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Richard Wagner
'Tristan und Isolde'
oder
'Schmerzensmann und Märchenfrau'
Dem Wagner-Freund wird dringend
geraten, diese fränkische Kleinstadt, die sich der Dichterkomponist zur
Pflege seiner Opern und Musikdramen erkor, weiträumig zu umfahren.
Ebenso die großen Städte mit den von unseren sauer erarbeiteten
Verdiensten und dann abgeführten Steuergeldern hochsubventionierten
Theatern, sondern die versteckten Orte wie Erl, Baden-Baden, Minden
aufzusuchen, wo mit Respekt Sachkenntnis und Einfallsreichtum, wenn auch
mit unterschiedlichsten Budgets, die Werke zum Blühen gebracht werden.
Kein vernünftiger Mensch bringt sein Auto in eine KFZ-Werkstatt, wo es
zu Schrott zerschlagen wird, noch isst er in einem Restaurant, in dessen
schmuddeliger Küche die Ratten umherlaufen.
Die deutschen Theater, einst von der ganzen Welt bewundert, haben sich
seit den achtziger Jahren durch das unkontrollierte Tun selbsternannter
Regisseure das traurige Etikett 'german trash theater' erworben, denn im
Namen der 'Freiheit der Kunst' ist unter dem Aspekt einer 'modischen
Inszenierung' auch die grausamste Verstümmelung erlaubt.
Während die Massen in die Pop-Arenen und auf die Bierfeste strömen, um
sich im Kollektiv-Rausch zu vergessen, machten sich fünfzehn Mitglieder
des RWV-Hannover auf, in die Stadt an der Weser mit ihrem imposanten
karolingischen Dom.
Ein feines Theaterchen steht auch dort, allerdings zu klein, um im
Orchestergraben die für den 'Tristan' erforderlichen Musiker
unterzubringen - und das Gerücht war schon zu uns gedrungen, dass man
dort aus der Not nicht nur eine Tugend, sondern etwas ganz besonders
Schönes gemacht habe.
Auf der vorderen Bühne sehen wir zwei Boote, Kisten und einen Stuhl,
Decken, Polster, ein paar Bücher. Auf der hinteren Bühne, durch einen
Gazevorhang abgetrennt, die arenaförmige Sitzanordnung für Orchester und
Chor.
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Die Musiker nehmen ihre Plätze ein, im Dunklen setzt sich Brangäne auf
eine Kiste, näht geduldig und Isolde legt sich in ein Boot.
Die Chiffren genügen, um die Situation zu schildern.
Dass die Solisten vor dem Orchester singen, kennt man aus Oratorien-
oder Symphonie-Konzerten.
Jetzt ist es auch mal in einer Oper der Fall - allerdings sei nicht
Wernickes 'Elektra' in der Alten Oper Frankfurt mit einer ähnlichen
Szenerie vergessen - und wir kommen in den direkten Genuss von Richard
Wagners Klang-Künsten und seiner genauen Schilderung der seelischen
Befindlichkeiten seiner Figuren.
Das ist das ganz besondere Erlebnis dieses Abends, ganz nah dran zu
sein!
Auf der kleinen Spielfläche findet nun ein Kammerspiel statt, in dem die
Sänger-Darsteller von Regisseur Mathias von Stegmann so sensibel und
richtig geführt werden, dass man dankbar feststellt: Da ist einer, der
den Text gelesen, die Musik gehört und in Aktion umgesetzt hat.
Mehr braucht man nicht, Wagners 'Tristan' ist ein Meisterwerk und
spricht für sich selbst.
Im zweiten Aufzug sind die Boote hochgezogen und hängen drohend über der
Szene.
Meine regisseurgeschädigte Sitznachbarin befürchtete Bomben zu erkennen,
aber solche Mätzchen gibt es hier nicht.
Die rote 'Flagge der Liebe' steckt auf einem Paddel, Lichter mit sanftem
Schein stehen auf dem Boden
Im dritten Aufzug sind die Boote zerstört, ein vermodertes Holzskelett
hängt über dem Orchester.
Das alles ist gekonnt gezeigt - und es stimmt.
Die Kostüme von Frank Philipp Schlößmann sind an das 19. Jahrhundert
angelehnt, typgerecht in Form und Farbe
Aber für den Tristan von Andreas Schager, der im ersten Aufzug wie
Hoffmann aus den Erzählungen auftritt, hätte man doch wohl einen Mantel
finden können, statt ihn immer nur wie auf der Probebühne in Hemd und
Hose agieren zu lassen.
Das Sängerensemble erstaunt, es ist - wenn es schon immer hieß, 'die
Qualität eines Hauses zeigt sich an der Besetzung der kleinen Partien' -
sogar richtig gut.
Der 'junge Seemann' und der 'Hirt' werden von René Riemer sauber
intoniert und mit beglückend knödelfreiem jugendlichen Buffo-Tenor
gesungen. Er wird wohl ein herzerfrischender David und auch ein guter
Evangelist sein.
Ebenso erfreulich der Steuermann von Sebastian Eger.
Mit kraftvollem Bariton stellt sich Thomas de Vries als 'Melot' vor.
Schade, dass die Partie so kurz ist, aber dieser vielseitigen
Persönlichkeit wird man sicher gerne wieder begegnen.
Der drahtig-attraktive Roman Trekel ist ja in jeder Rolle seines Fachs
eine Klasse für sich. Mir sind sein aufgeregter, wichtigtuerischer 'Heerrufer'-Propagandaminister
in einem ansonsten trüben und finsteren 'Bayreuth-Lohengrin' und sein
anrührend, melancholischer Wolfram auch in Bayreuth unvergessen. Wenn er
auf der Bühne steht, knistert es vor Spannung.
Als Kurwenal ist er aber auch klug genug, sich nicht unangenehm in den
Vordergrund zu spielen. Seine Stimme trägt, weil sie gut fokussiert
geführt wird, hat aber so viel Körperklang, dass sie nicht gequetscht
klingt.
Das ist leider bei Ruth Maria Nicolay als Brangäne der Fall. Sie ist die
treusorgende Gouvernante, aber die herrlichen Melodiebögen, die Richard
Wagner ihr geschrieben hat, erreichen unsere Ohren mehr schneidend,
statt schmeichelnd.
James Moellenhoffs König Marke ist eine imposante Erscheinung mit
angenehm sattem Bass und findet in der Darstellung der Figur das rechte
Maß an Gefährlichkeit und späterer Läuterung zur Güte.
Andreas Schager ist als Tristan völlig ungewohnt - ein schlanker, fast
zarter Mensch mit gut sitzender - aus dem Lyrischen entwickelter -
Stimme.
Unscheinbar tritt er ins Geschehen ein und entwickelt sich nach dem bei
ihm wohl äußerst stark wirkenden Liebestrank zum Helden.
Im dritten Aufzug, dessen stimmliche Anforderungen Richard Wagner bis
zur Folter trieb und manch berühmtem Tenor nur noch ein Flüstern abrang,
wird Andreas Schager mit eisernem Wille zum Marathon-Mann, zum
Zehnkämpfer, zum Ironman, aber auch zum Schmerzensmann, der uns zutiefst
anrührt.
Bewundernswert und unvergesslich!
Hoffentlich bezieht er das 'lass mich sterben' nicht auf sich und gönnt
sich genug Erholung.
Dara Hobbs ist der strahlende Mittelpunkt des Abends. Eine schöne
Märchenfrau mit Charme, Eleganz und der Fähigkeit, alle Gefühlsnuancen
von Koketterie bis zur Verzweiflung auszudrücken. Dank an alle, die mit
ihr den ersten Aufzug sprachlich gearbeitet haben.
Da sitzt jeder Konsonant, jede Silbe, jedes Wort und sie weiß, was sie
warum sagt.
Eine wirklich junge Isolde, die Tristan provoziert und richtig
'anmacht', so wie es im Text steht, aber die sonst so damenhaften
Isolden kriegen das nicht hin.
Die großen Bögen gibt es dann im zweiten Aufzug.
Wunderbar wie durchsichtig und leicht die Nordwestdeutsche Philharmonie
unter dem umsichtig, professionellen Frank Beermann den Sängern die
vielen Konversations-Passagen endlich einmal - ohne unnötige Schwere
auszuspielen - ermöglichen.
Die gesunde, leuchtende Stimme von Dara Hobbs wird sie in eine
hoffnungsvolle Laufbahn bringen, zu der wir ihr von Herzen 'Alles Gute'
wünschen.
Dass sie im Liebestod ein bisschen erschöpft war, wird sie mit
wachsender Sicherheit noch ausbessern und so schreitet sie wie Isolde
auf einem Lichtstrahl, nicht ins Nirwana, sondern in die Zukunft.
Beglückt von diesem wunderbaren Abend, den das Publikum der Tatkraft von
Frau Dr. Jutta Hering-Winckler zu verdanken hat, fuhren die RW-Freunde
nach Hannover zurück. Allen sei gesagt:
Augen auf!
Ohren auf!
Herzen auf!
Nach Minden in den 'Tristan' fahren.
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