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Ein musikalisches
Wochenende
Wie ein kunstbeflissener Barockfürst
besuchte ich an drei aufeinander folgenden Abenden Musiktheater.
Nr. 1. Staatsoper Hannover - Musical
'How to Succeed in Business Without
Really Trying'
Der schwer zu behaltene Titel stammt aus dem Buch von Shepard Mead
(1952), aus dem man lernen kann, wie man in einer großen Firma die
Karriereleiter hinaufsteigen kann, in dem man die meist unfähigen Chefs
austrickst.
Herkunft, familiäre Verhältnisse, Eliteschulen, Sportclubs, erotische
Schwächen, Hobbies - alles ist genau zu studieren und entsprechend zu
handhaben.
Eine glänzende, wunderbar-bösartige Idee und ich kann es nicht vermeiden
all die selbstsatt grinsenden Vorstände und Aufsichtsräte vor mir zu
sehen, die große Unternehmen an die Wand fahren, dabei von nichts
gewusst haben wollen und sich Millionen, die hart erarbeitet wurden, in
die Tasche stopfen.
Aus diesem eigentlich spröden Stoff wurde ein erfolgreiches
Broadway-Musical, dessen Premiere am 14. Oktober 1961 von Presse und
Publikum ekstatisch gefeiert wurde, und das die Staatsoper Hannover als
Kooperation mit der Volksoper Wien vorstellt.
Es ist eine gelungene Vorstellung - also: Es geht doch!
Als Dirigent wirkt ein üppig gestalteter Joseph R. Olefirowicz, der das
mit vielen rhythmischen Sonderaufgaben beschäftigte Staatsorchester mit
genauer Kenntnis des Stückes sicher und mit Spaß leitet.
Mathias Fischer-Dieskau hat ein Bühnenbild gestaltet, das mit schnellen
Umbauten die oft in perfekter Choreographie vom Bühnenpersonal zu
handhaben sind - jede Situation geschmackvoll deutlich macht. Ein echter
Knüller für diesen Abend und der unsterbliche Vater Dietrich kann stolz
auf den Sohnemann sein!!
Mathias Davids (Regie) und Melissa King (Choreographie) bewegen ein
vielfältiges Ensemble aus Sängern, Musical-Darstellern, Schauspielern,
Chor und Ballett wie ein gut geöltes Räderwerk und man ahnt, wie viel
Arbeit darin steckt.
Einzelne herauszugreifen wäre zwar angebracht, aber auch unfair, nur dem
unermüdlichen Charles Ebert, der über viele Jahre als Regie-Assistent
den Laden am Laufen hält, gebührt ein ganz dickes Kompliment, mit
welcher Souveränität er den großen Boss J.B. Biggley spielt, den er für
den erkrankten Roland Wagenführer übernommen hat.
Die Musik von Frank Loesser ist zwar rasant und pfiffig, aber von
Ohrwürmern geplagt wie nach einem Bernstein-Musical war ich nicht nach
diesem sehr empfehlenswerten Theaterabend.
Allerdings, ob das Stück nun unbedingt in der Staatsoper stattfinden
muss, die der Ort für die 'große Oper' in einer Landeshauptstadt sein
sollte, daran habe ich Zweifel.
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Nr. 2 Staatsoper Hannover - Oper
'Werther'
Wer die Zeit hat und sie sich nimmt, zur Vorbereitung Goethes ’Die
Leiden des jungen Werthers’ von 1774 zu lesen, gerät ins Grübeln wie aus
diesem verbalen Wolkengebirge des Gefühlsüberschwangs ein handfeste
Libretto für eine Oper werden kann.
Die Referenten der Goethegesellschaft waren zwar voller Begeisterung,
zeigten aber wenig Konkretes, wann, wer, was für Jules Massenet zustande
gebracht hat. Aufschlussreich ist dagegen die Einführung des Dramaturgen
Christopher Baumann, der einem die mühevolle Entstehung der Oper
anschaulich nahe bringt.
Schade nur, dass die sonntägliche Vorstellung so mäßig besucht war.
Der dritte Rang geschlossen und ansonst auch viele Lücken bei der
Belegung der Sitze, laut Personal 400 verkaufte Plätze (Abo und freier
Verkauf), die aber nur zum Teil belegt waren, so dass vielleicht 350
Personen - bei einer Bestuhlung von 1202 Plätzen – sich im großen Raum
verloren.
Etliche verließen auch noch türenschlagend die Vorstellung und wie viel
nach der Pause nicht mehr in den Zuschauerraum zurückkehrten, lässt sich
nicht mit Sicherheit sagen.
Vergleichbares war beim letzten
'Falstaff' zu beobachten.
Woran mag es wohl liegen?
Wahrlich nicht am Staatsorchester, das unter der Leitung von Benjamin
Reiners die Ströme des Wohlklangs und der fein differenzierten
Schilderung der Situationen und Seelenschilderung den aufmerksamen Ohren
nahe brachten.
Dieses Organ scheint dem Regieteam aber zu fehlen und auch die Augen, um
den Text zu lesen, haben offensichtlich ihren Dienst aufgegeben.
Der ’Gag’.
Wohncontainer, in denen die einzelnen Szenen spielen, langsam von rechts
nach links zu bewegen, ist ganz praktisch.
Allerdings sind diese Kabuffs von einer Scheußlichkeit und abstoßender
Kälte, dass man merkt, man ist zur Musik und zum poetischen Text im
falschen Film.
Wieder lag es einem Regieteam des ’german trash-theaters’ daran, ein
Stück auf unsere Zeit herunterzubrechen, brechen, speib’n …
In diesem Zerrbild musste das Ensemble singen und agieren.
Allen voran die wunderbare Monika Walerowicz als Charlotte. Ihre Anmut
und ihre in allen Lagen gekonnt geführte Stimme, ihre Darstellung von
Zärtlichkeit bis Verzweiflung haben wahrlich eine bessere Umgebung als
Wäschetrockener, Schlafkabine, Hollwoodschaukel, Feldbett, Plättbrett,
Lotterpfuhl im Wäschetrockenraum und gekippten VW-Transporter verdient.
Dass manche tenorsingenden Männer nicht unbedingt schön anzusehen sind,
wissen wir. Aber aus dem Poeten Werther einen zottelhaarigen,
barfüßigen, in einem schmuddelig-schwarzen Schlotteranzug steckendes
Scheusal zu machen, beweist wieder, dass solche Regieteams in der
Staatsoper Hannover nichts zu suchen haben.
Andrea Shin hat einen strammen Tenor, mit dem er die stimmlich schwere
Partie des französischen Fachs gut bewältigt.
Athanasia Zöhrer sollte als Sophie eigentlich das unbeschwert heitere
Gegenteil zur kummervollen Charlotte sein, musste aber zickig
herumzappeln, wobei sie - im Gegensatz zur wunderbar gesungenen 'Falstaff-Nanetta'
- ihre Stimme unnötig schrill präsentierte.
Mathias Winckler, mit blödsinnigen Tätigkeiten geplagt (sich im Kleinbus
umziehen, darin schlafen, einen Wohncontainer mehr schlecht als recht
tapezieren) sang mit angenehmem Bariton den braven Albert.
Die kleineren Partien waren mit Latchezar Pravtchev, Daniel Eggert und
Michael Dries gut besetzt.
Die sechs Schwestern von Charlotte, pubertierende Biesterchen, wohl
durch ein gynäkologisches Wunder alle gleichzeitig zur Welt gekommen und
somit von gleicher Größe und im gleichen Alter, durften plärren, auch
mal schön singen, vor allem aber als Halloween-Skelette durch die
Wohncontainer rennen, weil das Regie-Team ja so ’modische
Inszenierungen’ herstellen darf.
Am Montag 27. Juni 2016 kommt Werther aus Covent Garden in die Kinos,
darauf freue ich mich jetzt schon
Im Cinemaxx treffen sich Opernfreunde wieder, die nicht mehr in
Hannovers Staatsoper gehen.
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Nr. 3 – Royal Opera House Covent Garden
Lucia
die Lammermoor
Die Musik von Gaetano Donizetti, dem Vielschreiber, kann oft recht
schematisch und austauschbar klingen oder dient den ’geläufigen Gurgeln’
von Koloratur-Primadonnen.
Lucia die Lammermoor ist das bekannteste Werk des Komponisten. Das
Libretto verfasste Salvatore Cammerano, ein versierter Theatermann nach
dem Roman von Sir Walter Scott aus dem Jahr 1819. Nach einer angenehmen
und produktiven Zusammenarbeit wurde die Uraufführung am 26. September
1835 im Teatro San Carlo einer der größten erfolge der neapolitanischen
Oper.
Die Beliebtheit der Tatort-Krimis im Fernsehen zeigen die ungebrochene
Neugier des Publikums an Mord- und Intrigengeschichten möglichst mit
einer unglücklichen Liebe als Mittelpunkt.
So war ich sehr gespannt, wie eine Film- und Theaterregisseurin ohne
’german trash’ mit dem Stück umgeht. Covent Garden liefert eine ’Lucia’
in Perfektion, zumal sie eine sensationell singende, handfest-bayerische
Diana Damrau als Titelheldin hat.
Die Bühne ist in der Horizontalen zweigeteilt, links mal ein Friedhof,
mal ein Schlafzimmer, rechts ein Raum, innerhalb eines Gebäudes, mal
Ankleide, mal Bad mit Toilette, mal Billardraum für die
Männergesellschaft.
Nach anfänglichem Staunen über den Realismus der Szene und der
handelnden Personen wuchs meine Bewunderung zur Begeisterung für die
Genauigkeit mit der die Regisseurin die Zusammenhänge der Geschichte
plausibel machte und jedes Detail – Bühnenbild und Requisite –
mitagieren ließ.
In dürren Worten kann die Handlung erzählt werden:
Lucia liebt Edgardo, der sie vor dem Angriff eines wildgewordenen
Stieres rettete, soll aber nach dem Willen ihres Bruders und
Familienoberhauptes Enrico, aus finanziellen Gründen, den reichen, aber
langweiligen Arturo heiraten – also wieder so eine Art ’verkaufte
Braut’.
Da aber Diana Damrau eine energische Person - gebürtig aus Günzburg -
ist, bleibt es bei dem ersten öffentlichen Treffen mit Edgardo nicht bei
schönen Tönen und Händchenhalten. Mitten am Friedhof reißt sie ihm und
sich angesichts von Sarkophagen mit Engelstatuen die Kleider vom Leib
und es kommt zum Sex, der – wie sich später zeigen wird – nicht ohne
Folgen bleibt.
In den nächsten Szenen kämpft sie mit Schwangerschaftsbeschwerden und
das Klo in ihrem Badezimmer kommt ganz deutlich ins Spiel.
Gefälschte Briefe, Drohungen, die erzwungene Hochzeit, schließlich der
Mord am ungewollten Bräutigam, den sie ins Bett lockt, um ihn zu
erstechen. Als er noch zuckt und zappelt, kommt die Zofe Alisa ins
Spiel, die den bereits angeschlagenen mit dem Kopfkissen erstickt.
Diese Szene läuft sonst unbemerkt im Off, hier wird sie sichtbar
gemacht.
Die Brutalität der Aktionen mit ihren Schmerzen und dem Blut durch den
Mord an Arturo sind dann der Auslöser dafür, dass Lucia eine Fehlgeburt
erleidet, was sie letztlich in eine Art von Wahnsinn treibt.
Die Männergesellschaft amüsiert sich derweil auf der rechten
Bühnenhälfte bei Spiel und Whisky, denn das blutige Geschäft einer
Geburt muss ja, weil es nur Weiberkram ist, schamhaft verborgen werden.
Der Patriarch bekommt dann später das fein gewaschene Kindchen
präsentiert.
Nun erscheint eine sich in Schmerzen windende, blutende Lucia und
liefert ihr und der Regisseurin Katie Mitchell’s Meisterstück ab.
Jede melodische Phrase der ’Wahnsinnsarie’, umschwebt von Sphärenklängen
einer Glasharmonika, wird aus ihrer Befindlichkeit entwickelt. Die
Spitzentöne im Forte sind Schmerzens-Schreie, Träume von verlorenem
Glück, Reue, Schreck, Angst, Erschöpfung – alles wird aus der Musik in
Aktionen umgesetzt.
Das Publikum hält den Atem an!
Schließlich schleppt sich Lucia zur Badewanne, die Alisa vorher mit
Wasser füllte, schneidet sich die Pulsadern auf, das Wasser färbt sich
zusehends rot, und die Heldin verdämmert.
Das ist so erschütternd, dass eigentlich nichts mehr kommen sollte, aber
Edgardo muss noch seine schwere Arie draußen am Friedhof singen, was
Charles Castronovo hervorragend gelingt, um sich dann mit Rasiermesser
neben Lucias Wanne die Halsschlagader zu durchtrennen.
Die Royal Opera verfügt über ein sehr gutes Orchester, einen prächtigen
Chor, guten Geschmack bei der Wahl der Solisten und einen
begeisterungsfähigen, wachsamen Intendanten.
Beneidenswert!!!
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Abnehmerin voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Marie-Louise Gilles
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