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Bericht

Repertoirevorstellung

Johann Strauß
'Die Fledermaus'

Nds. Staatsoper Hannover
20.03.2016
 

 
 

'Schlampen, Transen, Tunten'


In Berlin gibt es zwei Infektionsherde, die mit ihren ansteckenden Viren das Theater genetisch verändert haben.
Frank Castorfs 'Volksbühne' am Rosa-Luxemburg-Platz brutalisiert und politisiert alle Werke der Literatur mit gewaltigem Linksruck im Sinne seines Hausherrn, und die Komische Oper sexualisiert die Werke im Sinne ihres Hausherrn Barry Cosky zu einem permanenten 'Treff der Geilen'.

Da jeder Handeltreibende der Ansicht ist, dass 'sex sells', macht die Intendanz in Hannover eifrig Gebrauch von diesem 'main stream', wie wir schon mit dem ekelhaften 'Ring des Nibelungen', der viel Geld verschlang und schnell abgesetzt wurde, erleben mussten.

Das Publikum gewöhnt sich dran, verlernt die feine Kritik, die in Spielopern und Operetten wohnt, zu bemerken. Es verroht, johlt und kreischt und die Reize auf der Bühne müssen immer gröber werden.
Also her mit dem blutigen Hundekampf und endlich ein echter Mord auf der Bühne!
 

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Wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt, sitzt auf der offenen, leeren Bühne ein verdrießlicher, barfüßiger Mensch mit weißem Haupthaar in einem dunkelgrauen Bademantel und absolviert eine Lach-Übung, wie man sie aus der szenischen Ausbildung an einer Schauspielschule kennt.
Der Arme aber ist so reich, kann sich alle Wünsche erfüllen und leidet daher unter 'ennui'.
Wird es der heutige Abend fertigbringen, ihn davon zu heilen?

Dafür bietet Regisseur Martin G. Berger vieles auf, was die 'generation porno' zu ihrer Selbstverwirklichung braucht.
Während der vom Staatsorchester, geleitet von Benjamin Reiners, flott und spritzig gespielten Ouvertüre, schließt sich ein hübsch kitschiger Vorhang und dann stürmt Sung-Keun Park als  wildgewordener Fallschirmspringer herein, um mit dem Vorhang halb-hoch gezogen zu werden.
Das soll also Alfred, der Geliebte der Hausherrin Rosalinde, sein. Er gibt in höchsten Tönen einen Querschnitt durch die bekannten Tenor-Partien, weil Rosalinde auf Tenöre steht, eine Schwäche, die auch überlang mit Insider-Scherzen über diese Stimmgattung angereicherten Dialogen abgehandelt wird.

Die Wohnungseinrichtung des reichen Rentiers von Eisenstein ist von erlesener Scheußlichkeit im Stil des Katalogs des Versandhauses B.
Dorothea Maria Marx singt die Rosalinde leuchtend schön und sieht dazu höchst appetitlich aus.
Robert Künzli, erlöst vom Joch der schweren Helden, ist mit dem Eisenstein genau richtig im Charakterfach und überzeugt mit guter Laune.
Ania Vegry schmettert beherzt ihre Adele-Koloraturen (ich freue mich, wie sehr ihr Stimme gewachsen ist!) und stellt ein aufmüpfiges Mädchen vor, das alles dafür tut, die soziale Unterschicht der Kammerjungfer hinter sich zu lassen.

Und dann geht es los:

Man grapscht, man zieht sich aus, man fällt übereinander her.
Der Griff in den Schritt und dann Hose runter ist allgemeine Gepflogenheit. Dabei zeigt die erste Überraschung, dass Gefängnisdirektor Frank - knallig-skuril Frank Schneiders - Strapse und schwarze Netzstrümpfe trägt.

Dr. Falke - souverän agierend und wie immer prachtvoll singend: Stefan Adam - organisiert seine Rache für den erlittenen üblen Faschingsscherz mit Ironie und Menschenkenntnis und hält sich von den ausufernden Plumpheiten fern.

Während die wunderbare Musik von Johann Strauß perlend und prickelnd feine Erotik verbreitet, dürfen wir Solisten, Chor und Bewegungschor im 2. Akt beim Prinzen Orlowsky, sehr geschickt zwischen vervielfachenden Spiegelwänden, erleben.

Anfangs dezent schwarz-weiß gekleidet, feiert, säuft und pöbelt sich die 'großer Bruderschaft' immer mehr entkleidet in eine Horde enthemmter Schlampen, Transen und Tunten hinein. Freilich sind die geschlechtvermischten Kostüme sehr phantasievoll, wozu Erotik-Kataloge, Geschäfte und Reeperbahn-Shows Anregung geben.
Dann wird es politisch:
Der Staat 'Champagner' wird proklamiert, Fahnen im Zuschauerraum entrollt, Konfetti rieselt herab und Mareike Morr im Staatsgewand als Prinz Orlowsky wird im Sektglas-Thron emporgefahren, um seine Regierungserklärung abzugeben:
Jeder soll sein, wie er/sie ist: schwul, lesbisch, hetero, bi oder sonst was.
Dann enthüllt er/sie sich als Hermaphrodit.
Den vorgeschnallten Penis hatten wir schon im 'Freischütz' beim 'Ekel-Gnom'.
'Anything goes!' - Das ist also die neue Linie.
Ist sie wirklich neu?
Bordelle mit deftigen Darstellungen gab es in der Antike überall, zweigeschlechtliche Wesen waren ebenso bekannt, Sodomie, Partnertausch, Lustknaben, Freudenmädchen, rauschhafte Feste zu Ehren des Bacchus - alles schon dagewesen!
Wo aber liegt der Unterschied und die Grenze des öffentlich Erträglichen?

Es sind die jeweiligen Räume, die für die verschiedenen Anlässe vorgesehen sind.
Gekocht wird in der Küche, geschlafen wird im Schafzimmer, die Notdurft wird auf der Toilette verrichtet, gearbeitet wird in der Fabrik und in der Werkstatt, gebetet wird in der Kirche, dem Tempel, diskutiert wird im Parlament.

Was aber für ein Raum ist unsere Staatsoper in Hannover, in der ein Spitzenorchester und ein großartiges Sängerensemble die Musik der großen Meister zu Gehör bringt?

Obwohl der Regisseur Martin G. Berger einfallsreich ist und diese Inszenierung viel Vorarbeit beweist, scheint er aber doch wie die meisten Typen vom 'german trash theater' keine Ohren am Kopf zu haben, um die Botschaft der Musik zu hören.

Wer seinen Hass auf Deutschland - siehe 'Freischütz' - ausdrücken will, schreibe ein Stück mit diesem Thema, sammle Gleichgesinnte, engagiere eine Band und lege los!
Aber den Karl Maria von Weber überlasse er den Leuten, die Musik studiert haben.

Wem die Vielfalt der Sexualität keine Ruhe lässt, schreibe sich ein Stück, sammle Gleichgesinnte, engagiere eine Band und lege los!
Johann Strauß aber überlasse er den Leuten, die Musik studiert haben.

Dies gilt von Monteverdi bis heute!

Der 2. Akt endet mit der Apotheose des 'nackert' dastehenden Hermaphroditen und seinem:
'Jeder, jede mit jeder und jedem', und so wollen wir 'ein großer Verein von Schwestern und von Brüdern sein' - wie es im Textbuch heißt.
Trotz aller Deutlichkeit war alles immer noch das 'als ob' des Theaters.
Aber es wird sich schon eine Agentur finden, die der Intendanz für die nächste Inszenierung echte Porno-Darsteller für das Gröbste   anbietet. Entsprechende Pausen im musikalischen Ablauf werden dann - der 'realtime' des Akts entsprechend - eingeplant.

 

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Große Pause, großer Umbau für den 3. Akt.
Der Orchestergraben ist abgedeckt, einsam steht Stefan Scheuermann als Frosch inmitten von Müll und Gerümpel
(wir kennen das ja schon von 'La Traviata') und äußert schließlich, weise sinnierend, dass die Regisseure doch ihre Ideen für sich behalten sollen - vom Publikum heftig akklamiert.
Ein raffinierter Schachzug der Regie oder Eigenmächtigkeit des Darstellers?

Der Müll auf der Bühne, eine Spezialität des Hauses, könnte durch das Abladen von Gülle olfaktorisch noch bereichert werden.
Das Büro der jetzigen Intendanz soll auch so aussehen - wie ein Augenzeuge berichtet.

Der Vorhang geht auf, ein zauberhaft spielendes Kammerorchester begleitet die Sänger, dann zum Finale ein echter Clou:
Das Staatsorchester fährt hinten aus der Versenke hoch, positioniert wie eine gewaltige Show-Band.
Orlowsky sitzt an der Seite auf einem Sofa und hofft, dass er lachen kann.
Na, endlich, er kann!
Die Fledermaus hat sich gerächt, das Publikum ist erregt und dankt den Mitwirkenden mit berechtigtem Jubel.

Ich schaute schon mehrmals auf die Uhr, ein ganz schlechtes Zeichen.
Nichts wie raus hier - und das war mal mein heißgeliebter Arbeitsplatz!?
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Als Abnehmerin voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes
und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.

Marie-Louise Gilles

 

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