Kommentar
In
einem Brief vom 6. Juni 2017 schreibt jemand aus der Verwaltung, wir
zögen
“mit Halb- und Unwahrheiten wider besseren Wissens gegen den
derzeitigen Intendanten zu Felde“.
Leider vermeidet der Schreiber, dem unsere ’Mitteilungen’ zugingen
wie auch die Nds. Landesregierung, Erläuterungen abzugeben und zur
Aufklärung beizutragen.
Ein Brief an die Nds. Landesregierung, hier ohne Anlagen
wiedergegeben, hatte folgenden Inhalt:
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Der Petitionsausschuss
des Nds. Landtags möge Maßnahmen veranlassen, die sich - aus
Klärung und erschöpfend Auskunft abgeleitet - ergeben:
● warum die Nds. Staatsoper Hannover durchschnittlich an nur
20 Tagen im Monat vor Publikum bespielt wird;
●
wieso die Nds. Staatsoper Hannover mit Veröffentlichung in
der HAZ vom 22. März 2012 behaupten kann, die Nds.
Staatsoper Hannover entlasse “jeden Tag 1200 glückliche
Menschen“, wenn denn die Auslastung des Hauses nur zu 100
Prozent erreichbar ist, wenn die Plätze zur Hälfte
verschenkt werden?
Dies geschah jedenfalls bereits im Jahr 2014 für die
Giovanni-
und die Meistersinger-Produktion.
Und es setzt sich bis heute fort, denn am 17. März 2017 war
bei der Vorstellung Candide jedenfalls die Hälfte des
Hauses über Freikarten gefüllt.
Von der jetzt laufenden Produktion ’Lot’ ganz zu schweigen;
●
wieso das Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit
Schreiben vom 20. März 2017 ausführen kann, Herr Dr. Klügl
habe Einnahmesteigerungen in Höhe von jährlich 1.500.000
Euro ’durch eine größere Nähe des Publikums zur Bühne’,
wobei ’es aus künstlerischen
Gründen notwendig ist, den Rang zu sperren’, erwirtschaftet?
● auf
welche Weise werden die Auslastungszahlen der Nds.
Staatsoper Hannover errechnet?
Für
den Monat Februar 2016 wurde per Mitteilung im Internet
(Kopie des Vorgangs als Anlage) mit Bezug auf den Januar
2016, der mit 90 Prozent Auslastung angeben wurde,
vorausgesagt,
der Besuchertrend scheine sich ungebrochen fortzusetzen.
Bereits in den ersten Februartagen lege die Auslastung bei
80 Prozent.
Wie konnte eine solche Prognose abgegeben werden, wenn denn
bereits bei Herausgabe des Spielplans im Dezember 2015 für
den Monat Februar 2016 feststand, dass das Haus an 13 Tagen
vor Publikum nicht genutzt wird. Belegt wurde das Haus dann
an 16 Tagen mit 17 Vorstellungen vor Publikum?
Zu dem
damaligen Zeitpunkt konnte man auch noch gar nicht wissen,
ob nicht doch Ränge geschlossen werden müssen, um – wie auf
Seite 3 des Schreibens des Ministeriums für Wissenschaft und
Kultur vom 20. März 2017 ausgeführt - Kosten zu reduzieren,
was den Rückschluss zulässt:
Je weniger Plätze zur Verfügung gestellt werden, desto
größer ist das Einsparpotential an ’Einlass- und
Sicherheitspersonal’ und ausschlaggebend für den
wirtschaftlich positiven Betrieb der Nds. Staatsoper
Hannover.
Legt
man im Februar 2016 bei 17 Vorstellungen (1 x
Doppelbelegung) an 16 Tagen 1.202 Plätze zu Grunde, so
ergibt sich eine Anzahl von 20.434 Besuchern.
Die Gesamtkapazität liegt aber an 29 Tagen bei 34.858
Besuchern. Bei 13 Leertagen ermittelt sich hieraus eine
Minderauslastung von 14.424 Besuchern, somit hätte
allenfalls eine Auslastung von 58 Prozent - bei Nutzung
aller verfügbaren Plätze - vorausgesagt werden können.
Es hat den Anschein, als gehe die Nds. Staatsoper Hannover
von jeweils angebotenen Plätzen aus, nicht jedoch von
vorhandenen.
Schließt man in Hannover die Ränge eins, zwei und drei und
verkauft nur das Parkett, das dann voll belegt ist, so
ergibt sich nach dieser Berechnungsart eine Auslastung von
100 Prozent.
Dies aber muss als Irreführung der Bevölkerung angesehen
werden, da das Haus über wesentlich mehr als nur die im
Parkett befindlichen Plätze verfügt.
Diesen Modus der Berechnung der Auslastung von ’verfügbaren
Plätze’ nun mit Schreiben vom 20. März 2017 ’als
Benutzungsgröße für Auslastungswerte’ vom Deutschen
Bühnenverein zu deklarieren, bedeutet ja nicht, dass die
Leitung der Nds. Staatsoper diesem Manöver folgt und die
Bevölkerung über Auslastungszahlen täuscht.
Der Petitionsausschuss möge daher veranlassen, dass die
Leitung der Nds. Staatoper Hannover Auslastungszahlen
bekannt gibt, die auf den vorhandenen und damit möglichen
Plätzen basieren und diese für die Berechnung und nicht nur
die jeweils aktuell zur Verfügung gestellten Sitze zugrunde
legt.
● Zur Erleichterung der Bearbeitung des Vorgangs ist das
erwähnte Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft und
Kultur vom 20. März 2017 in Kopie beigefügt.
26. April 2017
Dieter Hansing
C/ Kanzlei RA Wahner, Königstraße 34, 30175 Hannover |
Diese Anfrage wurde seitens der Nds. Landesregierung mit Schreiben
vom 5. Mai 2017 dahingehende beantwortet, man solle sich zukünftig
an die zuständige Stelle wenden.
Leider wurden keine Hinweise gegeben, wer die zuständige Stelle ist.
So bleibt nichts anderes übrig, als den Nds. Ministerpräsidenten zu
bemühen, denn der ist für alle Belange im Land – von VW als Mitglied
des Aufsichtsrats bis zur Vergabepraxis von Aufträgen – zuständig.
So geht es ihn auch an, dass am 14. Juni 2017 bei der Vorstellung
’Macht des Schicksals’ wieder einmal der dritte Rang mangels
Zuschauernachfrage geschlossen blieb und Rainer Wagner am 21. Juni
2017 in der HAZ im Bericht über ’Der fliegende Holländer’ klagte:
Beim
letzten ’festlichen Opernabend’ dieser Saison
blieben doch bemerkenswert viele Sitze leer! |
Jeder möge sich daher seinen
eigenen Reim auf die Lage Nds. Staatsoper Hannover machen!
Quintessenz:
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Was
wir wollen! |
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Was
wir nicht wollen! |
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Lebendiges,
phantasievolles Theater! |
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Indoktrinierendes Polittheater! |
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Verbindung zum Geist der Entstehungszeit! |
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Krampfhaftes Verheutigen! |
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Erkennbarer Bezug zur Zeit der Handlung! |
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Willkürliche Verfremdungen! |
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Ästhetische Bühnenbilder, die dem Stil der Musik
entsprechen! |
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Müll
bis zum Überdruss! |
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Sinnvolle, vom Stück getragende Bühnenbilder! |
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Unnötige aufwändige Bühnenbilder -
ohne Bezug zum Stück! |
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Kostüme, die den Charakter
der Figur wiedergeben! |
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Nackte Genitalien!
Sie sind inzwischen langweilig! |
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Respektvoller Umgang mit dem Werk! |
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Drüberstülpen von
’Neurosen der Regisseure!’ |
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Dem
Publikum einen
unvergesslichen Abend
im Sinne des Stückes bieten! |
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Das
Publikum für überflüssig und blöd halten! |
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Förderung des Ensembletheaters |
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Stückverträge, die den Gemeinschaftsgeist im Ensemble und
mit der Bevölkerung verhindern und beim künstlerischen
Personal zu Einsparungen beim Grundgehalt wie auch bei
Sozialleistungen führen! |
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Wichtig ist,
zu
beachten, dass das Theater vom Geld der Steuerzahler lebt! |
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Wichtig ist,
dass
das Theater im deutschsprachigen Raum, ein hohes Kulturgut
darstellt! |
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Wichtig ist,
sich
dem Zug der Zeit der Verdummung und Verrohung der
Gesellschaft durch Sorgfalt, Bildung und wertschätzendem
Umgang mit dem Werk und den Mitwirkenden entgegenzustellen! |
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Marie-Louise Gilles |
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Nds. Staatsoper Hannover
Bemerkungen eines Vollzahlers zur
musikalischen und szenischen Umsetzung von
Gaetano Donizetti – ’Der
Liebestrank’ – Premiere am 3. Juni 2017
Wäre Richard Wagner der große Komponist
geworden, ohne Theodor Weinlig?
Wer war Donizetti, wie wurde er, was er war?
Wäre er auch allein auf sich gestellt das geworden?
Hätte sich sein Talent auch Bahn gebrochen, ohne Simon Mayr?
Mayr, geboren am 14. Juni 1763 in Mendorf bei Beilngries - gestorben am
2. Dezember 1845 in Bergamo, war ein bayerischer Komponist, der zunächst
Theologie an der Hohen Schule in Ingolstadt, der damaligen ersten
bayerischen Landesuniversität studierte.
Die erste musikalische Ausbildung erhielt Simon Mayr von
seinem Vater, der Organist in Mendorf war. Und so spielte der Sohn bald
selber an eben der Orgel.
Thomas Freiherr de Bassus (1742-1815) zählt zu dem ersten
und wichtigsten Förderern. Er erkannte das musikalische Talent und holte
Mayr als Musiklehrer auf Schloss Sandersdorf. Von 1787 an ebnete er ihm
den Weg in Italien, wo er Unterricht bei Carlo Lenzi und Ferdinando
Bertoni, dem Kapellmeister an St. Markus in Venedig, erhielt.
1802 wurde Simon Mayr als Nachfolger seines Lehrers Lenzi
der Leiter der Musikschule in Bergamo, den Posten bis zu seinem Tode
1815 innehabend. Er setzte sich für Beethoven in Italien ein und schrieb
im Laufe seines Lebens 70 Musikwerke, die zum Teil noch heute
gelegentlich gespielt werden.
Der größte Verdienst kommt Simon Mayr als Lehrer von Gaetano
Donizetti zu, der in einem fensterlosen Keller Gaetano Maria Donizetti
am 29. November 1797 in größter Armut als fünftes von sechs Kindern zur
Welt kam. Ohne Aussichten für ein ertragsreiches Leben hatte er das
Glück zur ersten Gruppe von Kindern zu gehören, die Simon Mayr in seine
1806 neue gegründete freie Singschule aufnahm, mit dem Bestreben, junge
Stimmen auszubilden für Chöre und Soli. Auch damals herrschte Mangel an
Tenören, derer Mayr sich besonders annahm.
Er glaubte an das Talent Donizettis und schickte ihn nach
Bologna, wo er zwei Jahre Kontrapunkt und Komposition auf Kosten Mayrs
studierte.
1817 kehrte Donizetti nach Bergamo zurück und erhielt durch
die Mithilfe Mayrs einen Vertrag mit dem Impresario Zanda, für den er
vier Opern komponierte.
Wie sehr Mayr um Donizetti bemüht war, zeigt die Situation als
er einen Vertrag für eine Oper für Rom zu
schreiben hatte, diesen aber aus Zeitgründen nicht erfüllen konnte und
ihn an seinen Schüler Donizetti weitergab.
Donizetti komponierte während seines Lebens auch Kirchen-
und Kammermusik, neben komischen und tragischen Opern. Seine
manisch-depressive Gemütsverfassung war mit den verarbeiteten Stoffen
und den Todesfällen in seiner Familie in Zusammenhang zu bringen.
Innerhalb von acht Jahren verlor er seine Eltern, zwei
Söhne, eine Tochter und seine Frau Virgina Vasseill, mit der er sieben
Jahre verheiratet war und von deren Tod er sich seelisch nie richtig
erholte.
Seine komische Oper ’Der Liebestrank’ war ein
Text, den Eugène Scribe für Daniel Francois Esprit Auber und
dessen Oper ’Le Philtre’ schrieb. Dieses Werk war am 20. Juni 1831
uraufgeführt worden.
Giuseppe Romani – der Haupttextdichter von Vincenzo Bellini - lernte das
Stück anlässlich dieser Vorstellungsreihe in Paris durch den Bariton
Henri-Bernard Dubadie kennen und verarbeitete das Sujet zu einem Text,
den dann Donizetti in nur drei Wochen vertonte. Die Uraufführung fand am
12. Mai 1832 im Teatro della Cannobia in Mailand statt. Dort gab man das
Werk dann 34 Mal in Folge.
Donizetti musste das Werk zur Uraufführung relativ schnell
komponieren, da der vorge-sehene Komponist es nicht rechtzeitig zum
Uraufführungstermin vollenden konnte.
Er entschloss sich zu einer eigenen Oper, also nicht zur Fertigstellung
des Werkes, das dem Kollegen Mühe bereitete.
Romani schrieb ihm den Text mit handwerklich gut gearbeiteten Szenen,
nur wenige von denen tragen nicht unmittelbar zum Fortschritt der
Handlung bei. In dem Stück gibt es nicht die üblichen Buffo-Elemente wie
Verwechslungen, keine Späße, keine Intrigen, sondern eine Verquickung
besonderer Umstände, Missverständnisse und einer psychologischen
Entwicklung der Hauptpersonen, was das ’lieto fine’ dann doch möglich
macht.
’Der Liebestrank’, nicht unbedingt eine komische Oper, sondern durch die
Konflikte der Protagonisten eher eine melodramatische Oper, die noch
über Züge der Commedia del arte verfügt:
- der dumme Junge Nemorino
- die kecke, junge, intelligente – des Lesens fähige – Frau Adina,
- der Soldat Belcore als das banale Ideal,
- der verschlagene ’Arzt’ Dulcamara,
die in Kontrasten gezeigt werden, die sich auch in der Musik darstellen.
Was ist das Problem und wo ist das Problem?
Nemorino, der sich zwar seiner besonderen Art der Liebe zu Adina bewusst
ist, nur es nicht ausdrücken kann.
Adina, die eine Liebe zu ’nur einem Mann’ ablehnt, da sie nicht an die
wahre Liebe glaubt und schon deswegen Nemorino nicht ernst nimmt, der
auf seine lyrisch-romantische Art sogar bereit ist, sich ihr zu
unterwerfen.
Der draufgängerische Macho Belcore passt schon eher in Adinas
Beuteschema ein ihr zugeschriebenes – im Text abgewandelte ’Freundlich
blick ich auf diesen und jenen!’.
Dulcamara, der reisende Quacksalber, bringt den von Adinas Lektüre der
Geschichte um ’Tristan und Isolde’ erwähnten Liebestrank, den er
Nemorino aufschwatzt.
Beherzt gesteht der nach dem Konsum desselben seine Liebe.
Sich gegenüberstehen eine Scheinwelt Adinas und die reale Welt Nemorinos.
Ein Wandel im Verhalten Adinas, der Ablehnung des dummen jungen Nemorino
mit seiner wahren Liebe tritt erst ein, als sie geläutert durch das
Verhalten Nemorinos das Wertvolle in dessen Liebe entdeckt, was ihre
Oberflächlichkeit dann letztlich bei ihr in das Empfinden eines wahren
Gefühls verändert.
Sein/Wahrheit konfrontiert Schein/Verstellung.
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Der
Liebestrank
Oper von Gaetano Donizetti
Komische Oper in zwei Akten
(1832)
Libretto von Felice Romani
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Premiere
der Inszenierung am 3. Juni 2017
Leitungsteam
Musikalische Leitung -
Daniel Klein
Inszenierung -
Tobias Ribitzki
Bühne -
Florian Parbs
Kostüme -
Rebekka Zimlich
Licht - Elana Siberski
Choreinstudierung -
Dan Ratiu
Dramaturgie - Steffi Mieszkowski
Besetzung
Adina -
Athanasia Zöhrer
Nemorino -
Robin Kim
Belcore -
Matthias Winckhler
Dulcamara -
Tobias Schabel
Gianetta - Anna-Doris Capitelli
Chor der Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
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Auf dem Opernplatz in Hannover feiern sich an dem Abend des 3. Juni 2017
die Schwulen und Lesben beim CSD mit Bier und Bratwurst, dazu wummernde
Rockmusik, dass die Scheiben des Opernhauses scheppern.
Der Zuschauerraum füllt sich – 960 Karten sollen von den 1.202 verkauft
worden sein – ob alle, die Geld für Karten ausgaben haben, wirklich
kamen, blieb unklar. Sichtbar wurde, dass in den Rängen viele Plätze
frei bleiben.
Vor dem roten Vorhang hängen aus Metall gefertigten Buchstaben:
LIEBESTRANK.
Nun weiß man, welches Stück einem bevorsteht.
In der Einführung hatte Kapellmeister Daniel Klein mit wohlsortierten
Beispielen am Klavier und mit CD-Aufnahmen über die Entwicklung der
italienischen romantischen Oper von Rossini, Bellini, Donizetti bis
Verdi informiert.
Ein schlampig gekleideter junger Typ, der Regisseur, meinte während des
Einführungsvortrages mindestens 10-Mal, dass er diese und jene Szene
’sehr spannend’ finde.
Im Programmheft liest man viele gescheite Artikel über den Wahn der
Liebe von der Antike bis zu heutigen Philosophen, alles ziemlich düster.
Aber ’L’elisier d’amore’ ist doch eine Komödie und man befindet sich,
nachdem Napoleon 1821 von der Erde verschwand, in den ’goldenen Tagen
der Bourgeoisie’ mit dem Bürgerkönig Louis Philipp in Frankreich.
Dann tritt eine
äußerst lebhafte Dame – ohne zu sagen, wer sie ist – vor den Vorhang und
verkündet vor der Vorstellung, dass der den Belcore singende Matthias
Winckhler unter einer Pollenallergie leide – er würde aber trotzdem
singen.
Bedauerlich eine derartige Unpässlichkeit für eine Sängerlaufbahn.
Statt während der Ouvertüre mit Donizettis zauberhafter Musik auf einen
heiteren Abend einzustimmen, geht es gleich mit Klamotte los.
Aus dem vor dem Vorhang baumelnden Schriftzug ’LIEBESTRANK’ purzelt –
’Holterdiepolter’ der Buchstabe ’T’ herunter.
Jemand tritt in einem hässlichen, grauen Hausmeister-Krause-Kittel mit
einem Gerätewagen zur Hand auf, der aus dem heruntergefallenen ’T’ ein
’K’ bastelt und dies in die verbliebenen Buchstaben einpasst, so dass
der Zuschauer lesen kann: LIEBES-K-RANK.’ Beim Paukenschlag
erschrickt der Monteur und enteilt in die rechte Gasse.
Der erste Lacher. Holdrio, how funny.
Dann hebt sich der Vorhang für die Nr. 1 -
Präludium und Introduktion –
eine Mauer quer über die Bühne, ein Turm, ein Scheiterhaufen,
und an der Kostümierung
des Ensembles erkennt man:
Aha, man spielt Mittelalter, passend zu der von Adina vorgetragenen Sage
von ’Tristano e Isotta’.
Turmbau, Scheiterhaufen, der Chor – er steht im Halbkreis und rührt sich
nicht, gelegentlich macht er ein paar Tanzschritte – in grellbunten
Satinkostümen, dazu bis zum Überdruss weiße schultütenähnliche Hauben
mit dranhängenden Schleiern für die Damen.
Nemorino im Smoking für die Nr. 2 mit seiner Kavatine, er löst seine
Aufgabe ansprechend mit Schmelz und lockerer Stimmführung.
Adina für die Nr. 3 – sie wechselt später zwischen einem hellblau-weißen
Isolden-Kostüm und ihrem Unterhemd mit Leggins, was sie nicht sehr
vorteilhaft aussehen lässt. Aber wir verheutigen ja und brechen ja
herunter – platt und plump.
Athanasia Zöhrer hat eine schöne Stimme, die gut geführt dominiert, dass
das gesellschaftliche Gefälle von ihr zu Nemorino auch über die
Lautstärke deutlich wird.
Weniger Kraftentfaltung wäre angemessener. Adina muss nicht unbedingt
die Violetta oder Lucia vorwegnehmen.
Die Mauer im Hintergrund öffnet sich seitlich und Belcore trabt mit
einer umgehängten Pferdehälfte, die später ein weißes Klavier im
Hintergrund ziert, (das Hannöversche Publikum applaudiert ob des
genialen Regieeinfalls) für die Nr. 4 Kavatine und Stretta der
Introduktion
herein, er entstiebt wieder durch die Mitte nach hinten, die Mauer
schließt sich. Der Chor wimmelt planlos herum, die Mauer öffnet sich
wieder und Belcore hat eine zweite Chance mitsamt umgehängtem Pferd.
Matthias Winckhler singt mit edel tönendem Bariton – Pollen mögen ihn
zukünftig verschonen – seinen Belcore. Der Chor steht im Halbkreis und
rührt sich nicht, stört damit auch nicht das Bariton-Solo. (Rücksicht
des Regisseurs oder Einfallslosigkeit?)
Mitten hinein platzt der Hausmeister-Krause-befummelte Mitarbeiter der
Nds. Staatsoper Hannover – kann offensichtlich nichts ausrichten und
entfernt sich.
Eine gut genutzte Chance bot sich Anna-Doris Capitelli als Nanetta,
deren frische Begabung schon in der Hochschule auffiel.
Der Chor umeilt den links ’rauchenden’ Scheiterhaufen. Der Vorhang fällt
und das Publikum applaudiert begeistert. Beifall für das Ensemble.
Hierfür hebt sich der Vorhang wieder.
Die Mauer im Hintergrund wird nach links weggeschoben, der
Scheiterhaufen ist weg, nur der Turm steht noch rechts und der wird von
emsigen Bühnenarbeitern bei Adinas …
’appena è desta’
nach rechts in die Kulisse geschoben.
Nemorino mit Adina auf der großen Bühne für Nr. 5 - Rezitativ und Duett.
Völlig überflüssig die Passage und des Herumstehens des im
Hausmeister-Krause-kostümierten Mitarbeiters mit Gerätewagen während des
Zwiegesangs von Sopran und Tenor. Im Verlauf dessen verlischt das Licht
auf der Bühne, nur ein Klecks von Verfolger-Illumination bleibt.
Fanfaren! Die Szene wird wieder beleuchtet, der Chor tritt auf für die
Nr. 6. Er winkt ins Publikum und – so scheint es – besonders in den
schwach besetzten dritten Rang.
Dann - der Bühnenboden öffnet sich, heraus tritt mitsamt Gerätewagen –
der umherziehende ’Arzt’ feinst gewandet für die Nr. 7 - Kavatine mit
Chor, der sich seitlich von ihm, links und rechts, formiert und mal von
links nach rechts und umgekehrt über die Bühne rennt.
Damit ist natürlich permanent Bewegung auf der Bühne. Alles swingt ganz
im Sinne des Regisseurs. Die Versenke verschwindet, rechtzeitig tritt
Tobias Schabel auf den sicheren Bühnenboden. Er zeigt einen eleganten
Dulcamara, mit seiner wunderbar runden Stimme - der König des Abends.
Aus dem Bühnenboden werden Requisiten gereicht, es sind Lämpchen, mit
denen der Chor im Takt hin- und herschwingend, den Rest der Szene
schummrig beleuchtet.
Nemorino bleibt in einem Lichtkegel in sonstiger Finsternis zurück.
Für Nr. 8 - Rezitativ und Duett - wird von rechts der lädierte Turmbau
nach links hereingefahren mit der undekorierten Seite nach vorne, so das
es aussieht wie der Sprungturm eines geschlossenen Schwimmbades.
Zusätzlich ein weißes Klavier, das rechts auf der Bühne positioniert
wird.
Warum? Niemand kann es sagen! Jedenfalls im Publikum keiner.
Man wird sich handelseinig, Dulcamara wieder in der
Hausmeister-Krause-Kluft übergibt den Bordeaux als Liebestrank, Nemorino
ist glücklich und bleibt für die Nr. 9, das Rezitativ,
Caro elisir! Sei mio!
zurück.
Die Nr. 10 Adina von rechts und setzt sich an das für sie rechts
bereitgestellte weiße Klavier.
Gelegentlich steht sie auf und bewegt sich gemäß den Vorgaben des
Regisseurs auf der Bühne hin und her.
Nemorino singt sein
Esulti pur la
barbara
Adina fällt mit ihrem
Spezzar vorria lo
stolido
ein.
Für die Nr. 11 – das Terzett – erscheint Belcore von rechts hinten und
setzt sich an das Klavier, da Adina den Platz frei machte, ist dies
möglich. Sie gesellt sich zu ihm, die Szene belebt sich, von links kommt
Gianetta mit einem Garderobenständer auf die Bühne und man beginnt sich
auf die
Nr. 12 - Quartett und Stretta. Erstes Finale
vorzubereiten.
Adina wirft sich ein weißes Gewand über, von rechts tritt der Chor auf
und man bemüht sich, musikalisch zusammenzubleiben.
Nemorino und Belcore zerren am Gewand der Adina herum, Chordamen
schieben den Garderobenwagen nach hinten in die Mitte, Adina liegt in
Belcores Armen, Nemorino kriecht im Smoking unter den beiden durch.
Für das
Quest’oggi
fallen beide auf den Boden, berappeln sich, der Chor steht regungslos im
Hintergrund herum und schaut befremdet drein. Dabei singen alle hier
sehr schön, also kein Grund, wegen der musikalischen Seite, irritiert zu
sein.
Nemorino wegen der vorverlegten Hochzeit Adina/Belcore geknickt, kniet
am Boden, der Chor freut sich auf
Un ballo! Un
banquetto!
Adina und Belcore besetzen das rechts herangerollte Klavier zum
Finale erster Akt.
ZWEITER AKT
Nr. 13 - Introduktion und Chor,
dieser in Hab-Acht-Stellung im Halbkreis, dann wild wedelnd mit den
Armen.
Mittendrin im Volk Dulcamara für das
Cantiamoi, faciamo brindisi
Nemorino und Adina an der Rampe, Belcore tritt von links hinzu,
Dulcamara gebietet Ruhe für sein
uditemi signori
Er bietet Adina seine Spitzhaube an, die diese gerne nimmt und aufsetzt.
Nemorino verzweifelt im eigenen Lichtkegel des Verfolgers.
Dulcamara hebt an für
Nr. 14 - Rezitativ und Barkarole
Io son ricco, e tu sei bella
Der Chor steht weiterhin im
Halbkreis und hebt nun rhythmisch im Takt sich bewegend die hängenden
Arme zu einer sportlichen Morgenübung. Dann hebt der Chor einen Arm und
wedelt damit, der Musik folgend, knickt auch ein. Reizend alles das
anzusehen.
Nr. 15 - Rezitativ und Duett
Der Chor wuselt durcheinander, hat dabei natürlich Mühe, dem Dirigat zu
folgen.
Im Hintergrund ein szenischer Effekt, bei dem man nicht weiß, was er
bedeuten soll:
ein Wasserfall, ein Springbrunnen – niemand kann es sagen.
Nemorino in seinem Verfolgerkegel, Dulcamara hinzu – eine weitere
Flasche des Liebestranks fordert der Tenor.
Oh, Me infelice!
Belcore tröstet den Armen und vermittelt ihm Aussichten, zu Geld zu
kommen, wenn er sich als Soldat für
venti scudi
anheuern lässt.
Belcore lockt und schließlich willigt Nemorino ein, er will ja das Geld
für Alkohol
Su due piedi
Für das
Qua la mano , giovinotto
wird das Licht eingezogen, es verbleibt ein bläulicher Schimmer und aus
dem Bühnenhimmel senkt sich eine Art von Maibaum, von dem Belcore eine
Art Ritterrüstung abnimmt und damit Nemorino einkleidet.
Der enteilt nach links, der Maibaum wird wieder hochgezogen, Belcore
bleibt allein zurück, die Bühne in strahlendem Licht, hinten der
Scheiterhaufen, vorne der Chor, nun wieder aufgetreten für
Nr. 16 - Chor mit
Saria possibile?
Gianetta von rechts kommend
verkündet dem Chor, der in einer Linie quer über die Bühne stehend –
’hinter vorgehaltener Hand’, dass der Onkel von Nemorino verstorben ist
und der nun durch die Erbschaft ein reicher Mann sein wird.
Der Chor schmückt sich mit den Schultütenkopfbdeckungen und erwartet
Nr. 17 - Quartett mit Chor
mit
Nemorinos
Dell’elisir mirabile
Dann rollt der Chor den
Scheiterhaufen in die Bühnenmitte, Adina von links, turbulente
Situation.
Vorhang vor dem
Nr. 18 - Rezitativ und Duett
ADINA
(schmerzlich ergriffen, singt)
O wie geht er zufrieden!
DULCAMARA
(stolz)
Mir soll er's danken!
Der Schriftzug ’Liebeskrank’
wird heruntergelassen und man beginnt mit der Demontage. Die Buchstaben
werden in den mitgeführten Werkstattwagen abgelegt.
Übrig bleibt LIEBE mit einem Fragezeichen, so ist das Duett mit Action
gefüllt.
Dulcamara und Adina in verschiedene Richtungen ab für Nemorino mit der
Nr. 19 - Romanze
Heimlich aus ihrem
Augenpaar, stahl eine Träne sich
Nr. 20 - Rezitativ, Arie und
Duett
ADINA
Nemorino! Warum willst du fliehen?
Was konnte dich bewegen,
Die Waffen zu ergreifen?
NEMORINO
Ich sah, es würde nimmermehr
Mein Glück hier reifen
Nemorino will
sich erschießen, aus dem Lauf der Pistole kommt zur Freude des Publikums
ein Taschentuch, Adina und Nemorino entledigen sich überflüssiger
Gewänder, sie die Isoldenkluft, er die Ritterrüstung - alles vor dem
geschlossenen Vorhang. Gut für den Chor, der sich hinter dem Vorhang für
das Finale positionieren kann.
Szenerie wie im ersten Akt, mit Turm, mit Stadtmauer, der Chor wieder in
den mittelalterlichen Kostümen, Nemorino im Smoking und Adina in Leggins
– ganz heute.
Dieses Publikum, das vor Begeisterung tobt, war gekommen, um sich ganz
einfach grob zu amüsieren. Für die Anspruchlosen reichte es wohl, weil
sie nicht mehr wissen, was Eleganz, Anmut, Delikatesse, Charme,
Leichtigkeit sind.
Schlampig gekleidete Regisseure wissen es schon gar nicht, und die
sollten sich auch nicht an einer Staatsoper ausprobieren dürfen.
Daniel Klein dirigierte das Staatsopernorchester allzu gemütlich, so
dass viel ins Wackeln geriet. Begleitung, Finesse, Biss, Attacke – wie
wäre es mal damit?
Nachgefragt
kulturjournal.de
Nachgefragt
Im Gespräch mit Dr. Tanja
Wagensohn - geboren 1970 in Straubing, Kindheit an der Donau, Studium
der Politikwissenschaft, Germanistik Ostslavistik, zahlreiche
Studienaufenthalte im Östlichen Europa, OSZE/ODIIIR-Wahlbeobachterin,
Geschäftsführerin BAYIIOST Akademische Rätin, www.bayhost.de
Nichts ist wichtiger als Freiheit
Regensburg versteht sich als
Drehscheibe zwischen West und Ost. Nicht nur wirtschaftlich, auch
akademisch, wie die Einrichtung BAYHOST belegt. Mit Geschäftsführerin
Dr. Tanja Wagensohn, die jüngst zusammen mit Maxim Gatskov die
Essaysammlung "Revolution?!' über die beiden letzten Dekaden
Mitteleuropa bis zum Kaukasus herausgeben hat, haben wir ein Gespräch
geführt.
Was ist das BAYHOST (Bayerisches
Hochschulzentrum für Mittel-, Ost- und Südeuropa) und was passiert dort?
BAYHOST ist für alle bayerischen Universitäten und Hochschulen für
angewandte Wissenschaften; also die ehemaligen FHs, und alle Musik- und
Kunsthochschulen Bayerns tätig, um die wissenschaftlichen Verbindungen
zu den vergleichbaren Einrichtungen in Mittel-, Ost- und Sudosteuropa zu
koordinieren die Kontakte zu intensivieren und auszubauen und gemeinsame
Projekte und Programme durchzuführen und zu entwickeln. Konkret sind
unsere Aufgaben die Vermittlung von Stipendien, das Organisieren von
Sommerakademien und anderen Projekten, Intensivierung des
Studentenaustauschs, Gewährung von Mobilitätsbeihilfen und Vermittlung
von Praktika.
Politik,
Kultur, Wirtschaft? Welche Felder decken Sie mit Ihrem Angebot ab? An
wen wendet sich Ihr Service?
Studierende und Lehrende aller Studiengänge sprechen wir unterschiedslos
an, eine Konzentration auf beispielsweise Sprachwissenschaften oder
Wirtschaftsstudiengänge gibt es nicht. Ein Ziel ist zwar der Austausch
mit Politik, Wirtschaft, Technik, Kultur, sozialen und umweltrelevanten
Organisationen, in erster Linie aber geht es um den Austausch der
Bildungsinstitutionen untereinander. Daher strengen wir durchaus
Kooperationen mit Unternehmen und Organisationen an. Wir wollen
Austauschforen schaffen. Wissenschaft und Studierende, die Hochschulen
als Gesamtes in ihrem Bemühen um Renommee und Forschungskooperation zu
unterstützen, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.
Wer sind die
Akteure im BAYHOST?
Das Direktorium setzt sich
zusammen aus Vertretern von Universitäten und Hochschulen in Bayern, im
Beirat sitzen Vertreter des Staatsministeriums für Wissenschaft,
Forschung und Kunst, des Staatsministeriums für Wirtschaft,
Infrastruktur, Verkehr und Technologie, des Studentenwerks, Vertreter
akademischer Einrichtungen und der Stadt Regensburg. Aber unsere
wichtigsten Akteure sind natürlich die Studierenden und die Lehrenden,
an die sich BAYHOST wendet.
Sprechen Sie
Polnisch? Russisch? Wie kommt's, dass Sie sich gerade für dieses
Tätigkeitsfeld entschieden haben?
Ich spreche Russisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Neben
Politikwissenschaft habe ich Ostslavische Philologie und Germanistik
studiert. Und ich habe 1989 Abitur gemacht, im Jahr, als der Eiserne
Vorhang fiel und die Grenzen sich öffneten. Die politische Umwälzung hat
bei mir den Ausschlag gegeben und die Neugierde geweckt, das Terrain der
jungen Demokratien zu studieren. Mein politisches Bewusstsein wurde in
dieser Zeit geschärft. 1993 und 1997 habe ich in Russland studiert und
geforscht, es war prägend.
Welche Mühe,
eine slawische Sprache zu erlernen!
Wenn man sich einmal die Mühe macht und die Geduld aufbringt, Grammatik
zu lernen und sich auf die Komplexität von Russisch oder Polnisch
einzulassen, dann tut man sich mit den nächsten slawischen Sprachen
schon leichter. Über die Sprache läuft alles. Verstehen ohne Sprache
gibt es nicht. Für mich ist Sprache das zentrale Moment, Gesellschaften,
ihre politischen Ideen, ihre Interessen zu begreifen. Unterschiedliche
grammatische Konstruktionen, unterschiedliche Lexik lassen Rückschlüsse
auch auf kulturelle Unterschiede zu.
Sehen Sie 20
Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch Vorurteile, sind die
Mentalitätsunterschiede noch gravierend?
Gravierend sind vor allem die Veränderungen. Es ist eine neue Generation
herangewachsen, die im Wandel Geborenen werden mit anderen Dingen groß
als die, die sich mit den alten Systemen arrangieren mussten. Alle
jungen Leute in Ost und West haben die gleichen Bedürfnisse, sie wollen
Spaß, sie wollen lernen, das Leben gestalten, das ist eine
Gemeinsamkeit. Und sie haben viel nachzuholen: Nehmen Sie das Beispiel
Serbien - nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung dort besaßen in den
vergangenen Jahren überhaupt einen Reisepass. Und jetzt erst fällt die
Visumspflicht und u.a. die Jüngeren können endlich reisen. Gegenseitige
Vorurteile werden zwar nur sukzessive, aber definitiv abgebaut.
Auf der anderen Seite: Je weiter weg
wir von zu Hause gehen, desto größer auch die kulturellen Unterschiede.
Ich war Wahlbeobachterin in Kirgisistan im letzten Jahr und ich habe
gestaunt, wie anders Zentralasien ist, wie hoch der Einfluss aus China.
Egal wohin man fährt, man lernt. Polen und Tschechien liegen uns näher
als Russland, Ex-Jugoslawien ist uns vertrauter als die Lebensweise in
der Ukraine. Diese Unterschiede bereichern, das Studium fremder Kulturen
macht uns klüger. Und ich gehe davon aus, dass auch die Globalisierung
nicht alle Unterschiede nivelliert.
Welche Rolle
spielen religiöse und konfessionelle Unterschiede in Ihrem
Hochschulalltag?
Religion wird oft von Cliquen dazu benutzt, bestimmte materielle Ziele
zu erreichen und Machtansprüche zu zementieren. Ex-Jugoslawien ist dafür
ein trauriges Beispiel. Mit Studentenaustausch und verschiedensten
Projekten mit und in der Region kann BAYHOST dazu beitragen, dass
Schwadroneure keine Chance bekommen. Wir verstehen uns als
Multiplikatoren und Anlaufstellen für alle Studierenden aller Länder,
mit denen wir im Dialog sind. Konfessionen sind für uns irrelevant. Auch
bei den Projekten mit Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Der
wissenschaftlich-studentische Austausch legt hier vielleicht sogar den
Grundstein für Verständigung.
Befinden sich
die Hochschulen im ehemaligen Ostblock auf Augenhöhe mit denen im
Westen?
Das ist sehr abhängig von den
Fächern. In den 90er-Jahren gab es im Osten viele private
Universitätsneugründungen, viele davon sind wieder verschwunden. Es gibt
sehr gute Universitäten und welche, die in die Mittelmäßigkeit
abgerutscht sind. Naturwissenschaften und Philologie sind durchaus auf
West-Niveau. In den Sozialwissenschaften gab es nach den Zeiten von ML
(Marxismus-Leninismus) großen Nachholbedarf. Diese Fächer etablierten
sich erst nach und nach. Und gerade deshalb würde ich Studierenden
dieser Fächer empfehlen, sich das anzusehen. Spannend ist es,
beispielsweise in St. Petersburg ein Gastsemester in Politologie zu
belegen oder zu erfahren, welche Forschungsansätze junge Demokratien in
Soziologie vermitteln und diskutieren.
Milliardengrab Osteuropa: Inwieweit hat sich
nach der weltweiten Wirtschaftskrise die Zusammenarbeit mit Mittel und
Südosteuropa geändert? Sind Veränderungen auch in der Zusammenarbeit der
Hochschulen spürbar?
Generell stelle ich fest, dass den Studierenden in Ost und West
weniger Geld zur Verfügung steht als früher, der Durchschnitt der
Studierenden ist wirtschaftlich schlechter gestellt als noch vor fünf,
sechs Jahren. Den Austausch hat das zum Glück nicht tangiert. Wer ein
Stipendium sucht, findet meist auch eins. Die Krise behindert die
akademische Landschaft zum Glück noch nicht.
Nur wenn Sie
antworten mögen: Können Sie das Engagement der BayernLB in Sachen Hype
Alpe Adria verstehen? War der Crash nicht absehbar?
Der Crash ist eine Katastrophe, ja. Unabhängig von allem, warum es zu
diesem Crash gekommen ist: sich als Konsequenz nun aus Südosteuropa
zurückzuziehen, wäre aus meiner Sicht noch katastrophaler. Das sind die
Märkte vor unserer Haustür, wenn wir uns dort nicht engagieren, können
wir den Frieden in Europa nicht halten. Eine Abkehr von gemeinsamen
Aktionen können wir uns gar nichts mehr leisten. Aktuelles Beispiel: Das
Dilemma der Griechen - es geht uns alle an. Die Welt ist seit 1989
ziemlich kompliziert geworden.
Liegen Ihnen
Paris, London oder Madrid kulturell nicht näher als Mostar, Minsk oder
Moskau?
Ich kenne London, ich kenne Paris, mich zieht es aber eher nach Osten,
nach Mostar oder Moskau oder Belgrad. Der Austausch ist spannender.
Viele im Westen glauben, schon alles voneinander zu wissen, im Osten
spüre ich mehr Neugierde, und ja, vieles ist auch „exotischer" als im
Westen. Vor 1989 waren diese Länder für uns unerreichbar, umgekehrt der
Westen für Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Wenn nun die Visumspflicht
für verschiedene Länder Südosteuropas entfällt, wird es wieder einen
Schub der Verständigung geben. Ich stelle immer wieder fest, dass gerade
Studierende aus dem Osten ein größeres Interesse an uns haben, sie
wollen mehr über uns wissen und artikulieren oft, dass sie sich
glücklich schätzen würden, hätten sie unsere Chancen. Geben sich viele
Weststudenten abgeklärt, sehe ich bei denen im Osten mehr Wissensdurst
und Begeisterung.
Einige
Ostländer sind in der EU, andere nicht, wie beurteilen Sie diesen
Umstand?
Die berechtigte Frage lautet oft: Warum dieses Land, warum die und wir
nicht? Schauen Sie nach Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegovina - es
ist ein Drama, dass die Kriege der 90er-Jahre diese Länder so
zurückgeworfen haben. Sie gehören meiner Meinung nach definitiv in die
EU, eher als andere, die schon drin sind. Für zentral halte ich das
Moment, dass die EU nicht allein ein wirtschaftlicher Zusammenschluss
ist. Die EU, das dürfen wir nicht vergessen, ist von ihrer Gründungsidee
her eine Gemeinschaft, die den Frieden in Europa zum Ziel hat.
Ihr Beitrag in der jüngst erschienenen
Essaysammlung Revolution?! ist gespickt mit Zitaten aus der
englischsprachigen ’Revolution’ ist gespickt mit Zitaten aus der
englischsprachigen Popmusik. Welche Rolle spielt Musik für Sie und für
die Gesellschaft an sich?
Das Buch verbindet wissenschaftliche Aufsätze und Essays. Musik
spiegelt immer auch die Gesellschaft, ihre Wünsche, Hoffnungen, Werte,
Träume. Unser Buch nähert sich den Ereignissen der Jahre 1989
fortfolgende auch aus der durch persönliche Erfahrungen geprägten
Reflexion. Popmusik spielte im Kalten Krieg eine große Rolle. In Liedern
konnte man subtil Systemkritik üben, vieles in den Songs der Zeit hat
die Zensur gar nicht erkannt.
Ist
’Revolution’ nicht ein schönes Wort?
Absolut! Stark und voll symbolischer Aufladung. Aber man beachte bitte
das Frage- und das Ausrufezeichen. Wir haben uns gefragt: Was blieb von
den Veränderungen? Für viele hat sich nach einer anfänglichen
Begeisterung der Alltag - hat sich die wirtschaftliche Situation - nicht
verändert im Vergleich zur Zeit des Sozialismus. Viele resignieren.
Waren es Revolutionen? Und was ist mit der Freiheit? Nichts, nichts ist
wichtiger als Freiheit.
Das Donauforum tagte in Regensburg, jeden
Herbst findet die documenta statt. Befördern derartige Veranstaltungen
das Ost-West-Klima?
Ganz gewiss. Sie sind wichtig, sie zeigen uns, was in Europa
passiert, sie denken über den Ost-West-Gegensatz hinaus. Wir müssen nur
konsequent aufpassen, dass wir bei der Fokussierung auf bestimmte
Regionen nicht das jeweils übrige Europa aus dem Blickfeld verlieren.
Neben dem von Ihnen angesprochenen Donauforum der Bayerischen
Staatskanzlei veranstaltete auch BAYHOST am 21. Mai eine gleichnamige
Veranstaltung, die dem Austausch von Wirtschaft und Wissenschaft dient -
einen Kongress der Career Services der Donauländer und ihrer Nachbarn.
Auch Berufsorientierung für Studierende ist heute eine gesamteuropäische
Angelegenheit.
Haben Sie ein
paar Lesetipps für einen lehr- und unterhaltsamen Blick in den neuen
Osten?
Gerne. Zu Russland heute: Der Tag des Opritschniks von Viadimir Sorokin,
eine schmerzhafte Satire, drastisch, brutal. Zum Russland der 90er-Jahre
Generation P. von Viktor Pelewin, ein Roman über das Lebensgefühl der
Generation, die im Sozialismus aufgewachsen und im postsowjetischen
Russland erwachsen geworden ist. Und zum ehemaligen Jugoslawien:
Aleksandar Tisma, Miljenko Jergovic, Biljana Srbljanovic, Dubravka
Ugresic. Sie zeichnen Skizzen der Länder und Gesellschaften, von denen
bei uns so viele viel zu wenig wissen.
Kalenderblätter
Juli
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Thema des
Tages
Gustav Mahler
... am 07.
Juli 1860 geboren
Bevor Mahler
nach Wien ging, war es dort mit der Hofoper schlecht
bestellt. Jeder lebte nach seiner Bequemlichkeit und
eine das Unternehmen gefährdende Disziplinlosigkeit riss
ein.
Da berief man Mahler, als Opern-Chef aus Hamburg, dort
als harter Arbeiter bekannt.
Seine Kontakte zu den damals maßgeblichen Produzierenden
und Reproduzierenden von Musik und Szene, formten ihn.
Hans von Bülow, Richard Strauss, Bruno Walter, Felix
Mottl, Hans Richter - und gelegentliche besondere
Kontakte zu Rosa Papier oder Anna von Mildenburg, er
kannte sie schon von Hamburg - und dann Alma, die seine
Ehefrau wurde.
Sein Vater - Besitzer einer kleinen Schnapsbrennerei und
Gastwirtschaft in Kalist, einer Kleinstadt in Mähren,
profitierte vom 'Oktoberdiplom', mit dem Kaiser Franz
Josef 1860 den Juden innerhalb seines Reiches Freiheiten
einräumte, wonach sie sich auch in anderen als den
jüdischen Ghettos in Teilen des Landes niederlassen
durften. So ging Gustav in Iglau zur Schule und
studierte dann in Wien.
Das Streben nach besseren Aufstiegschancen, das
unbeirrbare Verfolgen eines Planes, in eine höhere
kulturelle Schicht aufzusteigen, war ihm besonders
eigen.
Dies wirkte sich auch bei der Leitung der Wiener Hofoper
aus - Mahler strebte nach immer höheren Idealen. Einheit
von Gesang und Darstellung war ihm wichtiger als die
damals übliche Bühnendekoration, bis er mit Alfred
Roller zusammenkam, der ihm die Szenerie schuf, die zu
Musik und Text, eben der vorgebenden Handlung, passte.
Bei Mahler liefen alle Fäden einer Produktion zusammen.
Er war Einstudierender, er war Dirigent, er war
Regisseur - als Gesamtkünstler lieferte sein Produkt ab
wie er es sich vorstellte.
Nur machte er diese Rechnung ohne die Wiener im
Zuschauerraum. Man war etwas gewohnt und wollte es nicht
aufgeben - Tradition, die Mahler als Schlamperei
bezeichnete. Außerdem hätte es ja Arbeit bedeutet, der
wollte man im Graben entgehen.
Er verzehrte sich an seinem eigenen Feuer, er machte
seiner Umgebung das Leben zur Hölle und war so bei den
Mitarbeitern binnen kürzester Zeit der bestgehasste
Mann.
Die Ergebnisse seiner Leistungen aber waren
überwältigend - jede Produktion unter seiner Leitung
wurde zum Ereignis, diese grandiosen Erfolge ließen ihn
taub werden gegenüber dem Geschrei in seiner Umgebung.
'Nebenbei' komponierte er noch 10 nummerierte
Symphonien, dazu noch 'Das Lied von der Erde' und die
'Nordische Symphonie' aus dem Jahr 1882.
Hinzu kamen drei Opern und Lieder, die heute zum
Sänger-Repertoire gehören.
Zehn Jahre hielt er in Wien durch - die musikalisch
glanzvollste Zeit der Hofoper.
Dann gab er auf, wählte New York, dirigierte an der Met
und kam als todkranker Mann nach Österreich zurück. |
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Thema des Tages
Ida
Ehre
... am 09. Juli 1900 geboren
Neben Gustaf Gründgens
beerdigte man sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof in
Hamburg, nachdem die Tochter eines Kantors am 16.
Februar 1989 in der Hansestadt gestorben war.
Prinzipalin der Hamburger
Kammerspiele war sie, die sie 1945 gründete.
Das Schauspielen erlernte
sie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in
Wien, das Debüt folgte am Stadttheater Bielitz, danach
spielte sie in Budapest, Czernowitz, Cottbus, Bonn,
Königsberg, Stuttgart und am Nationaltheater in
Mannheim. Ab 1930 war sie am Lessingtheater in Berlin
engagiert.
Die Nazis verboten ihr
die Auftritte, sie arbeitete darauf in der
gynäkologischen Praxis ihres Mannes in Böblingen als
Helferin.
Die Flucht nach Chile
gelang Ida Ehre nicht. Das Schiff, auf dem sie sich
schon bei den Azoren auf dem Weg nach Südamerika befand,
musste 1939 nach Kriegsausbruch umkehren.
Die Gestapo verhaftete
sie und brachte sie zur Internierung ins KZ Fuhlsbüttel.
Frei gelassen wurde sie, da ihr Mann seinen Schulfreund
Heinrich Himmler einschaltete.
An den Hamburger Kammerspielen spielte sie selber viele
Rollen – die Glanzpartie war die Anna Fierling in
Brechts 'Mutter Courage' - sie führte Regie.
1947 produzierte sie die Uraufführung von Borcherts
'Draußen vor der Tür'.
1994 inszenierte der damalige Oberspielleiter
Schauspiel, Rudolf Zollner, im Theater am Haidplatz in
Regensburg das Stück mit Tiedemann, Heuberger, Sowa und
Christiane Motter.
Über ihr Engagement am Theater Regensburg liegt in ihrer
Biographie, veröffentlicht im Internet, ein tiefes
Schweigen.
Die Produktion ging mit dem unvergesslichen Satz in die
Geschichte ein: “... und die Suppe ist auch kalt“. |
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Thema des Tages
Carl Orff
... am 10.
Juli 1895 geboren
Er war
eigentlich Autodidakt, seine ersten Werke
veröffentlichte, bevor er überhaupt eine musikalische
Grundausbildung erhalten hatte - spielte aber seit
seinem fünften Lebensjahr Klavier.
Aus 1913 stammte sein erstes größeres musikalisches
Werk: 'Gisei, das Opfer.'
Sein
Schulwerk - in der Zeit von 1930 bis 1935 entstanden –
die Ausbildung von Kindern ist eines seiner
beherrschenden Themen.
Für die Nazis war er gottbegnadet, was dazu führte, dass
er öffentliche Auftragsarbeiten erhielt, so 1936 eine
Komposition 'Olympischer Reigen'.
1937 fand die Uraufführung der 'Carmina Burana' statt,
die er seinem Verleger gegenüber so kommentierte:
Alles, was er vorher geschrieben habe, könne man nun
einstampfen.
1939 schrieb er im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main
eine Ersatzmusik zum 'Sommernachtstraum', da Mendelsohn
nicht mehr gespielt werden durfte.
Nach offiziell unbestätigten Informationen soll er ab
1941 durch Baldur von Schirach finanziell unterstützt
worden sein.
Wie Wagner hatte Orff das Gesamtkunstwerk als Ziel.
Die szenische Darstellung von Oratorien interessierte
ihn schon früh sehr, so begann er mit der Lukas-Passion,
diese auf die Bühne zu bringen.
Wichtig sind - neben den eigenen Werken - die
Monteverdi-Bearbeitungen.
Das Theater Regenburg spielte die 1947 uraufgeführte
Orff'sche
'Bernauerin' im
Hof des Regensburger T&T-Schlosses in einem Arrangement,
das seinesgleichen suchte.
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Thema des Tages
Kirsten
Flagstad
... am 12. Juli 1895 geboren
Sie begann 1913 als Nuri in 'Tiefland' und wurde über
Tosca, Minnie, Amelia, Aida,
Desdemona zu dem hochdramatischen Wagner-Sopran der
ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Mit 37
Jahren sang sie ihre erste Isolde, 1933 und 1934 war sie
in Bayreuth Ortlinde und dritte Norn, dann dort
Sieglinde und Gutrune.
Die Met war nach dem ersten Weltkrieg mit Wagner
vorsichtig, erst 1924 gab es wieder einen 'Ring' in New
York.
Bis 1933 war Frida Leider dort die Sängerin für
Wagner-Partien, die aber inakzeptable Forderungen
stellte, dass nach Ersatz Ausschau gehalten werden
musste.
Bei einem Vorsingen der Flagstad im Sommer 1934 für die
Met in einem Hotel in St. Moritz schikanierte sie der
Korrepetitor und auf seine Frage, ob sie 'die Rufe'
könne, legte sie los, dass Hermann Weigert, der spätere
Mann von Astrid Varnay, beinahe von seinem Klavierhocker
fiel.
Am 2. Februar 1935 sang sie Sieglinde, dann Isolde und
Brünnhilde und brachte der Met hohe Einnahmen, die
gerade nach der Wirtschaftskrise lebensnotwendig für das
Institut waren, die Lyric Opera in Chikago war gerade in
Konkurs gegangen.
Nach der Okkupation Norwegens durch die Nazis 1941
kehrte sie erst 1947 auf die Bühne zurück, hatte in
Amerika Probleme, akzeptiert zu werden, da man
behauptete, sie sei mit Hitler befreundet gewesen.
1950 kam es dann zu einem neuen Vertrag, 1952 sang sie
an der Met ihre letzte Vorstellung als Alceste.
80 Partien hatte die Flagstad 'drauf' - die sie in mehr
als 2.000 Vorstellungen sang, nicht gerechnet die
Konzerte. |
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Thema des Tages
König Friedrich I.
….am 11. Juli 1657 als drittes Kind des Ehepaares
Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Louise Henriette
von Nassau-Oranien geboren, somit in der dritten
Position der Thronfolge.
Da aber der Erstgeborene, Wilhelm Heinrich, wie auch der
Zweitgeborene, Karl Emil, sehr früh starben, war er
derjenige, der als Kurprinz nach dem Tod seines Vaters,
des 'großen Kurfürsten', am 9.5.1688 die Nachfolge in
Brandenburg anzutreten hatte.
Die Entwicklungen um sein Land herum zeigten eine
Aufwertung seines Vetters Wilhelm III. von Oranien im
Westen, der ab 1689 König von England, Schottland und
Wales wie im Süden wo 'August der Starke' 1697 König von
Polen wurde. Und im Westen stieg schon 1654 ein Mitglied
des Hauses Pfalz-Zweibrücken zu Karl X. – König von
Schweden auf.
So strebte auch er - damals noch Friedrich III.,
Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des
Heiligen Römischen Reiches und souveräner Herzog in
Preußen - seine 'Beförderung' an, was ihm im Rahmen der
Erbkämpfe um Spanien auch gelingen konnte.
Er stellte nämlich dem Kaiser, Leopold I., 8.000 Mann
brandenburgische Truppen zur Verfügung, als Ludwig XIV.
nach der Krone auf der iberischen Halbinsel zu Gunsten
seines Enkels, des Prinzen Philipp von Anjou, greifen
wollte, die aber nach Meinung des Kaisers den
Habsburgern zustand.
Unter dem Aspekt, dass der 'deal' zustande kommen würde,
erhoffte sich allerdings die katholische Kirche im
Rahmen der zu erwartenden Königswürde, dass Brandenburg
sich vom Protestantismus lösen und wieder in den Schoß
der Heiligen Römischen Kirche zurückkehren würde - dazu
aber war Friedrich nicht bereit - auch unter eventueller
Hintanstellung seines Wunsches, ein König zu werden..
Am 18.Januar 1701 war es dann soweit, in Königsberg
setzte sich Friedrich selber die Krone aufs Haupt - wie
103 Jahre später Napoleon in Paris - und ließ sich erst
nach dieser Zeremonie von Bischöfen segnen, die er
eigens für diesen Zweck ernannte.
Trotz dieser Änderung der Reihenfolge in der Prozedur
war ihm damit die Königswürde von Gott gegeben. Er
nannte sich nun Friedrich I., König 'in' Preußen.
König 'von' Preußen war nicht möglich, da Teile des
Landes noch unter polnischer Hoheit standen.
Erst 1777 - also zur Regierungszeit von Friedrich II. –
fiel auch der so genannte Netzedistrikt an Preußen, so
dass damit der Titel 'König 'von' Preußen' geführt
werden durfte.
1684 hatte Friedrich in Hannover-Herrenhausen Prinzessin
Sophie Charlotte von Hannover, geb. 1668, gest. 1705,
geheiratet.
Das 3. Kind aus dieser Verbindung war 1688 Friedrich
Wilhelm, der als König Friedrich Wilhelm I. von Preußen
- als Soldatenkönig - auf die Geschichte Einfluss nahm.
1712 ging aus dessen Ehe mit Prinzessin Sophie Dorothea
von Hannover der Sohn Friedrich, der später ’der Große’
genannt wurde - hervor. |
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Thema des Tages
Emil
Jannings
... am 23. Juli 1884 geboren
Nach einer Anfängerlaufbahn an deutschen Provinztheatern
kam er nach Berlin und meinte, so wie andere Kollegen,
ein leichtes Geld mit der Filmerei in deren Anfängen
ohne Ton verdienen zu können.
Harry Piel war einer der ersten Produzenten, wobei es
sich in der Hauptsache um Kurzfilme handelte. Den so
genannten Durchbruch erzielte er mit der Rolle des
Frosch in einer Verfilmung der 'Fledermaus'.
Bei der UFA folgte 'Madame Dubarry', in der Jannings den
französischen König Ludwig XV. in der Regie von Ernst
Lubitsch spielte.
Es folgte 'Anna Boleyn' mit Jannings als Heinrich VIII.
- dieser Film verhalf ihm zum Sprung nach Amerika. Beide
Filme liefen wochenlang in New York.
Der von der Paramount geplante Film 'Peter der Große'
stimmte in Bezug auf die Hauptrolle nicht mit der
Auffassung der Amerikaner überein - jenseits des
Atlantiks wollte man einen gefälligen russischen Zaren,
keinen bärbeißigen Wilden.
’Das Weib des Pharao' schloss sich als neues Projekt an
- man drehte mit Paul Wegener, Albert Bassermann - aber
das Opus gefiel nicht sonderlich.
Dann kam 'Nju' mit Elisabeth Bergner - 'Tartüff' mit
Werner Krauß und Lil Dagover - 'Quo vadis' mit ihm als
Nero geriet zu einem Schinken.
Hollywood war dennoch
interessiert und so spielte er in 'The Last Command' im
Jahr 1928 von Josef von Sternberg. Emil Jannings gewann
für seine Darstellung in dem Film sowie für die Leistung
in 'The Way of All Flesh' den ersten Oscar überhaupt als
bester Hauptdarsteller.
1930 folgte in Deutschland nach dem blauen Engel als
Tonfilm 'Liebling der Götter', 'Der alte und der junge
König' - Die Geschichte Friedrichs des Großen, dann nach
Hauptmanns Thema 'Vor Sonnenuntergang' - der Film mit
dem Titel 'Der Herrscher', 'Robert Koch' mit ihm in der
Titelrolle und Werner Krauß als Virchow.
Mit 'Ohm Krüger' wollten die Nazis die Engländer an den
Pranger stellen, mit dem Hinweis, die Briten hätten in
Südafrika die ersten Konzentrationslager gebaut.
Auf DVD heute noch erhältlich, die Verfilmung von
Kleist's 'Der zerbrochne Krug' mit Elisabeth
Flickenschildt als Frau Brigitte, Max Gülstorff als
Licht und Angela Sallocker als Eve. Lina Carstens war
Frau Marthe.
1942 führte
Wolfgang Liebeneiner Regie in dem Film 'Die Entlassung'
- die Situation von Wilhelm II. und Bismarck
beschreibend mit Werner Krauß als Holstein und Werner
Hinz als Wilhelm II..
Die Nähe zum
Nazi-Regime brachte ihn nach Ende des Krieges in
Schwierigkeiten. Die Alliierten belegten ihn mit einem
Arbeitsverbot.
Sein Lebensbericht war schon 1939 fertiggestellt, blieb
aber bis 1951 - also ein Jahr nach seinem Tod -
unveröffentlicht, weil vom Verlag Änderungen vorgenommen
wurden, die von Jannings nicht akzeptiert werden
konnten.
Thema des
Tages
Die Macht der Gewohnheit
... am 27.
Juli 1974 uraufgeführt
War Thomas Bernhard fixiert auf Peymann und Minetti?
'Der Weltverbesserer' in Bochum mit Minetti und Edith
Heerdegen, 'Minetti' mit Minetti und auch 'Die Macht der
Gewohnheit' mit Minetti als Caribaldi.
Wie er im 'Weltverbesserer' Trier oder Interlaken als
nicht akzeptabel vorführt, so gerät in der 'Macht der
Gewohnheit' die Stadt Augsburg in die Kritik.
Er sprach von einem 'muffigen verabscheuungswürdigen
Nest, dieser Lechkloake'.
Man wollte dort nicht derartig abqualifiziert werden und
die Stadt entschloss sich, gegen TB und sein Stück
juristisch vorzugehen. Der damalige Oberbürgermeister
wies sein Rechtsreferat an, zu prüfen, welche Schritte
gegen TB und sein Stück unternommen werden könnten.
Selbst der Bayerische Ministerpräsident sollte helfen.
Der Text wurde nicht geändert, noch heute heißt es:
'Morgen Augsburg!'
Man möge sich in der 'Lechkloake' keine Gedanken machen.
In seinem 'Meine Preise' schreibt Thomas Bernhard über
Regensburg:
"Die Stadt gefiel mir nicht, sie ist kalt und
abstoßend ... Wie hasse ich diese mittelgroßen
Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von
welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich
verunstalten lassen ... Salzburg, Augsburg,
Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil
in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn
warmgestellt ist."
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Am BE lief
eine Peymann-Inszenierung der
'Macht' mit Jürgen Holtz, der sich als 'Motzki' von
Wolfgang Menge einen bestimmten Namen
machte.
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Plädoyer
für das Ensemble-Theater
Seit Jahren wird leidenschaftlich über das Ensemble-Theater
gestritten. Die sozialen Interessen von Künstlerinnen und
Künstlern geraten dabei leicht in Vergessenheit.
In den
zurückliegenden Jahrzehnten haben die öffentlich getragenen
Theater mehr als 6.500 Stellen abgebaut. Im gleichen Zeitraum
stieg die Anzahl der Gastverträge von etwa 8.000 pro Jahr auf
über 20.000. Die Zahl an Festengagements hat also abgenommen und
das, obwohl die Zahl der interessierten Bewerberinnen und
Bewerbern eher zugenommen hat. Eine beängstigende Situation vor
allem für jüngere Theaterschaffende. Gleichzeitig steigt die
Arbeitsdichte: Mit immer weniger Geld müssen immer mehr
Aufführungen gestemmt werden. Der Druck nimmt zu, die Ensembles
sind überlastet.
Vor
diesem Hintergrund ist in wiederkehrenden Wellen von einer
hausgemachten Theater-Krise die Rede, bei der einen gelegentlich
das Gefühl des herbeigesehnten Systemsturzes überkommt zu Lasten
der Künstlerinnen und Künstler. Unberücksichtigt bleibt nämlich,
dass Veränderungsforderungen, wenn sie unausgegoren sind,
letztlich den wohlerwogenen Interessen der Beschäftigten zuwider
laufen können. Am Ende sollte es keine Frage sein, ob
Theaterschaffende mit dem Festengagement sozial und tariflich
abgesichert oder als Gastiertruppe unsicheren
Zukunftsaussichten und Lohndumping ausgesetzt werden sollen. Wir
wollen nicht in die Zeiten der Neuberin zurück. Die GDBA kämpft
deshalb in der mal wieder laufenden Debatte für das
Ensembletheater und die Künstlerinnen und Künstler, die sich
gelegentlich als Fortschrittsverhinderer hinstellen lassen
müssen. Unter anderem theoretisierende Kulturmanager
konstruieren eine Alternative zwischen einem Engagement in einer
angeblich „wilhelminisch geprägten Hierarchie oder als kreativer
Unternehmer" - als gebe es wahre Kunst nur um den Preis sozialer
Bindungslosigkeit. Joachim Lux vom Hamburger Thalia-Theater
spricht von „halbgaren Unternehmensberatern".
ANGRIFFE
VON VERSCHIEDENEN SEITEN
Im
Spannungsverhältnis stehen aber tatsächlich auf der einen Seite
diejenigen, die mehr soziale Sicherheit für die Künstlerinnen
und Künstler sowie stärkere Regulierung fordern und auf der
anderen Seite jene, die mehr und angeblich bisher nicht
vorhandene kreative Freiheit verlangen - wobei letzteres von
einigen wenigen Altvorderen als Konzept ausgegeben, in
Wirklichkeit aber bloß als Ausrede für ihre eigenen Unwillen zu
vernünftiger Planung genutzt wird. Vollends unübersichtlich aber
wird die Debatte, wenn beide Argumentationen von denselben
Personen vorgetragen werden.
Im
Wesentlichen unbestritten ist eigentlich nur, dass das
flächendeckende Ensembletheater ein Unterscheidungsmerkmal der
deutschsprachigen Theaterlandschaft gegenüber den allermeisten
Ländern in Europa und darüber hinaus war und ist. Eben so klar
müsste aber auch sein, dass das Ensembletheater mit seinem
Festengagement ein bis dahin unbekanntes Maß an sozialer
Sicherheit für die künstlerisch Beschäftigten gebracht hat.
Trotzdem wird die Institution von verschiedenen Seiten
angegriffen, die sonst nicht viel miteinander gemein haben.
Fragt man
Theaterbeschäftigte, dann kommen schon mal ungewöhnliche
Vergleiche. Der Schauspieler Peter Brombacher etwa spricht
gegenüber der lnternetplatform des Goethe-Instituts vom
Zusammengehörigkeitsgefühl des Ensembles: „Das gibt einem
Vertrauen, jeder einzelne geht mit einer größeren Kraft in die
gemeinsame Arbeit hinein und traut sich unter Umständen mehr,
als wenn man einzelkämpferisch als Gast unterwegs ist."
Gerade an
kleinen und mittleren Theatern in der Fläche wird dieser
besondere Zusammenhalt des Ensembles immer wieder konstatiert.
So erklärte die Regisseurin Vera Nemirova über ihre jüngste
Arbeit - den „Fliegenden Holländer" - am Theater Magdeburg in
der VoIksstimme. "An einem Ensembletheater, wo die Leute
aufeinander abgestimmt sind, gibt es Bedingungen, die andere
Qualitäten haben, als an den Theatern der Superlative, die
andere Qualitäten haben."
Jenseits
aller konservativen Beharrungskräfte, die Befürwortern des
Repertoire- und Ensemble-Theaters gelegentlich untergeschoben
werden, gilt der Ensemble-Abbau zugunsten von Bespieltheatern
etwa auch den Feuilletons als kultureller GAU. So schrieb der
Berliner Tagesspiegel, hinter dem Streit um die Berliner
Volksbühne stecke die ernst zu nehmende Befürchtung,
traditionsreiche und gewachsene Ensemblestrukturen könnten
zugunsten eines Gastspielbetriebs aufgelöst werden." Und für
viele Feuilletonisten in der Hauptstadt kommt das als besonders
kreativ geltende Maxim Gorki dem Ensembletheater-Ideal am
nächsten.
Für
Oliver Reese, kommender Intendant des Berliner Ensemble,
vermittelt sich die Identität eines Theaters durch die
Integrität seines Ensembles. “Es sind fest engagierte
Schauspieler, diesem Haus verpflichtet, mit Vertrag und mit
Herzblut unterschrieben, mit der gegenseitigen Verpflichtung,
sich über Regisseure und Stücke zu entwickeln, Schauspieler,
denen das Publikum vertraut, auf die man sich freut."
Außerhalb
fester Häuser müsste wohl in der Tat ein größeres finanzielles
und materielles Risiko für Künstler befürchtet werden und eine
durch Marktgesichtspunkte nivellierte Kunstproduktion.
INNOVATIONEN UND QUALITÄT MÜSSEN MÖGLICH BLEIBEN
Denn das
würden die meisten Forderungen nach strukturellem Umbau,
gewollt oder nicht, in letzter Konsequenz bedeuten: Das alte
Repertoire- und Ensembletheater verschwände und mit ihm das
Festengagement für die Künstlerinnen und Künstler. Die zu
lesende Behauptung, die deutsche Theaterlandschaft sei genau
seinetwegen materiell so teuer und gleichzeitig so künstlerisch
arm, darf als Provokation um ihrer selbst willen gelten, auf die
niemand reagieren muss. Wahr ist, dass der Druck auf die Häuser
steigt, die Eigenquoten zu erhöhen. Richtig ist aber auch, dass
Theater nicht zuletzt für ihre Innovationen bezuschusst werden.
Gerade auch beim Musiktheater sind solche Experimente, aus denen
durchaus Massenerfolge werden können, nur mit einem festen
Apparat möglich, wie ihn die Stadttheater bieten. Ohne festes
Ensemble würde die Qualität des Theaters sinken, weil der
Kostendruck auf die gastierenden Theatergruppen stiege und nur
noch entsprechend Massengeschmack produziert werden könnte. Die
Sorge um die Qualität treibt beständig auch die
Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA)
um.
Was
passiert, wenn man den Marktwirtschaftlern noch weiter folgt,
kann in Großbritannien besichtigt werden: Abseits von London
sehen sich die Theater zusehends im Überlebenskampf zu
populären Musicals und Shows gezwungen.
Im
Gegensatz dazu werden die Künstlerinnen und Künstler gebraucht
als Identifikation eines Theaters, das eine wichtige Rolle
spielt in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft. Im
Idealfall setzen sie sich mit den Themen „ihrer" Stadt
auseinander, nehmen Debatten auf oder reißen sie an. Theater
dürfen und müssen Sand im Getriebe einer Gesellschaft sein.
Voraussetzung ist, dass die Künstlerinnen und Künstler in den
Städten auch zuhause sind; sie brauchen Interesse und Kenntnis,
Nähe und Identifikation. All das ginge völlig verloren, wenn
Zuschauer nur noch das durchreisende Angebot konsumieren. Die
gesellschaftliche Funktion des Theaters würde sich auflösen: Es
würde nur noch Mainstream gespielt werden und jene Stücke fielen
durchs ökonomische Raster, die auf den ersten Blick weder
publikumswirksam noch ertragreich scheinen.
Bespieltheater wären bloße Hüllen, in denen beliebige,
austauschbare Programme abgespielt werden, die weder eine
bestimmte stilistische Ausrichtung zulassen, noch eine eigene
Identität entwickeln. Voraussetzung für künstlerische Qualität
und Freiheit ist das gesunde Gleichgewicht von sozialer
Sicherheit für die Kulturschaffenden und Flexibilität. Letztere
würde durch Überregulierung verloren gehen und muss beständig
definiert und austariert werden.
DAS
ENSEMBLE SCHÜTZT
Ein
aufgelöstes Ensemble oder eine geschlossene Sparte kehren in der
Regel nicht zurück; das ist eine Binsenwahrheit, die aber
gelegentlich in Vergessenheit zu geraten scheint, wenn nicht
nur Politiker und Unternehmensberater die Vorlage für die
Attacke auf die Ensembles liefern, sondern auch
Kulturjournalisten ins gleiche Horn stoßen.
Die
Gemeinschaft von Schauspielerinnen und Schauspielern ist
widerständig. Weil sie in „ihrer" Stadt verankert ist, kann der
Wegfall nicht heimlich, ohne Aufsehen geschehen. Das Publikum
kennt „sein" Ensemble.
Wie auch
immer gewendet: Wer das Ensemble-Theater abschafft, nimmt
zugleich reisende Künstlertruppen in Kauf, die Gastspielbühnen
bedienen. Im Kern wäre das die Bankrott-Erklärung der bisher
gelebten Kultur, die Übernahme einer bloß
betriebswirtschaftlichen Rechnung, ein Kotau vor den
Finanzpolitikern der Theaterträger und der Abschied von
künstlerischer Qualität -eine Produktion müsste schließlich
immer den kleinsten zu bespielenden Bühnen angepasst werden.
Wenn
Politikern nahegelegt wird, die Aussagen der Theatermacher vom
„alternativlosen" Ensemble-Theater nicht so ernst zu nehmen,
sondern vielmehr auf dessen Abschaffung zu drängen, ist das
unsolidarisch, um es sehr vorsichtig zu formulieren. Von der
geforderten „Dekonstruktion" aller Strukturen zur
„Deregulierung" ist es dann nicht mehr weit. McKinsey, Actori &
Konsorten werden sich freuen.
Elitenbashing ist gerade in - auch wenn die Getroffenen gar
keine Elite darstellen. Ob nun ein Kulturmanager von
espressotrinkenden Theaterbesuchern fabuliert, die im
Stadttheater-Foyer ihre nächsten Geschäfte vernetzen oder ein
populistischer Politiker von der Champagneretage spricht, die es
trocken zu legen gelte: Am Ende geht es immer gegen das
vermeintliche Establishment. Unterschiedlich sind nur die
Getränkesorten.
In der
Realität sind die insgesamt 35 Millionen Theater-Besucher im
Jahr bestimmt keine Elite, ihre Zahl entspricht etwa dem
Dreifachen des Stadion-Publikums der 1. Bundesliga. Deren
Interesse würde aber rasch nachlassen, wenn das liebgewonnene
Haus aus Kosten- oder sonstigen Gründen zum Bespieltheater
degradiert wurde. Gegen die bisherigen Strukturen ist ganz
sicher kein taugliches Argument, dass das Ensemble-Theater über
eine lange Tradition verfügt. Vielleicht doch eher im Gegenteil?
(Jörg
Rowohlt) |
Auszug aus dem Fachblatt der
Genossenschaft der Deutschen Bühnenagehörigen 3/17
Fortsetzung von Seite 37, Heft sechs,
Juni-Ausgabe
Lohengrin
Die
Quellen -
Literarische und historische Grundlagen
Schon als Schüler hatte Richard Wagner aus finanzieller Not eine Tugend
gemacht und sich ein Taschengeld durch Korrekturlesen der von Loebell
bearbeiteten Beckerschen Weltgeschichte verdient, die bei seinem
Schwager Friedrich Brockhaus in einer neuen Auflage erschien. So gelang
es ihm, den schlechten Unterricht, den er auf den öffentlichen Schulen
zu genießen gezwungen war, durch Privatstudien auszugleichen.
Ihm bleibt hier nur in Erinnerung, dass
in den Schulen sein Augenmerk ausschließlich auf die griechische
Geschichte mit “Marathon, Salamis und Thermophylen” gelenkt wurde. Durch
seine Tätigkeit als Lektor bei Brockhaus lernt er “zum ersten Male das
Mittelalter und die französische Revolution genauer kennen, da in die
Zeit meiner Korrekturarbeiten gerade der Druck derjenigen beiden Bände
fiel, welche diese verschiedenen Geschichtsperioden enthielten.” (Mein
Leben (ML) Seite 46)
Die reichhaltige Bibliothek seines Onkels
Adolf Wagner, die Richard Wagner bei den Aufenthalten kennen lernte und
aus der er den ’Parnasso Italiano’ später in seine Dresdener Bibliothek
übernahm, machte ihn auch vertraut mit der griechischen Geschichte und
dem griechischen Schauspiel. Hinzu kam von Johann Wilhelm Loebell
’Gregor von Tours und seine Zeit vornehmlich aus seinen Werken
geschildert’. (1839 / DB 84)
Hauptsächlich war in der Sammlung “die
altdeutsche Literatur vertreten und das ihr zunächst verwandte
Mittelalterliche überhaupt [...]” (ML S. 274)
So wurde auch die ’Geschichte der
Hohenstaufen’ in die eigene Bibliothek aufgenommen, von der Goethe
sagte, dass das Werk die verblichenen Gespenster der Gegenwart wieder
lebendig gemacht habe. Richard Wagner findet erst über den Sohn
Friedrichs II., Manfred, zum Werk, um daraus eine fünfaktige Oper ’Die
Sarazenin’ zu entwerfen.
Er betrieb eifrig Studien und mit
Unterstützung seines Onkels Adolf Wagner “welcher auch in betreff der
Musik anregend und fördernd auf mich wirkte” nahm er “bei einem
Gelehrten Privatunterricht im Griechischen, und las mit diesem den
Sophokles”. (ML S. 46)
Um hier nun möglichst vollständig sich ein Bild zu machen, musste er
sich mit der Sprache auseinandersetzen und wenn es ihn zu der
Hellenistischen Kultur hinzog, so “zog mich namentlich das Griechische
an, weil die Gegenstände der griechischen Mythologie meine Phantasie so
stark fesselten, dass ich die Helden derselben durchaus in ihrer
Ursprache sprechend mir vorführen wollte, um meine Sehnsucht nach
vollständiger Vertrautheit mit ihnen zu stillen.” (ML S 20)
Es wird deutlich, dass er schon sehr früh
grundlegende Kenntnisse unter anderem über das Mittelalter besaß und
dies seine Dichtungen beeinflusste.
Später, während der Dresdener Zeit legte
sich Richard Wagner eine eigene Bibliothek zu und erweiterte sie
ständig. “[...] vor allem ward mein Haus mir innig heimisch durch eine
Bibliothek, welche ich sofort, nach dem Plane der mir vorgesetzten
Studien durchaus systematisch verfahrend, auf einmal mir anschaffte.”
(ML S. 274).
Wie wichtig ihm Lektüre überhaupt war,
dokumentiert sich auch in einer Aussage in der Biographie für das Jahr
1843: ” [...] reiste ich über Leipzig [...] nach Dresden zurück, um mich
bei meinen Büchern wieder wohlzufühlen” [...] (ML Seite 297)
Später wurde diese Bibliothek von seinem
Schwager Brockhaus konfisziert, die dieser dann nicht mehr gewillt war,
herauszugeben. “Diese Bibliothek ging bei dem Zusammensturz meiner
Dresdener Existenz auf sonderbare Weise in den Besitz des Herrn Heinrich
Brockhaus über, welchem ich um jene Zeit 500 Taler schuldete [...] und
nie wurde es mir möglich, diese charakteristische Sammlung von ihm
zurückzugewinnen.” (ML S. 274)
Diese war eine schon in ihren Anfängen
umfangreiche Büchersammlung, die auch den zweiten Weltkrieg überstand
und nun “im neuen Verlagsgebäude” [...] in würdigem Rahmen wieder
aufgestellt” ist. (Westernhagen, C. v., Richard Wagners Dresdener
Bibliothek 1842 – 1849, Wiesbaden 1966)
Die Sammlung umfasst 169 Titel, wobei von
Minna Planer durch eine genaue Aufstellung der Gesamtbestand
nachgewiesen wurde, jedoch sind weitere 29 Titel von Minna Planer
aufgeführt worden, wobei jedoch hier bibliographisch ungenau vorgegangen
wurde und Richard Wagner auch andere Ausgaben und Auflagen besessen
haben kann.
Hervorzuheben ist die Literatur von der
angenommen werden kann, dass Richard Wagner sie vor Fertigstellung der
Prosaskizze des ‚Lohengrin’ im Juli 1845 und der Dichtung bis zum
November 1845 studiert hatte und die zumindest teilweise unmittelbar in
Verbindung mit den frühen Werken ‚Die Hochzeit’, ‚Die Feen’, ‚Das
Liebesverbot’, Rienzi, ‚Der fliegende Holländer’, ‚Tannhäuser’ standen -
somit u.a. aber auch für den Lohengrin - folgenden Werke Bedeutung
haben:
‚Artus-Sage’
herausgegeben von
San Marte, 1842
‚Werke von Caesar’,
übersetzt von
Anton Baumstark, 1838 / 1839
‚Deutsche Geschichte des Mittelalters’,
herausgegeben von
Friedrich Heinrich von der Hagen, 1808 -
1820
‚Deutsche Märchen und Sagen’,
herausgegeben von
Johannes Wilhelm Wolf, 1845
‚Deutsche Sagen’
herausgegeben von
den Brüdern Grimm, 1816 - 1818
‚Deutsches Theater’
herausgegeben von
Ludwig Tieck, 1817
‚Die Edda’
herausgegeben von Friedrich Heinrich von
der Hagen und von Heinrich Majer, 1818
‚Gesta Romanorum - ältestes Märchen und
Legendbuch des christ-
lichen Mittelalters’
herausgegeben von
Johann Georg Theodor Gräße, 1842
‚Goethe’s sämtliche Werke’, 1840
‚Diutiska’ – Denkmäler deutscher Sprache
und Literatur’,
herausgegeben von
E.G. Graff, 1826 - 1829
‚Deutsche Grammatik’
von Jacob Grimm,
1840
‚Deutsche Mythologie’
von Jacob Grimm,
1844
‚Ueber den altdeutschen Meistergesang’
von Jacob Grimm,
1811
‚Die deutsche Heldensage’
von Wilhelm
Grimm, 1811
‚Der Helden Buch’, 1811
herausgegeben von
Friedrich Heinrich von der Hagen,
‚Das kleine Heldenbuch’, 1844
herausgegeben von
Karl Simrock,
‚Glossarium zu den Gedichten Walthers von
der Vogelweide’
herausgegeben von
C. August Hornig, 1844
‚Heinrich von Kleist - gesammelte
Schriften’,
herausgegeben von
Ludwig Tieck, 1826
‚Konrad von Würzburg’
mit Anmerkungen
von Moritz Haupt, 1844
‚Gotthold Ephraim Lessing - Sämtliche
Schriften’,
herausgegeben von
Karl Lachmann, 1838 - 1840
‚Des Titus Livinius Römische Geschichte’
herausgegeben von
Eucharius Ferdinand Christian Oertel,
1822 - 1833
‚Lohengrin’
herausgegeben von
J. Görres, 1813
‚Über den Krieg von Wartburg’
von C.T.L. Lucas,
1838
‚Minnesinger’
herausgegeben von
Friedrich Heinrich von der Hagen, 1838
‚Römische Geschichte’
von B.G. Niebuhr,
1833 – 1843
‚Niederländische Sagen’
herausgegeben von
Johann Wilhelm Wolf, 1843
‚Schillers sämtliche Werke ‚Shakespeares’
dramatische Werke’,
1838
‚Quellen des Shakespeare in Novellen,
Märchen und Sagen’
herausgegeben von
Echtermeyer, Henschel und Simrock,
1831
‚Das neue Testament’, o.J.
‚Ludwig Tieck’s Schriften’
herausgegeben von
E. Reimer, 1828 - 1848
‚Die Gedichte Walthers von der
Vogelweide’
erläutert von
Karl Simrock, 1833
‚Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte
bis zum Jahr 1305’
herausgegeben
von Ludwig Friedrich Fues, 1835 - 1842
‚Wolfram von Eschenbach’
herausgegeben von
Karl Lachmann, 1833
‚Lieder, Wilhelm
von Orange und Titurel von Wolfram von Eschenbach und der jüngere
Titurel von Albrecht in Übersetzung und im Auszuge, nebst Abhandlungen
über das Leben und Wirken Wolfram’s von Eschenbach und die Sage vom
heiligen Gral’
herausgegeben von San Marte, 1841
‚Wolfram von Eschenbach – Parcival,
Rittergedicht’
herausgegeben von
San Marte, 1836
‚Zeitschrift für Deutsches Alterthum’
herausgegeben von
Moritz Haupt, 1841 - 1848
‚Mittelhochdeutsches Wörterbuch’
herausgegeben von
Adolf Ziemann, 1838
‚Nibelungenlied’
herausgegeben von Al. J.
Vollmer, 1843
‚Untersuchungen zur Geschichte der
teutschen Heldensage’
herausgegeben von Franz Joseph
Mone, 1836
‚Conversations-Lexikon der Gegenwart’
herausgegeben von
F.A. Brockhaus, 1838 - 1841
‚Brüder Grimm – Kinder- und Hausmärchen’,
1819 - 1822
‚Heinrich Heine - Buch der Lieder’, 1831
oder 1844
‚Heinrich Heine – Gedichte’, 1822
‚Das Heldenbuch’
herausgegeben von
Karl Simrock, 1843 - 1846
‚Lessing’s Dramen und dramatische
Fragmente’
erläutert von
August Nodnagel, 1842
‚Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts’
von Hans
Ferdinand Maßmann, 1842
‚Wolfram von Eschenbach – Parzival und
Titurel’
übersetzt und
erläutert von Karl Simrock, 1842
Besonderen Einfluss auf sein Wirken als
Dichter hatten Jacob Grimm ‚Deutsche Mythologie’ und Johann Gustav
Droysen ‚Des Aischylos Werke’ und “das griechische und römische Altertum
musste ich mir durch unsere klassisch gewordenen Übersetzungen
leichtzumachen suchen [...]” (ML S. 274
Und [...] außerdem sorgte ich auf das
Gründlichste für allgemeines Geschichtsstudium überhaupt und unterließ
hierfür nicht mit den bändereichsten Werken mich vorzusehen [...]. (ML
S. 275)
Er las [...] “Mones Untersuchungen der
deutschen Heldensage, die ‚Deutschen Sagen der Brüder Grimm’, die
‚Deutsche Mythologie’ Jacob Grimms und die ‚Geschichte der poetischen
Nationalliteratur der Deutschen’ [...] (Gregor-Dellin RW S. 225)
Der junge Bildhauer Gustav Adolph Kietz
berichtet, wie geschlossen die Bibliothek Richard Wagners allein durch
ihr Äußeres “mit ihren gleichmäßigen Leinen- und Halbfranzbänden in
ihrer Geschlossenheit gewirkt” habe. “Wagner hatte stets eine
vorzügliche Bibliothek wertvoller Werke in reich ausgestatteten
Einbänden, auf die er großen Wert legte.”
Durch die intensiven Studien war Richard
Wagner mit dem Stoff der Mythologie so verraut geworden, dass er andere
anleiten konnte und so Kietz “in den Geist der Werke eingeführt hatte.
Besonders die nordische Mythologie, Parzival von Wolfram von Eschenbach,
die alten deutschen Heldensagen lernte ich durch ihn kennen. Auch über
deutsche Märchen sprach er viel. Wo ich nicht folgen konnte und fragen
musste, fand ich Belehrung in liebenswürdigster und ausreichendster
Weise.” (Westernhagen, C. v. - Richard Wagners Dresdener Bibliothek 1842
– 1849, Wiesbaden 1966)
Außerdem entlieh sich Richard Wagner
Werke der Literatur aus der öffentlichen Bibliothek.
[...] “Was er sich nicht selbst besorgen
konnte und was zu umfangreich war, das entlieh er sich der
Staatsbibliothek.” (GD RW S. 225)
Nach den Aufzeichnungen, die Minna Wagner
bei der Übergabe der Bibliothek an Friedrich Brockhaus anfertigte, hatte
Richard Wagner auch die Werke Shakespeares gelesen, somit waren ihm auch
der Macbeth und die Machenschaften der Lady bekannt, so dass auch hier
der Einfluss auf die Dramaturgie des Lohengrin möglich gewesen ist.
Und da er sich nicht damit begnügte, “ein
neues Buch aufzuschlagen und durchzublättern, sondern [...] es von
Anfang bis zu Ende, wenn auch mitunter in Absätzen durchzulesen”, so
wird deutlich, dass er die Stoffe verinnerlichte und es ihm später
möglich wurde, aus diesem geistigen Reservoir beim Abfassen der
Dichtungen zu schöpfen.
Die gewonnenen Kenntnisse eröffneten ihm
die Möglichkeit, die verschiedensten Elemente seiner Studien in seinen
auch späteren Dichtungen zu verwerten. Inzwischen wurde wissenschaftlich
nachgewiesen wie sehr Richard Wagner selbst in kleinsten Details alte
Wortformen sich zurechtlegte und in seinen Musikdramen verwendete.
Während der Pariser Zeit vom 17.9.1838
bis 7.4.1842 war der Philologe Samuel Lehrs, eigentlich Samuel Levi,
geboren 1806 in Königsberg (Pr.), gest. 13.4.1843 in Paris, durch
Gottfried Engelbert Anders, “einem an der Bibliothèque royale für die
Abteilung der Musik angestellten Deutschen” (ML S.180) mit Richard
Wagner bekannt gemacht worden.
Anders schaffte “den Philologen Lehrs
herbei und verschaffte mir dadurch eine Bekanntschaft, welche bald zu
einem der schönsten Freundschaftsverhältnisse meines Lebens führte.”
“Wir wurden bald so vertraut, dass ich ihn fast alle Abende regelmäßig
mit Anders bei mir eintreten sah.” (ML S. 181 / 182)
Bereits 1841 brachte Lehrs Richard Wagner
einen Beitrag in den Jahresheften der Königsberger Deutschen
Gesellschaft “in welchem Lukas den Wartburgkrieg’ kritisch näher
behandelte” zur Lektüre.
Hier noch kann Richard Wagner den Stoff
nicht näher für sich einordnen, allerdings kommt er auf diese Weise mit
einer Zeit näher in Kontakt, denn “zeigte er mir doch das deutsche
Mittelalter in seiner prägnanten Farbe, von der ich bis dahin keine
Ahnung erhalten hatte.”
In dieser Veröffentlichung findet Richard
Wagner nun auch “und zwar als Fortsetzung des Wartburggedichtes, ein
kritisches Referat über das Gedicht von ’Lohengrin’, und zwar mit
ausführlicher Mitteilung des Hauptinhalts dieses breitschweifigen Epos.”
(ML 315)
Auch den Lohengrin kann er geistig noch
nicht verwerten, obwohl er dieses Bild in sich “unverlöschlich” bewahrt
und, so dass er “bei späterem Bekanntwerden mit den Zweigen der
Lohengrinsage dieses Bild schnell mit gleicher Deutlichkeit in mir
beleben konnte”. ML 315)
Die mit der Lektüre gewonnen Eindrücke
bestimmen Richard Wagner “nun bald nach Deutschland zurückkehren und
dort mich der neu zu gewinnenden Heimat in schöpferischer Ruhe erfreuen
zu können.” (ML S. 224)
Während der Entstehung des Tannhäuser –
im Mai 1843 hatte er diese Dichtung vollendet – hielt er sich, nun als
wohlbestallter sächsischer Hofkapellmeister in Teplitz in Böhmen zur Kur
auf.
Hier vernachlässigte er die eigentlichen
Kuranwendungen und hatte immer die ’Deutsche Mythologie‘ von Jacob Grimm
bei sich.
Die Lektüre belastete ihn durch die
Intensität der Darstellung, da “sein ungemein reicher, von jeder Seite
her angehäufter und fast nur für den Forscher berechneter Inhalt auf
mich [...] wirkte”, kam er auch nicht dazu “etwas von der Musik des
’Tannhäuser’ zu entwerfen” [...]”. (ML S. 273)
Er bildete sich ein krank zu sein, blieb
tagelang im Bett “las die deutsche Sagen von Grimm, nahm immer wieder
die unbequeme Mythologie vor und war froh” durch eine Reise nach Prag
sich ablenken zu können. (ML S. 273)
1845 ist Richard Wagner in Marienbad in
Böhmen zur Kur. “Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen:
die Gedichte Wolfram von Eschenbachs in den Bearbeitungen von Simrock
und San Marte, damit im Zusammenhang das anonyme Epos vom ‚Lohengrin’
mit der großen Einleitung von Görres.” (ML S. 315)
Jedoch “gewann die an ihm so
bedeutungsvoll haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit vermöge
meiner Studien mir bekannt gewordenen Züge dieses Mythenkomplexes einen
übermäßigen Reiz für meine Phantasie.” (ML S. 315)
Nach der Kenntnisnahme der Quellen
Wolframs sowie des anonymen sogenannten baierischen Lohengrins und auch
der Sage durch die Gebrüder Grimm “erwuchs mir eine bald beängstigend
sich steigernde Aufregung: “der Lohengrin stand plötzlich vollkommen
gerüstet mit großer Ausführlichkeit in der dramatischen Gestaltung des
ganzen Stoffes vor mir. Namentlich gewann die an ihm so bedeutungsvoll
haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit vermöge meiner Studien mit
bekannt gewordenen Züge dieses Mythenkomplexes einen übermäßigen Reiz
für meine Phantasie.” (ML Seite S. 315)
Richard Wagner geht zwar nicht weiter
darauf ein, um welche Studien es sich handelt. So stellt sich die Frage;
ob und inwieweit er über die erwähnte Lektüre hinaus, die er zum Teil
schon 1841 in Paris kennen gelernt hatte, er weitere Quellen nach
Marienbad mitnahm.
Um sich vom Stoff des Lohengrin
abzulenken, entwirft Richard Wagner zunächst das Konzept zu den
Meistersingern, [...] “dass ich, weil dies ein besonders heitres Sujet
war, es für erlaubt hielt diesen weniger aufregenden Gegenstand trotz
des ärztlichen Verbotes zu Papier zu bringen.“ (ML Seite 316) und um den
Erfolg der Kur nicht zu gefährden, wehrt sich Richard Wagner förmlich
dagegen, sich näher mit dem Stoff des ’Lohengrin’ weiter zu befassen.
Wie stark er den Stoff aber bereits
verinnerlicht hatte, zeigt die Tatsache, dass er “von solcher Sehnsucht,
den ’Lohengrin’ aufzuschreiben ergriffen ward, dass ich, unfähig, die
für das Bad nötige Stunde abzuwarten, nach wenigen Minuten bereits
ungeduldig heraussprang” [...]“und wie ein Rasender in meine Wohnung
lief, um das mich Bedrängende zu Papier zu bringen. Dies wiederholte
sich mehrere Tage, bis der ausführliche szenische Plan des ‚Lohengrin’
ebenfalls niedergeschrieben war.” (ML Seite 316)
Richard Wagner führt selbst aus, dass er
nach dem fragwürdigen Publikums-Erfolg des ’Tannhäuser’ nicht zu innerer
Ruhe kam, denn danach rief es ihn mit “Macht auf mich selbst zurück, um
schnell etwas zu schaffen, worüber ich einzig die beruhigenden und
peinigenden Aufregungen, die mir der ’Tannhäuser’ verursachte, loswerden
konnte.”
(ML Seite 339)
Bereits nach den ersten Vorstellungen des
’Tannhäuser’: “führte ich das vollständige Gedicht des ’Lohengrin’ aus”.
(ML Seite 339 )
Es ist kaum nachzuvollziehen, dass
Richard Wagner sich immer wieder noch weitere Quellen zu der
Schwanrittersage, auch noch während der Proben und den Aufregungen der
ersten Vorstellungen des ’Tannhäuser’, zum Fertigstellen des Textes zum
‚Lohengrin’ erschließen konnte.
(Wird fortgesetzt)
Die neapolitanische Oper –
Stimmfach und Charakter
Dieser Beitrag ist der hoffentlich
provozierende Klagegesang eines frustrierten Mezzosoprans.
Während meiner Tätigkeit als
Opernsängerin saß ich unzählige Male vor dem Garderobenspiegel im
Theater und fragte das unergründliche Schicksal:
"Was haben die Komponisten gegen mich?"
Ich muss mir Falten ins Gesicht schminken
als Mutter einer doppelt so alten Tochter; gleich setzt man mir eine
graue Perücke auf und kleidet mich düster.
Bestenfalls darf ich meine naturgewollten
weiblichen Zutaten wegpressen, in Knabenhosen steigen und mit eckigen
Bewegungen den jugendlichen Liebhaber darstellen.
Im nächsten Stück werde ich ins Kloster
gesteckt, erstochen oder ich sterbe im Wahnsinn, während die
Soprankollegin mit allen kosmetischen Tricks rosig gestaltet, im weißen
Gewande und unter blonder Perücke die Sympathie des Geliebten und des
Publikums genießt.
Als Gesangspädagogin höre ich voller Freude die jungen Mezzo- und
Altstimmen, das Publikum sagt: "Wie schön ist der satte Klang und wenn
man alles versteht, weil nicht so hoch gezwitschert wird"- aber bei den
auf ein paar 'Renner' reduzierten Spielplänen der unter Erfolgs- und
Termindruck arbeitenden Opernhäuser, einfallslosen Dramaturgen,
profil-neurotischen Regisseuren, kontobewußten Dirigenten und
ängstlichen Intendanten wird es ihnen genauso ergehen, wie mir.
Liederabende haben keine Zuhörer mehr, es
sei denn, für die Top-Stars mit Festival- und Schallplattennamen. Im
Oratorium machen sich die unappetitlichen Falsettisten breit - ja, was
rate ich nun meinen tatendurstigen, bildschönen, blitzgescheiten
Vertreterinnen der mittleren und tiefen Stimmen?
Die Frage, warum wir denn Frauen minderer
Qualität sein sollen, beantworteten mir die Dirigenten und Regisseure
mit: "Frag nicht so blöd, das ist eben so" oder "das hat historische
Gründe"!
Musik ist aber kein Naturprodukt, in das
man ohne zu fragen hineinbeißt, sondern wird von Komponisten - Männern
(Frauen waren ja wegen ihrer biblisch abgesicherten Inferiorität vom
Lernen ausgeschlossen) ausgedacht.
Michelangelos und Rubens' Kollossalfrauen,
Watteaus und Fragonads Püppchen mit den Wespentaillen, Gustav Klimts
morbide Kleiderständer, die Photo-Idole unserer Zeit - bodygebildet und
gestylt, es sind 'Imagines' der Frau.
Viele dieser Frauen singen von Vittoria
Archilei bis Tina Turner, der Rock-Röhre.
Zweifellos besteht ein enger Zusammenhang
zwischen dem 'Bild' der Frau einer Epoche und der bevorzugten Stimmlage,
in der die Komponisten sie singen lassen.
Stimm-Ideal, Ideal-Gewicht, Ideal-Typus,
Forderungs-Kataloge ohne Ende, von den Herren namens 'Zeitgeist'
aufgestellt, denen sich auch heute noch sogar zu Idolen erhobene Frauen
unterwerfen und bis in den Tod treiben lassen, sind ein grauenerregendes
Ärgernis.
Maria Callas, das Sänger-Genie unseres
Jahrhunderts verlor Gesundheit, Stimme und Leben, weil sie sich zu Tode
hungerte, um dem androgyn bevorzugten, in der Schickeria gängigen
Mannequin-Typ anzugehören wünschte.
Warum hat kein zeitgenössischer Komponist ihre Freundschaft gesucht, in
Zusammenarbeit mit ihr komponiert, ohne zirzensische Spitzentöne, aber
voller aufregender Aussage?
Wo sind die Intendantinnen, die solche
Stücke auf die Bühne bringen, Produzentinnen im Schallplattenbereich und
in den Medien, Journalistinnen, die sie propagieren?
Risikolos werden weiter die alten
Griechen veropert und Shakespeare zur Kasse gebeten und das
Weiber-Schema: süße Geliebte (Sopran), böse Intrigantin (Mezzosopran),
dumme Mutter (Alt) steht auch in neuesten Kompositionen gottgegeben
fest.
Wie es zu diesem Schema kam, möchte ich
herausfinden und befrage als erste Epoche die Zeit der Neapolitanischen
Oper.
Danken möchte ich für wertvolle
Literaturhinweise Herrn Prof. Lajos Rovatkay vom Studio für alte Musik
an der Hochschule für Musik und Theater, Hannover; Frau Dr. Roswitha
Flatz vom Theatermuseum des Instituts für Theaterwissenschaft der
Universität Köln und Frau Dr. Sabine Döhring-Henze vom Institut für
Musiktheater Thurnau der Universität Bayreuth. Ebenso Herrn Prof. Dr.
Lippmann und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im lnstituto
Storico Della Musica in Rom und Frau Dr. Qrtrun Landmann und ihren
freundlichen Mitarbeiterinnen der sächsischen Landesbibliothek in
Dresden.
Einleitung
Die Musikgeschichte versteht unter der
'Neapolitanischen Oper' die Werke jener Komponisten, die vom letzten
Viertel des 17. Jahrhunderts an, der bis dahin dominierenden römischen
und venezianischen Richtung einen neuen Stil und neue Formen
entgegensetzten. Außer den aus Neapel stammenden Vertretern werden aber
auch diejenigen zur neapolitanischen Schule gezählt, die außerhalb
Neapels sich deren Tendenzen anschlossen.
Diese Epoche um N. Popora, L. Leo, L Vinci, J.A. Hasse und G.P.
Pergolesi für eine Betrachtung in Bezug auf die Problematik:
'Frauenrolle - Stimmfach - Charakter' zu wählen, entschied vor allem die
Tatsache, dass diese Zeit des barocken 'Belcantismo' einerseits eine
operngeschichtliche geschlossene Stilistik aufweist und andererseits so
hohe Anforderungen an die Virtuosität der menschlichen Stimme stellte,
wie es nie wieder der Fall sein sollte.
Hinzu kommt, dass die Oper als theatralisches Ereignis zu der Zeit im
Mittelpunkt aller gesellschaftlichen Kreise, also sowohl des
aristokratisch-feudalen Hofes zum Zwecke der Festigung und Lobpreisung
der 'gottgewollten' Ordnung, als auch zur Belehrung und Unterhaltung
bürgerlicher Schichten diente.
Das 'Bild' der Frau in seiner
literarisch-librettistischen Ausformung und analog dazu in seiner
musikalisch-stimmlichen Einordnung in die sich in dieser Zeit
konsolidierenden Fächer ist das Anliegen dieser Untersuchung.
Methodisch schien dies anfangs sehr einfach: Man nehme eine Reihe
bekannter Opern der neapolitanischen Schule, katalogisiere Rollen und
Besetzung, danach erhält man ein übersichtliches Schema der Präferenzen
von hohen, mittleren und tiefen Stimmen - leider ist dem nicht so.
Schon der Spezialist Reinhard Strohm
warnt in der Einleitung zu 'Die italienische Oper im 18. Jahrhundert':
"Wenn man die italienische
Operngeschichte des 18. Jahrhunderts studiert und zu diesem Zweck z.B.
in einer römischen Bibliothek nach Partituren und Dokumenten forscht,
kann man manchen erfolglosen Arbeitstag verbringen.“
Die Oper war in jener Zeit
Gebrauchsmusik, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Ensembles mit
seinen Sängern, des jeweiligen Theaters mit seiner Technik und den
Wünschen der Geldgeber, entweder war es ein Hof oder ein von Bürgern
finanziertes Theater oder eine reisende 'compagnia', zugeschnitten
wurde. Ein 'Werk' im Sinne des schöpferischen Genies romantischer
Sichtweise war sie nicht.
Trotzdem habe ich versucht, aus dem
Blickpunkt der Frauenrolle auf der Bühne der 'neapolitanischen Oper'
einiges zusammenzutragen, was das 'Bild' erhellt, das sich die
Gesellschaft des 18. Jahrhunderts von der Frau imaginierte.
Da dies aber weder mit der konkreten Lage der Frau noch mit der
Situation der Berufssängerin in Einklang stand, postuliert Eva Rieger in
ihrem Buch 'Frau, Musik und Männerherrschaft' eine längst notwendige
sozial-psychologische Studie zu diesem Themenkomplex, die hoffentlich
bald in Angriff genommen wird.
Erotische Witze und obszöne Legenden
begleiteten seit jeher die Frau auf der Bühne, deren Arbeit der
Gynäkologe Dr. B Bauer in seinem vielgelesenen Buch 'Komödiantin -
Dirne' als "jedem Weibe gewiss angeborenen Dirnenkomplex mit dem
treibenden Motiv ihrer sexuellen Unersättlichkeit" beschreibt.
Wenn es auch wissenschaftlich unerheblich
ist, möchte ich hiermit allen verstorbenen Sängerinnen meinen tiefen
Respekt zollen, für ihre ungeheure Arbeitsleistung.
Um diese wenigstens annähernd zu
begreifen, schien es mir wichtig, die physiologischen Grundlagen und die
Geschichte der Gesangskunst zu beleuchten. Daneben fand ich es
unabdingbar, die Biographien von Interpretinnen und Komponisten der
neapolitanischen Epoche anzuführen, um das soziale Umfeld zu erhellen.
Zur Katalogisierung von Oper,
Frauenrollen und ihrer Besetzung stand mir bedauerlicherweise nur eine
begrenzte Anzahl von Werken zur Verfügung, da sie verstreut, ungeordnet
und für Nichtspezialisten unleserlich in italienischen Archiven liegen
und auf interessierte Mäzene und kenntnisreiche Musikwissenschaftler
warten. Daher konnte ich nur punktuell und exemplarisch die Frage nach
Stimmfach und Charakter der Frauenrollen beantworten.
1.
Die Frauenstimme
1.1 Physiologie des 'Stimmorgans'
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"Jegliche stimmliche Äußerung der
Menschen ist eine fundierte Einheit, eine Gestaltungsqualität,
bei der vier Faktoren in enger Verbindung zueinander stehen:
Dauer, Stärke, Tonhöhe und Klangfarbe. Diese vier Elemente des
Stimmklangs sind als sich ständig wandelnde Faktoren auch in
dessen Wandlung zur Sprache wirksam; sie sind jedoch auch schon
in jedem atomaren Teil eines bewegten Klangablaufs nachweisbar
und für seine Ausprägung von großer Bedeutung.
Zu den vier Klangeigenschaften
Dauer, Stärke, Tonhöhe und Klangfarbe kommt in der Sprache, aber
auch beispielsweise im Lachen, noch eine rhythmische Gliederung
hinzu, ein Bezugssystem, das über romantisch-psychologische und
akustische Gesetzmäßigkeiten hinaus vom geistigen her eine
ordnende Funktion bekommt und erfüllt."
(Habermann, Günther – ’Stimme und Sprache’ – Stuttgart 1978, S.
89) |
Ein 'Stimmorgan' im Sinne des Auges, als
'Sehorgan', des Magens, der Leber, der Lunge besitzt der Mensch nicht,
sondern die menschliche Stimme entsteht durch ein kompliziertes
Zusammenspiel verschiedener Organtätigkeiten.
Das stammesgeschichtliche Wirbeltier
'Mensch' entwickelte den Kehlkopf primär, um das Überfließen des
Speisebreis in die unteren Luftwege zu verhindern.
Ein dichter Verschluss ermöglicht eine
Drucksteigerung der subglottisch, d.h. unter der Stimmritze angestauten
Luft, die uns z.B. befähigt, Fremdkörper oder in den Bronchien
entstandenen Schleim durch Husten aus den oberen Luftwegen auszustoßen.
Jene Organbezirke, die zum Sprechen und Singen zusammenwirken, sind also
nicht eigentlich für diesen Zweck da, sondern werden dafür benutzt, weil
sie hierfür fähig wurden.
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"Zentrum des Stimmklanges sind
die im Kehlkopf (Larynx) eingespannten Stimmlippen. Sie bestehen
aus Muskeln mit der Funktion des Spannens. (musculus
thyreoarytaenoideus). Den inneren Teil bildet der Stimm-Muskel (musculus
vocalis), die Ränder werden als Stimmbänder bezeichnet, weil sie
überwiegend aus elastischen Fasern zusammengesetzt sind.
Die Stimmlippen mit ihren
Rändern, den Stimmbändern, ziehen sich im Kehlkopf von der
vorderen Spitze des Schildknorpels (Cartilago thyreoldes) bis zu
den sie bewegenden beiden Stellknorpeln (Cartilagines
arytaenoideae) auch Aryknorpel genannt. Schildknorpel und
Stellknorpel ruhen auf Ihrer Basis, dem Ringknorpel (Cartilago
cricoidea). der den obersten Knorpelring der Luftröhre (Trachea)
darstellt."
Göpfert, Bernd – ’Handbuch der Gesangskunst’ – Wilhelmhaven, 1988, S.
77 |
Schräg über dem Kehlkopf liegt, von unten
nach hinten oben ragend, ein löffelförmiger Knorpel, der Kehlkopfdeckel
(die Epiglottis); er hat verschiedene Aufgaben.
Beim Schluckakt legt er sich über den
Kehlkopfeingang und verschließt praktisch seine Öffnung, so dass weder
feste noch flüssige Nahrung in den Kehlkopf und in die Luftröhre
gelangen kann.
Je weiter er sich aufrichtet, desto
leichter erfolgt die Abstrahlung des in der Glottisebene entstehenden
Stimmschalls, wodurch im Rahmen der endgültigen Klangbildung im
'Ansatzrohr’ schon hier dessen Qualitäten gefördert werden.
Die Bezeichnung 'Ansatzrohr' stammt von
den Blasinstrumenten, direkt mit der Schallquelle verbundene
Resonanzräume werden bei diesen so genannt. Weil die Verhältnisse bei
der menschlichen Stimme ähnlich liegen, hat man auch für den
menschlichen Stimm- und Lautbildungsapparat dieser Bezeichnung
übernommen.
Im Ansatzrohr vollziehen sich die
Bewegungsvorgänge, die dem Sprechen zugrunde liegen. Diese Tätigkeit
wird allgemein als Artikulation bezeichnet. Man meint damit jene
Wandlung des Luftstroms, die durch bestimmte Größen und
Formveränderungen des Ansatzrohres, durch Verschluss oder Engebildung
seine einzelnen Teile zu akustisch unterscheidbaren Schallfolgen führt.
Die bei der Sprachbildung mitwirkenden
Teile wie Lippen, Zunge, Gaumensegel und Unterkiefer müssen, geschmeidig
aufeinander eingespielt, unabhängig von der ruhig unter ihnen liegenden
Kehle artikulieren.
Drückt die Zungenwurzel nach hinten, wird
der freie Klang verhindert und es resultiert hieraus der bekannte
'Knödel'.
Der Ton wird von dem kontinuierlich
anströmenden Luftstrom, der von unseren Atmungsorganen, der Lunge mit
den ihr zugeordneten Organen, wie Rippen, Aus- und Einatmungsmuskeln,
ausgehen, unterhalten. Die Klangformung des im Kehlkopf abgestrahlten
primären Kehlkopftones geschieht im Bereich des Ansatzrohres, das sich
zusammensetzt aus dem Kehlkopflumen, dem Cavum laryngis mit seinen
Morgagnischen Ventrikeln (nach Giovanni Battista Morgagni [1682 -1771],
berühmter Gelehrter der Frühzeit der pathologischen Anatomie), den
unteren und den mittleren Rachenräumen, dem Mundraum, dem
Nasenrachenraum und den Nasenräumen.
Für den Sänger wichtig sind auch die mit
dem Klang mitschwingende Körperteile, die sogenannten Resonatoren. Es
handelt sich dabei um das Brustbein, das spürbar mit Frequenzen des
Grundtones mitschwingt, sowie um den Oberkiefer mit den Schneidezähnen,
der seine Resonanzfrequenz in dem Obertonanteils des Stimmklanges
besitzt, der die Tragfähigkeit der Singstimme ausmacht.
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"Bei der Einatmung senkt sich
die Zwerchfellkuppel und vergrößert den Brustraum auf Kosten des
Bauchraumes. Hierbei drücken die im Bauchraum befindlichen
Organe, die nicht komprimierbar sind und die sonst nirgendwo
eine Ausweichmöglichkeit haben, die Bauchdecke elastisch nach
außen. So können wir bei der Einatmung die Bewegung des
Zwerchfells durch die Vorwölbung mittelbar ablesen. Bei der
Ausatmung - und nur während der Ausatmung können wir unsere Töne
produzieren - wird die zuerst passive Bauchmuskulatur aktiv. Sie
zieht sich zusammen und gibt über den Bauchinhalt ihre Kraft auf
das Zwerchfell weiter, so dass sich dieses im Brustkorb nach
oben bewegt und den ausströmenden Atem in Gang setzt."
Haefliger, Ernst – ’Die Singstimme’ – Bern, 1983 |
Beim Sprechen und Singen ist der
Entstehungsmechanismus für beide Stimmarten derselbe, wenn auch die
akustischen Effekte verschieden sind. Atmung, Stimmklangbildung und
Lautbildung erfolgen nach gleichen Grundsätzen und alle physiologischen
Gesetze und Regeln gelten für die Singstimme in gleicher Weise wie für
die Sprechstimme.
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"Der Unterschied zwischen
Singstimme und Sprechstimme beruht darauf, dass die einzelnen
Klänge beim Singen meist viel länger dauern als beim Sprechen.
Wenn man ein Wort erst gewöhnlich spricht und dann die Vokale im
Wort sehr dehnt, so geht eben Sprechen in Gesang über. Das muss
natürlich noch kein richtiger schöner Gesangston sein, sonst
wäre ja jeder Sprecher auch Kunstsänger."
Fröschels 1920 in Habermann, Günther – ’Stimme und Sprache’ –
Stuttgart 1978, S. 143 |
Während beim Sprechen keine bestimmten
Tonstufen und Tönhöhen vorgeschrieben sind, müssen wir uns beim Singen
genau an eine vorgegebene Tondauer und Tonhöhe halten. Wenn keine
krankhaften Veränderungen im Stimmapparat oder im Gehör vorliegen, kann
jeder Mensch singen, wenn sich auch seine Töne von denen eines
geschulten Sängers unterscheiden wie der Lauf eines Unsportlichen von
dem eines trainierten Sprinters.
Die Stimmentwicklung beginnt mit dem
ersten Schrei des Neugeborenen, der um a' und h' liegt. Der Stimmumfang
in der Säuglingszelt beträgt 2-3 Halbtöne und die Äußerungen beschränken
sich auf wohlige Empfindungen und Unlustlaute. Von fünf Halbtönen im
ersten und zweiten Lebensjahr verbreitert sich die Skala der verfügbaren
Halbtöne bis zu 14 - 19 im zwölften Jahr bei den Knaben und bei den
Mädchen bis zu 16 - 22 Halbtönen, obwohl die Untersuchungsergebnisse
wegen der allgemeinen Akzeleration der Kinder und Jugendlichen, der
Überprüfung geschulter und ungeschulter Stimmen, muttersprachlicher und
klimatischer Unterschiede, differieren.
1.2 Stimmwechsel
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"Die normale Pubertät
(gesteuert vom genetischen Code /d. Verf.) ist durch einen
Wachstumsschub sowie die Entwicklung der primären und sekundären
Geschlechtsmerkmale gekennzeichnet, wobei eine große
Varationsbreite hinsichtlich des Pubertätsbeginns, des
Wachstumsschubes und der Sexualentwicklung besteht.
Im Verlauf dieser Entwicklung
kommt es, da Kehlkopf und Stimme sekundäre Geschlechtsmerkmale
darstellen, besonders bei Knaben, aber auch in geringerer
Ausprägung bei Mädchen, zu einem Wachstum des Kehlkopfes in
vorwiegend anterio-posteriorer Richtung mit einer entsprechenden
Längen- und Breitenzunahme der Stimmlippen. Der Längenzuwachs
beträgt bei Knaben etwa 1 cm, bei Mädchen nur 3 - 4 mm, wobei
aber für die Stimmfunktion auch die wachstumsbedingten
Veränderungen im Bereich des Windkessels und des Ansatzrohres
berücksichtigt werden müssen.
Akustisch manifestiert sich
dieser Prozess als physiologische Mutation mit einer
durchschnittlichen Senkung der Knabenstimme um eine Oktave und
der Mädchenstimme um eine Terz."
Heinemann, Manfred – ’Hormone und Stimme’ – Leipzig 1976, S.
21-22 |
Der Stimmwechsel der Mädchen vollzieht
sich mit der Menarche zwischen den 12. und 14. Lebensjahr etwa in einem
Zeitraum zwischen 6 Wochen und 4 Monaten.
Die physiologische Ossifikation des Kehlkopfes setzt gegen Ende der
Mutation ein, wobei sich dann die geschlechtsspezifischen
Charakteristika: größeres Volumen, Prominentia Laryngea, spitzer
Schildknorpelwinkel (Adamsapfel) beim Mann, kleineres Volumen, fehlende
Prominentia Laryngia und stumpfer Schuldknorpelwinkel bei der Frau
herausstellen.
Die mittlere Sprechstimmlage in den Tonbezirken zwischen fis und c' ist
nun für die Alt-, Mezzo und Sopranstimme für das gesamte mittlere
Lebensalter erreicht.
Der Gesundheitswert des Singens für die
allgemeine körperliche wie geistige Entwicklung ist seit langem bekannt.
Es bedeutet physisch eine Übung der Atemmuskulatur mit Erziehung zu
einer zweckmäßigen, natürlichen Atemmechanik und Atemökonomie. Es
erleichtert die optimale Geradehaltung der Wirbelsäule im Rahmen einer
allgemeinen, körperliche Lockerung, fördert die Elastizität der
Rippenknorpel und wirkt Indirekt auf die Herztätigkeit.
1.3 Voraussetzungen für die Ausbildung
Erst wenn der Stimmwechsel gut
überstanden ist, bei Mädchen im 16. - 17. Lebensjahr, sollte mit einem
Geangsstudlum begonnen werden. Eine eingehende phoniatrische
Untersuchung sowie die Berücksichtigung anatomischer und physiologischer
Unterscheidungsmerkmale können dabei das Ohr des Pädagogen unterstützen.
Kehlkopf und Ansatzrohr sollten normal beschaffen sein, die
Lungenfunktion intakt und die Schleimhäute der oberen Luftwege dürfen
nicht zu häufigen Entzündungen neigen.
Der Körper muss insgesamt gesund und
kräftig sein. Sensibilität und die Fähigkeit, eine emotionell getragene
Situation zu übertragen, sind unverzichtbar, wie auch die
geistig-seelische Stabilität der Persönlichkeit.
In unserer mobilen Gesellschaft sind vielfältige Sprachkenntnisse
nützlich, denn meist werden Opern an größeren Häusern in der
Originalsprache aufgeführt.
Gutes Aussehen und körperliche
Gewandtheit sind für die heutigen Sängerdarsteller unabdingbar, d.h. die
Studentin muss sich auf eine überaus disziplinierte Lebensführung in
einem gesellschaftlichen Ghetto einstellen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, beginnt ein etwa sechsjähriges
Studium, die Formung des kostbaren Instruments 'Stimme', umgeben von
vielen flankierenden Unterrichtsfächern.
1.4 Einteilung der Stimmgattungen
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"Die
Einteilung der Stimmgattungen kann unter verschiedenen
Gesichtspunkten erfolgen. Zunächst kann man beim männlichen und
beim weiblichen Geschlecht zwei Hauptgruppen unterscheiden, eine
hohe und eine tiefe. Es ergibt sich also für jedes Geschlecht
eine Zweiteilung Sopran - Alt, Tenor - Baß.
Die verschiedenartige künstlerische Verwendung der Stimmen hat
aber, den praktischen Bedürfnissen entsprechend, weitere
Unterteilungen erforderlich gemacht. So teilt man z.B. bei
größeren Chören in acht Gattungen ein, unterscheidet also
zwischen 1. und 2. Sopran, 1. und 2. Alt usw."
Pfau, Wolfgang – ’Klassifizierung der menschlichen Stimme’ –
Leipzig 1973 |
Im Italienischen
ist für die Einteilung der Stimmen der Begriff 'classificatione delle
voci' gebräuchlich.
Um Stimmschäden zu
vermeiden, sollten die mittlere Sprechstimmlage, der Stimmumfang, die
vorherrschende Klangfarbe, die Dimensionen der Stimmlippen, die Form der
Resonanzhöhlen und der Körperbau als Kriterien für die Einteilung in ein
Stimm-Fach berücksichtigt werden.
(Wird fortgesetzt)
Schlussbemerkung
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Liebe Frau Gilles,
gestern von einer längeren Auslandsreise zurückgekehrt
beantworte ich gerne Ihre Anfrage. (Übrigens saßen in meinem
Abteil zwei Hannoveraner, sehr kunstinteressiert, die ohne
Unterlass auf den Hannoveraner Intendanten schimpften.“
(29.6.2017 – Herr K. aus L.)
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Impressum
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Ersterscheinung der
Ausgabe Regensburg am 27.07.2007
Erscheinungsweise: kulturjournal-regensburg zehn Mal pro Jahr von
Februar bis August und Oktober bis Dezember
Ausgabe des Beiblattes als ’Mitteilung an meine Freunde’ mit Auszügen
aus dem
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