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Impressum *

 

 




 

 


Bericht
'Götterdämmerung'
Repertoirevorstellung Theater Lübeck
am 27.01.2011
 

 
 


Ankündigung Theater Lübeck

  Musikalische Leitung Roman Brogli-Sacher
  Inszenierung Anthony Pilavachi
  Bühnenbild Momme Röhrbein
  Kostüme Angelika Rieck
  Dramturgie Dr. Katharina Frost
 
 
 
  Siegfried Richard Decker
  Gunther Gerard Quinn
  Hagen Gary Jankowski
  Alberich Antonio Yang 
  Hagen Gary Jankowski
  Gutrune Ausrine Stundyte
  Brünnhilde Rebecca Teem
  1. Norn Veronika Waldner
  2. Norn Roswitha C. Müller
  3. Norn Anne Ellersiek
  Woglinde Sonja Freitag
  Wellgunde Roswitha C. Müller
  Floßhilde Julie-Marie Sundal
     
 

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  Götterdämmerung
oder
Muntere Märchen im wonnigen Wahnfried
   
 

Wer sich damit einverstanden erklärt, Mythen und Märchen verschiedenen Epochen angepasst zu erzählen, muss in Kauf nehmen, dass es manche Ungereimtheiten gibt. Die Archetypen, von denen wir von C.G. Jung wissen, wandeln sich zwar jeder Zeit an, denn immer wieder gibt es den Helden, den Bösewicht, die zu rettende blonde Jungfrau. Aber wenn ein Mythos vom Anfang und Ende der Welt von einem Richard Wagner textlich und musikalisch festgelegt wurde, hat das schon ein anderes Gewicht als eine Schnurre vom 'Gestiefelten Kater' oder 'Rotkäppchen'.

"Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen."

So beginnt das Nibelungenlied, wie es von Mönchen im 12. Jahrhundert aufgezeichnet wurde.
Das Publikum im ausverkauften Lübecker Jungendstil-Stadttheater blickt auf den 'Eisernen', der mit dunkelbraun lasierten Holzpaneelen bedeckt ist. An den Seiten lehnen Kränze, auf deren Schleifen die Namen der Familienmitglieder der Wagner-Sippe.
Stürmisch begrüßt wird der GMD Roman Broglie-Sacher, alles in Position, na dann "Gute Reise" durch das schwere, lange Werk!

 
 

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'Der Eiserne' hebt sich, auf der Vorderbühne liegt ein dickes Buch, im Hintergrund auf steinernen Monumental-Sockeln die Köpfe von Richard und Cosima, die ziemlich verdrossen dreinblicken.
Drei kesse 'Nörnchen' huschen herbei, entzünden ihr Feuerzeug und die Erste fragt: 'Welch Licht leuchtet dort?'
Die in diesem Falle leicht zu beantwortende Frage wird von Veronika Waldner mit schöner, satter Stimme gestellt und ich freue mich, sie später auch die Waltraute singen zu hören. Ihre beiden Schwestern Roswitha C. Müller und Anne Ellersiek sind Leichtgewichte, die in ihren Satin-Hosen, Rüschenblusen und den schwarzen 'Amy Winehouse-Dutt' auf dem Kopf hübsch singen und niedlich aussehen, während sie im Märchenbuch emsig nach dem Ursprung der Welt suchen. Jedoch die blechgepanzerte  Musik der Schicksalsgöttinnen von einem 'Cherubin' und einer 'Mimi' singen zu lassen, zeigt die Grenzen eines mittleren Hauses.
Ein Kranz für 'Wolfgang' wird vor Richards Monument gelegt, wild wird im Märchenbuch geblättert, kein Wunder, dass 'es riss'.
Die drei Hübschen eilen 'zur Mutter-Cosima hinab'.
Es beginnt das Patriarchat, d.h. die Entrechtung der Frau und immerwährende Kriege um Liebe und Macht.

 
 

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Verwandlung - bei Richard Wagner heißt es 'Wachsende Morgenröte' bis 'Sonnenaufgang' und 'Voller Tag' während Siegfrieds Heldenthema und Brünnhildes Motiv mit dem lieblichen Mordent im Orchestergeflecht erklingen - ein großer Jubel in Es-Dur.

Momme Röhrbeins Bühne zeigt uns einen Verhau aus hellen Spanplatten, ein graues IKEA-Sofa, einen weißen Küchentisch mit weißen Stühlen, an den Wänden scheußliche Buntstift-Kinderzeichnungen
Brünnhilde in Nato-Tarn-Leggins und schwarzem, engen Pulli, der die Spuren vieler Schwangerschaften zum Vorschein bringt, verabschiedet sich von ihrem Ehemann Siegfried. Richard Decker, ein anglo-amerikanischer middle-class Geschäftsmann in blass-karierten Golfhosen und Hawai-Hemd mit Flammenmotiv der Firma 'Loge-Design' (Kostüme Agelika Rieck)
Eine achtköpfige Kinderschar in Walküren-Kostümen mit Flügelhelmen wimmelt und streitet sich, ein bärtiger Mime-Zwerg sägt an Stuhlbeinen und schlägt auf ein Waldhorn ein. Es erscheint ein Nachbars-Bub als 'Klein-Adolf', kurz darauf als der künftige 'Onkel Wolf'-Hitler.
Alles deutet auf Winifred, die Fruchtbare und das bekannte Photo ihrer Sprösslinge als Götter und Helden.

'Brünni', die kleine Mollige und 'Siegi', der Lange singen laut und tapfer. Sie klagt, dass ihre Kräfte und Kenntnisse versiegt seien, er dankt der 'Wunderfrau'.
Sie schenkt ihm den unheilvollen 'Ring', Rebecca Teem schmettert ein gut sitzendes hohes C, er schnappt sich seinen Rucksack und statt des erwarteten Golfschlägers, Waldhorn und Schwert, um auf Geschäftsreise zu gehen.
Herrlich schwungvoll spielt das Orchester die 'Rheinfahrt' - dazu ein großes Kompliment dem vorzüglichen Hornisten und der virtuosen Harfe in der Seitenloge.

Auf dem holzverkleideten 'Eisernen' läuft derweil ein Film wie aus dem Abteilfenster eines ICE, zu dem Richard Wagner zu viel Musik schrieb, denn es gibt ein mehrmaliges Wiedersehen mit einer Kate und die Schafe kenne ich nun auch schon mehrfach.
 
 

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Der 'Eiserne' geht hoch, 1. Aufzug.
Bei Richard Wagner:
Die Halle der Gibichungen am Rhein.
Diese ist dem Hintergrunde zu ganz offen; den Hintergrund selbst nimmt ein freier Uferraum bis zum Flusse hin ein; felsige Anhöhen umgrenzen das Ufer .

Die Bühne von Momme Röhrbein zeigt Speer-Bau für Arme: holzverkleidete Pfeiler, in der Mitte das Modell eines Palastes, links eine Glasvitrine mit einer grell beleuchteten Krone, eine nach hinten führende Treppe zu weißen Vorhängen, eine Party-Gesellschaft aus 'Cabaret', deren Gastgeber die 'Tunte vom Dienst'  - Gunther ist.
Aber, nicht doch, diese Pailletten-Corsage, Strapse und Stöckelschuhe hatten wir doch schon als 'Klingsor' in Herheims Bayreuther 'Parsifal'.
Vorsicht: Abkupfern hat zur Zeit einen schlechten Ruf!

Das Hagen- und das Gibichungen-Motiv zeigen, wer hier das Sagen hat, aber eigentlich erwartet man, dass Gunther-Schatzi statt: 'Nun hör, Hagen' wie Joel Grey: 'Willkommen, bienvenue, welcome' quäken wird, aber immerhin zündet er im Palast-Modell ein kleines Feuerwerk und es macht 'Puff' - oh, wie witzig!'
Gerard Quinn singt gepflegt und liefert aufgrund seiner Aussage: '.... einer Frau soll ich mich schwerlich freu'n!' die beachtliche Charakterstudie einer weinerlichen Schwuchtel.

Gary Jankowski als Hagen singt mit angenehmem Bass, aber leider mit der blöden Angewohnheit amerikanischer Kollegen, an jedes -n und -m am Ende einer Silbe ein -e anzuhängen. Wer bringt denen das bei und warum achtet kein Korrepetitor darauf, dass es nichts bringt, zu singen; 'Dich echt genannten'-e acht' ich zu neiden'-e' - und das den ganzen Abend!?
Darstellerisch gibt er im knittrigen schwarzen Anzug, glitschig schwarzem Satin-Hend und schwarz-weißen, überlangen Schuhen den lieben Mafia-Onkel. Dass er dabei hasserfüllt und intelligent alle manipuliert, nur mit dem einzigen Ziel, an den 'Ring' und damit an die Macht zu kommen, kann ich ihm nicht glauben, auch wenn er die Vitrine einschlägt und sich die Krone aufsetzt, denn er wird aus seiner Gemütlichkeit erst im Kreis seiner Schläger beim Mord an Siegfried richtig wach.

Derweilen spielen die versierten Chordamen und -Herren weiter 'Cabaret' in Pailletten-Fummeln und Dandy-Anzügen. Als Gutrune-Sally Bowles im rosa Kleidchen, auf Stöckeln und mit schwarzem Bubikopf ist Ausrine Stundyte entzückend zickig und singt leuchtend schön. Sie war für mich das Ereignis des Abends.

Da ertönt Siegfrieds Horn, 'Gunthi' schminkt sich ein wenig ab und schlüpft in einen buntseidenen Hausmantel. Hagen muss ein paar verdammt hohe F - die nicht alle glücken - singen.
Man tauscht Begrüßungsfloskeln, Hagen träufelt K.O.-Tropfen in den Becher, Siegfried zeigt seinen Besitz: Schwert, Tarnhelm und Ring, 'Gunthi' erscheint in weißem Anzug, behängt mit Orden vom letzen Wormser Karneval, Gutrunchen schlängelt sich an den 'Siegi', der trinkt und verfällt ihr - alles nach Plan.
Die Frauen werden verschachert: Gutrune für Siegfried, Brünnhilde für Gunther - 'auf Felsen hoch ihr Sitz' - na, wartet ab, wenn ihr in Brünnhildes Wohnküche kommt.

Auf diesen Handel hin, singen sie beiden schön in Terzen 'Treue trink ich dem Freund', nachdem sie sich die Hand mit dem Schwert geritzt, gegenseitig das Blut abgeleckt haben und Gunther eine Sepsis fürchtend, zitternd sein Händchen verbindet, 'Aua, tut das aber weh!'
Hagen, der Fehltritt von Mutter Gibich, die für Alberichs Vermögen schwach wurde, nimmt an der Schleckerei nicht teil, er hat eine andere Blutgruppe. Also, 'Lass' den unfrohen Mann!'

Loge lockt mit dem Feuer-Motiv: 'Frisch auf die Fahrt! - Um die Rückkehr ist's mir jach.'
Auch in Gutrune kribbeln die Hormone: 'Siegfried mein!'  - sie geht lebhaft erregt in ihr Gemach zurück' schreibt Richard Wagner - Siegfried, der Schwarm der Teenager und Frauen, der 'Brad Pitt' von damals.

Nun kommt das Stück, auf das ich mich in jeder 'Götterdämmerung' am meisten freue: 'Hagens Nachtgesang' - Gottlob Frick, die schwärzeste und Karl Ridderbusch, die edelste Natur-Bass-Stimmen im Ohr, fällt das Teufel-Intervall Tritonus wie dicke Tropfen in Kontrabässen und Tuben abwärts, verflochten mit den mühsam schiebenden Vernichtungsmotiv und hin und wieder Siegfrieds Horn.
Es bereitet die Plattform für einen musikalischen Solitär, in dem Richard Wagner Text, harmonische Charakterisierungskunst, instrumentatorisches Raffinement, rhythmisch präzise Aussage - die schleichenden Viertel-Triolen - so komprimiert hat, dass schon der Gedanke daran Gänsehaut hervorruft.
Also Gary, zeig', was Du kannst hier in Lübeck!
Nun, ja - besser schweigen wir aus Gründen der political correctness - während ich mir zum Trost ein baldiges Bier wünsche.

 
 

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Dritte Szene.
Bei Richard Wagner die Felsenhöhe wie im Vorspiel, bei Momme Röhrbein und Anthony Pilavachi die Spanplatten-Wohnküche mit Brünnhilde als 'deperate housewife' im roten Satin-Fummel mit rosa Morgenrock auf dem grauen Sofa, unter Kinderwagen-Deckchen.
Etwas Trockeneis und Blitze im Flur hinter der Plastik-Schiebetür künden Bedeutsames an.
In der uns bekannten Kampfflieger-Kluft erscheint Veronika Waldner als Waltraute und es gelingt ihr durch ihre Intensität, ihre volle, runde, gut beherrschte Stimme, die richtigen Reaktionen, die Proleten-Umgebung vergessen zu machen und Größe, wie sie dem Werk angemessen ist, zu vermitteln. Noch ein paar deutlichere Konsonanten, dann wäre es meisterlich, aber brava - es geht doch. Mit einem prächtigen hohen A verabschiedet sie sich - schade, jetzt wird es wieder mickrig.

Eine echte Hochdramatische hat auch Mittellage und Tiefe, aber bei aller Hochachtung vor amerikanischem Sportsgeist, auch bei Sätzen wie 'abendlich Dämmern deckt den Himmel ..' hat sich der Komponist etwas gedacht, sie in tiefer Lage zu notieren und man sollte sie satt und rund hören können. Aus zweifellos beachtlichen Spitzentönen einer lauten Lyrischen besteht die Partie der Brünnhilde nicht nur.

Brünnhildchen freut sich erst einmal auf ein Wiedersehen mit ihrem Mann, aber es erscheint ein fieser Typ mit mikrofonverzerrter Stimme und goldener Gardine über dem Kopf, der ihr androht, sie mit Gewalt zu zähmen. Er entreißt ihr den 'Ring', die Gardine fällt herunter, es ist tatsächlich Gunther, so dass Siegfrieds Aussage: 'dass ich in Züchten warb' sinnlos ist und der Typ seine Schläger mitgebracht hat, um die Kinder umzubringen und die Beutefrau, wie es alle Sieger tun, so richtig nach Männerart fertig gemacht wird, woran die wohl ihren Spaß haben werden.
 
 

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Zweiter Aufzug. Wieder bei Gibichs. Dunkel dröhnt Vernichtung aus dem Orchester, darüber wie ein Klageschrei das verkürzte 'Rheingold'-Motiv .

Vorn rechts auf dem weißen Bauhaus-Sofa lümmelt Hagen. Ein Zombi erscheint, es ist der spinnwebenumwickelte, schon stark verweste Alberich (Antonio Yang), dem eine Gesichtshälfte nur noch herunterlappt. (So was freut die Maskenbildner!)
Hagen erfährt, dass er als Designer-Baby nur zu dem Zweck hergestellt wurde, seinem ekligen Erzeuger den 'Ring' wieder zu beschaffen. Aber nichts da: 'Mir selbst schwör ich's, - und das Gespenst verschwindet.
Siegfried kehrt zurück, meldet, wie er 'Brünhild band' - Hagens Droge hat seinen eh' schon nicht sehr entwickelten Verstand völlig ausgeschaltet.
Gutrunchen freut sich auf die Hochzeit und ruft; 'frohe Frauen zum Fest', während Siegfried wohl seinen Schlaf braucht nach der anstrengenden Ruderpartie rheinaufwärts.

Jetzt wird's urig, denn unterstützt von viel Tremolo in den tiefen Streichern ertönen die Stierhörner und Hagen ruft seine Mannen. Ein barbarisches Hochzeitsritual mit viel Blutopfern und anschließendem Besäufnis besingt der Männerchor mit einem echten Hit: '.. da Hagen, der Grimme so lustig mag sein!' Der Lübecker Chor gibt sein Bestes, aber die Wucht eines durch reisende Wagner-Spezialisten verstärkten Staatsopernchores oder gar des unerreichten Bayreuther Männerchores, in dem auch viele Solisten anderer Theater mitsingen, kann man nicht erwarten.

Dann folgt endlich eine Szene, die das alberne Musical-Getue unterbricht. Zusammengepfercht wie ein armes, wildes Tier auf dem Weg in eine altrömische Todesarena kauert Brünnhilde in einem Stahlkäfig und wird auf die Treppe ausgekippt, wo sie in ihrem roten Satinfetzen wie ein blutiger Fleischklumpen liegt. Sehr sensibel hat auch Richard Wagner den höfischen Staatsjubel in ein verlegenes piano verebben lassen und vom kämpferischen Walkürenthema sind nur noch vier klägliche Töne übriggeblieben. Brünnhilde wird hochgezerrt und vorgeführt. Da steht sie als Beispiel für all' die Millionen Frauen, die vergewaltigt und zerschunden zu allen Zeiten und überall auf der Welt mit augenzwinkerndem Einverständnis von Freund und Feind entwürdigt wurden und dafür auch noch Schmerzen, ungewollte Kinder, Spott, Ausgrenzung und Scham zu ertragen haben.
Dank an Anthony Pilavachi, das so zu zeigen!
immerhin wurde erst kürzlich Vergewaltigung als Kriegsverbrechen anerkannt!

Mit ihren Hämatomen im Gesicht und am Körper rührt Schmerzensfrau Brünnhilde Rebecca Teem und mir ist es recht, wenn Siegfried, der 'trugvolle Dieb' seine wohlverdiente Strafe finden wird, denn wer das Fürchten nie gelernt, dem fehlt ein lebenswichtiger Warnreflex. (Dazu fällt uns ganz aktuell ein bestimmter Politiker ein.)

Aus einem so gequälten Körper sind auch die Klagen: 'Lehrt mich Leiden, wie keiner sie litt? Schuft ihr mir Schmach, wie nie sie geschmerzt?' glaubhaft und ergreifend.
Bei früheren Luxus-Brünnhilden in porentief reinen, weißen Gewändern habe ich oft gedacht: 'Mädel hab dich nicht so!' Jetzt aber stimmt es, wenn diese arme Kreatur ihre letzten Reserven mobilisiert für 'Helle Wehr, heilige Waffe .. - denn brach seine Eide er all', schwur Meineid jetzt dieser Mann'.
Und was sagt ein edler Macho, wenn es einer Frau wirklich dreckig geht: 'Ihr Mannen, kehret euch ab! Lasst das Weibergekeif'! - so auch Siegfried. Obwohl für Richard Wagner Frauen nur Gattung waren wie Rind, Esel, Schaf, war er doch ein scharfer Beobachter, und so stellt sich für die in die Hormonfalle getappte verheiratete Brünnhilde ein gewiefter Scheidungsanwalt zur Verfügung, der in diesem Prozess nach echter Juristenmanier einen saftigen Gewinn herausschlage will: '... betrog'ne Frau! Wer dich verriet, das räche ich.'
 

 

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Wie schön war es doch noch im Nibelungenlied gewesen:
'Die vüeze und ouch de hende - si im zusamme bant,
si truog in zeime nagele - und hienc in an die want.'

Mit Wagners 'Götterdämmerung' betrachten wir die Mythen durch die Brille des 19. Jahrhunderts und jetzt mit unseren Augen des 21. Jahrhunderts, und stellen dabei fest: Die menschliche Natur wechselt zwar die Kleidung, aber ihre Grundeigenschaften nicht. Das Streben nach Macht und Sex beherrscht bis auf einige Vernünftige, Bescheidene, Weise das Treiben des 'homo erectus', der unsere Mutter Erda bald überbevölkert kahl fressen wird.
Brünnhilde, trotz ihrer Heldentöne muss sich an Hagen lehnen und betet mit Gunther zu Wotan, während im gewaltigen Terzett Hagen sich an seinen Vater Alberich wendet. Aber all' das Rufen nach Wischnu, Wotan, Jupiter oder Jesus bringt ja nichts, man muss die Sache selbst in die Hand nehmen.
Ein kleiner Pfaffe, der unter den Party-Gästen herumstand, waltet jetzt seines Amtes und kuppelt Siegfried und die in prachtvollem Brautkleid erscheinende Gutrune, während Brünnhilde hastig in ein Brautkleid mit Klettverschluss gepackt von Gunther vor die kirchliche Amtsperson gezerrt wird.
Hohles Getöse in C-Dur, Ende des zweiten Aufzuges.

 
 

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Also steigen wir in den dritten Aufzug, bei Richard Wagner:
'Wildes Wald und Felsental am Rheine ....'
-

Hörner sind ringsum zu hören, die Harfe hat viel zu tun und die Holzbläser. Eigentlich ein impressionistisches, duftiges Naturbild. Aber bei Pilavachi und Röhrbein eine schmuddelige Waldrand-Kneipe, betrieben von drei besoffenen, rauchenden Schlampen in engen Glitzer-Leggins und Fummeln, gekrönt von karotten-roten Wulstperücken. Trotz dieser Kostümierung können Sonja Freitag, Roswiha C. Müller und Julie-Marie Sundal sich gut präsentieren, erfreuen das Auge und das Ohr und ich frage mich oft im Regisseur-Theater - was für ein Frauenbild haben diese Herren? Kennen die nur Zicken und Schlampen?

Siegfried der reisende Geschäftsmann, erscheint mit Rucksack, Waldhorn und Schwert, was ziemlich blöde aussieht - erwartet man doch Mobiltelefon und Laptop.
Im Lauf der Szene werden die Rheintöchter nüchtern, werden zu 'seiner Stimme des Gewissens', aber er gibt dem Sex den Vorrang vor der Macht: 'Der Welt Erbe gewänne mir ein Ring: für der Minne Gunst miss' ich ihn gern ...'.

Sie zünden ihre Erleuchtungsfeuerzeuge und prophezeien ihm:
'Ein stolzes Weib wird noch heute dich Argen beerben: sie beut uns besseres Gehör' -

Sie
singen wieder in zauberhaften Harmonien und ihre chromatischen Tonfolgen weisen auf Claude Debussy und auf Ravels Chor-Vokalisen in 'Daphnis und Cloë' hin.

Natürlich braucht ein Heldentenor nichts davon zu wissen, denn er begnügt sich mit der simplen Feststellung:
'Im Wasser, wie am Lande
lernte nun ich Weiberart:
wer nicht ihrem Schmeicheln traut,
den schrecken sie mit Drohen;
wer dem kühnlich trotzt,
dem kommt dann ihr Keifen dran.'


Das zarte Naturbild klingt aus, ppp in F-Dur.
Hagen kündigt sich an, die Mannen schwarz gekleidet, mit Knüppeln, Kapuzen und Sonnenbrillen, kriegen ihr Bier und Hagen kredenzt Siegfried das Gegengift zum Vergessenstrank, nachdem dieser in einer langen, anstrengenden Erzählung sein bisheriges Leben schilderte.
Siegfried wird wieder klar im Kopf, erinnert sich an Brünnhilde, die heilige Braut.
Von einem Geräusch abgelenkt - bei Richard Wagner sind es zwei Raben, Wotans Boten - dreht Siegfried Hagen den Rücken - mit der ungeschützten Stelle hin - da sticht dieser zu.

Wie bei Menschen im Nahtod-Erlebnis läuft vor seinem inneren Auge sein Liebes-Erlebnis in aller Klarheit ab.
Er stirbt, die Pauke signalisiert die letzten Herzschläge, dann senkt sich der 'Eiserne' und wir erleben den orchestralen Trauerchor, dieses bis ins Mark treffende Meisterwerk, während ein Film in kurzen Spots an die vorausgegangenen Lübecker Aufführungen des 'Ring' erinnert.
 
 

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Dritte Szene.
In Gibichs Halle geistert Gutrune, umweht von Brünnhildes Liebesmotiv nach schlimmen Träumen umher. Sie sah Brünnhilde, die Gefürchtete hinausgehen und Siegfried kam nicht heim - armes Mädel.
Triumphierend - Gary Jankowski ist jetzt richtig wach geworden - berichtet Hagen von Siegfrieds Tod, die Mannen postieren den aufgebahrten Helden oben auf die Treppe und Brünnhilde erscheint im schwarzen Mantel, die Taille mit festem Ledergürtel gezurrt, strenger schwarzen Perücke und schwarzen Stiefeln. richtig gut sieht sie endlich mal aus, ein neuer Frauentyp. - Die Domina?

Gutrune jammert, Hagen am Ziel seiner Wünsche fordert als Beuterecht den 'Ring', die Halbbrüder geraten in einen Erbstreit, der fast jede Familie vergiftet, Hagen ersticht Gunther, gibt Gutrune seiner Schlägertruppe zur Vergewaltigung frei, der Tote hebt den Arm, so dass Brünnhilde den 'Ring' nehmen kann.
Grauenhaft zerschunden mit blutigen Schenkeln zeigt uns Gutrune, die vor Schmerz und Scham wahnsinnig wird und Hagen ersticht - was siegreiche Männer den Frauen, die an deren Kriegen nicht beteiligt waren, antun. - Ein sehr bewegender Regieeinfall.
 
   
 
Der 'Eiserne' senkt sich und Brünnhilde kann ihren Schluss-Monolog sängerfreundlich vorn an der Rampe singen. Engagiert und auch am Ende dieses langen Abends ist sie kraftvoll und mit ihrem gut sitzenden Spitzentönen überzeugend.
Der 'Eiserne' hebt sich, schnell streift Brünnhilde den schwarzen Mantel ab, darunter trägt sie ein weißes Gewand, mit dem sie sich als Winifred zu Siegfried Wagner und ihren als Walküren verkleideten Kindern in einer Wahnfried-Dekoration, auf das Sofa setzt.

Wahnfried wird hochgezogen, wir sind im Rhein.
Sollte es doch Gerechtigkeit geben, denn 'der Ring' sinkt herab zu den Rheintöchtern.
Das Böse überlebt, Alberich schließt den Vorhang. Aber warum im Blaumann eines ehrbaren Arbeitnehmers?
Die heute wirklich Bösen tragen Bänkerzwirn.

Zwar viel Gepolter von der Donnermaschine, aber kein Weltenbrand, sondern in der Bayreuther Familie Wagner von heute setzt sich die endlose Geschichte munterer Märchen um Liebe und Macht im wonnigen Wahnfried fort.
 
 

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Viel haben die Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes Hannover an den beiden Tagen, 26. und 27. Februar 2011, in Lübeck erlebt.
Am Samstag die von John von Düffel dramatisierte Version von Thomas Manns Roman 'Doktor Faustus' - eine spannende, ernstzunehmende Inszenierung von Pit Holzwarth, mit einem vorzüglichen Schauspiel-Ensemble, das ohne Verfälschung die Figuren des Werkes zeigte.

Warum aber glauben die Anhänger des Regisseur-Theaters, ein Meisterwerk des Musiktheaters dekonstruieren, verheutigen, auf niedrigstes soziales Niveau
herunterbrechen und ihm ein zweites Stück überstülpen zu müssen?

Bei schlechtem Design schreien wir auf:
wer will eine Bratpfanne als Uhr an der Wand oder die Glasplatte eines Tisches auf einem nackten Plastik-Hintern?

 
 

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