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Zitat
Die Geschichte um Lot gehört zu
den merkwürdigsten und
widersprüchlichsten Episoden des
Alten Testaments. Ein
regelrechter Handel Abrahams mit
Gott ist der Ausgangspunkt: Gott
will die Stadt Sodom wegen ihrer
moralischen Verkommenheit
vernichten, doch Abraham sorgt
sich um seinen dort lebenden
Neffen Lot, der ein
gottesfürchtiger Mann ist.
Abraham feilscht mit Gott um die
Mindestzahl von Unschuldigen,
die Sodom aufweisen müsse, damit
die Stadt verschont bleibe. Doch
die Engel Gottes finden nur den
einen, Lot, dessen Familie sie
retten wollen, bevor die Stadt
dem Erdboden gleichgemacht wird.
Denn ein einziger »Gerechter«
ist der göttlichen Macht nicht
genug, um das Massaker an den
anderen zu verhindern. Die
Rettung erweist sich für Lot
allerdings als Fluch. Sein Weg
führt ins Ungewisse, wohin ihm
seine Frau nur zögerlich folgen
mag und deshalb ebenfalls
vernichtet wird. Allein gelassen
von seinem Gott, flüchtet er
sich mit seinen beiden Töchtern
in die Berge, haust dort in der
sozialen Isolation mit ihnen wie
ein wildes Tier und zeugt mit
ihnen Kinder.
In
der Gestalt Lots verkörpert sich
der unbedingte Glaube an das
göttliche Gebot von Güte und
Menschlichkeit, dem er sogar
seine Töchter zu opfern bereit
gewesen wäre, als es galt, das
Gesetz der Gastfreundschaft zu
wahren. Er ist also bereit, auch
über Leichen zu gehen, um seinem
Ideal von Humanität gemäß zu
leben. Doch Lots Weg ist kein
selbstbestimmter; er gehorcht
der göttlichen Macht blindlings
und verliert eben dadurch seine
Menschlichkeit. Seine
»Gerechtigkeit« gebiert Schuld,
und sein Fundamentalismus, der
die drohende Vernichtung der
anderen stillschweigend
akzeptiert, mündet in die
Barbarei. Lot ist das
deformierte Opfer seiner
Ideologie von einem
gottgefälligen Leben. Die
Hoffnung, aus der Vernichtung
des »Bösen« möge eine bessere
Welt erstehen, hat sich bis
heute immer wieder als
Verirrung erwiesen und nur Opfer
hinterlassen. Der 1953 geborene
Italiener Giorgio Battistelli
ist einer der produktivsten und
bedeutendsten Opernkomponisten
der Gegenwart. Aus seiner Feder
stammen Opern wie Prova d'
orchestra nach Federico
Fellini, Die Entdeckung der
Langsamkeit nach Sten
Nadolnys Roman, Auf den
Marmorklippen nach Ernst
Jünger oder Richard III.
nach Shakespeare. Das
Libretto zu seiner Oper Lot,
in der er erstmals einen
biblischen Stoff aufgreift,
schrieb die vielfach
preisgekrönte Schriftstellerin
Jenny Erpenbeck, die 2013 für
ihr literarisches Werk mit dem
Joseph-Breitbach-Preis
ausgezeichnet wurde, einem der
höchstdotierten Literaturpreise
im deutschsprachigen Raum. 2016
wird ihr der
Walter-Hasenclever-Literaturpreis
verliehen.
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'Sodom und
Gomorrha'
Wer sich die Mühe macht die Bibel
aufzuschlagen, um im Alten Testament die
Geschichte
Abrahams und seines Neffen LOT mit der
Zerstörung von Sodom nachzulesen, den
wundert nichts mehr, was heutzutage in
dieser Gegend passiert.
Die Nds. Staatsoper Hannover hatte sich
vorgenommen, diese schlimmen Geschichten
auf die Bühne zu bringen und vergab die
entsprechenden Aufträge an Libretto und
Komposition.
Es gehört sich, dass ein Institut, das
die Oper in Hannover sein sollte, sich
musikgeschichtlich beteiligt.
Es entstand ein Werk, das dem
künstlerischen Ensemble alles
abforderte. Ein kompliziertes Gewirk,
das auch noch darstellerisch
anspruchsvoll zur Wirkung kommen sollte.
Dank des engagiert agierenden Ensembles
gelang dies.
Dass das nicht unbedingt
selbstverständlich ist, weiß ich sehr
wohl, da ich im Umkreis eine der wenigen
bin, die so viel 'Neue Musik' aufgeführt
haben.
Ob die Oper 'LOT' das 'Sieb der Zeit'
überstehen wird, muss abgewartet werden.
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Mag unsere musikalische Sozialisation
mit Kirchenmusik oder Pop geschehen sein,
unsere Ohren sind gewöhnt an Dur und
Moll, an Tonika und Dominante und die
Auflösung der musikalischen Spannung in
einen Schlussakkord.
So folgerichtig Arnold Schönberg auch
alle zwölf Töne unserer Skala einsetzte
, wir tun uns schwer, die Konstruktion
atonaler Musik durchzuhören.
Daher gibt es so viele Richtungen in der
Musikwelt, die nebeneinander bestehen
wie Ihre Anhänger.
Ein Millionenpublikum, das sich im
Zweier-Stampf-Pop-Rhythmus wohlfühlt,
bis zu den sensiblen Freunden der
Kammermusik oder den Intellektuellen,
die nach Donaueschingen und Darmstadt
zur 'Neuen Musik' pilgern.
Als unvoreingenommener Theaterbesucher
fragt man sich aber ganz einfach:
Packt es mich, ergreift es mich, lässt
es mich kalt, habe ich nichts als
Respekt vor der Leistung der
Mitwirkenden oder quält oder widert es
mich an?
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Ja, es packt, die Musik von Giorgio
Battistelli ist ausdrucksstark und
farbig, sie zeigt einen
theatererfahrenen Komponisten, die
Inszenierung ist sinnvoll (bis auf den
überbordenden und damit nur teuren
Bühnenaufbau für den Mittelteil des
Stückes), Solisten, Chor und Orchester
hervorragend, Mark Rohde am Pult
umsichtig und kompetent.
Das Stück ist leider zu lang.
Beginn und Ende werden durch den
zeitlich aufwändigen Mittelteil
auseinandergezogen, die Aktionen -
Vergewaltigung der Töchter - überdehnt,
so dass gerade hier keine Spannung
gehalten werden kann.
Im Gegenteil hierzu entsteht Ermüdung,
so dass der Blick auf die Uhr wichtiger
ist als der Blick auf die Bühne.
Schon Hofmannsthal dichtete:
'Das Stück hat Längen, gefährliche
Längen - man lässt sie weg!'
Das ist bei einer Uraufführung natürlich
nicht möglich.
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Der Zuschauerraum zeigte wieder einmal
Leere. Der dritte Rang wie so oft
geschlossen.
Schon beim Kauf der Karten bekam man an
der Kasse mitgeteilt:
"Sie können den ganzen dritten Rang
haben!"
Und der war dann zu.
Im zweiten Rang hatte man mehr oder
weniger freie Platzwahl und
auch im Parkett zeigten sich viele leere Sitze.
Die beiden letzten Intendanzen haben es
geschafft, das Haus leerzuräumen.
Dass ein Werk der Zeit nicht unbedingt
das Publikum anzieht, ist
nachvollziehbar, aber in Hannover kann
man ja spielen, was man will, die
vermurksten Produktionen will doch
keiner sehen.
Ist der Ruf erst ruiniert, geht keiner
mehr hin!
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