sollte. Die Komödie aber schilderte viel mehr vom wirklichen Leben, war derb
und zotig, deshalb hatten die Frauen, weil es ja was zu lachen gab, keinen
Zutritt. Drei Formen der Komödie gab es: 1.) die theatralische Travestie des
Außermenschlichen, - also ein Verulken der Götter, 2.) die Karikatur des
Zwischenmenschlichen, - also das Bloßstellen von Verhalten wie Betrug, Geiz,
Angeberei u. ä., 3.) die aktuelle Polemik, - also das Eingehen auf
politische Machenschaften, - die Themen der Kabarettisten bis heute.
Aus der Vielzahl der Komödiendichter im
Zeitalter der „alten“ attischen Komödie ragen heraus: Krates, Kratinos,
Eupolis und der bis heute noch aufgeführte Aristophanes. Nicht singuläre
Frauenfiguren wie bei Euripides agieren, sondern Typen mit den ihnen
zugehörigen Masken: die keifende Alte, die beschränkte, ewig Staunende, die
verfressene Dicke, die ewig Heulende, und das unbekümmert lachende, junge
Mädchen.
Es wird leidenschaftlich-komisch getanzt, die
Körper sind grotesk ausgestopft, Kostüme, der Phallos, Kopfputz und
Schuhwerk tragen zur Charakterisierung bei, so dass die Zuschauer sofort
erkennen, wer die Szene betritt.
Die Komödie des Aristophanes „Lysistrate“, in
der die Frauen Athens und Spartas einen Sex-Streik durchführen, um die
Männer vom unsinnigen Krieg der beiden besten Hellenenvölker abzubringen,
könnte doch bei den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten in den
technisierten Ländern und der größeren Solidarität der Frauen ein Vorbild
für Frieden schaffende Maßnahmen sein! Nachhaltig war die Abstinenz leider
damals nicht. Man prügelte sich in Kleinasien, man prügelte sich in
Makedonien, man prügelte sich in Sizilien und es prügelten sich die
Stadtstaaten untereinander, bis der lachende Dritte, die aufstrebende
Weltmacht Rom zu Hilfe gerufen wurde, 148 v. u. Z. wird Makedonien römische
Provinz. 146 wird Griechenland als Achaia römische Provinz, 133 wird das
Reich Pergamon als Asia römische Provinz, Pontos und Syrien werden
einverleibt, im J. 30 bringt sich Kleopatra um, Ägypten wird römische
Provinz. In Hellas wurde das politische Potential vom Geist her geformt mit
der demokratisch regierten Polis als Mittelpunkt. In Rom ging der Impetus
aller staatsbildenden Kräfte von militärischen und ökonomischen
Machtbestrebungen aus, deren kulturelle Ausformung zwar erfreulich, aber
keineswegs lebensnotwendig war. Die „Polis“ und die „res publica“ waren
grundverschieden. Im von oben regierten Imperium Romanum hatte die
Bevölkerung keine Gelegenheit zu öffentlichen Kundgebungen, sondern nutzte
die Prunkaufführungen im Theater zu gemeinsamer Zustimmung oder Beschwerde,
von den Herrschenden aufmerksam beobachtet. Prachtvolle Theaterbauten
entstanden nach griechischem Vorbild, die wie z. B. Orange heute noch
genutzt werden, in Nordafrika z. B. Dougga, in Syrien Bosra, in Germanien
Xanten und Trier. Auch das römische Theater hat kultische Ursprünge und
entwickelte sich zunächst aus regionalen Festen. Bei den Oskern in Campanien,
im Städtchen Atella entstanden die Atellanen-Spiele, von Berufsschauspielern
aufgeführte Tragödien mit heiterem Nachspiel.
Ein Stehgreifspiel, von Pomponius und Novius
in literarische Form gerettet, ein Typentheater, wie die später von Carlo
Goldoni im 18. Jahrh. gerettete Commedia dell’arte. Komische Situationen,
vor allem aber geschmeidiger Wortwitz zeichneten die Atellanen-Spiele aus.
Die großen, bleibenden römischen Komödiendichter sind Titus Maccius Plautus
(ca. 244 – 189 v. u. Z.) und Publius Terentius Afer (200 – 159 v. u. Z.).
Mit ihnen erringt das römische Theater Weltrang und bis zum heutigen Tage
weiterlebende Wirkung. Unvergessen ist des Plautus Komödie „Miles gloriosus“.
Der Bramarbas, Uraufführung im Jahr 204 v. u. Z., der Typ des Prahlhals und
Maulhelden, der überlistet wird vom jugendlichen Liebespaar. Er lebt fort im
Falstaff und im Ochs von Lerchenau.
Die Frauenfiguren im „Miles“ sind: die junge
Griechin Philocomasium, von Pyropolinices entführt, aber in Pleusicles
verliebt. Sie spielt auch die Doppelrolle einer vorgetäuschten Schwester.
Dann die Dirne Acroteleutium, die eine tugendsame Dame vortäuscht, die in
den Bramabars verliebt ist. Natürlich bleibt der Schwätzer am Schluss
blamiert und verprügelt zurück. Plautus war selbst Atellanen-Spieler,
weitgereister Kaufmann, in schlechten Zeiten Müllerknecht und Theaterdiener,
bis seine Stücke, - 130 schreibt man ihm zu, - großen Erfolg hatten.
Der Bedarf an Komödien war groß und mancher
Autor ist vergessen. Großen Erfolg hatte der keltische freigelassene
Caecilius, gut „gemanagt“ von Truppendirektor und Spielleiter Ambivos, der
danach den bedeutendsten, nämlich Terenz, unterstützte, den Dichter der
Nobiles, auch ein freigelassener Sklave, der in Aristokratenkreisen
verkehrte, von dem 6 Stücke erhalten sind. Das bekannteste ist: „Der
Eunuch“, Uraufführung i. J. 161 v. u. Z., eine quirlige Liebeskomödie, deren
Frauenfiguren die Hetäre Thais, die junge Pamphilia, die schlaue Dienerin
Pythias, sind. Das männliche Personal sind: der bramabarsierende reiche
Soldat Thraso, der hübsche Liebhaber Phaedria, der als Eunuch verkleidete
Chaerea, der schlaue Sklave Parmeno. – Nur sechs Jahre konnte er seine
Erfolge genießen, aber seine Wirkung geht über die Jahrhunderte, denn
besonders die Humanisten der Renaissance befassten sich mit ihm. Sein
Frauenbild ist zart, er ist voll Verständnis, während Plautus ein derber
Frauenverächter ist, seine Sexualität ist grob, während Terenz Rührung,
Gemüthaftigkeit und bei aller Komik einen feinen Zug zur Empfindsamkeit
zeigt.
Die Feinheiten der Sprache wurden vom
Völkergemisch des römischen Weltreiches natürlich nicht überall verstanden,
und so wurde eine Theaterform, die ohne Worte auskam, äußerst populär: der „Mimus“.
Es war eine ausdrucksvolle Tanz-Pantomime, in der ein Tänzer oft ganze
Tragödien aus der Mythologie darstellte. Namen großer Tänzer sind bekannt,
da die ordnungsliebenden Römer für eine korrekte Aktenlage sorgten, auch wer
die Spiele finanzierte, organisierte, inszenierte. Die Pantomimen-Tänzer
Mnester, Pylades, Bathyllus waren hoch geachtet, wurden gefeiert wie heute
Popstars. In diesem Genre gab es auch Berufs-Tänzerinnen, auch sie tanzten
die großen klassischen Tragödien und Komödien, manchmal sogar als
Hosenrolle, wie Helladia, deren Spezialität der „Hektor“ war. Eine wurde
sogar Kaiserin: Theodora an der Seite Justinians (527 – 565 n. d. Z.).
Inzwischen trat in Galiäa ein bescheidener,
liebenswerter Wanderprediger auf, umgab sich mit armen, einfachen Leuten
und, - wie abscheulich, - mit Frauen. Er predigte Sanftmut und
Nächstenliebe, sogar Feindesliebe und versprach den Menschen guten Willens
statt des grauen Hades ein Paradies nach dem Tode. Das Leben der Frauen in
Rom unter der Knute des pater familias, des Ehemanns, des Bruders verlief in
Recht- und Besitzlosigkeit, sie durften zwar die Theater besuchen, aber sie
waren Sachen wie Tiere und Sklaven. Beglückt nahmen viele die neue Lehre
auf, dürften sich als Menschen fühlen, organisierten Gemeinden, lehrten und
taten Gutes. Die Atmosphäre der Zeitenwende schildert äußerst lebendig Oscar
Wilde in seiner „Salome“. Die Dichter Catull, Sallust, Horaz, Ovid schrieben
perfekte Lyrik, bleibende Frauenfiguren schufen sie nicht. Das römische
Weltreich hatte sich überdehnt und trotz der fabelhaften Organisation, der
einheitlich eleganten Bauweise, der Transportwege, der schönen Kleidung
(wenn man Geld hatte) hätte ich, - bei aller Bewunderung, - in dieser
knallharten Männerwelt als stumme rechtlose Sache nicht leben mögen! Also:
Seien wir froh, dass wir heute leben!
Das Kaisertum pervertierte, die
Völkerwanderung brach herein, bescherte uns das Nibelungenlied, das
Urchristentum brachte den Frauen ein paar Jahrzehnte Wertschätzung, aber
schon geiferten die Kirchenväter. Paulus verbot ihnen das Lehren und das
Reden, aber ich werde mich hüten, Weiteres zu zitieren, es könnte ja noch
Rest-Patriarchen geben ...!
Im Jahre 312 siegte Constantin über Maxentius,
313 wurde im Toleranzedikt von Mailand das Ende der Christenverfolgung
proklamiert, das Christentum wurde Staatsreligion, das Theater wurde
christlich, Westrom endete durch Odoakar, Ost-Rom, Byzanz blühte auf unter
Justinian, der ja schließlich mit einer Theaterfrau verheiratet war. Alle
griechisch-römischen Theaterformen waren lebendig, aber aus den kirchlichen
Feiern zu Ostern und Weihnachten entwickelten sich die geistlichen Spiele
aus den beweglichen Teilen der Messe, die nach und nach nicht nur gesungen,
sondern auch dargestellt wurden. Urpflanze des Versuchs innerhalb der
liturgischen Schranke eine Versinnlichung mit mimisch-dramatischen Mitteln
herbeizuführen ist der Tropus zum Oster-Introitus: „Quem quaeritis o
christicolae?“ Aus der visitatio der drei Marien am Grabe Jesu und dem
Gespräch mit dem Engel und Jesu Erscheinung als Gärtner erwuchs im Laufe der
Jahrhunderte der vielästige Baum des abendländisch religiösen
Kirchenraum-Theaters. Sehr zum Ärger des Patriarchen Joh. Chrysostomus, der
wider das „Theater des Teufels“ predigte und zum Erstaunen von Bischof
Liutprand, der 968 / 69 als Gesandter Otto I. die Verwandlung der Hagia
Sophia in ein Theater erlebte.
Wie ein Mosaik gestaltete sich das geistliche
Theater aus der Überschichtung von griechischer Antike und neuem
Christentum. Ein unbekannter Verfasser im 11. Jahr-hundert lässt Maria und
alle die anderen heiligen Gestalten umgeformte Verse aus den Werken des
Euripides sprechen und so lebt Medea versteckt unter dem Mantel der
Muttergottes weiter!
Was immer man über das Stück „Christus paschon“
denken mag, es hatte Erfolg und zeugt von genauer Kenntnis der griechischen
Tragiker und ihrer Lebendigkeit. Die geistlichen Spiele wachsen über den
Kirchenraum hinaus auf die Marktplätze, aus dem fröhlichen Dionysos wird der
Teufel, es entwickeln sich Passions-Propheten- und Legendenspiele und hin
und wieder darf sogar eine weibliche Darstellerin mitspielen. Die
wichtigsten Frauenfiguren waren Maria, die Mutter Jesu und Maria Magdalena.
Wo alle Rollen Typen sind, ist Magdalena die erste mittelalterliche
Bühnengestalt, die eine seelisch-charakterliche Entwicklung, einen
Auffassungswandel des Weltbildes, eine grundlegende Umkehr ihrer Seinsweise
zu spielen hatte.
Aber die Leute wollten auch lachen und so
schlugen die Spielleute und Gaukler im Bereich des weltlichen Theaters die
Brücke zwischen Antike und Mittelalter. In Süd-Frankreich entstand die Kunst
der Troubadours, von deren Galanterie wir heute sogar manchmal noch etwas
profitieren.
Aus den Frühlings-Reigen und kultischen
Frühlingsläufen – zum Winter austreiben – vorchristlich germanischer Zeit
entwickelten sich die Fastnachtsspiele und die deftigen Farcen, von
Burschenbünden organisiert und gespielt, Alltagsgeschichten in Kurzform mit
viel politischer Satire, Übertreibung der Leidenschaften in
Zornesausbrüchen, grellem Lachen und Weinen. Eben dadurch wird das
Fastnachtspiel, das in seinen Anfängen völlig unliterarisch und nur als
Anstoß zur komisch-theatralischen Verkörperung erfassbar ist, auch von
seinem holzschnittartigen Aufführungsstil her vollendeter Ausdruck einer
ganzen Epoche. Beispiel: Hans Sachs (1494 – 1576). An Plautus und Terenz
geschult, schrieb er 4275 Meisterschulgedichte, 1700 Erzählungen, 208
dramatische Dichtungen.
Im 14. und 15. Jahrhundert existierten noch
zwei wichtige, ernsthaft moralische Theaterformen: die Totentänze und die
Moralitäten-Spiele, deren Figuren Abstracta in ihren Gegensätzen waren; der
Kampf der guten und der bösen Seelenkräfte: Fides streitet gegen Idolatria,
Pudicitia gegen Libido, Patientia gegen Ira, Superbia gegen Humilitas. Ein
noch lebendes Moralitäten-Spiel ist H. v. Hofmannsthals „Jedermann“, das
jährliche große Ereignis vor dem Dom in Salzburg, prominenteste Frauenfigur
ist die „Buhlschaft“. Kathedralen und Dämonenwahn, Frauenfeindschaft und
Jungfrauenkult, Kreuzzüge und Raubritter, feinste Handwerkskunst und
verkotete Straßen, Pest und Minnegesang, edle Heiligenbildnisse und
Hexenverbrennungen, also: Seien wir froh, dass wir heute leben!
Kaum ist jemals ein neues Zeitalter so jubelnd
und mit so viel Erwartungen begrüßt worden wie die Renaissance. Seit Cimabuë,
der Vorläufer Giottos, um 1300 vermutlich zum ersten Mal den Ausdruck „rinascimento“
als Kennwort der neuen Bewegung brauchte, wurde es zum Schlachtruf an der
Wende zweier Weltalter und zum Symbol einer in mehreren großen Wellen
vorangetragenen Kulturentwicklung, die in ihrer wandelnden Kraft nicht nur
alle Künste, sondern den gesamten Lebensstil, einschließlich der politischen
Lebensform erfasste. Die Perspektive, die naturwissenschaftliche Forschung
im Kampf mit der Kirche, das Individuum erhob sich über den Typus, spanische
und englische Dichter schrieben Stücke, die heute noch lebendig sind. „Lope
de Vega“, „Tirso de Molina“, der den Don Juan-Stoff zum ersten Mal
dramatisierte, und dessen quirliger „Don Gil von den grünen Hosen“, ein
Mantel- und Degen-Stück immer noch ein Leckerbissen im Spielplan ist, dazu
Calderon de la Barca, Spaniens größter Dichter, von dessen etwa 400
Bühnenstücken 108 überliefert sind, und der sowohl die geistlichen
Festspiele als auch die pfiffigen Komödien beherrschte, z. B. Dame Kobold,
in der Dona Angela mit vorgetäuschtem Spuk und viel Schlauheit sich den Mann
ihres Herzens erkämpft. Aber immer noch sind Frauen Sachen,
Verhandlungsmasse des Patriarchen , der sie nach Gutdünken in eine Ehe geben
konnte, wie der ehrbare „Richter von Zalamea“, der seine Tochter Isabel zur
Herstellung der Familienehre ihrem Vergewaltiger in die Ehe gibt, was uns an
die Zwangsehen heutiger muslimischer Mädchen erinnert.
Das größte, fruchtbarste Genie der Zeit war
natürlich William Shakespeare (1564 – 1616), der einen wahren Kosmos von
Werken unterschiedlichster Art, vom bluttriefenden Geschichtsdrama, der
Verarbeitung antiker Vorlagen, trauriger Liebesgeschichten und pikanter
Komödien schuf. Er war wie Euripides ein Praktiker und seine Frauenfiguren
sind keine Typen, sondern Charaktere, die eine Entwicklung durchlaufen. Da
ist die jugendlich liebende Julia im Zwang der Familienfehde, die mit ihrem
Tod uns auch heute noch rührt, die machtbesessene Lady Macbeth, deren
Gewissen sie in den Wahnsinn treibt, die lichte Desdemona, die das Opfer von
Othellos Eifersucht wird, - es lohnt sich, in seine Welt einzutauchen und zu
lesen, da heutige hirnrissige Regisseure die Stücke ja derartig entstellen,
dass man sich nur noch ekelt, - jammerschade!
Um 1600 entstand auch eine Kunstform, in der
die „camerata“ um den Grafen Bardi in Florenz das antike, musikalisch
geschmückte Drama wiedererwecken wollte. Es entstand die „Oper“, der
schönste Irrtum der Kulturgeschichte, der uns bis in die vierziger Jahre des
20. Jahrhunderts die unterschiedlichsten Frauenfiguren schenkte. Während im
17. Jahrhundert in Deutschland der 30-jährige Krieg tobte, entstand in
Frankreich eine große dramatische Literatur, die Klassiker Corneille und
Racine führten die Schönheit der Sprache zum höchsten Gipfel, aber ihre
Themen sind wiederum der Antike oder der Geschichte entnommen, wie die
großartige „Phädra“ von Racine. Sie verblassten im Laufe der Zeit, aber
höchst lebendig geblieben sind die in der französischen Farce wurzelnden
Werke von Molière, der durch zugespitzte Charakteristik, Herausmeißelung
bestimmter menschlicher Eigenschaften: Geiz, Heuchelei, Misanthropie,
Hypochondrie die Kunst der Komödie auf einen weithin leuchtenden Gipfel
führte. Seine Frauenfiguren: Ehefrauen, Töchter, Kammerzofen, -sind schlau
und kokett, - die Überlebensstrategie der Zeit, - in der die kulturelle
Entfaltung nicht mehr Sache der Bürger, sondern der Höfe war. „Trionfi“ zu
Ehren der Herrscher mit fantastischen Maschineneffekten, an denen in Italien
selbst ein Genie wie Leonardo da Vinci beteiligt war, ließen die Stände
auseinander brechen. Der Hof lebte im Luxus, das Volk verarmte und wurde
dumm gehalten, bis sich am Ende des 18. Jahrhunderts nach dem unglaublichen
Pomp des Barockzeitalters - des überfeinerten Rokoko - die französische
Revolution – Beaumarchais schrieb „Ein toller Tag“ -, den freien Bürger in
liberté, égalité, fraternité nach grausamen Wirren hervorbringt, - natürlich
nicht die freie Bürgerin, das dauerte noch mehr als 150 Jahre.
Die Frauenfiguren der deutschen Klassik sind
blass, an den Tugenden der Antike oder des Pietismus orientiert:
Leidensfähigkeit, Schweigsamkeit, Liebesfähigkeit, also echte
Patriarchengeschöpfe wie Goethes Gretchen und Iphigenie, Schillers Jungfrau
von Orleans und Luise Miller. Vielleicht wäre es reizvoll gewesen als adlige
Dame an einem italienischen Musenhof in Florenz oder Ferrara im 16. und 17.
Jahrhundert gelebt zu haben, Gift und Dolch waren aber schnell bei der Hand,
die Inquisition war mächtig, und wehe auch der schönsten, klügsten Frau,
wenn sie in Ungnade fiel. Also beenden wir auch das 16., 17. und 18.
Jahrhundert mit dem Satz: Seien wir froh, dass wir heute leben!
Hatte die Aufklärung die Menschen - natürlich
nur die Männer und einige wenige Frauen - das wissenschaftliche Denken, den
methodischen Zweifel gelehrt und ihn aus der „selbstverschuldeten
Unmündigkeit“, wie Kant es sagte, geführt, so setzte das 19. Jahrhundert die
Industrialisierung in die Tat um, kämpften freiheitliche Kreise um die
parlamentarische Demokratie, aber gleichzeitig gab es Strömungen von
Romantik, biedermeierlicher Zurückgezogenheit und den Historismus. Die Macht
der Religion war wenigstens so weit zurückgedrängt, dass nicht jede
Ungerechtigkeit als gottgewollt akzeptiert wurde, die ständische Ordnung
wankte, nach und nach wurde die Sklaverei abgeschafft und endlich erkannten
einige Dichter, dass auch Frauen Individuen mit speziellen Eigenschaften und
Bedürfnissen sind. Zaghaft verlangen die Frauen ein Recht auf Bildung; der
Freiheitskampf nach Jahrtausenden patriarchaler Herrschaft begann, natürlich
auf das Heftigste hintertrieben, auch von R. Wagner, für den das Weib ein
Gattungswesen war, nur dazu bestimmt, dem Mann zu dienen und ihn geradezu
zwanghaft zu lieben.
Die Frauenfiguren des 19. Jahrhunderts
spiegeln die unterschiedlichen Strömungen in der Sicht der Dichter. Da ist
Kleist’s somnambul liebendes „Käthchen von Heilbronn“, aber auch seine
lebenstüchtige „Marthe Rull“ im „Zerbrochenen Krug“, eine ältere, robuste
Frau, eine Figur, die bisher nur negativ verzeichnet als keifende, böse Alte
in den Komödien fürs Volk erschien. Diese „patente Frau“ aus dem Volk kommt
wieder im Naturalismus Gerhard Hauptmanns als „Frau Wolff“ im Biberpelz, als
Brechts harte „Mutter Courage“ bis zu den Fernseh-Serien wie „Die
Unverbesserlichen“. In den Romanen der Zeit beginnen die Dichter und später
Siegmund Freud zu entdecken, dass Frauen auch erotische Bedürfnisse haben,
und dass deren gewaltsame Unterdrückung zu gesundheitlichen Katastrophen
führt. Georg Büchners Fragment „Woyzek“ zeigt uns in der Figur der
lebenshungrigen „Marie“ die Zwänge der Standesgesellschaft und die Zwänge
religiöser Indoktrination, und so muss sie vernichtet werden. – Ich habe es
in der Oper am eigenen Leibe erlebt!
Vernichtet wurden auch die liebenden Frauen:
Flauberts Madame Bovary. Dostojewskis Anna Karenina, Walter Scotts Lucia di
Lammermoor, Alexandre Dumas Cameliendame, Hebbels Mariamne, Brunhild und
Kriemhild, Ibsens Nora und Strindbergs Albtraumfrauen, alle Frauenfiguren R.
Wagners bis auf das heitere Meistersinger-Evchen und die zähe Ortrud,
Prosper Merrimés Carmen, Oscar Wildes Salome, Wedekinds Erdgeist-Lulu. Wie
zu bemerken ist, sind viele in die Opernliteratur eingegangen, weil es doch
so poetisch ist, wenn eine schöne Frau stirbt. Angesichts dieser
Leichenberge toter Frauen, deren Verbrechen darin bestand, dass sie liebten,
wiederhole ich mein Rondo: Seien wir froh, dass wir heute leben!
Im zweiten Weltkrieg brach das männliche
Heldenideal im Inferno der Zerstörung zusammen und die Töchter und
Enkelinnen der Überlebenden lassen sich nicht mehr ihre Inferiorität
indoktrinieren. Unsere Zeit ist zwar unpoetisch, dafür können wir aber ein
recht selbstbestimmtes Leben führen, denn die Erklärung der Menschenrechte
der UN von 1948 und das deutsche Gleichheitsgesetz von 1957 – das noch
etlicher Verbesserungen bedurfte -, sind Grundlagen, die hoffentlich bald zu
einem globalen Konsens führen.
Das Fernsehen hat Bühne und Buch beerbt und
bietet uns Frauenfiguren so vielfältig wie die Menschen nun mal sind. Aber
wer nicht hinschauen mag, drückt den Knopf. Die Kunst hat sich aufgespalten
in unendlich viele Richtungen, von der immensen Unterhaltungs-Industrie bis
zur „Neuen Musik“, die nachts aus dem Radio fiept. Aber auf Tonträgern und
DVD kann sich jeder in die Nähe holen, was seine Seele braucht. Die Technik
ist das Medium unserer Zeit, hilft uns die alten Schätze zu hüten und neue
Klänge und Farbenspiele zu erfinden. Keine kreative Frau wird mehr daran
gehindert: Also: Freuen wir uns, dass wir hier und heute leben!
Kommentar
“Das kostet uns richtig
viel Geld.
Mit welchem Recht sagen wir, die Infrastruktur-
Einrichtung Theater ist wichtiger als die
Infrastruktur-Einrichtung Stadion?”,
fragte er rhetorisch in den Saal,
der mit großem Applaus antwortete."
Regensburger Wochenblatt am 16.11.2010
über eine
Aussage von Bürgermeister Wolbergs während einer
Podiumsdiskussion zum Neubau eines Fußballstadions in Regensburg.
|
Inzwischen steht das Stadion in Regensburg und ist im Schwarzbuch vom Bund
der Steuerzahler kritisch vermerkt.
Die Stadt hat nun ein kaum besuchtes Stadion und ein teilweise akzeptiertes
Theater.
Ein Kongresszentrum, über das sei dem Ende des letzten Jahrhunderts
diskutiert wird, ist auch wieder im Gespräch. Nun nicht mehr am Donaumarkt,
sondern direkt gegenüber dem Hauptbahnhof.
Der Name ’RKK’ wird trotz der Nähe zur Akürzung der ’Reichskulturkammer’
beibehalten, nachdem man den ersten Begriff ’RKZ’ dann doch verwarf.
Wie die Regensburger Bevölkerung in Bezug auf das Theater reagierte, lässt
sich unschwer aus dem o.a. Kommentar ableiten.
In einem öffentlichen Symposium am 25. Oktober 2016 erläuterte der damals
noch nicht suspendierte Oberbürgermeister aber:
’Sollte es der Stadt Regensburg einmal finanziell schlechter gehen, müsse
man eben eine Sparte schließen.’
Die Medien berichten schon seit vielen Jahren über Sparprogramme und sogar
Schließungen von Theatern.
Im Juli 2013 schrieben verschiedene Zeitung, so auch der ’Spiegel’ über das
Ende des Schauspiels in Wuppertal.
Das Theater Rostock soll im Streit um die Gelder nur noch zwei von damals
vier Sparten führen. Das Schauspiel solle erhalten bleiben, sogar mehr
Stellen bekommen, dafür müsse das Orchester Planstellen abgeben.
Von der Stadt Senftenberg wechselte daraufhin der Sprechtheater- Spezialist
Sewan Latchinian nach Rostock. Er war für diese neue Konstellation -
Schauspiel und Orchester – der richtige Mann.
Dann aber änderte die Stadt ihre Pläne: Es sollte nun in Rostock ein reines
Opernhaus mit entsprechendem Ensemble und Spielplan eingerichtet werden. Die
Idee kam von Stefan Rosinski, dem Volkstheater-Geschäftsführer. Tanz und
Schauspiel sollten als Gastspiele in die Stadt geholt werden.
Günstige Gelegenheit, dem schwierigen Intendanten Latchinian – er hatte die
Kulturpolitik Theaterpolitik in Mecklenburg-Vorpommern mit der
Kulturzerstörung durch den IS verglichen - zu kündigen, denn als
Schauspielmann war er für die Oper überflüssig – so Bürgermeister Methling.
Die Stadt stimmte
Juni 2016 zu, alles was in der Ära Latchinian schon schief gelaufen war,
wurde aufgezählt, um den Vertrag aufzulösen.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/volkstheater-rostock-sewan-latchinian-intendant-soll-nach-is-vergleich-entlassen-werden/11559064.html
Das Arbeitsgericht hob die Kündigung im Dezember 2016 auf, der Intendant
müsse weiter beschäftigt werden.
Nun will die Stadt erneut eine Beendigungs des Arbeitsverhältnisses
durchsetzen, da der Intendant in einem Interview auf Youtube die Bürger
Rostocks als ’Hansel’ bezeichnete, außerdem sei die Politik der Stadt und
des Landes ’kulturlos’.
Daraufhin Sybille Bachmann, Aufsichtsratschefin des Volkstheaters und
Fraktionsvorsitzende des Rostocker Bunds “Er wird nie mehr Intendant in
Rostock sein. Es geht ihm im Rechtsstreit gegen das Theater nur ums Geld, um
eine Abfindung.“
(06.02.2017 20:32 Uhr – Ostsee-Zeitung.de)
http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Kultur/Volkstheater/Ex-Intendant-Sewan-Latchinian-beleidigt-Hansestadt
Zu dem Querelen um den Intendanten kamen noch geldpolitische Probleme. So
berichtete die Ostsee-Zeitung am 18.06.2016:
Zitat
Das Gesellenstück des Kulturministers, Mathias Brodkorb (SPD, 38), soll
es werden: eine Theater-Reform, die den Bühnen des Landes Bestand und
Angebotsvielfalt sichert – bei stabilen Kosten. Nun dreht der Wind: Die
Reform stecke fest, nach der Landtagswahl werde neu sortiert, ist auch aus
SPD und CDU zu hören. Offiziell steht man zu Brodkorb. Die Opposition aber
fordert Korrektur. Das Land hat den Zuschuss für Theater jetzt von 35,8 auf
38,1 Millionen Euro erhöht, um nicht ständig Defizite ausgleichen zu müssen.
Dennoch reicht das Geld nicht.
2,4
Millionen Euro fehlen dem Theater Vorpommern im kommenden Jahr, da
Haustarife auslaufen. In Neubrandenburg/Neustrelitz fehlen fast 480000 Euro
in 2016. Rund 60 der insgesamt 480 Mitarbeiter sollen beim fusionierten
’Staatstheater Nordost’ gehen. In Rostock stehen 35 von 270 Beschäftigten
noch in diesem Jahr auf der Streichliste. Das Volkstheater versinkt im
Chaos: Intendant Sewan Latchinian ist gefeuert, Noch-Geschäftsführer Stefan
Rosinski nach eigenen Angaben nicht an aktuellen Gesprächen zur
Umstrukturierung des Hauses beteiligt. Neuer Intendant soll Joachim Kümmritz,
bisher aktiv in Schwerin und Neustrelitz, sein. „Ich versuche, Ruhe und
Struktur in den Laden zu bringen“, sagt er. Es fehle an „Besuchern,
Verträgen, klaren Entscheidungen“. Auch im Staatstheater Schwerin, das im
August mit dem Landestheater Parchim fusionieren soll, klaffen Lücken im
Etat. Für 2018 fehlen laut Plan fast 800000 Euro.
Zitatende
http://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/MV-aktuell/Politik/Reform-geplatzt-Den-Theatern-laufen-Kosten-aus-dem-Ruder
http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-04/volkstheater-rostock-latchinian-kulturpolitik
Das sind nur drei Beispiele wie in Deutschland immer wieder die Theater in
die Schlagzeilen geraten.
Das ist allerdings nicht neu.
Doch ist inzwischen in manchen Ratsstuben eine gewisse Müdigkeit
festzustellen, sich immer und immer wieder mit den lokalen Kulturstätten
auseinanderzusetzen.
So kommt es auch zu rigorosen Überlegungen:
Da geht der Düsseldorfer OB (SPD) davon aus, man könne doch das
denkmalgeschützte Schauspielhaus abreißen statt es zu sanieren und wenn was
Neues an der Stelle wieder gebaut würde, könnte man doch ein Kongress- oder
ein Einkaufszentrum dort hinstellen. Das Schauspiel komme dann im
Stadtgebiet irgendwo hin. Inzwischen sind 60 Millionen Euro in die Sanierung
geflossen – und dabei wird es nicht bleiben, denn nun ’bröckelt’ auch die
Fassade.
In Augsburg wollten Bürger eine Theatersanierung verhindern, da die
Finanzierung nicht eindeutig geklärt sei. Das Quorum kam nicht zustande, es
waren ’irrtümlich’ Minderjährige mit ihren Unterschriften dabei oder
Nicht-EU-Bürger oder Personen nannten ihre Namen, die dann in ihrer
Zuordnung zu Personen nicht möglich waren. Nun kann also saniert werden.
Kostenpunkt aus heutiger Sicht 186 Millionen Euro.
Sprengen wollte in Frankfurt am Main der ’rote Rudi’ (Rudi Arndt, SPD, ist
gemeint) die Ruine der Alten Oper.
Eine Bürgerinitiative setzte sich für den Wiederaufbau ein – heute ist der
Konzertsaal eines der schönsten Gebäude in Frankfurt.
Auch in Trier müsste das Haus renoviert werden.
Was aber passiert, wenn man einer Verwaltung die Erfüllung von Aufgaben
überlässt, die sie nicht bewältigen kann, zeigt sich dort.
Es wird jemand als Generalintendant engagiert, der im ländlichen Raum in
Bayern ein kleines Theater führt. Sein Vorgänger dort war Peter Nuësch, er
davor Leiter des Turmtheaters in Regensburg.
2015 also kam der aus Rott am Inn und übernahm die künstlerische Leitung in
Trier.
Vom Sommer 2016 ab wurde er per Dienstordnung auch zuständig für die
kaufmännische Leitung des 3-Sparten-Hauses. Man sagt, dass der neue
Theaterdirektor
für beide Aufgaben zusammen nicht genügend qualifiziert war, er aber dennoch
die Unterstützung des Kulturreferates genoss. Alle Vorgänge – auch die
kaufmännischen – wurden dort abgesegnet.
Als sich dann herausstellte, dass im Theater einiges nicht so lief wie es
sein sollte, war eine Ablösung des Theaterdirektors nicht möglich und – als
weitere Draufgabe – die Verwaltung verlängerte den Vertrag des
Theaterdirektors auch noch in diesen unruhigen Tagen.
Eine hohe Ablösungssumme für den Theaterdirektor ist nun fällig, will man
ihn lossein.
Quintessenz:
Zitat:
Wie häufig ist auch in Trier das Problem, dass
Fehlleistungen Einzelner zu einer Generalabrechnung mit der Institution
Theater genutzt werden.
Zitatende
(Aus dem Fachblatt der Genossenschaft Deutscher Bühnenagehöriger – Ausgabe
12/16)
Michael Ostendorfer -
Der Regensburger Maler der Reformation
erfährt seine überfällige Würdigung
Galt Ostendorfer lange Zeit als Künstler der zweiten Reihe, so wird sein
Schaffen heute neu bewertet: Er zählt aufgrund seiner individuellen und
erzählenden Motivauffassung und wegen seiner Bilderfindungsgabe, die neue
Sichtweisen auf Themen und Motive erschließt, zur ersten Garde der Künstler
der Donauschule.
Allein schon seine Fähigkeiten als Porträtist heben ihn in den Rang eines
Meisters. Selbstbewusst und unübersehbar signiert Ostendorfer seine Bilder
mit seinem Monogramm M. O.
M.O.
Anlässlich des Jubiläums „500 Jahre Reformation“ widmet das Historische
Museum dem Regensburger Künstler Michael Ostendorfer (1490/96-1559) eine
große Ausstellung, die zugleich auch als seine erste Retrospektive
bezeichnet werden kann. Die Schau zeichnet nicht nur den künstlerischen
Werdegang Ostendorfers nach, sie beschäftigt sich auch mit der
Entstehungszeit seiner Werke, die in die Jahrzehnte der Reformation in
Regensburg fällt. Eines der wichtigsten Exponate bildet der
Reformationsaltar, den Ostendorfer in seinen letzten Lebensjahren 1554/55
für die Neupfarrkirche in Regensburg geschaffen hat.
Das protestantische Bildprogramm des Flügelaltars, das wohl von Nikolaus
Gallus entworfen wurde, ist einmalig. Dass Ostendorfer bereits um 1519/20 in
Regensburg hohes Ansehen als Künstler genoss, zeigt seine Zusammenarbeit mit
Hans Hieber bei der Bemalung des repräsentativen Architekturmodells der
Wallfahrtskirche zur „Schönen Maria“, der späteren evangelischen
Neupfarrkirche.
|
|
Michael Ostendorfer:
Apokalypse, 1543, Öl auf Holz, 89 x 82 cm, Leihgabe der Bayerischen
Staatsgemälde Sammlungen WEA 751, Museen der Stadt Regensburg
Dieses großartige Tafelbild zeigt
deutlich Ostendorfers individuelle Herangehensweise an ein Thema.
Bilder des „jüngsten Gerichts“ jener Zeit nehmen sich in der Regel
deutlich drastischer aus, andere Künstler lassen es sich nicht
nehmen, Höllenqualen brutal und grausam auszuformulieren.
Ostendorfer jedoch interpretiert das Geschehen streng nach der
Offenbarung des Johannes Kapitel 7, Vers 1 bis 17 in der
Luther-Übersetzung. Er zeigt nur, was die Textvorlage vorgibt, das
aber bis ins Kleinste. So die Siegelung der Stirn der Gottesknechte,
die vier Engel, welche die Winde anhalten und „das Lamm mitten im
Stuhl“. Er erfindet keine Nebenschauplätze und setzt bildlich den
theologischen Grundsatz „sola scriptura“ (allein durch die Schrift)
um, nach dem die Heilsbotschaft hinreichend durch die Bibel
vermittelt wird und keiner Ergänzung durch kirchliche
Überlieferungen bedarf.
|
Die Ikonografie seiner Werke legt einen definitiven Konfessionswechsel
Ostendorfers in den 1530er-Jahren nahe, zudem wäre es für Katholiken nahezu
unmöglich gewesen, vom Magistrat der Stadt Aufträge zu erhalten. Der
Künstler schuf Holzschnitte für die Flugblatt- und Buchillustration und war
wahrscheinlich Schüler in der Werkstatt von Albrecht Altdorfer, was unter
anderem seine Landschaftsauffassung und seine Behandlung von Miniaturen nahe
legen.
Mit über 100 Objekten zeichnet die Ausstellung das Leben Michael
Ostendorfers und das Fußfassen der Reformation in der Freien Reichsstadt
nach. 14 Ölgemälde Ostendorfers sind zu sehen und 23 seiner Grafiken.
Daneben wird die Schau ergänzt um Schlüsselwerke seiner Regensburger
Zeitgenossen Albrecht Altdorfer, Wolf Huber und Melchior Feselen sowie des
Malerprotagonisten der Reformation schlechthin, Lucas Cranach, des Älteren.
Leihgaben des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg sowie des
Diözesanmuseums und der Neupfarrkirche Regensburg komplettieren die Fülle
der Exponate. Interaktive Stationen wie Hologramme der Neupfarrkirche in all
ihren Phasen der Entstehung oder animierte Erläuterungen zum
Reformationsaltar sowie Virtual-Reality-Headsets zur Entwicklung des
Neupfarrplatzes ab dem Pogrom von 1519 und digitale „Blätterstationen“ mit
Büchern von Nikolaus Gallus und Johannes Eck, zu denen Ostendorfer die
Illustrationen fertigte, erlauben ein vertieftes Einsteigen in Ostendorfers
Welt, sein Glaubensverständnis und in seine Zeit. Des Weiteren gibt es
Stationen, an denen Musik der Ostendorfer zu hören ist. Repräsentative
Objekte wie Kelche, Prunkgefäße, Bücher und Briefe (so auch welche von
Martin Luthers Hand) dokumentieren das protestantische Selbstverständnis
Regensburgs, das sich inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs erst
allmählich, dann aber klar und überzeugt herausbildet.
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Zur
Ausstellung nach einem Konzept von Kurator Dr. Wolfgang Neiser vom
Historischen Museum Regensburg erscheint ein 116 Seiten starker
Kurzführer mit Texten von Carola Kupfer und Illustrationen von
Kathrin Frank, der für drei Euro erhältlich ist. Schirmherr der
Ausstellung ist Regionalbischof Dr. Hans-Martin Weiss.
Michael Ostendorfer und die
Reformation in Regensburg
So, 21. Mai bis So, 5. November
2017
Historisches Museum
Regensburg, Dachauplatz 2–4,
www.regensburg.de/kultur
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Wann genau und wo Michael Ostendorfer
geboren wurde, ist
nicht gesichert, ob 1490 oder 1494 und ob in Osterdorf im Oberallgäu, in
Ostendorf in Schwaben oder in Hemau, wissen wir nicht. 1520 erwirbt
Ostendorfer in Regensburg das Bürgerrecht als angesehener „Maler und
Meister“.
Er ist in erster Ehe verheiratet und gilt als
ehrlicher und treuer Familienvater. Um 1530 wird Ostendorfer von Pfalzgraf
Friedrich II. verpflichtet und unternimmt mit ihm eine Reise nach Wien, wo
er Inspiration zu seinen berühmten Türkenzug-Illustrationen bezieht.
Schließlich geht er mit dem Pfalzgrafen 1536 nach Neumarkt, wo er eine
Anstellung als Hofmaler bekleidet. In einem Verkaufsbrief von 1540 wird
Ostendorfer als „Maler und Bürger von Neumarkt“ genannt. 1544 zieht er mit
dem Haushalt des Pfalzgrafen nach Amberg und ist möglicherweise auch
zeitweise in Heidelberg und Nürnberg tätig, ehe er 1549 wieder Bürger in
Regensburg wird. Nach dem Tod seiner ersten Frau geht er eine zweite und –
wie es heißt – unglückliche Ehe ein, sodass er zeitweise ein armseliges
Leben im Bruderhaus führen muss.
Die Quellenlage zu Ostendorfers Leben ist
dürftig. Um Aufträge zu erhalten, liegt nahe, dass er zum Protestantismus
konvertierte.
Im Gegensatz zu Albrecht Altdorfer, der selbst
im Magistrat saß, musste Ostendorfer um künstlerische Aufgaben nachsuchen.
In Ratsherrn Hiltner hatte er einen Mentor, der ihm unter anderem den
Auftrag zukommen ließ, drei Brunnen zu fassen, den Fortitudobrunnen am
Fischmarkt, den Justitiabrunnen am Haidplatz und den Friedensbrunnen am
Neupfarrplatz, was Ostendorfer als seinem Talent nicht angemessen empfand
und nur zähneknirschend ausführte.
Überliefert ist, dass es wegen Streitigkeiten
mit Nachbarn zu mehreren Prozessen kam und dass sich der Maler für die
Mitgift seiner Töchter verschuldete. Ihm wird ein impulsives Wesen
nachgesagt, dass er gegen Ende seines Lebens verbittert und wegen
ausbleibender Aufträge zum Trinker geworden sei. Schließlich mittellos im
Armenhaus, untersagte ihm und seinen mitarbeitenden Söhnen der Magistrat der
Stadt Regensburg jegliche Kunstausübung: Sobald er Honorar erhalten hätte,
hätte er das Bruderhaus verlassen müssen.
Der Maler, Zeichner und Holzschneider stirbt
am 14. Dezember 1559 in Regensburg. Über seine Grablege existieren keine
Hinweise. Ostendorfers erhaltene Werke sind in zahlreichen Museen und
Sammlungen zu finden: So zeigt die Prager Nationalgalerie seinen „Büßenden
König David“ und das Germanische Museum Nürnberg die „Eligius-Legende“ von
1520. Ostendorfers Ausführungen des Motivs „Judith mit dem Haupt des
Holofernes“ befinden sich in Budapest, Düsseldorf, im
Wallraf-Richartz-Museum Köln sowie in einer Londoner Privatsammlung. Ein
Ostendorfer befindet sich im Privatbesitz der Queen und das großartige
Selbstporträt des Künstlers mit Malerutensilien und Nelke (Bild oben,
Zuschreibung aktuell umstritten) ist im Bestand des Museums Gartenpalais
Liechtenstein in Wien. Der Großteil des Schaffens Ostendorfers (mit
Dauerleihgaben der Bayerischen Staatsgemäldesammlung) findet sich im
Historischen Museum der Stadt Regensburg, so auch sein Hauptwerk: der
Reformationsaltar. Das umfangreiche grafische Werk Ostendorfers
(Holzschnitte, Kupferstiche) befindet sich in Sammlungen in Berlin, Coburg,
Darmstadt, Gotha, Karlsruhe, Nürnberg und Wien.
Nach dem
Renaissancemaler ist das Ostendorfer-Gymnasium in Neumarkt benannt. Die
Regensburger Ostendorferstraße befindet sich im Stadtteil Kumpfmühl, sie
verbindet die Bischof-Wittmann-Straße mit der Kirchmeierstraße.
Zum 475-jährigen
Jubiläum der Reformation in Regensburg hat das Kulturreferat eine Münze
entwerfen lassen, die an Ostendorfer erinnert.
Zum
letzten Mal!
Tausende von Opernfreunden aus aller Welt pilgerten
in die Deutsche Oper Berlin zum ’Ring des Nibelungen’ in der Inszenierung
von Götz Friedruch aus dem Jahr 1984.
Hatte diese uns heute im Zeitalter der Digitalisierung noch etwas zu sagen?
Offensichtlich: Ja!
Der Kampf um Macht und Sex hat einen Zyklus von Werden und Vergehen derWelt
beherrscht, die Erde so zerstört, dass alles Geschehen um Götter, Menschen
und Dämonen sich in einem Bunker, einem Tunnel zurückgezogen hat.
Mythen, Märchen und Legenden deuten die Rätsel der Welt je nach klimatischen
Gegebenheiten: der Eisriese Ymir im Norden und die Feuergöttin Pelé auf
Hawaii. Menschliche Eigenschaften konkretisieren sich in Göttern und Helden.
Sie verändern sich, werden immer wieder neu erzählt, denn der Hunger nach
Geschichten lässt nie nach.
Die Zugangswege zum ’Ring des Nibelungen’ können höchst unterschiedlich
sein. Die Bewun-derung der gewaltigen Musik, die Freude an dramatischen
Stimmen, der spannende Inhalt, die spezielle Sprache, die Philosophie, die
Mythologie, das Frauenbild, die Charakterisierung der Figuren und
Situationen durch Motive, das Gewebe dieser Motive, die Tonartensymbolik,
die Kunst der Instrumentation – es hört nicht auf mit den Wundern.
Das alles auf der Theaterbühne erlebbar zu machen , ist eine fast unlösbare
Aufgabe und ich erinnere mich an Proben mit Götze Friedrich, die seinerseits
fundiert vorbereitet waren und für uns Sängerdarsteller so spannend, dass
die Vorbereitungszeit verflog.
Immer wider beteuerte er, der penible Realist, er werde nie Wagner
inszenieren – und er tat es doch!
Die Idee zum ’Ring im Tunnel’ soll in der U-Bahn in San Francisco entstanden
sein, die Sonderpublikation der Deutschen Oper Berlin zeigt auf, welche
großen Sänger die Vorstellungen gestalteten und dass‚ ’der Ring’ auf
Gastspielreise in Yokohama, Tokyo und Washington gezeigt wurde.
Vor jeder Vorstellung gibt der erfahrene Dramaturg Curt A. Roesler eine
charmante Einführung, bei der er fundiertes Wissen und viel Erfahrung
dokumentiert. Diese Einführung ist beim Publikum so beliebt, dass es die
vielen Treppen zum Hörsaal so hurtig es geht hinaufspurtet, um einen Platz
zu ergattern. Es tut wohl, vertraute Gesichter aus Hannover oder Leipzig zu
sehen und plötzlich steht eine ehemalige Studentin, Mitglied des Chores der
Deutsche Oper Berlin vor mir und es gibt ein herzliches Wiedersehen.
Nun ist man gespannt, wie der Bühnenbildner Peter Sykora und der Regisseur
Götz Friedrich mit den Anforderungen der drei Ebenen: Unterwelt,
Menschenwelt und Götterwelten in der Enge des Tunnels fertig werden.
Der Zuschauerraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Karten waren
schon vor zwei Jahren vergriffen, die 54. und letzte Vorstellung beginnt vor
einem hochkonzentrierten Publikum.
Donald Runnicles, der wie Thielemann, die Laufbahn als Dirigent anständig
als Korrepetitor in Hannover begann lässt das tiefe Es raunen und es
beginnt für ihn und das Orchester ein strapaziöses Abenteuer. Beide,
Dirigent und Orchester, werden nach der ’Götterdämmerung’ bei ihrem
Erscheinen auf der Bühne mit berechtigtem Jubel gefeiert.
Bodentücher, aus denen geheimnisvolle Gestalten ragen, wedelnde,
blauglänzende, hoch oben eingehängte Tücher sind die Materialien der
damaligen Zeit, um die Wasser des Rheins oder einen Wald zu symbolisieren.
Die drei, stimmlich gut auf einander abgestimmten Rheintöchter – Meechot
Marrero, Christina Sidak und Annika Schlicht singen mit verlockendem
Wohllaut. Alberich, der aus seinem rotleuchtenden Höllenspalt am vorderen
Bühnenrand kriecht, hat in Werner von Mechelen einen markigen Darsteller.
’Das Rheingold mit dem Auge von ’Frau Sonne’ in der Mitte ist ein so schön
gearbeitetes Gebilde, dass es eine Goldschmiedin als Anhänger gestalten und
dann im Souveniershop verkaufen sollte. Aber nun ist es zu spät, das Gold
ist geraubt, die Liebe verflucht, die Mädels klagen “Weh“, der 'Tücher-Rhein'
wird weggezogen, auf dem platten Bühnenboden legt eine Gestalt, im
Hintergrund ein buntes Bild in matten Farben: Walhall.
Eine weißgewandete, elegante Dame – Fricka – mit weißer Gesichtsmaske eilt
herbei und weckt die im weißen Mantel mit ebenfalls weißer Gesichtsmaske am
Boden liegende Gestalt: Wotan.
Daniela Sindram als Fricka und später als Waltraute zuzuhören und
zuzuschauen ist eine ungetrübte Freude und Derek Walton ist ein
Belcanto-Wotan, wie man ihn sich wünscht.
Vorsichtig hoffe ich, dass das übrige Sängerpersonal auch diese Qualität
haben möge.
Im Zwiegespräch zwischen Wotan und Fricka schildert uns der präzise
Menschenbeobachter Wagner die Misere zwischen Gier und Vernunft, zwischen
Mann und Frau und des bleibt nicht aus, über die Kriege nachzudenken, die
die großen Führer angerichtet haben und die Trümmer, die dann von den blöden
Weiber dann wieder aufräumen dürfen. Heute ist es nicht anders, denn das
dumme Volk rennt den großmäuligen Möchtegern-Wotanen hinterher.
Auch hier auf der Bühne im 'Berliner-Tunnel' nimmt das Unheil seinen Lauf,
denn Wotan, der Prototyp des Mannes behauptet:
“Wandel und Wechsel liebt, wer lebt, das Spiel drum kann ich nicht sparen!“
Zur Charakterisierung der Figuren und Situationen stellt Richard Wagner die
Grundmaterialien seiner Motivik vor.
Seine Kenntnis der barocken Affektenlehre, die aussagekräftige Funktion der
Intervalle, der Tonart, Rhythmus, Instrumentation, Tempo, innere Bewegung,
Harmonik, durch die eine Person gekennzeichnet wird.
Gleichmäßig schreitende, mit starken Akzenten versehen Viertel, oft im
Marschcharakter und starker Blechbläsereinsatz gehören zu den Mitteln der
Heroenbeschreibung .
Der bürgerliche Mann ist der Erbe Gottes. Die Frau ist unterlegen, auf das
Gebiet der Liebe und Sexualität beschränkt, was mit Opfer, Schmerz und
Verzichtsbereitschaft verbunden ist. Aufwärtsstrebende Motive in großen
Intervallen sind männlich konnotiert, kleine Intervalle, die meist wieder
abwärts gerichtet sind, dazu Holzbläser und Flöten gehören zum sich für den
Mann aufopfernden Weibe.
So einfach ist das im Patriarchat! - Ein Mann ist ein Krieger, also ist
dieFrau kein Mensch.
Da kommt ängstlich jammernd die süße Freie herangeweht, Martina
Welschenbach, mit leuchtend lyrischem Sopran, dahinter stapfen die Riesen
herein, Basswohlklang verbreitend – und ich freue mich schon auf Albrecht
Pesendorfers Hagen.
“Endlich Loge!“
Aber wer tänzelt denn dort herein? Richard Wagner mit Barrett und
rotgefüttertem Mantel – Burkhard Ulrich mit sehr hellem Tenor. Das Publikum
kichert vergnügt über den Regiescherz, aber Barrett und Mantel werden
schnell abgelegt.
Nun aber gilt es, einen Trick zu finden, um die Riesen zu entlohnen, denn
sie verschleppen die arme Freia und die Götter welken dahin, da ihnen die
Jugend erhaltenden Äpfel der Göttin Freia fehlen.
Durch die ’Schwefelkluft’- hier eine runde Öffnung im Bühnenboden - seilen
Wotan und Loge sich hinab in die Unterwelt.
Alberichs Werkstatt fährt hoch, es flackert und zischt, die Schmiede
hämmern, Alberich steht am Schaltpult. Der arme Mime wird gequält, das
Tarngeflecht funktioniert.
Wotan und Loge treten auf und Loge, der sich musikalisch mit seinem
Flacker-Motiv vorgesellt hat, verspricht Mime zu helfen und der beginnt die
Schilderung seines Elends mit einem jammervollen Tritonus abwärts: “Wer
helfe mir!“
Seine Geschwätzigkeit, die auch dem sächsischen Meister eigen war – verrät
den beiden ungebetenen Gästen die Wirksamkeit von Tarnhelm, Ring und von der
Macht des Goldes.
Brutal führt Alberich die von ihm ausgeübte Gewalt über die armen,
versklavten Bergleute vor, aber schließlich wird ihm seine Prahlerei zum
Verhängnis.
Verwandelt als Riesenwurm, der hier aus Krallen bestehend sichtbar wird, und
schließlich als putzige Kröte zur Freude des Publikums, wird er überwältigt
und - während sein Bergwerk versinkt - am langen Strick an die Oberwelt
gezerrt.
“Da, Vetter sitzest du fest!“
Die Nibelungen bringen den Hort – richtige
heutige Goldbarren – jagen kreischend hinab in ihre Unterwelt, aber der
wahre Schatz, der Ring der vermeintlichen Allmacht steckt noch an Alberichs
Hand, die ihm einfach abgehackt wird.
Wenn dann Wotan sich aufbläht:
“Nun halt ich, was mich erhebt, der Mächtigen mächtigsten Herrn!“ -
ist er mir so zuwider wie alle Diktatoren der Geschichte und besonders die
Heutigen!
Da die Alberich-Baritone, so auch hier Werner van Mechelen, meist sehr schön
singen, genieße ich mit Gänsehaut seine treffende Kapitalistenschelte: “Wer
ihn hat, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid!“ und
darunter das ’Vernichtungsarbeitsmotiv’ und nach seinem Fluch gellt aus dem
Orchester der ’Wehe’-Halbtonschritt, während er verschwindet.
Die Lage beruhigt sich, Wotan betrachtet seinen Ring, die Riesen bringen die
ramponierte Freie zurück – sie hat wohl Riesenheim putzen müssen – der
hübsche Froh, Attilo Glaser, singt mit feinem Tenor-Schmelz seine Begrüßung
und ich freue mich schon auf sein: “Zur Burg führt die Brücke!“
Freia neuerdings wohl an Arbeit gewöhnt, legt ein Tuch aus, auf das der Hort
geschichtet wird. Das Gezänk um den Ring ruft Erda herbei. Leider ist dem
großen Götz für die Szene nicht viel eingefallen, denn nichts geschieht,
außer, dass aus dem Hintergrund des Tunnels eine mit hässlichen Lappen
behängte Gestalt heraustappt, leider unsauber singt und nach vorn rechts in
die Kulissen abgeht.
Aber ihre Mahnung wirkt, die Riesen bekommen von Wotan den Ring, der erste
Mord geschieht am braven Fasolt, Donner macht gutes Wetter und was nun?
So schön Froh die Brücke auch besingt, alles muss parterre vor einem
vergoldeten Modell stattfinden, weil der Tunnel keine Höhe bietet. Also
gehen die Götter in einem gemessenen Schreittanz, zwei Schritt vor, einer
zurück, zur bombastischen Musik und dem Klagen
der Rheintöchter nach Walhall, während der schlaue Loge sich wieder zur
“leckenden Lohe“ verwandelt.
Der Applaus ist herzlich, besonders für das Orchester und Donald Runnicles.
Fortsetzung folgt: ’Die Walküre’, ’Siegfried’ und ’Götterdämmerung’ in
nächsten Ausgaben.
Das Alltägliche
und das Kostbare
Tod durch Schlangenbiss, Tod durch
ersticken, Tod durch Messerstich, Tod durch Tuberkulose, Tod durch
Selbstverbrennung, Tod durch Verdursten, Tod durch Sprung in die Tiefe, Tod
durch Blutvergiftung usw.
Dazu der abendliche Krimi, bei dem wir scharfsinnig mitdenken, aber trotzdem
haben wir ihn am nächsten Tag vergessen.
Eurydike, Aida, Carmen, Mimi, Violetta, Brünnhilde, Manon, Tosca, Tristan –
aber wollen wir immer wieder erleben, weil die Oper etwas ganz anderes ist,
als Schauspiel im Theater oder im Fernsehen und im Film.
Die Musik der großen Meister veredelt und überhöht das oft brutale
Geschehen, lässt uns mitleiden und fühlen, tröstet und erhebt uns.
Die Politiker, die Intendanten einsetzen, die das Regisseurstheater ins
Opernhaus holen, vergreifen sich aus Unwissenheit und Desinteresse an einer
Kunstform, die seit ihrer Entstehung um 1600 zum Kostbarsten gehört, was
unsere Genies ersonnen haben.
Nun aber wird mit echt deutscher Lust an Selbstzerstörung alles platt
gemacht, weil es eben modisch ist.
So darf es nicht weitergehen!