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'Eine Mitteilung an meine Freunde'

Ausgabe August 2017

 

   
Vorwort

Leuchtturm mit Strahlkraft

Lange Zeit galt Hannover als langweilig, leidenschaftslos und provinziell. Ein Image, das sich mit der Weltausstellung Expo 2000 geändert hat. Sieben Millionen Besucher aus allen Erdteilen haben nicht nur die Exponate gesehen. Sie sind durch die Eilenriede gewandert, haben den Maschsee, die Museen oder die Herrenhäuser Gärten bewundert. Allesamt Leuchttürme, die Bund, Land und Stadt gemeinsam zum Strahlen brachten und das internationale Ansehen der Landeshauptstadt steigerten.
Heute belegt Hannover nicht nur unter den deutschen Metropolen einen Spitzenplatz: Als größter Messeplatz der Welt, Wirtschaftsstandort für namhafte Konzerne, internationale Kunstmetropole und renommiertes Wissenschafts- und Forschungszentrum. Damit das so bleibt, ziehen alle an einem Strang: Die VW-Stiftung lässt die Barockgärten mit dem Neubau des Schlosses neu erblühen. Kestner- und Sprengelmuseum locken mit spektakulären Kunstausstellungen.
Nur die Staatsoper als kulturelles Herzstück leistet dazu keinen Beitrag. Im Gegenteil. Mit Inszenierungen, die den Ursprung nicht mehr erahnen lassen, vertreibt sie immer mehr Zuschauer, ist bundesweit bedeutungslos geworden.
Dabei könnte Hannover, bei über 60 Millionen Euro Subventionen allein für die Oper, auch beim Musiktheater eine führende Rolle spielen und den Wettbewerb mit anderen deutschen Städten aufnehmen. Nicht mit Oldenburg oder Osnabrück, sondern mit renommierten Spielstätten wie Dresden, München oder Berlin.
Leuchtendes Beispiel ist die neue Elbphilharmonie in Hamburg, ein internationaler Touristenmagnet: Der Spielplan ist prall gefüllt. Die Tickets sind heiß begehrt, viele Vorstellungen schon jetzt bis 2019 ausverkauft.

Anders bei den jüngsten Vorstellungen in Hannover: Bei Mozarts „Hochzeit des Figaro" musste ich erleben, dass ein Drittel des Publikums aus der Pause nicht mehr zurück kam. Auch bei Wagners „Fliegendem Holländer" blieben laut Kulturreport HAZ viele Plätze unbesetzt. Im Schnitt steht die Oper an mindestens zehn Tagen im Monat leer.
Überlegungen der Stadt, sich als deutsche Kulturhauptstadt für 2025 zu bewerben, wirken bei dieser Situation wie blanker Hohn.

Die Gründe für den Niedergang sind hausgemacht. Es scheint es Mode zu sein, jede noch so groteske Neuinszenierung feuilletonistisch zu bejubeln und jede Kritik daran als „rückwärtsgewandt" niederzumachen. Entscheidend sollte am Ende die Vereinbarkeit von künstlerischer Freiheit und Wirtschaftlichkeit des subventionierten Musiktheaters sein.

Leuchttürme sollen mit ihrem Licht die Richtung weisen.

Auch die Staatsoper sollte so ein Leuchtturm sein. Für kulturbegeisterte Touristen. Für ansiedelungswillige Unternehmen, die ihren Mitarbeitern ein kulturelles Umfeld bieten wollen. Und für viele Hannoveraner, die sich als Freunde anspruchsvoller Opernkultur mit ihr identifizieren möchten.
Gerade deshalb darf sie nicht zur Institution alternativer Gegenkultur verkommen. Sie muss ihre Strahlkraft zurückgewinnen, wieder den Weg in die Herzen der Menschen finden. Mit Anspruch, Schönheit und Ästhetik. Als kultureller Dreh- und Angelpunkt auf höchstem Niveau.

Die Verantwortung dafür haben Kulturpolitiker und Kulturschaffende gleichermaßen. Sie sollten sich an den Erwartungen des Publikums orientieren und weniger experimentieren. Bei ihren lnszenierungs-Manövern sind sie bereits auf Grund gelaufen. Und haben das Image Hannovers als Kulturmetropole des Landes teilweise mit versenkt.

Rainer Beckmann, Vorsitzender Haus- und Grundeigentum Hannover

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Kommentar

Seit April 2016 – seit nun mehr als einem Jahr – wird versucht von der Nds. Landesregierung akkurate Auskünfte zu bekommen, warum die Nds. Staatsoper Hannover nach wie vor monatlich im Durchschnitt nur an 20 von 30 Tagen vor Publikum spielt.
Die Nutzung liegt gemäß Spielplan in der Zeit von September 2017 bis Juni 2018 bei 66 Prozent.
Das bedeutet 34 Prozent Leerstand.

Das Haus erfüllt somit seine Aufgabe nicht.

Der Apparat Nds. Staatsoper Hannover läuft unproduktiv an den Leertagen mit seiner gesamten Infrastruktur Orchester, Chor, Solisten, Technik, Verwaltung weiter.

Karten werden verschenkt. Man kauft eine und erhält eine zweite kostenlos dazu.
Das Schauspiel in Hannover allein im September 2017 an vier Tagen.

Stücke werden vorzeitig abgesetzt, weil die Produktionen vom Publikum abgelehnt werden.

Der dritte Rang ist in der Oper häufig geschlossen, da die Plätze wegen Desinteresses der Bevölkerung nicht verkauft werden können.

Die Intendanz berechnet die Auslastung offensichtlich nach den am Abend zur Verfügung gestellten Plätzen, nicht nach den zur Verfügung stehenden Plätzen.
Sind z.B. drei Ränge geschlossen, das Parkett voll ausgelastet, dann ergibt sich für die Leitung de Hauses eine 100-prozentige Belegung, obwohl 700 Plätze der 1200 Plätze frei sind.
Das bedeutet eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Auch hier wird seit mehr als einem Jahr versucht, eine Klärung durch Schriftverkehr mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur herbeizuführen. Bisher ohne eindeutiges Ergebnis.

Überdimensionierte und zur Darstellung des Werkes völlig unsinnige Bühnenbilder wie u.a. ‘Rusalka‘, ‘Freischütz‘, ‘Macht des Schicksals‘, ‘Fledermaus‘, ‘Verkaufte Braut‘, ‘Holländer‘ treiben die Kosten nach oben und belasten das Budget intern.
Es ist zu beobachten, dass für die Installationen, die bloße Einrichtung, dieser Bühnenbilder schon für Proben die Hauptbühne verwendet wird, die dann eine Vorstellung am gleichen Tag mit einem ähnlich aufwändigen Bühnenbild verhindert.

Jürgen Braasch behauptete am 6. Mai 2017 während der Präsentation von Baumaßnahmen für die Werkstätten, er sei der kaufmännische Leiter der Nds. Staatstheater Hannover GmbH.
Für die Kunst habe er seine Intendanten.
Das bedeutet doch, er sieht sich nicht in der Verantwortung, wenn das Theater von der Bevölkerung wegen mangelnder künstlerischer Qualität nicht akzeptiert wird.

In einem Schreiben vom 06. Juni 2017 erlaubte er sich, Aussagen in ’Eine Mitteilung an meine Freunde’ als “widerlich“ zu bezeichnen.

Nachfolgend ist der Spielplan für den September 2017 dargestellt. Es zeigt sich deutlich, wie Leertage die Produktivität der Nds. Staatsoper Hannover einschränken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2017

Belegung

 

Szene

 

 

Konzert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

01.09.

leer

1

 

 

 

 

 

02.09.

 

 

Der junge Lord

1

 

 

 

03.09.

 

 

La Traviata

2

 

 

 

04.09.

leer

2

 

 

 

 

 

05.09.

leer

3

 

 

 

 

 

06.09.

leer

4

 

 

 

 

 

07.09.

 

 

La Traviata

3

 

 

 

08.09.

 

 

Henry VIII.

4

 

 

 

09.09.

 

 

Der junge Lord

5

 

 

 

10.09.

 

 

 

 

 

Sinfoniekonzert

1

11.09.

 

 

 

 

 

Sinfoniekonzert

2

12.09.

leer

5

 

 

 

 

 

13.09.

leer

6

 

 

 

 

 

14.09.

leer

7

 

 

 

 

 

15.09.

 

 

Der Liebestrank

6

 

 

 

16.09.

 

 

La Traviata

7

 

 

 

17.09.

 

 

Der junge Lord

8

 

 

 

18.09.

leer

8

 

 

 

 

 

19.09.

leer

9

 

 

 

 

 

20.09.

leer

10

 

 

 

 

 

21.09.

leer

11

 

 

 

 

 

22.09.

 

 

Der Liebestrank

9

 

 

.

23.09.

 

 

Henry VIII.

10

 

 

 

24.09.

 

 

Der junge Lord

11

 

 

 

25.09.

leer

12

 

 

 

 

 

26.09.

leer

13

 

 

 

 

 

27.09.

leer

14

 

 

 

 

 

28.09.

 

 

La Traviata

12

 

 

 

29.09.

 

 

West Side Story

13

 

 

 

30.09.

 

 

Holländer

14

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Summen

14

 

14

 

 

2

2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

14 x Leerstand

16 Nutzungen incl. 2 Konzerte

 

 

30 = 100% / 16 x 100 = 1600 : 30 = 53% Belegung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                       

Werden hier die Auswirkungen einer verfehlten Spielplangestaltung und der szenischen Umsetzung der Werke angeprangert, so hat man sich damit auseinanderzusetzen, dass dies immer noch nicht das Ende einer Entwicklung darstellt, die vor Jahrzehnten begann und der niemand oder nur wenige entschlossen entgegentraten.

Buhgeschrei erfreut die Regisseure, die dann feixend zum Applaus vor dem Vorhang erscheinen. Er / Sie hat sich ’einen Namen’ gemacht. Die Intendanz sieht sich bestätigt, denn für einen Moment strömt das Publikum ins Haus, um sich zu informieren, was da abgeht.
Inzwischen hat sich die Bevölkerung an Regiemätzchen gewöhnt, will entweder immer gröbere Reize oder lehnt ab, geht nicht mehr hin - wie in Hannover oder auch in München.

Aufgrund der Minimalbildung, mit der Schüler heute ins Leben entlassen werden kann man das Publikum, das mittlerweile ungebildeter als früher ins Theater geht, bevormunden.

http://www.telezeitung-online.de/Kommentar_%27Neues_vom_Tage%27_27.05.2011.htm


Stücke werden auch an der kleinsten Theaterklitsche in ein völlig anderes szenisches Umfeld transportiert, was dann als Deutung oder Interpretation bezeichnet wird.





Dass es auch anders geht, zeigt eine Produktion in Oberammergau im Haus der Passionsfestspiele

Hier die Bemerkungen einer Vollzahlerin zur musikalischen und szenischen Umsetzung von

Richard Wagner – ’Der fliegende Holländer –
Premiere am 30. Juni 2017

https://www.passionstheater.de/spielplan/der-fliegende-hollaender

 


Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Akten von Richard Wagner

Dirigent: Ainars Rubikis
Regie: Christian Stückl
Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier
Chorleitung: Markus Zwink

Neue Philharmonie München
Chor des Passionstheaters Oberammergau

Besetzung

Gábor Bretz
Der Holländer

Iris van Wijnen
Mary


Liene Kinča
Senta


David Danholt
Erik


Guido Jentjens
Daland


Denzil Delaere
Der Steuermann

 

Man muss schon in ein oberbayerisches Dorf fahren, um eine spannende, schlüssige, moderne – nicht modische – Aufführung zu erleben!
Allerdings ist diese dort und in diesem Gebäude etwas Besonderes, denn in Zeiten der Pest von 1633 leisteten die Bewohner das Gelübde, das Leben und Sterben Jesu Christi für und mit den Bewohnern Oberammergaus darzustellen. Diese Tradition hat sich bis heute lebendig erhalten. Theater mit und für die Bürger ist Pflicht und Freude – nun auch jährlich und somit auch außerhalb des 10-jährigen Passionsspielrhythmus - zum Nutzen einer echten, verwurzelten Kultur.
Dagegen steht das so genannte Regisseurstheater mit Dekonstruktion, Verfälschung, Diffamierung von echten Werten im Namen einer als Freiheit der Kunst getarnten Gesetzlosigkeit. Da ja alles mit allem zusammenhängt, haben wir ’Das Öffnen nach unten’ in seiner ganzen Brutalität in Hamburg, anlässlich des G20-Gipfels erlebt und mit Grauen angesehen.


Freiheit, auch ’Freiheit der Kunst’, hat ihre Grenzen da, wo sie mit Verrohung und programmatischer Verdummung Schaden anrichtet. Natürlich kann man geistige Werte nicht in Metern, Sekunden oder Litern messen, aber wenn sich Menschen unterhalb der Grenzen des Zusammenlebens verhalten, möchte man doch lieber einem wohlgeordneten Rudel von Wölfen oder einer Herde von Rindern angehören als der ’Krone der Schöpfung`.
Über Jahrtausende wurde ’Kunst’ von ’Können’ abgeleitet. Spielerisch darf sie auch sein, aber hochbezahlten Bluff sollten wir, die dafür Steuergelder zahlen, mit aller Entschiedenheit ablehnen und uns auch gegen die Trägheit und Arroganz der Behörden zu Wort melden.

Der Opernclub München, der vornehmlich mit dem Kontakt zu Sängern durch gemeinsame Veranstaltungen hervortritt, brachte uns ins Festspieldorf. Wunderschöne Häuser mit Lüftlmalerei wechseln mit dem Angebot von Touristenkitsch.
Ein Rundgang der freilichterprobten Regisseurin zeigt ein  imponierendes Festspielhaus mit raffiniertem, zusammenfaltbaren Regendach über der offenen Bühne.
Der Andrang eines lebhaften Publikums, sauber gekleidet, weder Proll-Kluft noch Schickie-Micki-Kledage, aber schöne Trachten der Region, erinnert an die guten Zeiten der Bayreuther Festspiele.
Wie damals dort Wieland und Wolfgang stapfte hier der Hausherr Christian Stückl ums Haus, ordnete noch etwas an, grüßte hier und da und bebte vor Eifer. So soll es sein!

Gewappnet mit Decken und Sitzkissen strömte das Publikum in den Saal, der 4.800 Sitze hat und zur großen Freunde meines Hungers nach frischer Luft unter dem Regendach die Bühne offenlässt.

Ein volles Haus beglückt des Opernfreundes und der Theaterleitung Herz und lässt die Spannung knistern. Wie wird er das Stück auf diese offene Riesenbühne bringen? Was macht er mit der Spinnstube, wie geht das in der Bucht von Sandwike und im Hause Dalands und den Szenen an Bord und im Hafen?


Das Programmheft zeigt ein vorbildlich gemischtes Personal aus einheimischen Amateuren und internationalen Profis. Sie alle eint der Wille und viel Fleiß dem Werk des genialen Richard Wagner zu dienen.

Die breite Bühne, an das Festspielhaus in Salzburg erinnernd, wo damals Herbert Wernicke, den riesigen Chor in ’Boris Godunow’ als Mauer aufbaute, zeigt in der Mitte eine Projektionsfläche, die sich öffnen und schließen lässt. In die umlaufende blaue Bühnenrückwand sind seitlich links und rechts je drei Türöffnungen eingelassen, dazu gibt es auch in der Vorderbühne links und rechts je einen Abgang in die Unterbühne. Das Orchester sitzt eben in dieser Unterbühne, ist aber akustisch präzise vernehmbar. Die Tonverteilung für diesen Riesenraum gelingt über am Graben angebrachte Mikrofone. Der Giebel des rückwärtigen Festspielhauses überragt die blaue Bühne und gibt ihr eine antike Feierlichkeit.

Christian Stückl ist nicht nur Leiter des Münchner Volkstheaters und der Passionsspiele in Oberammergau. Erinnert sei an die Eröffnungsfeier der Fußball-Weltmeisterschaft am 9. Juni 2006 in München. Das rund dreißig Minuten dauernde, farbenfrohe Spektakel mit etwa 1200 Teilnehmern begeisterte. Er kann also auch mit Menschenmengen umgehen Der Oberammergauer Holländer-Chor war so ein verblüffende Ereignis. Von Markus Zwick gut studiert, textdeutlich, spielfreudig mit vollem Körpereinsatz und dazu klangschön sang, agierte sich dieser Chor in die Herzen und die Erinnerung des Publikums.

Nachdem furiosen Vorspiel, die Elemente Wind, Wellen, Wasser dem Publikum nahebringend, erläutert Daland (Guido Jentjens), der Kapitän des norwegischen Schiffes die Position desselben,
Sandwike ist's! Genau kenn' ich die Bucht

die Wetterlage
Der Sturm läßt nach

und übergibt die Wache,
Nun, Steuermann, die Wache nimmst du wohl für mich?
Gefahr ist nicht, doch gut ist's, wenn du wachst.


Ihm hat Richard Wagner ein bezauberndes Lied geschrieben. Mit Fritz Wunderlich im Ohr erwartet man einen lyrischen Tenor mit Schmelz, Süße, rührender Naivität, viel Charme und man wird freudig überrascht. Ja, der Bursche Denzil Delaere hat es! In Luzern singt er Tamino! Viel Glück!

Jetzt aber naht er, der Holländer.
Eine große Gestalt mit schönem, markanten Gesicht, über einem hellgrauen Anzug und Mantel ein heller Schafspelz, so dass er weniger an Vasco da Gama als an Pedro in ’Tiefland’ erinnert. Warum Herr Stefan Hageneier, der Kostümbildner?
Dann aber tönt ein Heldenbariton mit dem
Die Frist ist um,
und abermals verstrichen sind sieben Jahr',

so edel wie einstmals George London. Ich genieße diese Stimme, denke an meine Gesangslehrerin, die so treffend behauptete, eine Stimme müsse ’süffig’ sein, ich gebe ihr recht und bin zufrieden.
Ihr Welten, endet euren Lauf!
Ew'ge Vernichtung, nimm mich auf!

Es ist wirklich ’gemein’ von Richard Wagner, diesen riesigen Monolog an den Anfang der Rolle zu platzieren, so wie sein Kollege Giuseppe Verdi die ’Celeste Aida’ für den Radames.

Schade schon zu Ende, aber bravissimo.
Man hofft, Gabor Bretz irgendwo wiederzuhören.

Das Spiel geht weiter und der vom Holländer erflehte
Engel Gottes

darf bei Christian Stückl den ganzenAbend als ein aufmerksamer Knabe anwesend sein und hier den Handel zwischen Daland und dem Holländer fernsteuern.

Guido Jentjens ist ein flinker Geschäftsmann, erfahren in verschiedenen Bass-Partien und auf Festivals.
Die beiden Männer werden handelseinig,
Ha, wonach alle Väter trachten,
ein reicher Eidam, er ist mein!
Ja, dem Mann mit Gut und hohem Sinn
geb' froh ich Haus und Tochter hin!

Senta ist des Holländers neue Hoffnung auf Erlösung, es kommt ein reicher Schwiegersohn ins Haus.
Daland segelt voraus, der Holländer folgt
Mein Schiff ist schnell, es holt dich sicher ein.

Der prächtige Männer-Chor aus Oberammergau und den umliegenden Gemeinden beschließt den ersten Aufzug.
Da alles stimmt: die Sängerdarsteller, der Chor, die Szene, die Personenführung, ist der Applaus des Publikums schon jetzt herzlich.
Leises Meckern! Muss alles grau in grau und allenfalls blaugrau sein? Wäre nicht auch für jemanden der mehr Schauspiel als Oper macht, ein Farbsignal mit
blutrot die Segel

angebracht?
Immerhin hat Christian Stückl mit Jürgen Rose, dem Meister der Farbabstufung, gearbeitet.

Zweiter Aufzug
Nach all’ dem Unfug, den man in ’modischen’ Inszenierungen ertragen muss, erhebt sich nun verstärkt die schon anfangs gestellte Frage:
Was macht Stückl mit der Spinnstube?
Mit einem Streich!
Durch die Änderung eines Wortes – Richard Wagner hat es längst verziehen - fegt er alle szenischen Peinlichkeiten weg. Mary mahnt Senta:
Du böses Kind, wenn du nicht spinnst,
vom Schatz du kein Geschenk gewinnst.

Stückl macht aus dem ’spinnst’ ein ’singst’ und er hat so die szenische Basis für seinen

Spinnerinnenchor, einer unter Marys Leitung durchgeführten Chorprobe. Sie trägt ihr Notenpult herbei, die zahlreichen, bestens gelaunten Damen in gepflegter – meist beiger - Tageskleidung halten ihre Notenblätter in der Hand, singen und agieren engagiert, ohne zu übertreiben, dazu sauber und klangschön. Iris van Wijnen genießt den Spaß, einmal selbst den Takt zu schlagen. Ihre ist Stimme ist gut geführt und klingt angenehm.

Senta, Liene Kinča aus Lettland, wurde als nicht ganz gesund angesagt. Ob das gut geht?
Die Stimme ist leuchtend, jugendlich dramatisch, es stört aber das langsame Hinaufschlittern auf die Spitzentöne, was natürlich diese verkürzt.

Erik, David Danholt, hat es schwer in diesem Stück.
Mein Herz, voll Treue bis zum Sterben,
mein dürftig Gut, mein Jägerglück


Er ist der rechtschaffene, anständige Naturbursche, der bürgerliche Widerpart zum dämonischen Holländer.

Was Richard Wagner für ihn komponierte ist teilweise recht konventionell aber ist bei der heutigen Orchesterstimmung, die um einiges höher liegt als zur Zeit der Entstehung des Werkes, scheußlich schwer zu singen. Aber in David Donholt steht da und singt prächtig und gesund ein fest entschlossener junger Held, der um seine Senta und gegen ihren Wahn kämpft. Und doch muss er schon jetzt erkennen.
Sie ist dahin! Mein Traum sprach wahr!

Senta
Ach, möchtest du,
bleicher Seemann, sie finden!
Betet zum Himmel, daß bald ein Weib
Treue ihm . . . Ha!
 

- ihr Erschrecken über den für sie plötzlich auftretenden und Realität werdenden Holländer. Gabor Bretz steht auf der Szene und die Bühne ist voll. Er hat die Bühnenpräsenz, die Aura, die jeder spürt, so dass das Publikum die Luft anhält, als er weich und raunend
Wie aus der Ferne längst vergang'ner Zeiten
spricht dieses Mädchens Bild zu mir


beginnt. Das ist der Zauber des singenden Menschen, der Zauber des Orpheus. Den bemerken die ’Schauspielfuzzis’ vom Regisseurstheater nicht, deshalb haben sie in der Oper auch nichts zu suchen.

Wenn Richard Wagner Senta von des
Weibes heil'ge Pflichten

von der ausschließlichen Hinwendung und Aufopferung für den Mann, offenbart er sein Frauenbild, das wir überwunden hatten, das aber mit dem Patriarchat des Islam wieder in all’ seiner Brutalität zu uns gekommen ist.
Der Holländer ist ganz und gar männlich konnotiert und trägt deutliche Züge seines literarischen und musikalischen Schöpfers.
Erlösung findet er nur durch eine Partnerin, die sich ihm aus dienender Liebe hingibt.
Wenn Wagner sich ein ’ein unendlich weibliches Weib’ wünschte, so verstand er darunter nicht nur die Partnerin, die selbstverständlich die Mühseligkeiten des Hauhalts übernahm. Sie sollte darüber hinaus den Ehemann in allem verstehen, ihm folgen und ihm bedingungslos zugetan sein.
Die alles subsumierte Wagner unter dem Begriff “Liebe der Frau zum Manne.“

Das Zwiegespräch Holländer – Senta offenbart in seinem melodischen Duktus, dass die beiden zwar gleichzeitig singen, aber nicht zu einer gemeinsamen Melodie finden.

Holländer:
Du Stern des Unheils sollst erblassen.
Licht meiner Hoffnung, leuchte neu!
Ihr Engel, die mich einst verlassen,
stärkt jetzt dies Herz in seiner Treu'.

Senta
Was ist's, das mächtig in mir lebet?
Was schliesst berauscht mein Busen ein?
Allmächt'ger, was so hoch mich erhebet,
laß es die Kraft der Treue sein!

Vater Daland hört des Holländers Hoffnung auf Erlösung durch Treue, Sentas Gelöbnis “bis in den Tod gelob ich Treu!“

- aber für ihn ist nur wichtig, dass er einen reichen Schwiegersohn bekommt.

Zum Fest! Heut' soll sich alles freu'n!
Da bricht der Jubel des Publikums los – verdientes Lob für große Leistungen.


Dritter Aufzug
Der Matrosenchor, der große Moment für den Männerchor und Christian Stückls Kunst, eine große Gruppe einheitlich und doch individuell agieren zu machen.
Der Mittelteil der Bühne öffnet sich, zeigt die Kommandobrücke des Holländerschiffes.

Die Mädchen bringen Getränke, machen auf die hinter Gitter auf dem Schiff eingesperrten bleichen Gestalten aufmerksam. Dieser Wechselgesang ist eine der grandiosesten Chorszenen der Opernliteratur.
Der Geisterchor, sonst nur akustisch hinter der Szene vernehmbar, kriecht hier krank und matt aus dem Schiff hervor und gruppiert sich als eine grausige Versammlung von Zombies und Meisterwerke der Maskenbildnerkunst.
Das ist selbst für sturmerprobte Seeleute zuviel, sie stieben davon.
Erik erinnert Senta an die Zeit der aufblühenden jungen Liebe, Schwärmerei, Tapferkeitsbeweise, zarte Berührungen.
Willst jenes Tags dich nicht mehr entsinnen,
als du zu dir mich riefest in das Tal?

Als, dir des Hochlands Blume zu gewinnen,
mutvoll ich trug Beschwerden ohne Zahl?
[…]
Als sich dein Arm um meinen Nacken schlang,
gestandest du mir Liebe nicht aufs neu'?

In blinder Verliebtheit hielt Erik das
Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang,
sag', war's nicht Versich'rung deiner Treu'?

-
und David Danholt singt dieses Arioso so kraftvoll und geschmeidig, dass er unsere Sympathie und des Holländers Verzweiflung hervorruft.
Verloren! Ach! verloren!
Ewig verlor'nes Heil!

Mit gellendem Pfeifen ruft er seine Mannschaft an Bord. In einem letzten Monolog schildert der Holländer sein verfluchtes Schicksal, das Senta in der Ballade schon geschildert hat
Bei bösem Wind und Sturmes Wut
umsegeln wollt' er einst ein Kap;
er flucht' und schwur mit tollem Mut:
In Ewigkeit laß' ich nicht ab!

Das war der Hochmut eines Diktators, der aus verbohrtem Machtbewusstsein die ihm Anvertrauten aufs Spiel setzt. Gäbe es einen Satan, hätte er in unserer Zeit auch viel zu tun.

Wir erfreuen uns in den letzten Monologen an der Prachtstimme von Gabor Bretz:

Befrag' die Meere aller Zonen, befrag'
den Seemann, der den Ozean durchstrich,
er kennt dies Schiff, das Schrecken aller Frommen:
den fliegenden Holländer nennt man mich.

Senta ist nicht zurückzuhalten
Preis' deinen Engel und sein Gebot!

Hier steh' ich, treu dir bis zum Tod!

Die Mittelbühne schließt sich, der Engel-Knabe steigt in die Unterbühne, in letzter Sekunde springt Senta, bevor sich die Szene schließt zum Holländer auf die Brücke des Schiffs.

Das ergriffene Publikum braucht einen Moment zum Durchatmen, dann kennt die Begeisterung keine Grenzen.
Chor, Solisten, das junge Orchester, der Dirigent, der Regisseur haben höchstes Lob verdient.
So soll es sein!

to top.

„She‘s just like you and me, but she‘s homeless, as she stands there singing for money ...“
aus dem Song Gypsy Woman von Crystal Waters

Zaster auf dem Pflaster
Die Fußgängerzone als Konzertbühne.
Von Virtuosen und Dilettanten, von tollen Konzerten, Zwangsbeschallung und Bettelei

An Straßenmusik scheiden sich die Geister. Was für die einen eine willkommene Ablenkung in der Alltagsroutine ist, ist für andere schlichtweg Lärmbelästigung. Wer gestresst von Termin zu Termin hetzt und in der kurzen Mittagspause einfach nur bei einem Kaffee relaxen will, wird Straßenmusik anders beurteilen als jemand, der gerade entspannt einen Einkaufsbummel unternimmt.
Wer sich täglich in Zentren von Städten aufhält, kennt das Phänomen Straßenmusik und Straßenmusiker. Von Pop, Rock, Folk, Klezmer, Swing bis Klassik ist hier in den Sommermonaten die ganze Palette an Musikstilen geboten. Straßenmusiker gehören als belebendes Element zum Bild der Stadt und sie sind meist auch willkommen.

Dabei ist Straßenmusik kein Phänomen der Moderne. Fahrende Sänger und Barden kannte man schon in der Antike. Wandersänger gab es im Mittelalter: fahrende Gesellen, die lieber mit Straßengesang ihren Lebensunterhalt verdienten, als bei einem Dienstherrn anzuheuern. Bis ins 19. Jahrhundert zogen Bänkelsänger von Ort zu Ort, um auf Marktplätzen oder auf Dorfwiesen gegen Hutgeld von schauerlichen Geschichten, von Mord, Liebe, Katastrophen und aufregenden politischen Ereignissen zu singen.

Nicht immer jedoch zeigt sich Straßenmusik konfliktfrei. Die Polizei dazu: „Vereinzelt, hauptsächlich in den Sommermonaten, kommt es durchaus vor, dass sich Geschäftsinhaber oder Angestellte beschweren und uns zu Hilfe holen, wenn Straßenmusiker zu laut oder zu lange vor ihren Läden musizieren. Unsere Streifendienste kontrollieren auf Routinegängen, ob Spielgenehmigungen vorliegen. Wenn nicht, übergeben wir diese Fälle der Stadt Regensburg, die ein Fehlverhalten gegen Auflagenbescheide sanktionieren kann. Aber wir ziehen nicht gezielt los, um Straßenmusiker zu kontrollieren, hierzu hat die Stadt Regensburg selbst die entsprechenden Möglichkeiten.“ Gewiss, niemand will stundenlang einem Dudelsackspieler zuhören oder einer dieser „Trapp-Familien“ vom Balkan, die sehr laut, sehr lange und mit sehr schlichten Weisen nerven.

Bettelei mit Instrumenten
Eine junge Frau kauert auf dem Gehsteig. Sie trägt einen pinkfarbenen Anorak, weite Pluderhosen und ein Kopftuch mit Blumenmuster. Wie alt mag sie sein? Vielleicht 16. In ihren ausgestreckten Händen hält sie einen Pappbecher, unter ihren Fingernägeln sichtbar Dreck. Sie hockt auf einem schäbigen Plastikkissen und singt ohne Unterlass in einer fremden Sprache vor sich hin. In ihr eintöniges Wehklagen mischt sie ab und zu ein paar deutsche Floskeln. „Jäsus, bittä, dankäschön. Alle Gute fir Familiä ...“ Passanten werfen ihr aus Mitleid – gewiss nicht wegen der gesanglichen Darbietung – ein paar Münzen in den Becher. Von diesem Lohn aber bleibt der jungen Sängerin nichts. Sie steht in der Hierarchie eines Systems aus Abhängigkeit und Ausbeutung ganz unten. Im 15-Minuten-Takt kommt der ’Abholer’, der meist noch drei oder vier weitere dieser singenden Bettler zu ’betreuen’ hat, die an weiteren Straßenecken und Plätzen mit der gleichen Masche auf Spenden hoffen. Der Abholer muss die eingesammelte Gage wiederum unverzüglich gegen eine geringe Provision bei einem höherrangigen Clanchef abliefern, der in seinem Mercedes auf einem Parkplatz am Stadtrand wartet. Die singenden Bettler selbst bekommen nur Essen, Trinken und einen Schlafplatz in schäbigen Unterkünften, oft in Abbruchhäusern.

Die Männer, Frauen und Kinder kommen hauptsächlich aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei. Wie viele es sind, weiß niemand. Fest steht, dass die meisten unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und hier zum Betteln gezwungen werden. An die Hintermänner kommt die Polizei nur selten heran. Wer einigermaßen musikalisch ist, hat es in diesen Bettlerbanden noch vergleichsweise gut. Denn wer nicht sicher intonieren oder in einer Großfamilie musizieren kann, muss nicht selten ein körperliches Gebrechen vortäuschen und bettelnd durch die Fußgängerzonen ziehen. Beobachtungen aus anderen Städten zeigen, dass der krakeelende Gesang in Dauerschleife für einige Bettelclans sehr einträglich sein kann. Nicht selten bezahlen Geschäftsinhaber die talentfreien Interpreten dafür, dass sie schnell wieder verschwinden. Für 50 Euro in bar auf die Hand ziehen sie unverzüglich außer Hörweite. In den seltensten Fällen wurde eine Sondererlaubnis beim Amt eingeholt. Wer diesen musizierenden Balkanbands Geld in den Becher wirft, sollte bedenken, dass von den Spenden nicht diejenigen profitieren, die es nötig haben. Damit werden nur diejenigen unterstützt, die diese Ärmsten ausbeuten.

Auf der anderen Seite: Wie groß muss die Not in einem Land sein, dass die Menschen von dort nach Deutschland kommen, um hier zu betteln. Und was haben wir damit zu tun? Nicht alle bettelnden Musiker sind bandenmäßig organisiert. Oft ist es hilfreicher, diesen Menschen etwas zu essen oder einen Becher mit heißem Kaffee statt Geld zu geben.

Eine Frage der Qualität
El condor pasa, Country Roads und The House of the Rising Sun: Südamerikanische Combos mit Panflöte waren mit die Ersten, die ab den 1960-Jahren in deutschen Fußgängerzonen aufspielten. Heute namhafte Musiker haben als Street-Artists angefangen, nicht zu vergessen die Kelly Family, die ihre Karriere mit Straßenmusik begründete. Musikstudenten finanzieren sich oft einen Teil des Studiums mit Auftritten im öffentlichen Raum und nicht selten treten talentierte Sängerinnen und/oder Instrumentalisten als Straßenmusiker auf, ganz einfach, weil sie gerne unterwegs sind und jeden zusätzlichen Cent für Unterkunft und Fahrkarten gut gebrauchen können. Eine politische Dimension wie noch in den 1970er- und 1980er-Jahren, als gesellschaftskritische Liedermacher eine Gegenöffentlichkeit schaffen wollten, hat Straßenmusik heute nicht mehr. Vielmehr ist sie seit Ende des 20. Jahrhunderts als eine Form der Kleinkunst etabliert.

Bleibt die Frage nach der künstlerischen Qualität. Niemand wird hier Maßstäbe wie bei Meisterkonzerten oder arrivierten Top-Künstlern anlegen. Auch ist meist klar, dass es sich um Hobbymusiker handelt, die ihr Salär aufbessern wollen, wie bei den typischen Straßenmusikanten früherer Jahrzehnte, den Drehorgelspielern. Nun ja, dieses „Instrument“ heißt nicht umsonst Leierkasten, es kann auch von gänzlich unmusikalischen Zeitgenossen bedient werden. Unkreativer geht es nicht. Neueste Drehorgelmodelle sind elektronisch gesteuert, da könnte man auch einfach einen CD-Player hinstellen.
Die Geschmäcker sind gottlob verschieden. Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall. Aber Zwangsbeschallung muss sich niemand gefallen lassen. Klagen über Straßenmusik sind so alt wie das Phänomen selbst. Der britische Mathematiker Charles Babbage beschwerte sich 1864 über Straßenmusik, weil sie ihn bei seinen Studien störte, und aus Venedig sind mehrere Klagen über zu laut und falsch singende Gondoliere aktenkundig.

Eine Frage des Geldes
Landauf, landab versuchen Kommunal- und Stadtverwaltungen gegen ein Zuviel an Straßenmusik vorzugehen. In München müssen Straßenmusiker seit 2007 ein Casting absolvieren. Nur die Besten und maximal drei Solisten und/oder Gruppen pro Tag dürfen auf dem Odeonsplatz oder dem Stachus musizieren. Für diesen Verwaltungsaufwand werden den Performern zehn Euro abgeknöpft. Wer ohne Genehmigung beim Musizieren erwischt wird, muss mit einem Bußgeldbescheid in Höhe von 100 Euro rechnen.
Dass Stadtverwaltungen besonders rigoros und knauserig bei Genehmigungen für Straßenmusiker sei, stimmt im Übrigen nicht. Die Kriterien und Vorgaben hierzu (siehe Kasten rechts) lesen sich nahezu identisch mit denen der meisten anderen Kommunen vergleichbarer Größe. Die Gebühren für den Bescheid, musizieren zu dürfen, sind oft günstig.

Nur in Berlin fallen keinerlei Kosten fürs Musikmachen an, auch ist dort keine Genehmigung vom Amt einzuholen, wenn man auf Plätzen oder in Parks singen oder musizieren will. Einzige Bedingung: Es dürfen lediglich Stimme und akustische Instrumente zum Einsatz kommen und der Gig darf maximal 15 Minuten pro frei gewähltem Spielort dauern. Das hat leider inzwischen den Folgeeffekt, dass auch in S- und U-Bahnen munter drauflosgesungen und -gespielt wird. In der Regel ist meist ein „Bandmitglied“ abgestellt, „sehr offensiv“ mit dem Hut durchs Abteil zu patrouillieren. Das Wort „Hutgeld“, nebenbei bemerkt, findet sich bereits 1854 im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm! Wer gute Musik macht, wer sein Instrument und seine Stimme beherrscht, kann mit Straßenmusik richtig gut Geld verdienen. Je besser die Performance desto mehr „Scheinwerfer“!

Auf ewiger Bayern-Tournee
Wer ein bisschen in Bayern herumkommt, kann in Augsburg, Bamberg und Würzburg ein akustisches Déjà-vu erleben. Viele Straßenmusiker touren regelrecht durch die Lande, und Regensburg scheint ein durchaus einträgliches Pflaster für Musik aller Art zu sein. Die unüberhörbare Sirene mit den „iro-schottischen“ Shantys kennt man auch an der Pegnitz und am Lech. Inzwischen sollte man meinen, die Gute müsste längst das Honorar für einen Vocal-Coach herein gespielt haben. Auch unsere Freunde von Almost Heart-Chor mit ihrem „ehrlichen Quetsch ‘n‘ Roll“ (Geschmackssache!) gastieren gern in Landshut, Passau und Straubing. Das Quartett kündigt seine Auftritte in Fußgängerzonen regelmäßig via Facebook an, auch bei Stadtmarathons oder anderen Festen musizieren die Vier gerne am Straßenrand – aus Spaß an der Freud‘ und natürlich for money. Von vielen immer wieder gern gehört und gesehen: die bekannte Digeridoo-Gruppe, Gustav und Gerlinde (die mit der Tuba!), russische A-cappella-Männerchöre, Irish Folk und, und, und. Bei Straßenmusikern gilt übrigens Eichstätt als lukrativstes Pflaster in Bayern.

Straßenmusik-Festivals
In jüngster Zeit haben sich weltweit Straßenmusik-Festivals etabliert. Das größte und älteste findet seit 1988 alljährlich in Ferrara statt. Bei der Street Performance World Championship in Dublin gibt es eine Kategorie für Straßenmusiker. Auf dem Folk-Roots-Weltmusik-Festival in Rudolstadt ist die Straßenmusik wichtiger Programmpunkt. Seit 2015 findet jeden Herbst in der Alten Mälzerei die „Sternschnuppe(r)nnacht“ statt – der Regensburger Straßenmusikerwettbewerb, bei dem Talente in den Kategorien „Bester eigener Song“ und „Bester Coversong“ um den Sieg musizieren. Natürlich schön warm und im Trockenen. Denn um als Straßenmusiker zu überleben, braucht es das richtige Wetter, den richtigen Ort und den richtigen Zeitpunkt.

Das Joshua-Bell-Experiment:
Der weltberühmte Violinist Joshua Bell geigte 2008 in der Washingtoner Metro. Bilanz: In 43 Minuten verdiente er vor 1070 Zuhörern 32 Dollar und 17 Cent. Für den Stargeiger eine Grenzerfahrung und ein Lernprozess über Kunstöffentlichkeit. Was wäre seine Kunst ohne Marketing? Wie sein Standing ohne die Öffentlichkeitsarbeit seiner PR-Agentur? Was wären Konzertbesucher in London, Tokio, München oder New York bereit, für ein Ticket auszugeben, hätte ihm sein Plattenlabel nicht einen bestimmten Nimbus angeheftet? Bell musste übrigens die wenigen Meter von seinem Hotel zur U-Bahnstation mit einem Taxi fahren, wegen des immens hohen Versicherungswerts seiner millionenschweren Stradivari.

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Straßenmusik in Regensburg – die „AGBs“
Wer in Regensburg auf öffentlichen Straßen und Plätzen musizieren möchte, benötigt hierzu eine Sondernutzungserlaubnis. Hierzu ist ein formloser schriftlicher Antrag unter Angabe der Adresse und Telefonnummer ausreichend. Es genügt, wenn Straßenmusiker mit gültigem Ausweis in der Stadtkämmerei in der D.-Martin-Luther-Straße 1 vorsprechen. Laut Sondernutzungssatzung der Stadt Regensburg (Stand 18. Dezember 2000) werden für Straßenmusik von Einzelpersonen pro Tag 3,30 Euro, von Gruppen pro Tag 6,60 Euro erhoben.

Einige Punkte gilt es jedoch zu beachten: Den Musikern wird aufgegeben, ihren Standort spätestens nach 30 Minuten zu wechseln und beim Ortswechsel einen Mindestabstand von 100 Metern einzuhalten. Jede Örtlichkeit darf dabei nur einmal bezogen werden. Spielberechtigung besteht von 10.00 bis 13.00 Uhr und von 15.00 bis 20.00 Uhr. In der Mittagszeit von 13.00 bis 15.00 Uhr darf nicht musiziert werden. Das Musizieren ist bis längstens 20.00 Uhr gestattet.

Lediglich zwei Musiker oder eine Gruppe bekommen pro Tag die Erlaubnis, im Altstadtbereich zu spielen. Ausnahmen werden für Künstler gemacht, die aus dem Ausland kommen und nur für einen Tag in Regensburg Station machen.
Die Genehmigung berechtigt grundsätzlich zum Musizieren auf allen Flächen des Stadtgebiets, die als öffentlicher Straßengrund gewidmet sind. In der Weißen-Lilien-Straße, Pfauengasse, Gesandtenstraße und Drei-Helm-Gasse ist jedoch für Musikgruppen das Musizieren untersagt. Für Einzelpersonen gilt dieses Verbot ab 13.00 Uhr.
Die Benutzung besonders störender Musikinstrumente wie Blechblasinstrumente, Schlagzeuge und ähnliche Rhythmusinstrumente ist grundsätzlich nicht erlaubt. Die Musikausübung mit Verstärkeranlagen und Lautsprechern ist grundsätzlich nicht zulässig.
Grundsätzlich erhalten die Straßenmusikanten auch Genehmigungen für Sonn- und Feiertage. Hiervon ausgenommen sind jedoch die „stillen Tage“, also Aschermittwoch, Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Allerheiligen, der zweite Sonntag vor dem ersten Advent als Volkstrauertag, der Totensonntag, der Buß- und Bettag und der Heilige Abend ab 14.00 Uhr. An Wochenenden, an denen bereits Veranstaltungen mit Musik genehmigt sind (zum Beispiel Bürgerfest oder Jazz-Weekend), werden ebenfalls keine Straßenmusikanten zugelassen. Schließlich werden auch an den sogenannten „veranstaltungsfreien Wochenenden“ (jeweils eines pro Monat) keine Genehmigungen für Straßenmusik erteilt.


O-Töne:
Alexander aus dem Donbass (Ukraine)
reist drei oder vier Mal im Jahr mit dem Zug nach Deutschland, um in Fußgängerzonen Musik zu machen. „Die politische und soziale Situation in der Ukraine ist im Moment katastrophal“, sagt Alexander, „Kunst und Musik sind da leider oft verzichtbarer Luxus.“ Er winkt ab, er möchte lieber über die Musik sprechen. „Bach!“, schwärmt er, „das ist Musik aus einer anderen Galaxie! Schwierig. Komplex. Bachs Toccaten und Fugen für Akkordeon zu arrangieren, ist schon eine Herausforderung, aber für mich eine Messlatte. Ich spiele auch gern Mozart oder Opernarien und Tangos – das kommt bei den Passanten sehr gut an. Die meisten Leute aber bleiben stehen, wenn ich meine Bearbeitung von Vivaldis Violinkonzert Der Winter spiele. Vielleicht, weil es so fetzig ist, fast wie Pop.“ Ob es Städte gibt, die besonders lukrativ für Straßenmusiker sind, kann Alexander nicht sagen. „Nein, wenn es eine Stadt gäbe, in der ein gewisser Umsatz garantiert wäre, würde ich dort jede Woche spielen. Gestern war ich in Nürnberg und habe kaum etwas verdient. Vor zwei Wochen habe ich dort enorm viel eingenommen, obwohl das Wetter viel schlechter war. Das hängt von so vielen Faktoren ab, die ich aber noch nicht analysiert habe. Es ist einfach Glückssache!“

Arne Schmitt
mit seinem mobilen Konzertflügel ist so etwas wie ein Star unter den Straßenmusikern. Der musikalische Autodidakt ist in  ganz Europa unterwegs und mindestens einmal im Jahr in Regensburg. Über den Künstler kann man sich auf dessen Website (arne-schmitt.com) und seinem Facebook-Account informieren, zu ihm gibt es einen Wikipedia-Eintrag. Seit über 17 Jahren tourt er mit seinem digital umgerüsteten Flügel auf fahrbarem Untersatz durch die Fußgängerzonen. Selbst Paul McCartney hat ihm schon Geld ins Körbchen geworfen. Schmitts Pianoakkorde, seine Improvisationen über bekannte Songs sind nicht jedermanns Sache, aber er hat sich eine stabile Fanbase erspielt. „In Regensburg habe ich vom Amt immer eine Spielberechtigung bekommen, das hat nie Schwierigkeiten gegeben, das geht hier sehr flott und unbürokratisch. Im Gegensatz zu Frankfurt am Main, wo man Angst hat, ich würde mit meinem Flügel ganze Straßenzüge blockieren.“ Schmitt bekennt: „Ja klar, ich mache music for money, aber die Freiheit, was und wo ich spiele, die lasse ich mir nicht nehmen. Das Reisen, das Unterwegs sein ist für mich genauso wichtig wie die Musik. Und wenn sie den Passanten gefällt, dann gibt mir das ein gutes Gefühl.“

Tom
„Es gibt fantastische Musiker, die mit ihrer Straßenmusik den Aufenthalt in der Altstadt geradezu bereichern. Fabelhaft ist der Kalifornier mit seinem selbst gebauten Streichinstrument, klasse sind auch die beiden Burschen mit Gitarre und Cajón, die sich meistens am Dani-Karavan-Bodenrelief niederlassen und einfach toll singen. Da hört man gerne zu und verweilt. Nervtötend sind allerdings diese sehr laut musizierenden Familien-Clans! Bei uns war zufällig einmal ein Musikprofessor als Kunde im Geschäft, als wieder eine dieser Gruppen loslegte. Er stellte fest, dass an einer bestimmten Stelle dieses einfachen Lieds bewusst falsch gesungen wurde. Der Fehler wurde hartnäckig in jeder Strophe wiederholt. Der Musikwissenschaftler wunderte sich und war völlig verwirrt. Aber wir haben noch nie die Polizei geholt. Da heißt es halt Geduld haben, irgendwann zieht die Gruppe schon weiter.“
Nadine Rohde
„Grundsätzlich freue ich mich über Straßenmusik und -musiker. Sie tragen zum urbanen Flair in der Stadt bei und können die Aufenthaltsqualität erhöhen. Das Klezmer-Trio musiziert regelmäßig in der Pfauengasse und in der Weißen-Lilien-Straße. Das sind Profis. Ich freue mich immer, gute Solisten oder Bands zu hören. Straßenmusiker gehören zum Stadtbild und zur Geräuschkulisse einer Stadt. Was stört, ist, wenn zu lange am gleichen Fleck und zu laut gespielt wird. Hier im Laden kriegt man ja nur die Spitzen mit und das kann oft ganz schön an den Nerven zerren, an meinen und an denen der Kunden. Eintönige und zu dynamisch vorgetragene Straßenmusik ist mitunter durchaus ein Grund, dass Kunden das Geschäft verlassen. Wenn ich selbst als Passantin unterwegs bin, nehme ich Straßenmusik natürlich ganz anders wahr. Sie gehört ganz einfach zum Soundtrack der Stadt.“

Ulrich Dombrowsky
„Ich bin eher einer der Leidtragenden, wenn Straßenmusik vor dem Geschäft gemacht wird. Vor allem, wenn es an Qualität mangelt, an der Bandbreite des Repertoires und wenn sie kein Ende nehmen will. Wirklich gute Straßenmusik ist – zumindest am St.-Kassians-Platz – leider selten zu hören. Was meist geboten wird, ist zu seicht und zu eintönig. Es kommt schon vor, dass ich das Ordnungsamt bitten muss, für Abhilfe zu sorgen. Das klappt in der Regel auch sehr zügig. Was von Vorteil ist: Der Verein Faszination Altstadt e. V. hat seine Räume im Sparkassen-Gebäude am Neupfarrplatz. Dort kriegt man unmittelbar mit, wer gerade wie musiziert. Ziel von Faszination Altstadt ist, die Altstadt als attraktives Ziel für ihre Besucher zu erhalten. Und dazu gehört auch, dass die Straßenmusik, die durchaus ihre Berechtigung hat, gewissen Qualitätsstandards entspricht.“

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Kalenderblätter August

Thema des Tages
 

Alexander Golling

 
  ... am 02. August 1905 geboren

Er war der 'Kracherte', der allen die Meinung sagte. Zum Schauspieler in München ausgebildet ging er als Anfänger nach Heidelberg, wo er bei den 'Reichsfestspielen' unter der Schirmherrschaft von Dr. Goebbels auftrat.

Später in Berlin an der Volksbühne beschäftigt, bekam er schon Rollen als schwerer Held beim Film so in 'Geheimakte WB 1', '90 Minuten Aufenthalt' in der Regie von Harry Piehl,  'Dreizehn Mann und eine Kanone' mit Otto Wernicke, Herbert Hübner, Erich Ponto, Friedrich Kayßler.

Es folgte 1939 'Gold in New Frisco' in der Regie von Paul Verhoeven.

Er ging nach München, wurde zum Staatschauspieler ernannt und übernahm die Intendanz des Bayerischen Staatsschauspiels.

Schon früh sympathisierte Golling mit dem Nationalsozialismus, was ihm den Spitznamen 'der braune Theaterfürst von München' eintrug.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte er deswegen Schwierigkeiten, seine Karriere nahtlos fortzusetzen.

Bei der Entnazifizierung vor einer Münchener Spruchkammer wurde er als 'Belasteter' eingestuft und sein Vermögen bis auf 10.000 Mark eingezogen.

Erst 1950 stand er wieder vor der Kamera, spielte in Filmen von Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner und Karl Ritter, die in der Zeit des Nationalsozialismus ebenfalls auf der Seite des Regimes standen.

In den 60-er Jahren schaffte er dann den Sprung ins TV-Geschäft, wobei es sich oftmals um Aufzeichnungen von Bauernkomödien handelte.
 

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Thema des Tages

Adolf Bock

 
 ... am 05. August 1890 geboren 

Er schaute dem Großvater und dem Vater über die Schulter, wenn sie an der Staffelei standen.
Großvater, Landschaftsmaler, der Vater war Bauer und malte nur aus Spaß an der Sache.

Der Junge sollte es richtig lernen, aber die Ausbildungen brach er jeweils ab, ging zur Kriegsmarine und malte so nebenbei.

Während einer Seereise an Bord des Kaisers von Deutschland konnte er sein Talent zeigen, Wilhelm II. förderte das Talent.

1940 malte er 'Gen Engelland' und 'Stuka trifft englisches Schlachtschiff', was ihm das Wohlwollen des 'Führers' einbrachte, der ihm die Renovierung der Wohnung eines vertriebenen Juden finanzierte.

Oftmals erwähnte Hitler den Maler in seinen Tischgesprächen.
Es sei unverständlich, das die schönen Bilder von Bock von der preußischen Akademie abgelehnt worden seien. Die zeigten doch eine naturgetreu Wiedergabe der Nordsee.

Hitler fühlte sich dem Maler Bock seelenverwandt, war er selber doch als Bewerber an der Akademie in Wien als untalentiert abgelehnt worden.

Adolf Bock verließ in den letzten Kriegtagen Ostpreußen und überlebte den Untergang der Wilhelm Gustloff, an deren Bord er sich mit Tausenden von Flüchtlingen befand.

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Thema des Tages

Knut Hamsun

 
  ... am 04. August 1859 geboren

Mit dem 1920 erhaltenen Nobelpreis für Literatur ging eine kärgliche Zeit, die ihn schon als Kind bei den Eltern als Kleinbauern beeinflusst hatte, zu Ende.

Für ihn bedeutete die Abkehr vom Imperialismus und vom Kommunismus die Lebensleitlinie - und geriet damit zum Sympathisanten der Deutschen. Bereits im ersten Weltkrieg nahm der diese Haltung ein, verstärkt zeigte sie sich zur Zeit des Nationalsozialismus.

Carl von Ossietzky, der in dem KZ Papenburg-Esterwegen gefangen gehalten wurde, kritisierte er öffentlich, der wolle nur als Märtyrer in die Geschichte eingehen und sei deswegen in Deutschland geblieben.

Hamsun hob den Krieg als Akt der Selbstverteidigung hervor, sah eine jüdische Unterwanderung und forderte den Kniefall Englands.

Der Dichter pflegte Kontakte zu Goebbels, dem er nach einem Besuch in Berlin seine Nobelmedaille zusandte. Er, Goebbels habe wie nie jemand für die Sache Europas und der Menschheit Jahr um Jahr so unermüdlich geschrieben und gesprochen wie er, der Herr Reichsminister.

Hitler traf er auf dem Berghof und das, was als großer Propagandagag geplant war, schlug fehl, als Hamsun dem Führer ins Wort fallend unumwunden Verbrechen im von den Deutschen besetzten Norwegen vorwarf. Und Goebbels notierte, der Besuch sei leider etwas verunglückt.

Im Mai 1945 verstieg er sich zu einem Nachruf auf Hitler.

Prozesse wegen seiner positiven Haltung gegenüber den Nazis brachten im eine Geldstrafe von 325 Tsd. Kronen ein, was einem heutigen Wert von etwa 41.000 Euro bedeutet, die er nicht bezahlen konnte.

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Thema des Tages

Leni Riefenstahl
 

   ... am 22. August 1902 geboren

Bis ins hohe Alter ging sie immer wieder Abenteuer ein.
Sie kam vom Ausdruckstanz, konnte den Beruf wegen einer Verletzung nicht mehr weiter ausüben. Die Fotografie und das Filmen wurden ihre neuen Betätigungsfelder.
Besonders bekannt, ihre Produktionen über die Reichsparteitage und die Olympischen Spiele in Berlin 1936.

Schauspielerin war sie noch 1934 als Marta in ihrem 'Tiefland'-Film, der durch die Kriegseinflüsse erst 1952 fertig gestellt werden konnte.
Bernhard Minetti war Sebastiano, Franz Eichberger der jugendliche Held Pedro.

Als Fotografin errang sie große Anerkennung. Als Einzige durfte sie mit Regierungsgenehmigung im Süd-Sudan die Nuba in Bilddokumenten festhalten.

Sie lernte noch im hohen Alter tauchen und veröffentlichte ihre Unterwasseraufnahmen in großformatigen Bildbänden.

Obwohl viele Dokumente von der Nähe der Riefenstahl zum Hitler-Regime Zeugnis ablegen, war sie bis zum Ende völlig unnachgiebig in der Auffassung, nichts getan zu haben, was man als ehrenrührig einstufen könnte.

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Thema des Tages

Bayreuth

Es war schon erstaunlich, dass sich die Siegermächte auf eine Weiterführung der von der Hitlerdiktatur belasteten Richard-Wagner-Festspiele einließen.

Winifred pflegte seit dem Scheitern des Putsches in München am 8./9. November 1923 und dem Gefängnisaufenthalt Hitlers in Landsberg gute Beziehungen zu ihm, 'trauerte' auch wegen - 'USA' - 'Unser seliger Adolf' - in dem Syberberg-Wagner-Film.
Es gibt viele Fotos aus der Zeit, die Wolfgang und Wieland mit dem Führer, dem 'Onkel Wolf', zeigen.

Aber die Amerikaner wollten in ihrem Verwaltungsbereich der Beatzungszone einen Mittelpunkt schaffen, der positive Ausstrahlung, trotz aller Vorbehalte, haben sollte.

Bereits 1949 wurde der Verein 'Freunde der Bayreuther Festspiele' gegründet, die sich seitdem der Aufgabe stellten, Gelder für die Produktionen zur Verfügung zu halten.

Da heutzutage die Gefahr besteht, dass sich die 'Freunde' verweigern könnten, wurde 2010 eine neue Gruppierung mit dem Namen 'Team der aktiven Festspielförderer' - abgekürzt 'Taff' - ins Leben gerufen.
Ein Peter Maisel aus BT und Christian Thielemann sollen angeblich zu dem neuen Verein gehören und auch der 'Herr Trigema', der Unterwäsche aus Deutschland anbietet, soll dabei sein.
Aus Dankbarkeit durften Mitglieder des neuen Vereins während des zweiten Aufzugs des 2011-'Tannhäuser' auf der Bühne sitzen.

Nun aber wegen der negativen Schlagzeilen und den Vorkommnissen in Bayreuth alles gleich in Bausch und Bogen abzuqualifizieren, geht dann doch wohl zu weit.
Aber so sind nun mal die Oberfranken, klar und deutlich in den Aussagen ihren Mitbürgern gegenüber.

Bemerkenswert mit welcher Verve sich seinerzeit die beiden Urenkelinnen um die Besetzung des Regisseurpostens für den 'Ring' 2013 bemühen mussten, nachdem Wim Wenders absagte.
Da verfielen sie auf Herrn Casdorf - der eine Ausbildung zunächst bei der Reichsbahn machte und dann zum Theater ging.
Vornehmlich war er an Häusern in der 'DDR' tätig.
Die Frage stellt sich auch, ob und wie lange und wieweit Kontakte der Stasi zu Peter Emmerich bestanden.

Carl Hegemann, der Dramaturg, schon beim Schlingensief'schen 'Parsifal ' am Werk, war 'helfend' dabei.

Nun finden die BT-Festspiele wieder statt - hier von 'F e s t' -spielen zu reden, ist sicherlich nicht angebracht.
Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der so genannten 'Festspiele' in Bayreuth müsste dem Publikum etwas anderes geboten werden, als beispielsweise ein ausgebuhter 'Tannhäuser' im Jahr 2011.

Wozu überhaupt noch dieser Aufwand in Bayreuth, wenn die Theater Koblenz, Lübeck den 'Ring' spielen, den 'Lohengrin' in Quedlinburg und den in Regensburg und auch den 'Tristan' dort auf die Bühne brachten und in Detmold 'Ring', 'Parsifal' und 'Tristan' zeigten.
Erstklassiges sieht und hört man im Cinemaxx mit den Übertragungen aus der Met und aus Covent Garden.
Eine Ausnahmestellung im Sinne des Werkes nimmt BT - bezogen auf die oben genannten Theater - allenfalls noch beim Chor und beim Orchester ein.

Nach den neuesten Bayreuther Affären um Nikitin, um Hengelbrock. Wie um Meese rankt sich nun das Gerüchtegeflecht um Andris Nelsons. Der reiste aus den Bayreuther Proben ab und kam nicht wieder.
Angeblich soll sich der 'Oberfränkische Musikdirektor' in die Orchesterarbeit zu sehr eingemischt haben.

Geld und gute Worte brachten den lettischen Maestro - mit Kristine Opolais verheiratet -  nicht dazu, nach BT zurückzukehren und die Proben zum 'Parsifal', dem 'Bühnenweihfestspiel', fortzusetzen.
Zufällig frei war Herr Haenchen, der das Stück dann übernahm, so dass es stattfinden konnte.

Der 'Oberfränkische Musikdirektor' musste sich beim Vorsingen von Mareike Morr selbst ans Klavier setzen. Da gab es wohl keinen Korrepetitor der recht begleiten konnte.
Aber in Zukunft wird ja alles besser, wenn HvB das Kaufmännische leitet. Er war ja in gleicher Position am Oberpf. Metropol-Theater Regensburg engagiert.

Warum der ganze Zirkus am Grünen Hügel für die paar Vorstellungen.
Salzburg spielt demgegenüber an 14 Spielstätten, an 44 Spieltagen, 188 Vorstellungen.

RW gibt man doch überall, bald sicher auch im Wirtssaal von Gapoltshofen oder im Schwarzen Hirsch in ’Utzbach wie Butzbach’.

Erinnert sei in dem Zusammenhang an die Niederbayerische Erstaufführung von 'Tristan und Isolde' in Passau, in Straubing und in Landshut.

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Bemerkungen eines Fernsehzuschauers zur szenischen und musikalischen Umsetzung

Die Meistersinger von Nürnberg
Text und Musik von Richard Wagner

Bayreuth 2017
 

Musikalische Leitung

Philippe Jordan

Regie

Barrie Kosky

Bühne

Rebecca Ringst

Kostüm

Klaus Bruns

Chorleitung

Eberhard Friedrich

Dramaturgie

Ulrich Lenz

Licht

Franck Evin

 

Hans Sachs, Schuster

Michael Volle

Veit Pogner, Goldschmied

Günther Groissböck

Kunz Vogelgesang, Kürschner

Tansel Akzeybek

Konrad Nachtigal, Spengler

Armin Kolarczyk

Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber

Johannes Martin Kränzle

Fritz Kothner, Bäcker

Daniel Schmutzhard

Balthasar Zorn, Zinngießer

Paul Kaufmann

Ulrich Eisslinger, Würzkrämer

Christopher Kaplan

Augustin Moser, Schneider

Stefan Heibach

Hermann Ortel, Seifensieder

Raimund Nolte

Hans Schwarz, Strumpfwirker

Andreas Hörl

Hans Foltz, Kupferschmied

Timo Riihonen

Walther von Stolzing

Klaus Florian Vogt

David, Sachsens Lehrbube

Daniel Behle

Eva, Pogners Tochter

Anne Schwanewilms

Magdalene, Evas Amme

Wiebke Lehmkuhl

Ein Nachtwächter

Karl-Heinz Lehner
(25.7. Georg Zeppenfeld)


Klamauk, Klamotte - Holzhammer

Wie abscheulich ist doch dieses Deutschland!
Unfähig aus der Geschichte zu lernen, ist es bewohnt von verstockten Alt-Nazis, rechtsextremen Fanatikern, regiert von gierigen Bänkern und korrupten Industriellen, regiert von einer schwächlichen Politiker-Truppe.
Hier - in diesem Deutschland - kann man nach Herzenslust pöbeln, denn man hat ja ’nach unten geöffnet’.
Hier kann man schwindeln und betrügen, denn in der Gesetzgebung gibt es für gewitzte Juristen wunderschöne Grauzonen.
In der Kunst kann man jeden Mist zur Kunst erklären, denn die heilige Kuh heißt: ’Freiheit der Kunst!’
Vor allem aber kann man in diesem Lande viel gutes Geld verdienen, wenn man der richtigen Gruppierung angehört.
Prominente Orte sind die staatlich subventionierte Theater, einst der Stolz einer gut erzogenen, rechtschaffenen Bürgerschaft, heute oft Spielplatz neurotischer Egomanen.
Ein äußerst prominenter Ort sind die Festspiele in Bayreuth, Treffpunkt für Opernfreunde, die in den letzten Jahren viel zu erleiden hatten, sensationshungrige Witzbolde, Politiker mit Pflichtterminen , Schickeria, die sich sehen lassen will – man ist eben ’a-dabei’.

Diesmal also ’Die Meistersinger’, ein heiteres Werk, wofür die Festspielleitung den Intendanten und Regisseur der Komischen Oper Berlin engagierte. In Hannover ist seine Inszenierung des ’Ring des Nibelungen’ in Erinnerung, die so voller Hass und Abscheulichkeiten war, dass er mangels Publikum schnell abgesetzt wurde.
Im Interview in der HAZ vom 18. Juli 2017 äußert Barry Cosky nun:
“Wagner hat keine Macht über mich“ und ist voll des Lobes über die Bayreuther Arbeitsbedingungen und das erstklassige Ensemble und den angenehmen Dirigenten.
Ohne strapaziöse Bayreuth-Reise – ich war während meines Studiums als Stipendiatin dort, habe einige Jahre mitgewirkt, als Gesangspädagogin junge Sänger in den fabelhaften Chor vermittelt, als künstlerische Leiterin des Richard-Wagner-Verbandes Hannover Stipendiaten begleitet, glaube also, mich auszukennen – nehme ich auf meinem bequemen Sofa Platz.
Dabei wird mit klar, wie angenehm es sich doch nach über 70 Jahren Frieden in unserem Deutschland leben lässt.

Das Vorspiel zum Werk beginnt, der Vorhang öffnet sich und zeigt einen Innenraum – es soll Wahnfried sein.
Wenn man sich drauf einlässt, kann man die vielen Parallelen der Familie Wagner mit dem Personal und dem Verlauf der Oper miterleben. Das aber will der Regisseur eigentlich – entsprechendn dem Interview mit dem BR, wenn es um das Überleben von Bayreuth mit seinen Festspielen geht - unbedingt vermeiden.

Hans Sachs (Michael Volle) soll dem Äußeren nach Richard Wagner sein, mit schwarzem Samtbarett. Veit Pogner (Günther Groissböck) soll den Franz Liszt mit grauer Langhaarfrisur und Gesichtswarzen geben, Sixtus Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) als Herrmann Levi, Eva (Anne Schwanewilms) als Cosima Wagner in schwarzem Kleid mit Cul de Paris und unkleidsamer Frisur liegt laut eingeblendeter Text-Projektion mit Migräne im Bett, wuselt hier aber höchst lebendig über die Bühne.
Albrecht Dürer, der einen Text zur Schlussansprache beitrug, ist auch dabei mit langem braunem Haar und Mittelscheitel. Wagners schwarzes Samtbarett wandert auch zu Walther von Stolzing (Klaus Florian Vogt) und zu David (Daniel Behle) je nachdem mit welcher sich der Dichterkomponist identifiziert hat.

Hochachtung vor der Recherche von Ulrich Lenz, ob nun in Cosimas Tagebüchern und Richards ’Mein Leben’ wie Zeugnissen von Zeitgenossen.

Und dann dürfen die erfahrenen und gut gelaunten Sängerdarsteller, die aus dem Flügel herausquellen, loslegen und im Spiel ’die Sau rauslassen’.
Levi soll sich zum Gebet hinknien, sich taufen lassen – wie so viele Juden, die dann Karriere machten (oder im Falle gelungener Flucht aus Nazi-Deutschland Amerika kultivierten).
Den Aderlass hat die Bundesrepublik nicht überwunden.

Walther von Stolzing und Eva Pogner sehen und verlieben sich. Mit der Kinderstimme Vogts kann ich nichts anfangen und ob sich Frau Schwanewilms mit der Eva einen Gefallen getan hat, bleibt offen. Sie sieht zweifelsohne wie Cosima Wagner auf dem auf die Szene geschleppten Lenbach-Bild aus, aber schaut man auf ihr Geburtsjahr 1967 – und das bei den TV-Nahaufnahmen – ist ihr ’das Kind’ des Veit Pogner (Günther Groissböck, geboren 1976) nicht abzunehmen. Sie ist keine Elisabeth Grümmer, die als Dame das Evchen sang. Musste das sein, dass diese außerordentliche Mozart- und Strausssängerin mit dem schönen Timbre diese Rolle mit dem dicken Orchester sich antut? Bei Wagner sind andere Phonstärken zu überwinden.
Warum auch muss sie in diesem so unvorteilhaften Cosima-Kostüm – auch noch mit umgehängter Stola im zweiten Akt auftreten und dann mit Sachs ’herumkindschen’ wie eine Siebenjährige? Keine junge Frau im heiratsfähigen Alter führt sich derart albern auf. In dem Falle hier ist es geradezu peinlich.
Machte das Frau Schwanewilms von sich aus und wurde vom Regisseur nicht gebremst, oder gab er es ihr sogar vor?
Im dritten Aufzug konnte sie wenigstens in einem jugendlichen Kleid mit offenen Haaren auftreten, um zum Applaus wieder als Cosima zu erscheinen, um sich hier leider einige ’Buhs’ anhören zu müssen.
Wo war den der alles steuernde ’Oberfränkische Musikdirektor’?

Umso erfreulicher das andere Liebespaar, David (Daniel Behle) und Magdalene (Wiebke
Lehmkuhl), beide mit schönen gesunden –Stimmen, herzhafter Spiellust, Charme und Humor, eine reine Freude.
Das turbulente Spiel im ersten Akt mit Meistern und Lehrbuben einzeln zu beschreiben, ist Dank der Einfälle des operettenerfahrenen Regisseurs und der hemmungslosen
Spielfreude all’ der hochkarätigen Sänger, die hier mal so richtig die Sau rauslassen durften - unmöglich.

Zweiter Aufzug
Bei Richard Wagner eine Straße zwischen den Häusern von Pogner und Sachs mit einer Linde und einem Holunder.

In Bayreuth heuer und für die nächsten Jahre ein grasbewachsener Innenhof, umgeben von Wänden - holzvertäfelt. Rechts Fenster mit blauen Vorhängen, in der Mitte der Bühne ein Holzverschlag, der wohl eine Bank sein soll.
Man spürt, die Heiterkeit weicht dem Problem

Soll das ein Hof im heute noch in Resten bestehenden Nürnberger Reichsparteitagsgeländes sein?
Und gleich kommt Leni Riefenstahl um die Ecke, um die Aufnahmen zu ihrem Film ’Triumph des Willens’ von 1934 vorzubereiten?
Leider werden auch die Nürnberger Rassegesetze von 1935 nicht thematisiert, die ja von Göring dort verkündet wurden. Das wäre doch ein schöner Auftritt für einen ’wamperten’ Statisten in der Verkleidung als preußischer Ministerpräsident, als Reichsjägermeister und Erfinder der Reichsgaragenordnung mit Marschallstab gewesen.
Schade um die vertane Chance!
Stattdessen sitzt Hans Sachs allein da “auf der grünen Wiese“ und klopft auf einem Schuh herum.

Man ist verwirrt, weil diese dürftige Szenerie so garnichts hergibt und alles nur an der Sprache und Gestaltungskraft der Sängerdarsteller hängt, die glücklicherweise bei Kränzle, Volle und Behle überragend ist.

Schließlich naht die Prügelfuge. Der Chor in üppigen Renaissance-Kostümen singt wie immer musterhaft und richtete sich ausschließlich gegen Beckmesser, der, damit es auch der Dümmste mitkriegt, einen riesigen Pappkopf mit den ’verjudeten’ Zügen Richard Wagners trägt und sich dann in einen riesigen aufgeblähten Kopf mit Kippa und Judenstern ausweitet.
Das meine ich mit ’Holzhammer’.

Dritter Aufzug
Der Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse.
Im Hintergrund die Fahnen der Siegermächte. Reihen mit Stühlen und Tischen mit Akten.
Vorne ein einzelner großer Tisch. Bei Richard Wagner heißt es: ’In Sachsens Werkstatt’
Ein grüblerisches Cello-Thema schildert des Meisters düstere Stimmung. David trippelt herein und erzählt begeistert von seiner Lene, dem bevorstehenden Fest und singt sein naives Liedchen von der Tauf' im Jordan.
In dieser grausigen Umgebung wirken Namenstagslied, Kuchen, Wurst und die Erwähnung einer Hochzeit so deplaziert, dass ich mich zwingen muss, nicht beim Fernseher auf den Knopf ’Aus’ zu drücken.
Aber erst einmal singt Michael Volle den ’Wahn-Monolog’ so wohltuend durchdacht und tief berührend, dass er zur Pflichtanhörung für alle Politiker werden sollte
warum gar bis aufs Blut die Leut’ sich quälen
und schinden in unnütz toller Wut
?

Den versöhnlichen Schluss, den ein Kobold in die Johannisnacht bringt, sieht man in der heutigen Zeit permanent sich steigender Aggressivität leider vergebens, und wo ist jemand, der den
Wahn fein lenken kann, ein edler Werk zu tun?

Walther tritt auf, erzählt von seinem wunderschönen Traum. Glänzend hier Sachs und Walther wie auf der Schulbank, das Preislied zusammnebastelnd
Sängerisch hat man da beim Tenor in Erinnerung: Max Lorenz, Wolfgang Windgassen, René Kollo und heutzutage Jonas Kaufmann.

Die folgende Pantomime ist ein szenischer Leckerbissen für alle Beckmesser, fällt je nach Temperament immer ein bisschen anders aus und Kränzle, der Elegante, lässt für einige Augenblicke den schlimmen Gerichtssaal vergessen. Die beiden ’Meistersänger’ Sachs und Beckmesser liefern sich ein Wort- und Tongefecht, dass ich mich vor Freude nicht halten kann, Szenenapplaus vor dem Fernseher! Albern, aber ehrlich!

Eva kommt herein, endlich in freundlich jugendlicher Kleidung mit hübscher Frisur. Sie steigt auf den Tisch, das Schuhproblem wird besprochen, dann bricht es aus ihr heraus: Oh Sachs! Mein Freund!

- auf dem hohen ’B’ - das ist ein Test, ob der Sopran auch genügend Dramatik hat.
Auch die folgenden Phrasen über vollem Orchester haben es in sich.
Textlich wundere ich mich immer, dass Wagner, ein hartnäckiger Vertreter des Patriarchats zugibt, wie unwürdig Evas Verheiratung ist:
und werd' ich heut' vermählt,
so war's ohn' alle Wahl!
Das war ein Müssen, war ein Zwang!
Euch selbst, mein Meister, wurde bang'

Glücklicherweise bekommt sie ihren Walther von Stolzing.
Fein aufgeputzt nun Magdalene und David, um mit den anderen auf die ’Wies’ zugehen.
Vorher aber wird David zum Gesellen erhoben und die ’selige Morgentraum-Deutweise’ getauft.
Am Anfang des Quintetts hat Anne Schwanewilms Gelegenheit, ihr schönes, lyrisches Timbre erblühen zu lassen und führt es auch so, wie man es sich wünscht.

Der Aufzug der Zünfte geschieht natürlich nicht!
Der Gerichtssaal wird abgeräumt, im Hintergrund findet der “Wacht auf“-Chor statt.
Schließlich verschwinden alle, ein Orchester mit Chor wird auf einem Podium nach vorne gefahren, spielt ein paar Takte von Hans Sachs dirigiert.
Chor und Orchester werden nach hinten weggefahren, Sachs steht allein auf der Bühne für seine große Schlussansprache, die er wie eine Wahlkampfrede präsentiert. Das unterstreicht zwar sein Plädoyer für die echte Kunst, er ist eben ein einsamer Rufer in der Wüste des Nichts.
Es ist einem ganz flau von so viel Assoziation, Interpretation, Parallelen, Querverbindungen und man fragt sich:
Muss das sein und wann werden mal wieder ’Die Meistersinger’ aufgeführt, so wie sie gemeint sind.

Fazit:
’Wohin ich forschend blick’ – Verfälschungen ’gar viel an Zahl’:

Der ’Holländer’ spielte an der Deutschen Oper Berlin in einem Börsensaal und im ’Tannhäuser’ waren Karussellpferde auf der Szene, die auf zu kleinen Rädchen unter ihren Transportwägelchen über die Bühne polterten. Der dritte Aufzug vom ’Tannhäuser’ spielte dort in einem Siechenheim, die Bühne zugestellt mit Krankenhausbetten.
Die ’Arabella’ war auf einem Parkplatz angesiedlt, Autos wurden mittels Elektromotoren hin- und herbewegt.
In Bayreuth war der ’Holländer’ in einer Lagerhalle, in der Ventilatoren verpackt wurden, in Hannover im Treppenhaus in einem Einkaufszentrum.

Die ’Aida’ in Regensburg war für alle vier Akte in einem Einheitsbühnenbild zu ’DDR’-Zeiten im Vorzimmer von Herrn Mielke in der Normannenstrasse in Berlin positioniert, der ’Onegin’ in einem Bahnhof der U-Bahn.

’Manon’ wurde in einer Kneipe, umgeben von Regalen mit prall-gefüllten Flaschen erschossen und Des Grieux suchte in dem Ambiente nach etwas Trinkbaren für seine verdurstende Geliebte.

Die neueste Brigitte Fassbaender-Inszenierung der ’Salome’ wird im Salon und Speisezimmer von Oscar Wilde gespielt, der hüpft als Tänzer und stumme Jule den gesamten Abend über die Bühne und stört.
Am Ende des Werkes erhebt sich Jochanaan - mit Kopf - vom Boden und erwürgt die Tochter der Herodias.

Dämlicher geht es schon fast nicht mehr zu Lasten des Steuerzahlers. Von Erfüllung des Bildungsauftrages nicht zu reden.
 

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Thema des Tages

Friedrich Benfer
 

   ... am 28. August 1907 in Neapel geboren

sollte in Berlin eine kaufmännische Lehrer absolvieren, entschied sich aber fürs Schauspiel und war 1927 im Stummfilm im Fach 'jugendlicher Held' mit ersten Rollen dabei.

1928 war er Partner von Jenny Jugo, die 1936 seine Frau wurde.

Sie, Star im Dritten Reich, er nur ihr Anhängsel, war oft Gast im Hause Dr. Goebbels, der in seinen Aufzeichnungen das Paar nur als 'die Jugos' erwähnte.

1935 war er neben der Jugo als Königin Victoria in 'Mädchenjahre einer Königin' der Prinz, Albert von Sachsen-Coburg-Gotha.

1940 spielte er neben Zarah Leander in 'Das Herz der Königin' - ein Film über Maria Stuart, der den Beititel hatte, 'Wer England zu Hilfe kommt, stirbt'.

In insgesamt 24 deutschen Filmen wirkte er mit, spielte auch in italienischen Produktionen.

Danach war er Lebensmitteleinkäufer im Reichsluftfahrtministerium, musste in den Krieg als Soldat und widmete sich nach 1950 seiner Frau, die ab 1975 durch einen Behandlungsfehler durch einen 'Alternativarzt' gelähmt war.

Danach leitete er bis zu seinem Tod mit 90 Jahren ein Unternehmen für chemische Produkte, Chemie Benfer, in Bazzano.
 

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Thema des Tages

Johannes Klöcking

   ... am 30. August 1883 geboren

Klöcking war dem Heimatschutz wie der Jugendbewegung verbunden und vertrat dies in den Lübecker Heimatheften.

1937 wurde er Mitglied im NS-Lehrerbund, 1937 Mitglied der NSDAP.
Später beschäftigte er sich auch mit der Technikgeschichte im Lübecker Hafen wie der Geschichte des Lübecker Hausbaus und gab zum Ende seines Lebens ein Buch über '800 Jahre Lübeck' heraus.

Musikalisch begabt, stand er in enger Verbindung zur Jugendmusikbewegung und erhielt 1941 von der Reichsstelle für Musikbearbeitungen unter Hans Joachim Moser im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda den Auftrag, den Text von Oratorien Georg Friedrich Händels zu 'entjuden'.

Aus 'Judas Maccabäus' wurde ein Heldenlied des niederdeutschen Freiheitskampfes unter dem Titel 'Wilhelmus von Nassauen', aus 'Josua' wurde 'Die große Wandlung' und später - unter dem Eindruck des Russlandkrieges - die Betitelung 'Die Ostlandfahrer'.

Aus 'Israel in Ägypten' wurde 1944 'Der Opfersieg von Walstatt' - Ort der Handlung: Schlesien und der deutsche Ostraum.

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Die neapolitanische Oper – Stimmfach und Charakter

1.4.1 Der Sopran
 

 

"Das Wort Sopran ist die deutsche Form des italienischen 'Soprano' (lat. 'supremus') und bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch die höchste der menschlichen Stimmgattungen sowie die Im D- oder V-Schlüssel notierte, von Frauen- oder Kindersopranen gesungene Chorstimme.

Der Umfang des Soprans als Chorstimme ist ungefähr durch die Töne h und a" begrenzt, während die äußersten, z.T. in Kompositionen für Solosopran ausgenutzten Grenzen bei g und c" liegen. Allerdings müssen bei Aufzeichnungen aus älterer Zeit die Schwankungen des Stimmungs-Tones berücksichtigt werden.

Seit dem Aufstieg des Sologesanges im 17. Jahrhundert und dem Entstehen neuer Gattungen, die ausschließlich oder z.T. vom Sologesang beherrscht werden, konnte sich die Eigenart der menschlichen Stimmgattungen weit mehr entfalten, als es in der chorischen Mehrstimmigkeit möglich war.

Im geistlichen Konzert, in Kantate und Sololied, in Oper und Oratorium wurden den Einzelstimmen völlig neue Aufgaben zugewiesen. Dabei ergaben sich, abgesehen vom älteren Sololied, Beziehungen sowohl zwischen Textgehalt und Stimmgattung als auch zwischen Rolle und Stimmgattung [eine Stimmendramaturgle (die Verf.)]. Der Sopran hat wohl seit der Stilwende unter allen Stimmgattungen den stärksten Bedeutungszuwachs erfahren, denn allein in der Opernliteratur sind Sopranpartien am zahlreichsten vertreten. Keine Stimmgattung ist bei der Kolorierung und Diminution sowie bei der Ausbildung einer virtuosen Gesangstechnik so sehr bevorzugt worden, wie der Sopran.

Früher als in anderen europäischen Ländern ist die Frau als Gesangssolistin in Italien hervorgetreten. Hier bestand auch eine besondere Vorliebe für hohe Stimmen, die im Zeitalter der Spätbarocks, zumal in der Opern seria zu einer weitgehenden 'Sopranisierung' (Biele) der Solopartien führte. Darüberhinaus wurde Europa damals - abgesehen von Frankreich - von der virtuosen Gesangskunst der italienischen Kastraten und Primadonnen beherrrscht. Schon um 1540 traten Gesangssolistinnen in den italienischen Accademien auf. Gegen Ende des Jahrhunderts waren die Höfe von Ferrara und Mantua die Hauptpflegestätte des solistischen Frauengesangs. Dann trat die singende Frau aus der Anonymität heraus.
Gudewill, Kurt – ’Musik in Geschichte und Gegenwart’- MGG Band 12, S. 922-926


Nach fast 400 Jahren Operngeschichte haben sich die Ansprüche an die Sopranistinnen erweitert und gewandelt, so dass eine differenzierte Klassifikation für Besetzungsfragen notwendig wurde.

Die Dreiteilung in dramatisches, lyrisches und Spiel-Fach ist die elementare Nomenklatur. Im 'Handbuch der Oper' von Kloiber-Konold werden die Sopranstimmen wie folgt beschrieben:

Dramatischer Sopran     (g - c"')

Voluminöse, metallische Stimme; große Durchschlagskraft.

Jugendlich-dramatischer Sopran        (c' -c''')

Lyrische Sopranstimme mit größerem Volumen, die auch dramatische Höhepunkte gestalten kann.

Dramatischer Koloratursopran          (c' - f''')

Bewegliche Stimme mit großer Höhe, dramatische Durchschlagskraft.

Lyrischer Sopran  (c' - c"')
Weiche Stimme mit schönem Schmelz, edle Linie.

Lyrischer Koloratursopran      (c' - f''')

Sehr bewegliche, weiche Stimme mit großer Höhe.

Soubrette     (c' - c''')

Zarte, biegsame Stimme, zierliche Erscheinung.

Charaktersopran  (h - c''')

Zwischenfachstimme, feines Charakterisierungsvermögen 10)

Besetzungsfragen gehören zu den schwierigsten Aufgaben von verantwortungsbewussten Pädagogen, Dirigenten und Intendanten. Zur Bewältigung dieser wird ein gediegenes Fachwissen und reiche praktische Erfahrung vorausgesetzt. Unter den Kriterien, die zur Stimmklassifizierung verwendet werden können, lässt sich die Körpergröße ohne Schwierigkeiten bestimmen.

Wesentlich problematischer ist es dagegen, einen bestimmten Konstitutionstyp zu erkennen. Das gilt besonders für die Untersuchungen an jungen Menschen, bei denen die konstitutionellen Merkmale noch nicht typisch ausgebildet sind.

1.       Der athletische, bei der Frau muskuläre Typ, ist durch hohen Wuchs, starken Knochenbau, kräftige Muskulatur und ausladende Schultern gekennzeichnet. Sängerinnen des dramatischen Fachs gehören diesem Typus an.

2.       Bei Leptosomen bleibt im Verhältnis zur Körpergröße das Gewicht deutlich, in der Übersteigerung zur asthenischen Wuchsform sogar erheblich zurück. Die Schultern sind schmächtig und zierlich, der Brustkorb flach und schmal. Dieser Typus ist für den Beruf der Sängerin wenig geeignet und wird als Vertreterin des leichten Spielfachs nur in pyknischer Mischform angetroffen.

3.       Der euresome Körperbau ist durch einen mittelgroßen gedrungenen Wuchs gekennzeichnet. Der Hals sitzt tief zwischen den Schultern. Durch die starke laterale Krümmung des Schlüsselbeines am Trapeziusansatz, scheinen die Schultern nach vom und oben zusammenzugleiten. Vertreterinnen dieses Typus sind meist im lyrischen Fach anzutreffen.

Häufigkeitsmerkmale bei Sopranen

1.)      Stimmumfang

Das Maximum liegt zwischen 38 und 41 Halbtönen, in Einzelfällen bis zu 45 Halbtönen.

2.)      Die mittlere Sprechstimmlage liegt bei Sängerinnen

um g bis gis, bei ausgebildeten Stimmen von gis bis a. In wenigen Fällen wird auch noch oberhalb von b und unterhalb von g gesprochen.

3.)      Die Stimmlippenlänge beträgt am häufigsten 11 bis

12 mm, weniger häufig 12- 13 mm. Bei der laryngoskopischen Untersuchung erscheinen die Stimmlippen relativ kurz und breit.

4.)      Die Körpergröße liegt zwischen 1,60 und 1,70, manchmal
auch darüber." 11)

1.4.2 Der Mezzosopran

 

"Die mittlere Frauen- (oder Kastraten) Stimme (englisch und italienisch 'mezzosoprano', französisch früher 'bas-dessus') ist die Stimmlage zwischen Sopran und Alt, die sich nach italienischer Praxis und Auffassung historisch aus der Altstimme durch Erreichen einiger weiterer Spitzentöne entwickelt hat, in der dunklen Färbung des Stimmcharakters aber eher dem Alt verwandt ist, als dem Sopran: als Umfang wird etwa g - b" angenommen; doch kennt die Praxis zahlreiche Überschneidungen zwischen dramatischem Sopran, Mezzo und Alt (z.B. Carmen, Eboli, Rosina, Ortrud).

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unterschied sich der Mezzo vom Alt ausschließlich durch den Umfang, das 19.Jahrhundert rückte den Stimmcharakter in den Vordergrund und engte demgemäß gleichzeitig den Alt in seinen Charakteristika ein.''
Pfau, Wolfgang – Klasifizierung der menschlichen Stimm – Leipzig 1973


Kloiber/Konold unterteilen und definieren den Mezzosopran wie folgt:

1.       Dramatischer Mezzosopran  (g - b" auch c")

Bewegliche, metallische Zwischenfachstimme von dunkler Färbung,
die sich oft mit zunehmender Reife zum hochdramatischen Fach weiterentwickelt.

2.       Lyrischer Mezzosopran  (g - b")

Geschmeidiges, charakterisierungsfähiges Organ, (wird meist als Spielalt bezeichnet).

3.       Koloraturmezzosopran  (g - h'')
Durch die Wiederentdeckung der Kunst Rossinis und Bellinis wurde diese Stimmgattung wieder zu einem respektablen Fach. Es erfordert eine sehr bewegliche Stimme von dunkler Farbe und großem Umfang.


1.4.3 Der Alt

Lateinisch altus, vox alta. Wie alle Bezeichnungen für die menschlichen Stimmgattungen Ist auch die heute für die tiefe Frauen- oder Knabenstimme gebrauchte Bezeichnung nicht aus stimmphysiologischen, sondern aus historisch-satztechnischen Voraussetzungen zu erklären.

Unter altus, vox alta verstand man in älterer Zeit ausschließlich die im C-Schlüssel notierte zweithöchste Stimme des vierstimmigen Satzes, die von Männern teils im Brustregister gesungen wurde, teils im Oberbereich der Stimme falsettiert werden musste.

Das Falsett: Kopfstimme (falsche) der Männer, in Lodovlco Zacconl: 'Prattica di musica' 1592 'voce di taste' genannt; in seinem 'Discorso delta Voce' wird sie von dem neapolitanischen Arzt Giovanni Camillo Maffei bereits 1562 als 'falsetto' bezeichnet.

Für die Männerstimme bedeutet dies ein Überschreiten der natürlichen Grenzen. Man war aber dazu genötigt, weil Frauengesang zwar in den Nonnenklöstern, jedoch nicht in der Kirchenmusik erlaubt war.

Erst mit dem Vordringen der Frau als Solistin, zunächst in der Oper, dann aber auch in der Kirchenmusik, verändert sich das Bild derart, dass die Männeraltisten mehr und mehr in den Hintergrund treten, bis schließlich die tiefe Frauenstimme als Alt im heutigen Sinne ganz das Feld beherrscht.

Obgleich mit dem Entstehen der Oper auch der Typ des Gesangsvirtuosen geboren wird, dominieren noch zunächst in den Altpartien eindeutig die Kastraten, während in den Sopranpartien die Sängerinnen stärker vertreten sind. Das mag damit zusammenhängen, dass der Kastrat gerade für die Darstellung stilisierter Heldenpartien eine besondere Eignung mitbrachte.

Eine Nachwirkung des Kastratenwesens in der Oper sind die Hosenrollen, für deren Besetzung mit Altistinnen (oder Mezzosopranen) aus der neueren Zeit die Partien des Adriano in 'Rienzi' und des Octavian im 'Rosenkavalier' genannt seien.

Für die Stellung des Frauen-Altes im Opernensemble ist andererseits bezeichnend, dass einmal die weiblichen Rollen insgesamt nicht eindeutig charakterologisch festgelegt sind, wie es bei den sieben Vertretern der männlichen Fächer der Fall ist. Zum anderen aber ist es bezeichnend, dass bei den sechs weiblichen Fächern allein die Altistin nach Ihrer Stimmlage eingestuft wird.

Demgegenüber ist für ihre Verwendung fast ausschließlich das Lebensalter der von ihr darzustellenden Person ausschlaggebend. Meistens sind die Rollen der Mutter, Erzie­herin, Amme oder älteren Frau für die Altistin bestimmt.
Ein Großteil der Opern enthält überhaupt keine tiefen Frauenrollen, also auch keine Mezzosopranrollen.

Das mag damit zusammenhängen, dass Altistinnen seltener sind als Sopranistinnen.

Der Hauptgrund wird jedoch darin zu suchen sein, dass die Verwendungsmöglichkeit der Sopranstimme auf der Bühne doch weit größer ist, vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil eine hohe Frauenstimme den Hörer mehr anzusprechen vermag als ein Alt.

Im 'Handbuch der Oper' ist das Alt-Fach wie folgt definiert:

a.       Dramatischer Alt  (g - b")
Bewegliche, metallische Stimme mit gut entwickelter Höhe und Tiefe;
dramatische Durchschlagskraft

b.       Spielalt                  (g-b")
Geschmeidiges, charakterisierungsfähiges Organ

c.       Tiefer Alt (Kontra-Alt)   (f - a")
Volle, pastose Stimme mit großer Tiefe
 

1.5 Körpermaße der Frauen-Stimmgattungen

Aus dem Maßbuch der Kostümschneiderei der Niedersächsischen Staatsoper Hannover wurden von mir die Körpermaße folgender Fachvertreterinnen entnommen und jeweils der arithmetische Mittelwert errechnet:

Soubretten

 

1

2

3

4

5

Mittelwert

Oberweite

98

91

88

92

98

93,40 cm

Taillenweite

68

63

64

72

69

67,20 cm

Hüftweite

98

90

95

105

96

96,80 cm

Rückenbreite

39

36

34

37

32

35,60 cm

Brustbreite

42

43

41

42

47

43,00 cm

Kopfumfang

56

58

55

58

55

56,49 cm

Körperhöhe

160

158

163

170

160

162,20 cm


Lyrischer Sopran

Oberweite

91

93

107

102

92

97,00 cm

Taillenweite

68

74

82

71

68

72,60 cm

Hüftweite

104

97

112

110

99

104,40 cm

Rückenbreite

36

36

37

39

33

36,20 cm

Brustbreite

46

43

49

49

38

45,00 cm

Kopfumfang

57

56

58

56

56

56,60 cm

Körperhöhe

172

162

158

162

158

162,40 cm


Koloratursopran

Oberweite

100

101

93

108

99

100,20 cm

Taillenweite

69

78

74

77

70

73,60 cm

Hüftweite

99

110

108

107

102

105,20 cm

Rückenbreite

37

35

38

40

36

37,20 cm

Brustbreite

46

48

42

44

46

45,20 cm

Kopfumfang

58

57

57

56

57

57,00 cm

Körperhöhe

168

158

172

170

165

166,60 cm


Jugendlich-dramatischer Sopran

 

Oberweite

111

93

112

101

94

102,20 cm

Taillenweite

81

71

89

76

68

77,00 cm

Hüftweite

117

99

115

106

104

108,20 cm

Rückenbreite

40

38

39

39

35

38,20 cm

Brustbreite

51

46

55

52

45

49,80 cm

Kopfumfang

58

57

58

60

58

58,20 cm

Körperhöhe

168

167

160

174

161

166,00 cm


Dramatischer Sopran

Oberweite

113

110

114

117

117

114,20 cm

Taillenweite

84

79

87

94

93

87,40 cm

Hüftweite

112

104

125

113

120

114,80 cm

Rückenbreite

41

40

42

42

42

41,40 cm

Brustbreite

53

50

53

55

54

53,00 cm

Kopfumfang

59

60

56

60

60

59,00 cm

Körperhöhe

181

168

170

178

165

172.40 cm

Mezzosopran

Oberweite

100

96

96

102

110

100,80 cm

Taillenweite

72

80

72

79

93

79,20 cm

Hüftweite

97

108

99

105

117

105,20 cm

Rückenbreite

35

38

38

37

43

38,20 cm

Brustbreite

42

45

44

47

55

46,60 cm

Kopfumfang

60

60

58

60

57

59,00 cm

Körperhöhe

168

170

168

167

171

168,80 cm


Alt

Oberweite

123

111

114

116

113

115,40 cm

Taillenweite

92

88

89

87

88

88,80 cm

Hüftweite

119

107

107

126

112

114,20 cm

Rückenbreite

42

40

37

42

44

41,00 cm

Brustbreite

55

54

52

54

53

53,60 cm

Kopf umfang

58

60

62

58

60

59,60 cm

Körperhöhe

168

164

165

165

169

166,20 cm

Diese Statistik zeigt, dass das äußere Erscheinungsbild differiert und dies die Zuordnung zu einem Stimmfach erleichtert.
 

2.)       Die Stimmlippenlänge

Der messbare Unterschied zu Sopranistinnen ist gering, obwohl Längen über 12 mm relativ häufig angetroffen werden.

Im laryngoskopischen Bild erscheinen die Stimmlippen länger und schmaler als die der Soprane.


3.)       Der Stimmumfang

Er ist etwas kleiner als bei Sopranen. Das Maximum wird zwischen 34 und 37 Halbtönen gefunden, selten ist der Umfang größer.


4.)       Die mittlere Sprechstimmlage

Der Unterschied zwischen ausgebildeten und unausgebildeten Stimmen ist etwas deutlicher als bei den Sopranen. Während ausgebildete Stimmen am häufigsten um fis bis g, teilweise auch tiefer sprechen, liegt das Maximum bei den unausgebildeten wie beim Sopran um gis bis a. Höher als um b wird im Gegensatz zu Sopranistinnen weder von Sängerinnen noch von Studierenden gesprochen.
 

1.6 Die Stimmregister

Durch die wohlkoordinierte Funktion sämtlicher Stimmorgane wird bei der Schulung eine geschmeidige Führung der Stimme angestrebt, die im Piano und Forte, in Höhe und Tiefe, in getragenem Legato und schnellen Passagen ihre ureigene Klangfarbe, Beweglichkeit und Resonanz entfaltet.

Dass jede Stimme, ob Sopran, Alt, Tenor oder Bass demselben mechanischen Prinzip folgt, wussten schon die Lehrer des 17. und 18. Jahrhunderts und forderten als höchstes Ideal den bruchlosen Übergang aus der Bruststimme (Voce piena e naturale) in die Kopfstimme (Voce finta), der künstlichen Stimme.

Der Ausdruck 'Register' ist von der Orgel her abgeleitet. Er bedeutete ursprünglich eine Öffnungsvorrichtung, durch die der Luftstrom zu einer Reihe von Pfeifen geleitet wurde.

Später verwendete man den Ausdruck für eine Reihe von Pfeifen, die gleichartig gebaut sind und mit denen sich demnach auch Töne gleicher Klangfarbe erzeugen lassen. Bei der Orgel wird eine große Zahl solcher Register unterschieden.

Das Vorhandensein von Stimmregistern wird von den Phoniatern als physiologische Gegebenheit angesehen. Die Unterschiede der Register sind wie alle Veränderungen in der Klangfarbe durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren bedingt. Beteiligt sind der Mechanismus der Stimmlippenspannung, das Ausmaß der Stimmlippenschwingungen, die Stellung des Kehlkopfes, die Einstellung des Ansatzrohres für die spezielle Tonführung und die Stärke des angeblasenen Luftstromes.

Die meisten Autoren treten - in Bezug auf die menschliche Stimme - für eine Drei-Register-Theorie ein (Gutzmann, Musehold, Nadoleczny, Preissler) und unterscheiden ein Brust- ein Mittel und ein Kopfregister. Darüber hinaus sind aber sowohl unter- als auch oberhalb dieser drei Hauptregister mitunter Klangfarbenreihen zu hören. Im Kunstgesang nur ausnahmsweise verwendet werden das Stroh- oder Kehlregister der Bässe und das Pfeifregister der Soprane.

Versuche von Gesangspädagogen (Chr. G. Nehrlich, Leipzig 1860) und E. Fischer (Tutzing 1969), die registermäßigen Übergangsstellen systematisch zu erfassen, ergaben ein Aufbauschema nach Tetrachorden bzw. Quinten, wobei sich der musculus vocalis durch Spannungsänderung der neuen Lage anpasst.

Tiefe Stimmen haben einen Übergang um ges - g. Die tiefsten Töne des Brustregisters können nur mit entspannten Stimmlippen (Wirkung des M. cricopharyngeus) erzeugt werden.

Der Übergang um des - d markiert den Einschaltpunkt des musculus cricothyreoideus (Spannung und Verlängerung der Stimmlippen durch Kippen des Kehlkopfes).

Der musculus vocalis muss dabei seine Anspannung entsprechend anpassen.

Um as - a verliert der musculus vocalis entscheidend an Wirkung, die Randschwingung dominiert endgültig. Wenn der Wechsel von aktiver zu passiver Stimmlippenspannung hier nicht stattgefun­den hat, ist der Weg zu einer freien Höhe verbaut.

Von es' - e' verlagern sich die Vibrationsempfindungen in den oberen Kopf- und Stirnbereich, die Aktivität des musculus vocalis wird immer geringer.

Um b' - h' liegt bei den hohen Stimmlagen der Umsatzpunkt zu den höchsten Tönen, deren Schwingungsweisen noch wenig erforscht sind.

Vergleicht man die Angaben verschiedener Autoren miteinander, so ergeben sich gewisse Übereinstimmungen, die Übergänge vom Brust- ins Kopfregister in der Mehrzahl wie folgt erkennen lassen:

1.         Alt-Stimmen zwischen d' und e',

2.         Mezzosoprane zwischen e' und f,

3.         Soprane zwischen e' und f.
Zur Bestimmung der Stimmgattung kann also auch die Registergrenze herangezogen werden.

Der Studierende lernt, unter Gehörkontrolle, den Mechanismus der Kopfregisters in den Bereich des Brustregisters hinuntergleiten zu lassen, den des Brustregisters in den unteren Bereich des Kopfregisters hinein zu erweitern, bis die Gefahrenstelle von beiden Seiten her breit überlappt ist.

"Die Funktionen des Brust- und Kopfregisters sind aber auch in der menschlichen Psy­che verankert. Während des Sprechens tritt normalerweise das gemischte Mittelregister hervor. Bei bestimmten affektierten Situationen können aber die Extreme dominie­ren." 17)

Die Bruststimme ist der Ausdruck der Selbstbehauptung, der Selbstentfaltung, des Imponiergehabens, der Aufsaugung des Partners. Die Kopfstimme dagegen der der Selbstverkleinerung, des Aufgehens im Partner, des Bestrebens, harmlos und unge­fährlich erscheinen zu wollen, aber auch der Bereitschaft, sich zu unterwerfen. In der Mittelstimme verharrt der Sprechklang, wenn sich weder diese noch jene Tendenzen geltend machen. Daher erklingt die Bruststimme bei Zorn, Stolz, Verachtung, Arger und Drohung, aber auch bei feierlicher Stimmung, bei selbstbewusstem Zielstreben und prahlerischem Jubel; die Kopfstimme dagegen bei Angst, Ekel, körperlichem und seelischem Schmerz, in der Bitte und bei Höflichkeit, sowie Zärtlichkeit, besonders zu Kindern."
 

1.7 Der Klang der Stimme

Der Aufbau des menschlichen Stimmklangs besteht aus Grundton und Obertönen. In der gespro­chenen Sprache werden Vokale durch festliegende Obertonbereiche charakterisiert, die von der Höhe des Grundtones unabhängig sind. Diese spezifische Obertonreihe der Vokale nennt man Formanten.

"Die Hauptformanten unserer Sprache liegen unter Einschluss der sprachlich zulässigen Klangmodifikation und einer individuellen Schwankungsbreite etwa in diesem Bereich.

um

200- 400 und S000-3500 Hz

E       um

400- 600 und 2200 - 2600 Hz

A       um

800-1200hz

0        um

400- 600 Hz

U       um

200- 400 Hz

(Wird fortgesetzt)

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Nachtrag

Von Tell Brak nach Chemnitz zum Tätort

Ankommende Leute

Fremder 1: „Schön haben Sie es hier! Herrliche Straßen und so viele Blumen ...“

Fremder 2: „In den hellen Häusern möchte man am liebsten selbst drin wohnen.“

Einheimischer: „Sagen Sie, wann Sie einziehen wollen.“

Fremder 1: „Und sehen Sie, dort, dieser Riesen Fliegenpilz!“

Einheimischer: „Das ist unser Puppenkindergarten.“

Fremder 2: „Haben Sie auch einen Zoo?“

Einheimischer: „Ja, ja, wir kommen noch dorthin. Wir haben viele Tierkinder, aber auch ein großes Krokodil.“

Fremder 1: „Da gehen wir lieber erst hin, wenn es schläft.“

Einheimischer: „Haben Sie doch keine Angst! – Jetzt sehen Sie hier erst Mal unser Theater, daneben ein Museum, dort ...“

Fremder 1: „... das ist bestimmt das Bürohaus in dem Sie arbeiten!“

Einheimischer: „Erraten!“

Fremder 2: „Ich staune, was Sie da alles in so kurzer Zeit erbaut haben.“

Fremder 1: „Ja, das ist beeindruckend! Erstaunlich!“

Paul Hindemiths neusachliches Kinderspiel mit Musik Wir bauen eine Stadt von 1930 auf einen Text von Robert Seitz erzählt, wie eine Stadt entsteht, wie sie funktioniert, wer in ihr lebt, mit welchen Verkehrsmitteln man sich in ihr bewegt, und dass es auch unangenehme Momente im städtischen Zusammenleben gibt. Der kurze Textausschnitt aus dem vierten Satz „Ankommende Leute“ ist diesen Ausführungen nicht ohne Grund vorangestellt. Denn wenn man beabsichtigt, den Organismus, das System Stadt zu beschreiben, wenn man versucht zu analysieren, was eine Stadt ausmacht, so bleibt als immer gültiger Grund nur das Substantiv „Anziehungskraft“. Alle anderen Definitionen von „Stadt“ versagen.
 

Was ist Stadt?

Politisch und wirtschaftlich betrachtet gilt als Stadt im Gegensatz zum Land beziehungsweise zum ländlichen Raum jede größere, verdichtete Siedlung mit spezifischen Funktionen in der räumlichen Arbeitsteilung und politischen Herrschaft, abhängig von der gesellschaftlichen Organisation und Produktionsform. Als städtische Siedlungen gelten in der Bundesrepublik Deutschland laut amtlicher Statistik Gemeinden mit Stadtrecht ab 2000 und mehr Einwohnern (Landstadt 2000 bis 5000 Einwohner, Kleinstadt 5000 bis 20.000 Einwohner, Mittelstadt 20.000 bis 100.000 Einwohner, Großstadt mehr als 100.000 Einwohner).

Unter kulturellen Gesichtspunkten ist eine Stadt (von althochdeutsch stat ‚Standort‘, ‚Stelle‘; etymologisch eins mit Statt, Stätte) eine größere, zentralisierte und abgegrenzte Siedlung im Schnittpunkt größerer Verkehrswege mit einer eigenen Verwaltungs- und Versorgungsstruktur. Damit ist fast jede Stadt zugleich ein zentraler Ort. Städte sind aus kulturwissenschaftlicher Perspektive der Idealfall einer Kulturraumverdichtung und aus Sicht der Soziologie vergleichsweise dicht und mit vielen Menschen besiedelte, fest umgrenzte Siedlungen (Gemeinden) mit vereinheitlichenden staatsrechtlichen oder kommunalrechtlichen Zügen wie eigener Markthoheit, eigener Regierung, eigenem Kult und sozial stark differenzierter Einwohnerschaft. Ansiedlungen mit einer streng homogenen Bevölkerung wie etwa Arbeitslager oder Quartiere von Heerverbänden werden nicht als Stadt gewertet.

Was allerdings Urbanität ausmacht, ist eine Frage der Auslegung. Ein lange gültiges Dogma der Städteforschung postulierte der US-Soziologe Louis Wirth (* 28. August 1897 in Gemünden im Hunsrück; † 3. Mai 1952 in Buffalo, New York) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Merkmale einer Stadt: soziale Hierarchie, Spezialistentum, ethnische Gruppen und mehr als eine Religion. Wirths Schablone war jahrzehntelang akzeptiert, obwohl sie mit dem antiken Athen, mit Rom, mit den Metropolen Altamerikas wie Tenochtitlan und Chichén Itzá und den großen Zentren in Ostasien (Kyoto, Gaochang in Westchina) nie deckungsgleich war. Seine Begriffserklärung war allenfalls eine Beschreibung des eigenen Aktionsradius', der sich auf Chicago und New Orleans beschränkte.

Die aktuell so gefeierten und fleißig adaptierten Konzepte und Theorien des Star-Ökonomen Richard Florida (* 26. November 1957 in Newark, New Jersey) zur „kreativen Klasse“ und deren Verortung in der urbanen Gesellschaft, kranken wie Wirths Thesen an just dieser eingeschränkten Weltsicht, die allein westliche Demokratien ins Blickfeld nimmt. Nach Wirth wären Memphis und Theben im alten Ägypten, Mohenjo Daro im Industal und Angkor in Kambodscha nie Städte gewesen. Die im letzten Jahrzehnt und in Windeseile gewachsenen Städte in China, Indien und Russland – ja, was sind sie? Ansiedlungen? Orte? Die Merkmale für Stadt, hat die Forschung erst in den letzten Jahren korrigiert und neu festgelegt.
 

Der Blick von außen

Der faszinierende Blick aus dem Weltall auf den Erdball hilft, die Kriterien zu bestimmen, was Stadt ist und was Stadt ausmacht. Je mehr Verkehrswege, See- und Flugrouten sich in einem Punkt kreuzen, desto sicherer das Indiz für Stadt. Eine Stadt erfüllt gleichermaßen Funktionen für das Umland wie für sich selbst. Verkürzt ausgedrückt: Je mehr Straßen zu einer Ansiedlung führen, je breiter und verzweigter das Wegenetz um ein Areal, desto sicherer der Beleg für die Existenz von Stadt. Als Verwaltungssitz, politisches Zentrum, als Standort für wirtschaftliche Mechanismen, für soziale und kulturelle Einrichtungen sowie religiöse Institutionen erweist sich Stadt als attraktiv. Der eingangs gerühmte Zoo, Theater, Schulen, Museen, Arenen, Bibliotheken, Königspaläste, Krankenhäuser, Fabriken, Tempel, Kirchen, Moscheen, Einkaufsmärkte, Vergnügungsstätten – je attraktiver, desto Stadt, könnte die Gleichung lauten. Mehr ankommende Leute, mehr Stadt. Aber: auch wenn die Sogwirkung Stadt plausibel erscheint, ohne Hinterland, ohne mehr oder minder weit abgestecktes Umland, funktioniert das Modell Stadt nicht. Nahrung, Rohstoffe, Arbeitskräfte, Erholungsflächen – eine Stadt kann ohne das Land nicht funktionieren. Das Land ohne die Stadt hingegen (bis zu einem gewissen Grad) sehr wohl.
 

Die Stadt und das Klima. Städte nutzen 75 Prozent aller zur Verfügung stehenden Energie und stoßen 80 Prozent der Treibhausgase aus. Folgen des Klimawandels treffen insbesondere die Stadt. Sie ist Klimasünder und -opfer zugleich. Aber Städte haben auch das Potenzial, den CO2-Ausstoß nachhaltig zu verringern. Zum Beispiel beim Heizen: Rund 40 Prozent der in Deutschland verbrauchten Energie wird allein durch Heizen verursacht. Viele kommunale Gebäude wie Schulen verfügen über unzureichende Wärmedämmungen. Die umweltfreundliche Stadt ist eine anpassungsfähige Stadt. Den öffentlichen Nahverkehr verträglich zu entwickeln, dichter zu bauen und Städte temporärer zu gestalten, um im Nachhinein mehr Flexibilität im Bauen, Gestalten und in der Nutzung zu haben, ist das Gebot der Stunde. Wo Gefahr ist, wächst das Rettende: In Städten lassen sich leichter und schneller Interessenvereinigungen organisieren, die im politischen, sozialen oder ökologischen Prozess Einfluss auf die öffentliche Meinung, auf Einrichtungen, Parteien oder andere gesellschaftliche Gruppierungen nehmen können. Eine umweltverträgliche und CO2-freie Stadt kann nur dann erreicht werden, wenn Unternehmen und Bürger an einem Strang ziehen und sich in die Stadtentwicklung einmischen. Die Zukunft der Stadt kann nur grün sein!


Auch die urbanen Siedlungen der Frühzeit werden heute am Kriterium der Attraktivität gemessen. Es ist kein Zufall, dass die ersten Zentren im „Fruchtbaren Halbmond“ entstanden, jenem Bogen, der sich vom Persischen Golf im Süden des heutigen Irak, über den Norden von Syrien, den Libanon, Israel, Palästina und Jordanien erstreckt. Die Region östlich des Mittelmeers war vor 10.000 Jahren die Keimzelle von Ackerbau und Viehzucht, folglich entwickelten sich hier auch die ersten Städte. Erst der Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten sowie das Domestizieren von Ziegen, Schafen, Rindern und Schweinen erlaubten dauerhafte Sesshaftigkeit.
 

Die älteste Stadt der Erde

Galt bis vor kurzem Jericho als älteste Stadt, so ist aktuell Tell Brak in Nordsyrien Rekordhalter. Aber das kann sich bald ändern, denn die Kurdengebiete im Nordirak wurden für internationale Grabungsteams wieder geöffnet und erste Satellitenbilder lassen auf neue Sensationen hoffen. Die Luftbildarchäologie liefert Aufnahmen, die an Spinnennetze erinnern und ein über 5000 Jahre altes Wegesystem zeigen und Karawanenrouten von bis zu 100 Metern Breite. Mithilfe der neuen Modelle lässt sich auf die Entwicklung der frühen Städte schließen. Eins zeigt sich ganz klar: die wichtigsten urbanen Zentren lagen nicht an den größten Straßen, sondern wie Tell Brak in Arealen, zu denen die meisten Straßen führten. Ankommende Leute bestimmen also seit jeher, was Stadt ist. Das Modell Stadt machte in der Region Schule, wie benachbarte Zentren beweisen. Ein Merkmal von Zivilisation – trotz gefundener Marmorgefäße und Keramikschalen, die auf Massenproduktion schließen lassen – fehlt bislang: Schriftzeichen.


Chemnitz – „älteste" Stadt Europas

Stadt ist Migration. Das Phänomen ist bekannt, die Bevölkerung in Entwicklungsländern verlässt aus schierer Überlebensnot das Land und sucht Zuflucht in den Städten. Ein Trend, der nicht auf Afrika oder Asien begrenzt ist. Auch für Europa wird prognostiziert, dass die Landflucht massiv zunimmt. Städte werden größer und tendenziell jünger. Randregionen in der EU entvölkern und vergreisen. Chemnitz ist in 20 Jahren die Stadt in Europa. Die Stadt mit dem höchsten Prozentsatz an Einwohnern über 65 Jahren. Mehr als ein Drittel der Chemnitzer wird dann im Rentenalter sein. Oder zu den vier „As“ gehören, wie die Gentrifizierungsforscher sagen: zu den Armen, Alten, Arbeitslosen, Ausländern. Abreisende Leute.

Wird Chemnitz von der Landkarte verschwinden? Und wann? In den Metropolen jedoch und in den kleineren Universitätsstädten – ankommende Leute – steigt die Nachfrage nach Wohnraum. Im Konkurrenzkampf tun sich weniger Begüterte schwer. Viele Städte versilbern – immer noch – ihr Tafelsilber und verkaufen Flächen und Wohnungen an private Bauunternehmer und Investoren, der soziale Wohnungsbau stagniert. Die Mieten in den betroffenen Städten steigen, in allen Vierteln. Stadt macht arm. Um genau zu sein, westeuropäische prosperierende Stadt macht arm.
 

Ein Lob der Stadt

Schicker Sushi-Laden statt schmuddeliges Stadtteilkino, Starbucks statt Secondhand-Laden für Mutter und Kind. Stadt ist Wandel. Immer. Nicht immer zum Besseren. Aber wenn sich in Stadtteilen über viele Jahre hinweg nichts verändert, entwickeln sie sich negativ. Zuzügler und neue Ideen halten den Organismus Stadt lebendig und (er-)lebenswert. Und das müssen nicht immer ankommende Leute sein. Städte bieten derzeit Insekten bessere Bedingungen als Felder und Wiesen auf dem Land. Die Pflanzenvielfalt vor, hinter und zwischen Stadthäusern ist größer, Städter ziehen mehr Blumen, die Vielfalt der Vegetation ist größer als auf dem Dorf. Das macht die Stadt attraktiv für Bienen und für Hummeln. Stadt ist Viele.

Stadt ist mehr als Urbanisation, Ansiedlung oder Zentrum. Stadt ist Viele und Vieles. Ein Organismus, der sich selbst erschafft und immer neu definiert und definieren lässt. Bei der Gemeindereform 1971 in Schweden wurde der Begriff „stad“ (Stadt) aus der Verwaltungsterminologie gestrichen und durch „tätort“ (Ortschaft) ersetzt. Die Stadt – ein Moloch? Mitnichten: Die Tötungsrate in Deutschland ist – proportional gesehen – in Städten nicht höher als auf dem platten Lande.

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Leserbrief
 

 

Liebe Frau Gilles,

die ’Mitteilungen’ sind auch hier Diskussionsstoff. Es ist großartig, dass Sie sich so vehement für die Erhaltung unserer abendländischen Kultur einsetzen und den Zerstörern den Kampf ansagen. Ein großes Danke dafür.

(16.7.2017 – Fau B. aus Hannover


Leserbrief
 

 

Sehr geehrte Frau Gilles, erst einmal danke für die wieder interessante Info. Unbedingt berichten muss ich noch vom Besonderen Opernabend am 18.6. Die beiden besonderen Gäste hatte ich vorher ja schon bei unseren davor stattgefundenen Treffen in Leipzig und Berlin informiert. Sie meinten hinterher nur: Wie gut, dass wir von Ihnen schon informiert waren, so war der Schock nicht zu groß.

Das Haus - wie jetzt meist üblich- ziemlich leer, 540 Karten waren angeblich verkauft. Die Presse sprach vom schönen Wetter, ich könnte andere Gründe nennen. Lustig war die Einführung von "oben" für die Damen und Herren vom Personal. Man sollte den heutigen Gästen zum besonderen Opernabend besonders höflich begegnen, schließlich sollen sie einen guten Eindruck vom Haus bekommen. Der erste besondere Gast war ein tätowierter bärtiger Herr in schwarzem T Shirt und schwarzen Shorts. Kommentar überflüssig.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten ruhigen Sommer.

Bis zum nächsten Mal liebe Grüße - R. R. aus Hannover
 

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Beitrag
 

 

G-20 Gipfel und Brutalität auf den Straßen

Die Brutalität und Zerstörungswut bei den Demonstrationen gegen den G 20- Gipfel in Hamburg behindern auch die Bemühungen der dortigen Politiker in ihren Versuchen gemeinsame Lösungen für die wichtigsten globalen Probleme zu finden. Das Chaos auf den Strassen überträgt sich emotional negativ auf die erwünschten Entscheidungsfindungen bei diesem G -20 Gipfel.

        So wie uns Freude über Schönheit in der Kunst durch eine Ausschüttung von Glückshormonen in unserer rechten Hirnhemisphäre zu mitleidsfähigen Zeitgenossen machen kann, könnten friedliche Demonstrationen – einer Bitte gleich – die Herzen der Mächtigen erweichen.

        Seit etwa 20 Jahren versuche ich solche Zusammenhänge und somit auch Vorschläge für emotionale Bildung in meinen Büchern zu erläutern. In den Talkshows der Sender werden solche Themen nie erörtert und daher auch nicht multipliziert. Und die staatlich subventionierten modernen Theater bilden über politische Themen allenfalls das logische, linkshemisphärische Denken, die Analyse in unserem Gehirn. Zur Lösung so mancher Probleme würde es einer Aktivierung und Ausdifferenzierung der Sinne, einer tieferen Durchstrukturierung der Emotionalität bedürfen. Das geschieht eher durch ganzheitliches Denken, eine geschulte Kreativität.

        Man kann es lernen, das aktive Zuhören und sich Hineinversetzen in den anderen. Dabei Verständnis, Toleranz entwickeln um somit auch schwierige Probleme zu lösen. Dies gilt nicht nur für Demonstranten, sondern auch für die Regierenden auf unserem gemeinsamen Globus. Kulturelle Kompetenz für alle!

        Der irrsinnige Terror auf Hamburgs Strassen ist absolut kontraproduktiv. Die aggressiven Demonstranten lassen Deutschland und insbesondere Frau Merkel überaus schwach erscheinen. Und das führt dazu, dass sich gewisse Präsidenten anderer Länder in Zukunft wohl kaum von unseren Politikern kritisieren lassen wollen.

        Herzens- und Charakterbildung als Elemente der Persönlichkeitsbildung sind eine Bringschuld der staatlichen Gemeinschaft an sich selbst. Das positive Ergebnis hätten die demonstrierenden Massen in Hamburg den Politikern als gutes Beispiel offerieren können. Wo wird diese Bildung bei uns vermittelt?

Kammersänger Prof. Dr. Bernd Weikl
 


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Impressum
 



erscheint als nichtkommerzielles Beiblatt zu

-
ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg

Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:

KS Prof. Marie-Louise Gilles
Dipl. - Kulturwissenschaftlerin
Büro 30655 Hannover – Fehrsweg 2

info@kulturjournal-hannover.de

Peter Lang
Büro 93047 Regensburg – Holzländestr. 6

info@kulturjournal-regensburg.de

Ersterscheinung der Ausgabe Regensburg am 27.07.2007
Erscheinungsweise: kulturjournal-regensburg zehn Mal pro Jahr von Februar bis August und Oktober bis Dezember

Ausgabe des Beiblattes als ’Mitteilung an meine Freunde’ mit Auszügen aus dem
kulturjournal-regensburg in loser Reihenfolge, gebräuchlich am Anfang eines Monats

Verteilung Regensburg: Direktversand, Hotels, Theater, Galerien, Veranstaltungsorte, Tourist-Info, Bahnhöfe
Verteilung Hannover: Direktversand an ausgewählte Leserschaft:
Mitglieder der Bürgerinitiative Opernintendanz
Niedersächsische Landesregierung Hannover
Politische Parteien
Kulturreferate der Länder
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
Bund der Steuerzahler
Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger
Richard-Wagner-Vereine
Feuilletons von Tageszeitungen
RA Frank Wahner, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hannover
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung - Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz,
in Anspruch.