|
Die
Neuproduktion eines bekannten und beliebten Werkes des Musiktheaters
stellt die Theaterleitung vor die Frage:
Spielen wir das
Stück und ziehen uns damit den Spott der übersättigten
Sensationshungrigen zu oder folgen wir dem Trend der Zeit und
dekonstruieren das Stück zu Fetzen mit Nazi-Mänteln für die
Politologen, mit Unbehaustheits-Koffern für die Soziologen, Müll für
die Ökologen mit ekelhaften Traum-Assoziationen für die Psychologen
und unverständlichen Sex-Symbolen für die Ethnologen ?
Dabei beinhaltet der 'Lohengrin' Mythos und Geschichte, Märchen und
Tragödie, also Stoff genug, um das Publikum zu fesseln, genauso wie
es durch die Kraft der Musik seit der Uraufführung am 28.8.1850
durch Franz Lizst in Weimar geschieht.
Und so auch jetzt bei der Lohengrin-Premiere am 25.6.06 in der Oper
Chemnitz.
Die
Robert-Schumann-Philharmonie unter der Leitung ihres GMD Niksa
Bareza zauberte die blau-silberne Vision der Grals-Welt mit
solch filigraner Zartheit, dass das überaus aufmerksame und
ausnehmend elegant gekleidete Publikum (keine Jeans mit Sweatshirt)
atemlos lauschte und so farbenreich, sei es schwelgerisch beim
Brautgemach oder beim martialischen Donner der kriegerischen Szene
oder beim Fest der Trompeten des außergewöhnlichen 'Weckrufs'. Das
Orchester und sein erfahrener Chef tragen die Musik und die Sänger,
er hetzt sie nicht wie viele junge Pult-Technokraten.
Der bewährte
Meister Reinhard Zimmermann baute ein praktikables
Bühnenbild, das reiche Staffelungen und Gänge erlaubt, an denen die
Spannungsverhältnisse der Figuren abzulesen sind.
Die Kostüme von
Elke Eckart deuten ein morbid-bürgerliches 19. Jahrhundert
an, denn die Farben schwarz und lila legen Trauer über die
Gesellschaft. Lohengrins Silbermantel, der weiß-silbern verpuppte
Gottfried-Schwan und Elsas wunderbares Spitzengewand zur Hochzeit
sind die einzigen Farbtupfer, während der waldmeistergrüngrundige
Rosentapeten-Schleier und das Brautbett mit Rosenblättern bestreut -
wohl ein augenzwinkernder Tribut an die Übersüße des Brautchores
sind.
Der Regisseur
Michael Heinecke formte aus dem Ensemble intelligenter
Sängerdarsteller Charaktere, die mit sorgsamer Pädagogik aus den
Fähigkeiten der Mitwirkenden entwickelt wurden.
Gudjon Oskarsson,
König Heinrich, ist ein Volkskönig, dem die Realitäten der
bevorstehenden Hunnenschlacht mehr am Herzen liegen als die
Seelenqualen eines Herzogstöchterleins. Er singt mit prachtvollem
Bass, von der Tiefe gleichmäßig wohlklingend bis in die
anstrengenden Höhen.
Lohengrin in
Gestalt von John Charles Pierce, jeder Zoll ein
uneinnehmbarer Gotteskrieger, erfahrener Heldentenor, tut sich
schwer mit Zärtlichkeiten und der hohen Lage der Partie. Immer
wieder aber singt er Phrasen mit der außergewöhnlichen Schönheit
seines Timbres, dass man ihm zuflüstern möchte: „Nicht mogeln, mehr
Legato, dranbleiben bis zum Ende der Phrase, ja, das wär's.“
Astrid Weber,
dem Chemnitzer Publikum durch viele große Partien vertraut, ist eine
moderne Sing-Darstellerin von perfekter Körper- und
Stimmbeherrschung.
Von der
sehnsuchtsvollen Pantomime im Vorspiel über die unterschiedlichen
Situationen von Freud und Leid ihres kurzen Lebens bis zum
verzweiflungsvollen Wahnsinns-Ende zeigt sie mit tadellos geführter
Stimme und geschmeidiger Körpersprache Richard Wagners träumerisches
'Weib', das für die Erlösung des Mannes in den Tod geht. Aber kann
sie das Herz erwärmen wie früher Elisabeth Grümmer und heute Sabine
Paßow ?
Hannu Niemelä als Friedrich von Telramund ist ein
hinreißendes Ereignis. Glatzkopf, tiefer Brustausschnitt,
Springerstiefel und schnelle, hellwache Bewegungen weisen ihn als
Meister in Kampfsportarten aus und niemand zweifelt, dass er es war,
der "im Kampf den wilden Dänen schlug." Die Darstellung dieses
spannungsreichen Charakters von männlich-sportlicher Kampfeslust,
braven Vorstellungen von Anstand und Ehre, dem Verlangen nach
Bewunderung und Liebe, aber auch etwas begrenzten geistigen
Fähigkeiten, mit denen er sich "willig da und gern" unter die
gefährlich spitzen Stiefel-Stilettos seiner pfiffigen Ortrud begibt,
ist ein Bravourstück für einen intelligenten Heldenbariton. Wenn man
ihm zuschaut wie er zuhört und reagiert, vergisst man alles Getöne
ringsum. In vollem Besitz seines solide geschulten Stimmorgans
meistert Hannu Niemelä die Anstrengungen der Partie, gestaltet sie
farbenreich und wohlklingend und beim nächsten Mal weißt er wohl
auch, dass Ortrud "im düstren Wald zuhaus." Wenn er erschlagen ist,
verliert die Vorstellung an Spannung und der Schluss mit
Klein-Gottfried als Zukunftslösung ist unbefriedigend.
Nur eine Figur könnte einen Weg weisen: Ortrud, von Richard Wagner
als Hass-Figur seiner Angst vor der starken Frau gestaltet, denn die
besitzt Verstand und Machtbewusstsein, benutzt den Zweifel als
aufklärerisches Mittel der Wahrheitsfindung, lehnt das Christentum,
das den Frauen das Unrecht der Beschuldigung der Erbsünde,
Entrechtung und Entmündigung brachte ab, warnt vor dem Verlust des
Respekts gegenüber den Naturgewalten, "entweihte Götter". Darum ist
es eine Freude, in der Chemnitzer Aufführung eine attraktive,
charmante Yumi Koyama als Ortrud zu erleben, die auch die
athletischen Stellen ihrer Partie mit ihrer Willenskraft so bändigt,
dass sie völlig selbstverständlich klingen. Perfekt die Diktion,
gerade bei dieser Rolle ist die Sprache wichtig, Frau Koyama ist
eine Meisterin der Konsonanten, vor allem am Ende eines Wortes. Der
Wandel in der Besetzung und Gestaltung dieser Rolle in den letzten
Jahrzehnten zeigt den Weg der sich emanzipierenden Frauen vom
Schreckbild der finsteren Dämonin zur durch Leistung anerkannten
Erfolgsfrau. Richard Wagner könnte es nicht fassen, aber manchmal
ist das Geschöpf klüger als der Schöpfer.
Dietrich
Greve
als Heerrufer brachte mit gut fokussierter Stimme, gekonnter Diktion
und dienstlichem Eifer beim Verlesen der Erlasse, bei denen er sich
manchmal durch ein Schlückchen Zielwasser stärken musste, eine
humorige Note ins männliche Macht-Getöse und die prächtig singenden
Chor-Kollegen der Opern Leipzig, Dresden, Kassel und Berlin genossen
offensichtlich den Betriebsausflug als Meistersinger in Uniform. Die
brabantischen Edlen agierten und sangen engagiert und die vier
Edelfrauen bildeten ein im Klang delikates Quartett.
Dieser
Produktion wünscht man glückliches Zusammenwachsen.
Fazit: Hingehen, hinhören, hinschauen, nachdenken - es lohnt sich !
Lohengrin ist und bleibt - ein Wunder !
|