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Mit
Bangen geht der Musikfreund heute in eine Oper, in der Sexualunterdrückung,
Triebverzicht, Jungfrauenkult, Männerbünde, ein innerlich zerrissener
Künstler, zwei Frauen - säuberlich polarisiert in Heilige und Hure - ein
religiös fanatisiertes Volk und ein unbarmherziger Seelenhirte gezeigt
werden.
Wäre da nicht die größtenteils geniale Musik von Richard Wagner, könnte man
Berichte über diese Themen, von den Kriegsschauplätzen und aus den
Gerichtssälen bequem vor dem Fernseher konsumieren.
Dass die Hannoveraner ihr Opernhaus lieben, ist bekannt und so war es an diesem
Abend mit einem gepflegten,
aufmerksamen Publikum gefüllt, das schon die fein abgestuft musizierte
Ouvertüre mit freudigem Jubel belohnte.
Wenn sich der Vorhang öffnet, ist der feucht-kalte Keller einer Sportarena
zu besichtigen oder der üstra-Bunker unter dem Hauptbahnhof Hannover, in den
es die Opfer des Sturms ’Kyrill’ verschlug.
Zwei Figuren mühen sich um den Vollzug dessen, weshalb Männer Bordelle
besuchen, aber – was soll denn die Verschämtheit – die Kleidung des Mannes
bleibt verschlossen.
Licht- und Sauerstoffmangel haben Frau Venus und ihre Freudlos-Mädchen
anämisch und rheumatisch gemacht. Papierknappheit zwingt den Poeten
Tannhäuser, die Körper der Angestellten zu beschriften.
Diese Untat mit Koran-Suren ausgeführt, kostete den holländischen Regisseur
Theo van Gogh durch die Hand eines frommen Islamisten das Leben.
Statt “gebettet auf dem weichsten Pfühle“ bemüht sich nun Khatuna
Mikaberitze als Venus auf dem harten Dienst-Lager um den schmuddeligen Punk
namens Tannhäuser.
Sie singt schön und kraftvoll, macht das Beste aus dieser stimmlich
unangenehmen Partie, über die Richard Wagner am 10. August 1860 an Mathilde
Wesendonck schrieb: “Frau Venus habe ich steif empfunden, einige gute
Anlagen, aber kein rechtes Leben.“
Frau Mikaberidze ist hübsch, ihr Körper
geschmeidig und es gehört schon beträchtlicher Frauenhass dazu, eine solch
attraktive Person in einen solch schmierig-schlabbrigen, grauen Kittel zu
stecken.
Die Bühnentechnik, Hubpodien und Plafond nutzend, macht’s möglich, der
kernig-nasal singende Robert Künzli verlässt den krankmachenden Venus-Keller
und landet auf einem quietschgrünen Golfrasen, der mit einer blau
ummantelten Madonnen-Statue samt Heiligenschein geziert ist.
Aus diesem Tuch
um den Sockel krabbelt ein kleines Kerlchen im roten Mäntelchen hervor, Hinako Yoshikawa, singt sauber und angenehm timbriert à capella
das
Hirtenlied und schleppt nun den ganzen Abend barfuß ein blutiges, totes Lamm
mit sich herum. Das hatte wohl Problem-Bär Bruno zerbissen und das kostete
ihn von der Hand eines frommen Waidmannes das Leben.
Nicht weiter störend
ziehen Rucksack-Touristen vorbei, mit Hape Kerkeling ’mal eben weg’ auf dem
Pilgerpfad.
Mit dem Landgrafen Herrmann erscheinen die erfolgreichen Herren der
’Generation Golf’. Man gebärdet sich klassenbewusst, männlich markig-singend,
und das Zauberwort “Bleib bei Elisabeth“ reiht den Außenseiter Tannhäuser
wieder in den Club der Leistungsträger ein.
Nach
dem schwungvoll dargebotenen Vorspiel zum 2. Aufzug zeigt sich die
Sportarena mit ein paar Standarten geziert und einem Schreibtisch bestückt.
Der in einem scheußlichen Trenchcoat gekleideten Brigitte Hahn gelingt das
Kunststück, mit dem Wohlklang ihres beseelten, in allen Lagen gekonnt
geführten jugendlich dramatischen Soprans und der Wahrhaftigkeit ihrer
Darstellung einer jungen Frau in den Zwängen einer christlich-fanatisierten
Macho-Gesellschaft, trotz Klischee-Kitsch und Verhöhnung des Werkes durch
den Regisseur, ihre Figur zum anrührenden Mittelpunkt zu gestalten. Das
gefürchtete ’hohe H’ am Ende der Arie strahlt satt und rund, Piani und
Legati strömen ’sul fiato’ wie man es sich wünscht, ihre Diktion lässt
vernehmen, dass sie weiß und auch fühlt, was sie sagt. (Kleiner
wohlwollender Hinweis: der Unterkiefer sollte beim Singen nicht wackeln!)
Der ’Einzug der Gäste’ geschieht durch einen Mittelalter-Laienspielschar, ein
Tugendklub mit Ritual-Lilien und Ritual-Schwertern, die als Erstes ein
mageres Mädchen, das laut umgehängtem Schild ’Lust verspürt’ hatte,
bespucken, auspeitschen und davonjagen.
Dann äußern sich die Herren des Klubs zur ’Liebe’.
Außer den Verdrängungen, unter denen das 19. Jahrhundert und der Autor Richard
Wagner litten, gelang der ’song contest’ nur mäßig.
Jin-Ho Yoo als Wolfram knödelt, dass einem der Hals schmerzt. Young Myong
Kwon als Biterolf klingt hohl zum Fürchten, nur Latchezar Pravtchev’s
geplegte, erfahrene Gesangskunst als Walter lässt ahnen, wie schön das
eigentlich klingen könnte.
Albrecht Pesendorfer, der wackere Bass und Club-Chef bedrängt zwar seine
Nichte - ein bisschen Kindesmissbrauch reiht sich in die Kette der Klischees
– vertritt aber mit Laptop und Blechkrone respektabel das Fach des ’basso
cantante’.
Als nun endlich Frau Venus orchestral ins verlogene Gesäusel
dazwischenfährt, sollte die Stunde des Super-Stars Tannhäuser schlagen.
Zwar hätte der Landgraf neben dem ausgeliehenen Mantel auch den Besuch eines
Friseurs spendieren können, denn Tannhäuser trug immer noch die peinigend
hässliche Strähnen-Perücke, die den kurzhalsigen Resonanzkopf des
Heldentenors zur Dämlichkeit entstellte, aber bei seinem sündigen Preislied
auf Venus mochte sich die sonst wohlige Gänsehaut nicht einstellen.
Nun gut, Elisabeth rettet sein Leben mit innigen Tönen, der Tugendklub
verstößt den schmuddeligen Liedermacher, also, auf denn nach Rom!
Bei
geschlossenem Vorhang genießt das Publikum das Vorspiel zum 3. Aufzug, feine
Kammermusik aus dem Orchester. Dann umschließt wieder das Golfgrün mit
Mantelmadonna die Sportarena.
Elisabeth hockt wieder im schäbigen Trenchcoat einsam auf einem der blauen
Sitze, Wolfram schnüffelt ihr nach, das Kerlchen im roten Mäntelchen, totem
Lämmchen und nackten Füßchen wuselt umher, die Rucksack-Touristen kehren,
glücklich aller vermeintlicher Sünden nun bar zu sein, zurück – auch
hier erfreulich, der satte Klang des Chores, sensibel differenziert, ohne
unnötige Kraftmeierei und gut in der Diktion.
Aber Tannhäuser ist nicht bei den Heimkehrern. Elisabeth betet, singt
untadelig schön, verwandelt sich mystisch, irre-verzückt mit Madonnenmantel
und Heiligenschein in eine Statue.
Unbequem auf dem Sockel, an ihren Rocksaum gequetscht, gibt Wolfram sein
Lied an den Abendstern wieder. Gerade da sehnt man sich nach dem süffig,
sinnlichen Timbre von Bernd Weikl oder der raffinierten Askese von Roman
Trekel.
Tannhäuser– Robert Künzli erstaunlich stimmstark, aber ohne anzurühren –
berichtetet über seine Rom-Erlebnisse. Die jungen Pilger, weiß-gewandete
Nonnen mit Herz-Jesu-Emblem postieren sich mit WM-feeling auf den
Arena-Sitzen, veranstalten die ’La-ola-Welle’ zur Gaudi des Publikums, ein
rotes Kardinälchen tänzelt mit dem ergrünten Stab durch die Reihen, die
Elisabeth-Statue entschwebt nach oben, der feuchte Venus-Keller fährt
herauf, Frau ’Venus’ Mikaberidze singt tapfer nach der ermüdenden Pause im
2. Aufzug die letzten schweren Phrasen (Vorsicht: nicht auf den
Glottis-Schlag!).
Tannhäuser umnachtet geistig, das Spiel ist aus, der Vorhang fällt.
Das gescheite Publikum verteilt Lob und Tadel – Bravos für Frau Hahn und
Frau Mikaberidze, mit Fug und Recht, ebenso für Maestro Bozic und das
Staatsorchester, für den Chor und Dan Ratiu als Chorleiter, Wohlwollen für
die anderen, gemischte Buhs für Robert Künzli.
Ein einhelliger Protestschrei für die drei verdrießlich, unfroh gekleideten
und einherschreitenden Damen des Ausstattungsteams und den zierlichen Philipp
Himmelmann, der sich feixend mit der arroganten ’Josef-Ackermann-Geste’, dem
Victory-Zeichen, bedankt.
Fazit: Sieger nach Punkten: Richard Wagner.
Empfehlung: Neugierig in die Staatsoper Hannover, dann aufs Sofa
legen
und vergleichend der Sinopoli-Aufnahme lauschen.
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