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Richard Wagner
'Lohengrin in Minden'
Große Symphonie mit gesungenem Kammerspiel
'Wie geht e kleines Haus mit einer so
großen Oper um?
Diese Frage beschäftigte die 24 Musikfreunde des
Richard-Wagner-Verbandes Hannover, die sich zu gemeinsamen Erlebnis auf
die Reise machten.
Wie geht ein kleines Haus mit einer
so großen Oper um und wer kann es bewerkstelligen, der Bevölkerung 10
Vorstellungen von Richard Wagners romantischer Oper anzubieten?
Die Nachricht, John Dew, der Einfallsreiche
und Erfahrene habe die Regie übernommen, das bewährte Freundespaar
Heinz Balthes und
José-Manuel Vazquez erarbeitete Bühnenbild und Kostüme, ließen
erleichtert aufatmen, denn es waren keine Scheußlichkeiten auf der Bühne
zu erwarten.
Ein transparenter Vorhang mit Schwanenmotiv und üppigen Ornamenten teilt
die Bühne, Chor und Orchester hinter diesem Vorhang, die Solisten
agieren davor.
Das blausilberne Vorspiel verzaubert die Zuhörer, der Vorhang erstrahlt
ebenso und die Gralsmusik deutet ein Lichtstrahl.
Ortrud erscheint auf der Vorbühne und legt blutrote Steine zu einem
magischen Kreis, dazu einen hölzernen Wotan-Fetisch. Ein Schadenszauber
soll die Widersacher treffen und sie erglüht in höllenrot. Die
Symbolfarben stehen also fest: weiß und hell gleich gut, dunkel gleich
böse, so einfach ist das.
Es steht also ein Märchen bevor, der Kampf um die Macht zwischen
Engelchen und Teufelchen.
Nachdem die Gralsvision in A-Dur entschwebt ist, bricht die Realität mit
Synkopen und viel Blech herein, also es herrscht Aufbruch zu Krieg anno
domini: 933. Die ethnischen Probleme zwischen Brabantern, Sachsen und
Thüringern und Friesen verschwinden hinter dem Märchenvorhang des en
bloc fabelhaft singenden Chores aus Sofia unter der Leitung von
Violeta Dimitrova.
Der Heerrufer, Christoph Burdack, sollte
seinen schönen Bariton - bei der intelligenten Vita - besser fokussieren
und Textverständlichkeit von Fischer-Dieskau lernen.
König Heinrich, gewandet in gold-braun und roter schwerer Seide,
assistiert von schwarz-verschleierten Geistern, die immer wieder
notwendige Requisiten zur Stelle oder wegschaffen (ohne Zweifel ein
großes Erlebnis für die Schülerinnen des Ratsgymnasiums Minden so
hautnah dabei zu sein!) - Andreas Hörl, ein
hochgewachsener Märchenkönig, ist für die meisten der Musikfreunde die
erfreulichste Entdeckung des Abends. Eine gesunde Stimme, mit prächtiger
Höhe - die sonst den Bässen meist ja so viel Mühe bereitet - guter
Diktion und so engagiertem Spiel, dass bedauerlicherweise Richard Wagner
die politische Ebene des Stückes, die er doch auch in der flandrischen
Rechtsgeschichte sorgfältig studierte, zugunsten der 'Love-Story' als
zweitrangig erachtete. Mit dem freundschaftlichen Rat, am Vokalausgleich
zu arbeiten, damit der Vokal 'i' nicht in die Nase rutscht, hoffen wir
für Andreas Hörl auf eine erfolgreiche Sängerlaufbahn.
Die Gerichtsrede Telramunds, von Wagner nach den Gesetzen der
klassischen Rhetorik konstruiert, wird von Heiko
Trinsinger - in kleidsamem erdbraunen Seidenmantel - mit gut
sitzendem, hellem Bariton wild und grimmig gesungen, so wie er dem
Publikum den ganzen Abend lang erscheint. Erst beim Applaus strahlt sein
Gesicht so, dass der König ihm gern 'der höchsten Tugend Preis'
zuerkennt. Ein aufrechter Landedelmann und verdienter Truppenführer
argumentiert nicht mit eingeknickten Beinen und schrägem Oberkörper,
gebrochen wird er erst durch den unfairen Zweikampf mit dem 'Zauberer'
Lohengrin.
Elsa erscheint an den Händen gefesselt vor dem König und damit vor
Gericht. Man hat ihr in den einsamen, trüben Tagen Nadel und Faden
weggenommen, denn ihr Gewand ist ungesäumt. Kamm und Blondiermittel
fehlen ihr auch, der Ansatz ihrer Strubbelmähne ist verräterisch dunkel.
Anna Gabler, von schlanker mädchenhafter
Gestalt, mit leuchtender, alle Gefühlsregungen ausdrückenden Stimme
verkörpert Elsa in jedem Augenblick glaubhaft. Ihren kurzen Lebensweg
vom schwärmerischen Teenager über die erwartungsvoll Liebende, in ihrer
Seligkeit leicht zu Beeinflussende, Verzweifelte und schließlich
Alleingelassene erlebt das Publikum in konzentrierter Anteilnahme.
Ebenso erfreut es sich an der Eleganz mit der sie die jetzt tadellos
blondierten Frisuren und die zauberhaften Kostüme von Meister Vazquez
trägt - so soll es sein!
Lohengrin ist der monumentale John Charles Pierce,
ein routinierter Recke - schon in Chemnitz sang er die Titelrolle - in
weißem Kostüm, teilweise gepanzert. Er erscheint aus dem Nebel in der
vorderen Tür des Zuschauerraums und bedankt sich zart falsettierend beim
lieben Schwan. Jeder weiß, wie schwer ein voix mixte in der Lage des
passaggio ist, aber man hat es noch im Ohr von Sandor Konya und dem
jungen René Kollo, das zauberhafte messa di voce zwischen pp, p und
mezzoforte, aber hier wird gemogelt. Schon beim Gruß an den König, das
'segenvoll' auf den hohen A und die folgende Phrase zeigen wie sich John
Charles Pierce die Partie zurechtgelegt hat, damit nichts schiefgeht.
Wie ein Rennfahrer, der weiß, wieviel Gas er geben muss, um aus der
Kurve zu kommen, erlebt man anschaulich, wie der Atemdruck für die
sicher gestemmten hohen Töne kalkuliert wird und obwohl Richard Wagner
die Atempausen schon komponiert hat, wird sicherheitshalber nach jedem
dritten bis fünften Ton geatmet. 'Weh, nun ist all' unser Legato dahin!
Das Teufelchen in diesem Spiel, Ortrud, die adelsstolze Friesin hat im
ersten Akt zwar nur ein Ensemble zu singen, könnte aber vorführen, mit
wieviel Raffinesse sie ihren Muskelprotz Telramund manipuliert. In
Ruth-Maria Nicolay sieht man ein giftiges
Frauchen mit braunem Dutt in muffig-mossgrünem Kostüm. In weiteren
Verlauf des Werkes findet sie zwar zu erheblicher Lautstärke bei den
hohen Tönen, die vom Publikum beim Applaus auch mit Respekt quittiert
werden, aber für die wunderbar schmeichelnden Phrasen und den
psychologisch ausgeklügelten Text wünscht man sich ein samteneres Organ,
wie es Christa Ludwig einmal hatte.
Beachtenswert der Schluss des Werkes in Minden. Weder Elsa noch Ortrud
sinken zu Boden, sondern zwei einsame Frauen starren in die Zukunft, in
der sie das Chaos, das die männlichen Helden hinterlassen haben, wie es
nach allen Kriegen üblich ist, aufräumen müssen.
Trotz einiger Einschränkungen boten die Sängerdarsteller ein fesselndes
Ensemble-Spiel - von keinerlei Regietheater-Mätzchen gestört, ganz
ehrlich auf sich selbst gestellt, erlebte das aufmerksame Publikum
größtenteils junge von der Aufgabe begeisterte Talente und war dankbar
für diesen 'Lohengrin pur'.
Die Beziehungen der Figuren zueinander waren jeden Augenblick klar
erkennbar, der Text weitgehend verständlich, Bühne und Zuschauer fanden
so eng zusammen, wie man es nur wünschen kann.
Ein Höhepunkt ist die jugendliche Nordwestdeutsche Philharmonie unter
Frank Beermann, die wohltuend unroutiniert
den Hörern nahebringt, welch großer Symphoniker dieser Richard Wagner
ist, dem man gebannt zuhört, ohne Bühnenaufbauten oder langwierige
Prozessionen zu vermissen.
Die Hochachtung gilt neben den 'Profis' all den Idealisten, allen voran
Frau Dr. Winckler, Vorsitzende des RW-Verbandes Minden, die dieses
Erlebnis ermöglichten.
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