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'Schlampen, Transen,
Tunten'
In Berlin gibt es zwei
Infektionsherde, die mit ihren ansteckenden Viren das Theater genetisch
verändert haben.
Frank Castorfs 'Volksbühne' am Rosa-Luxemburg-Platz brutalisiert und
politisiert alle Werke der Literatur mit gewaltigem Linksruck im Sinne
seines Hausherrn, und die Komische Oper sexualisiert die Werke im Sinne
ihres Hausherrn Barry Cosky zu einem permanenten 'Treff der Geilen'.
Da jeder Handeltreibende der Ansicht ist, dass 'sex sells', macht die
Intendanz in Hannover eifrig Gebrauch von diesem 'main stream', wie wir
schon mit dem ekelhaften 'Ring des Nibelungen', der viel Geld verschlang
und schnell abgesetzt wurde, erleben mussten.
Das Publikum gewöhnt sich dran, verlernt die feine Kritik, die in
Spielopern und Operetten wohnt, zu bemerken. Es verroht, johlt und
kreischt und die Reize auf der Bühne müssen immer gröber werden.
Also her mit dem blutigen Hundekampf und endlich ein echter Mord auf der
Bühne!
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Wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt, sitzt auf der offenen,
leeren Bühne ein verdrießlicher, barfüßiger Mensch mit weißem Haupthaar
in einem dunkelgrauen Bademantel und absolviert eine Lach-Übung, wie man
sie aus der szenischen Ausbildung an einer Schauspielschule kennt.
Der Arme aber ist so reich, kann sich alle Wünsche erfüllen und leidet
daher unter 'ennui'.
Wird es der heutige Abend fertigbringen, ihn davon zu heilen?
Dafür bietet Regisseur Martin G. Berger
vieles auf, was die 'generation porno' zu ihrer Selbstverwirklichung
braucht.
Während der vom Staatsorchester, geleitet von Benjamin Reiners, flott
und spritzig gespielten Ouvertüre, schließt sich ein hübsch kitschiger
Vorhang und dann stürmt Sung-Keun Park als
wildgewordener Fallschirmspringer herein, um mit dem Vorhang halb-hoch
gezogen zu werden.
Das soll also Alfred, der Geliebte der Hausherrin Rosalinde, sein. Er
gibt in höchsten Tönen einen Querschnitt durch die bekannten
Tenor-Partien, weil Rosalinde auf Tenöre steht, eine Schwäche, die auch
überlang mit Insider-Scherzen über diese Stimmgattung angereicherten
Dialogen abgehandelt wird.
Die Wohnungseinrichtung des reichen Rentiers von Eisenstein ist von
erlesener Scheußlichkeit im Stil des Katalogs des Versandhauses B.
Dorothea Maria Marx singt die Rosalinde
leuchtend schön und sieht dazu höchst appetitlich aus.
Robert Künzli, erlöst vom Joch der schweren
Helden, ist mit dem Eisenstein genau richtig im Charakterfach und
überzeugt mit guter Laune.
Ania Vegry schmettert beherzt ihre
Adele-Koloraturen (ich freue mich, wie sehr ihr Stimme gewachsen ist!)
und stellt ein aufmüpfiges Mädchen vor, das alles dafür tut, die soziale
Unterschicht der Kammerjungfer hinter sich zu lassen.
Und dann geht es los:
Man grapscht, man zieht sich aus, man fällt übereinander her.
Der Griff in den Schritt und dann Hose runter ist allgemeine
Gepflogenheit. Dabei zeigt die erste Überraschung, dass
Gefängnisdirektor Frank - knallig-skuril Frank
Schneiders - Strapse und schwarze Netzstrümpfe trägt.
Dr. Falke - souverän agierend und wie immer prachtvoll singend:
Stefan Adam - organisiert seine Rache für
den erlittenen üblen Faschingsscherz mit Ironie und Menschenkenntnis und
hält sich von den ausufernden Plumpheiten fern.
Während die wunderbare Musik von Johann Strauß perlend und prickelnd
feine Erotik verbreitet, dürfen wir Solisten, Chor und Bewegungschor im
2. Akt beim Prinzen Orlowsky, sehr geschickt zwischen vervielfachenden
Spiegelwänden, erleben.
Anfangs dezent schwarz-weiß gekleidet, feiert, säuft und pöbelt sich die
'großer Bruderschaft' immer mehr entkleidet in eine Horde enthemmter
Schlampen, Transen und Tunten hinein. Freilich sind die
geschlechtvermischten Kostüme sehr phantasievoll, wozu Erotik-Kataloge,
Geschäfte und Reeperbahn-Shows Anregung geben.
Dann wird es politisch:
Der Staat 'Champagner' wird proklamiert, Fahnen im Zuschauerraum
entrollt, Konfetti rieselt herab und Mareike Morr
im Staatsgewand als Prinz Orlowsky wird im Sektglas-Thron emporgefahren,
um seine Regierungserklärung abzugeben:
Jeder soll sein, wie er/sie ist: schwul, lesbisch, hetero, bi oder sonst
was.
Dann enthüllt er/sie sich als Hermaphrodit.
Den vorgeschnallten Penis hatten wir schon im 'Freischütz' beim
'Ekel-Gnom'.
'Anything goes!' - Das ist also die neue Linie.
Ist sie wirklich neu?
Bordelle mit deftigen Darstellungen gab es in der Antike überall,
zweigeschlechtliche Wesen waren ebenso bekannt, Sodomie, Partnertausch,
Lustknaben, Freudenmädchen, rauschhafte Feste zu Ehren des Bacchus -
alles schon dagewesen!
Wo aber liegt der Unterschied und die Grenze des öffentlich
Erträglichen?
Es sind die jeweiligen Räume, die für die verschiedenen Anlässe
vorgesehen sind.
Gekocht wird in der Küche, geschlafen wird im Schafzimmer, die Notdurft
wird auf der Toilette verrichtet, gearbeitet wird in der Fabrik und in
der Werkstatt, gebetet wird in der Kirche, dem Tempel, diskutiert wird
im Parlament.
Was aber für ein Raum ist unsere Staatsoper in Hannover, in der ein
Spitzenorchester und ein großartiges Sängerensemble die Musik der großen
Meister zu Gehör bringt?
Obwohl der Regisseur Martin G. Berger einfallsreich ist und diese
Inszenierung viel Vorarbeit beweist, scheint er aber doch wie die
meisten Typen vom 'german trash theater' keine Ohren am Kopf zu haben,
um die Botschaft der Musik zu hören.
Wer seinen Hass auf Deutschland - siehe 'Freischütz' - ausdrücken will,
schreibe ein Stück mit diesem Thema, sammle Gleichgesinnte, engagiere
eine Band und lege los!
Aber den Karl Maria von Weber überlasse er den Leuten, die Musik
studiert haben.
Wem die Vielfalt der Sexualität keine Ruhe lässt, schreibe sich ein
Stück, sammle Gleichgesinnte, engagiere eine Band und lege los!
Johann Strauß aber überlasse er den Leuten, die Musik studiert haben.
Dies gilt von Monteverdi bis heute!
Der 2. Akt endet mit der Apotheose des 'nackert' dastehenden
Hermaphroditen und seinem:
'Jeder, jede mit jeder und jedem', und so wollen wir 'ein großer Verein
von Schwestern und von Brüdern sein' - wie es im Textbuch heißt.
Trotz aller Deutlichkeit war alles immer noch das 'als ob' des
Theaters.
Aber es wird sich schon eine Agentur finden, die der Intendanz für die
nächste Inszenierung echte Porno-Darsteller für das Gröbste
anbietet. Entsprechende Pausen im musikalischen Ablauf werden dann - der
'realtime' des Akts entsprechend - eingeplant.
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Große Pause, großer Umbau für den 3. Akt.
Der Orchestergraben ist abgedeckt, einsam steht Stefan Scheuermann als
Frosch inmitten von Müll und Gerümpel
(wir kennen das ja schon von 'La Traviata') und äußert schließlich,
weise sinnierend, dass die Regisseure doch ihre Ideen für sich behalten
sollen - vom Publikum heftig akklamiert.
Ein raffinierter Schachzug der Regie oder Eigenmächtigkeit des
Darstellers?
Der Müll auf der Bühne, eine Spezialität des Hauses, könnte durch das
Abladen von Gülle olfaktorisch noch bereichert werden.
Das Büro der jetzigen Intendanz soll auch so aussehen - wie ein
Augenzeuge berichtet.
Der Vorhang geht auf, ein zauberhaft spielendes Kammerorchester
begleitet die Sänger, dann zum Finale ein echter Clou:
Das Staatsorchester fährt hinten aus der Versenke hoch, positioniert wie
eine gewaltige Show-Band.
Orlowsky sitzt an der Seite auf einem Sofa und hofft, dass er lachen
kann.
Na, endlich, er kann!
Die Fledermaus hat sich gerächt, das Publikum ist erregt und dankt den
Mitwirkenden mit berechtigtem Jubel.
Ich schaute schon mehrmals auf die Uhr, ein ganz schlechtes Zeichen.
Nichts wie raus hier - und das war mal mein heißgeliebter Arbeitsplatz!?
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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:
Als Abnehmerin voll bezahlten
Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich
diese Besprechungen und Kommentare nicht als
Kritik
um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf - nach
meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.
Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und
Satire.
Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5,
Grundgesetz, in Anspruch.
Marie-Louise Gilles
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